Illegale Exporte

von Jürgen Grässlin

Bei Heckler & Koch ist Feuer unterm Dach: Mit Wissen der H&K-Geschäftsleitung sollen verbotenerweise G36-Gewehre, später auch Ersatzteile in mexikanische Unruheprovinzen exportiert worden sein. Die Strafanzeige wegen des Verdachts illegaler Waffenlieferungen wurde bereits im April 2010 gestellt. Das Zollkriminalamt in Köln und die Staatsanwaltschaft ermitteln seither.

Was dem zuständigen Stuttgarter Staatsanwalt bei bereits erfolgten Zeugenvernehmungen mitgeteilt worden ist und was er bei kommenden Vernehmungen noch erfahren dürfte, weist den Weg zu einem Rüstungsexportskandal auf allerhöchster Ebene: So sollen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz verletzt, das Bundesausfuhramt und letztlich der Bundessicherheitsrat unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel getäuscht worden sein. Die Bundesregierung reagierte offenbar mit einem bis dato geltenden Genehmigungsstopp für H&K-Waffenexporte nach Mexiko.

Meine neuerlichen Recherchen haben nunmehr ergeben, dass der Fall noch brisanter ist als bislang bekannt: Trotz katastrophaler Menschenrechtslage, jahrelanger Verwicklungen von Polizeien in schwerste Menschenrechtsverletzungen und weit verbreiteter Korruption in Reihen der Polizei haben mehrere Experten der Waffenschmiede sogar die Schießausbildung von Polizeien vor Ort höchstpersönlich mit übernommen – wohlgemerkt auch in verbotenen Provinzen. So jedenfalls lauten präzise formulierte Vorwürfe, die aus dem Unternehmen heraus gegen die Unternehmensführung erhoben werden.

Die H&K-Geschäftsleitung zeigt sich empört: Allein schon der Vorwurf der G36-Lieferung in verbotene Unruheprovinzen sei „absurd“, verkündet der Leiter der H&K-Rüstungsexportkontrolle, Peter Beyerle. Doch die Abwiegelungsstrategie ist angesichts der erdrückenden Faktenlage zum Scheitern verurteilt.(1)

Eine lange Tradition
Die Mexiko-Connection des Gewehrproduzenten Heckler & Koch GmbH in Oberndorf am Neckar reicht in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Bereits damals dealte der H&K-Handlungsreisende Armin Bähr – Deckname „Vincente“ – mit Polizeien, Militärs und Geheimdiensten.

Vincente war einer der Erfolgreichen seiner Branche. „Der kannte alle notwendigen Tricks, alle Wege“, berichtet ein Firmenmitarbeiter rückblickend. Bährs Adressaten saßen in Chile, Uruguay, Ecuador, Kolumbien und eben Mexiko. Dort betrieb Armin Bähr seine Geschäfte auch mit Behördenvertretern. Bei seinen Waffendeals bediente sich der H&K-Repräsentant im August 1977 eines kreativen Mexiko-Codes für Horst Zimmermann: Das Heer hieß „Hase, „Paul“ bezeichnete den Verteidigungsminister, „Storch“ die Polizei, hinter dem „Dichter“ versteckte sich der Staatspräsident. H&K-Waffen trugen Namen von Südfrüchten: G3-Gewehre und Scharfschützengewehre vom Typ SG1 wurden als „Bananen“ bezeichnet, hinter „Orangen“ versteckten sich HK33-Gewehre.(2)

G36 – Wiederbelebung des Waffenmarktes Mexiko
Vincente ist längst in Rente, andere sind nachgefolgt, beispielsweise Axel Haas, der Sachbearbeiter für den Vertrieb Mexiko. Seit September des Jahres 2002 war Heckler & Koch erneut in Mexiko aktiv und suchte bei den dortigen Streitkräften, Polizei- und Sicherheitskräften neue Kunden zu gewinnen. Mit Erfolg, denn drei Jahre danach kam es zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung zwischen der Oberndorfer Waffenschmiede und der staatlichen mexikanischen Im- und Exportfirma DCAM. Das Kontingent belief sich auf mehrere tausend Waffen.

Im Frühjahr 2006 startete Heckler & Koch in Mexiko-Stadt eine Marketingoffensive. Das Ziel: G36-Sturmgewehre – die zu den präzisesten und damit tödlichsten „Assault Rifles“ weltweit zählen – bei verschiedenen Länderpolizeien in Mexiko abzusetzen.

Vertreter mexikanischer Länderpolizeien äußerten großes Interesse am Kauf von G36-Gewehren.

Bereits im Sommer 2006 lag die Genehmigung für den Export von G36-Gewehren nach Mexiko vor. Sie war allerdings an eine Bedingung geknüpft: Heckler & Koch durfte wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen keinesfalls G36 nach Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco liefern. Diese vier Bundesstaaten mussten aus dem Genehmigungsantrag gestrichen werden.

Millionengeschäfte mit Mexiko
In den offiziellen Rüstungsexportberichten der Bundesregierung spiegeln sich die G36-Lieferungen wider. Im Jahr 2005 wurden lediglich 18 Einzelgenehmigungen für Gewehre erteilt, in den Folgejahren stieg diese Zahlen exorbitant an: So erfolgten im 2006 bereits 2.025 Einzelgenehmigungen für Gewehre, 2007 sogar 6.667. Finanziell ist dieser Deal ein lohnendes Geschäft, wie die regierungsamtlichen Rüstungsexportberichte gleichsam ausweisen: Der Wert der Lieferungen dieser 8.710 Gewehre belief sich in den besagten drei Jahren auf beachtliche 7.783.352 Euro.(3)

Die Sache hatte einen Haken: Nach gesicherten Angaben sollen bereits 2006 über die DCAM G36-Gewehre auch in mexikanische Bundesstaaten gelangt sein, deren Export ausdrücklich von der Genehmigung durch die Bundesregierung bzw. das BAFA ausgenommen waren.

Bereits im Laufe des Jahres 2007 erteilten verschiedene Länderpolizeien mexikanischer Bundesstaaten Folgeaufträge für das G36. Sie benötigten Ersatzteile für das Sturmgewehr, beispielsweise Tragebügel mit optischem Visier und vieles andere mehr. Zudem wurden vermutlich 40-mm-Granatwerfer von Heckler & Koch bestellt. Unter den Bestellern der G36-Ersatzteile befanden sich auch Länderpolizeien der Bundesstaaten, die offenbar unerlaubterweise G36-Gewehre geliefert bekommen hatten.

Dass Gewehre im Gebrauch Verschleißerscheinungen zeigen und schnell Ersatzteile benötigt werden, ist bekannt. Weniger bekannt dürfte sein, wie lukrativ derartige Geschäfte sind. So belief sich der Wert der 2007 erfolgten Einzelgenehmigungen für Bestandteile der genehmigten Gewehrexporte auf beachtliche 1.363.934 Euro – und damit rund das Achtzehnfache des Vorjahres. (4)

Doch den H&K-Antragsstellern passierte ein folgenschwerer Fauxpas, als sie eine Genehmigung für den Export von G36-Ersatzteilen beantragten: Durch Unachtsamkeit sollen auf der im Antragsformular vorgegebenen Endverbleibserklärung auch die verbotenen Bundesländer in Mexiko als Empfänger und Lieferanschrift für die Ersatzteile angegeben worden sein.

Beim Bundesausfuhramt wurde man hellhörig. Wie konnte es sein, dass Heckler & Koch Ausfuhrgenehmigungen für Ersatzteile selbst in mexikanische Bundesstaaten anforderte, in die doch der Export der G36-Gewehre untersagt worden war? Umgehend hakte das Bundesausfuhramt bei der Oberndorfer Waffenschmiede nach, wie sich diese Nachfragen nach Ersatzteilen aus den vier Unruheprovinzen erklären ließen, die über diese Waffen offiziell gar nicht verfügten. Schriftlich erklärte H&K daraufhin gegenüber dem BAFA: Hierbei habe es sich um ein Versehen gehandelt, das sich EDV-technisch aus der ursprünglichen Erstanfrage für den G36-Export ergeben habe.

Vieles spricht dafür, dass diese Aussagen und Angaben seitens Heckler & Koch nicht der Wahrheit entsprechen und die G36-Gewehre und deren Ersatzteile wissentlich, gezielt und geplant auch in die untersagten mexikanischen Bundesstaaten geliefert worden sind.

Nach Ermittlungen ruft man notgedrungen bei Heckler & Koch jetzt Plan B aus. Man habe mexikanischen Polizisten – wohlgemerkt im mit Belieferungsverbot belegten Bundesstaat Jalisco – lediglich Sicherheitsunterweisungen an G36-Gewehren erteilt. Doch auch diese Behauptung wird einer kritischen Überprüfung nicht lange standhalten. Denn bei den Waffenvorführungen der G36 sei es eben nicht „nur“ um Sicherheitseinweisungen gegangen – wie die H&K-Führung vorgibt –, sondern auch um die Ausbildung mexikanischer Polizeien am G36-Gewehr, heißt es aus gut informierten Kreisen.

Damit nicht genug: Beim Ausbildungsschießen soll sogar der Einsatz der G36-Gewehre praktisch geprobt worden sein. Treffen die noch weitaus detailreicheren Ausführungen zu, dann wird es ernst für die H&K-Geschäftsführung. Reisen von gleich mehreren H&K-Mitarbeitern in verbotene Unruhprovinzen sollen von ganz oben genehmigt gewesen sein. Kein Wunder also, dass die Wellen auch in Mexiko hochschlagen. In einem mehrseitigen Beitrag berichtete das Politikmagazin Proceso über „Die Invasion der G36“. (5)

Angesichts der Bedrängnis könnte die Heckler & Koch-Führung alsbald versuchen, die Verantwortung auf untergeordnete Mitarbeiter abzuwälzen, die in ausführender Funktion in den Exportdeal involviert gewesen sind. Doch auch diese werden sich zu wehren wissen. Das Problem für die H&K-Oberen liegt auf der Hand: Die Exportbeteiligten der Führungsriege der Oberndorfer Waffenschmiede sind bekannt, desgleichen die näheren Umstände und Verläufe der Reisen der H&K-Mitarbeiter in die Unruheprovinzen, ja sogar zahlreiche Details dieses vermeintlich illegalen Deals mit G36-Gewehren und deren Ersatzteilen sowie der Ausbildung mexikanischer Polizeien an der Waffe.

Jetzt ist die Staatsanwaltschaft am Zug.

 

Anmerkungen
(1) „Tödliche Geschäfte“ von Beat Balzli in DER SPIEGEL 33/2010, 14.08.2010, S. 73

(2) Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), Kampagne „Stoppt den Rüstungsexport“ u.a. (Hrsg.): Südfrüchte aus Oberndorf. Der Reader zum Film, Bonn 1986, Seite 73 ff.

(3) Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter in den Jahren 2005 (S. 41), 2006 (S. 42) und 2007 (S. 49)

(4)  Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 2007, Seite 49

(5) „La invasión de los G36“ von Francisco Olaso in Proceso vom 26.09.2010

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Hintergrund
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).