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Abrüstung von Atomwaffen
Verbieten oder abrüsten? Das ist nicht die Frage
vonAnfang Juli wurde bei den Vereinten Nationen in New York der „Vertrag über das Verbot von Kernwaffen“ verabschiedet, und wie zu erwarten halten die Kontroversen über die Nutzen oder Gefahren des Vertrages an. „We have a treaty“ jubelten die Delegierten und die NichtregierungsvertreterInnen im Untergeschoss der UN; „Ein Atomwaffenverbot wäre schädlich“ jammert Karl-Heinz Kamp auf faz.net (29.7.2017). Aus dem Blick geraten scheint über diesem Streit die Frage der Rüstungskontrolle, also wie Aufrüstung verhindert und Abrüstung der vorhandenen Atomwaffen erreicht werden kann.
Die Argumente der VertragsgegnerInnen fasste Kamp in seinem faz-Text knapp zusammen: Erstens sei die vollständige Abschaffung der Atomwaffen nicht machbar, denn dazu müsste sichergestellt werden, dass kein Land auch nur eine Atomwaffe übrig behalte. Zweitens wollten die Atomwaffenstaaten ihre Waffen ohnehin nicht abgeben, weil sie ihnen aus unterschiedlichen Gründen einen Nutzwert zuschreiben. Und drittens wäre eine atomwaffenfreie Welt nicht stabil, weil der Geist aus der Flasche sei, das Wissen über und die Materialien für Atomwaffen nicht verschwänden und deshalb „jede ernste Krise in einen Wettlauf um den frühesten Besitz einer Kernwaffe münden würde“.
Diese Argumente lassen sich widerlegen: Selbst wenn ein Land heimlich einige Atomwaffen zurückhalten sollte, ist die Welt erheblich sicherer als jetzt, weil die Gefahren, die mit dem Atomwaffenkomplex (dem Produktionszyklus von der Uranmine bis zur fertigen Waffe) und der Abschreckungsdoktrin (z.B. Missverständnisse, versehentlicher oder unautorisierter Einsatz) einhergehen, drastisch sinkt. Zweitens ist eine Welt ohne Atomwaffen nur zu erreichen, wenn sich das globale Sicherheitsgefüge zuvor grundlegend ändert, dann aber entfällt der Nutzwert von Atomwaffen für die Besitzerstaaten. Und schließlich lässt sich die Produktion atomwaffenfähiger Materialien durchaus kontrollieren, wenn der Wille dazu besteht – das Iranabkommen vom Juli 2015 zeigt, wie das geht.
Kamp schlussfolgert im Konjunktiv, als wäre der Vertrag noch gar nicht vereinbart, als wäre die Ratifizierung von 50 Staaten für das Inkrafttreten ein unrealistisches Ziel: „So könnte eine internationale Norm entwickelt werden, die langfristig das Vertrauen in Kernwaffen untergraben würde. […] Genau darin liegt aber das Problem: Man untergräbt damit nämlich auch die Idee der nuklearen Abschreckung zur Kriegsverhinderung“. Da ist es wieder, das Mantra der „nuklearen Abschreckung“. Als ob die früher bis zu 70.000, selbst heute noch 15.000 Atomwaffen Kriege verhindern würden. Die täglichen Abendnachrichten zeigen, das ist nicht der Fall. Und „Vertrauen“ in Atomwaffen ist ohnehin fehl am Platz, handelt es sich doch um den verheerendsten Waffentyp, den man sich vorstellen kann.
Selbst Kamps Behauptung, „autokratische Staaten […] bleiben von Beschlüssen der Vereinten Nationen meist unbeeindruckt und werden weiter mit ihren Kernwaffen drohen“ offenbart eine enge Wahrnehmung. Zum einen sind von den USA Dutzende nuklearer Drohungen und Einsatzüberlegungen bekannt, sie wird Kamp aber kaum als autokratischen Staat bezeichnen. Zum anderen wird auch das Gewaltverbot ständig verletzt und doch würde niemand fordern, es aus der UN-Charta zu streichen. Denn das Gewaltverbot hat sich tief in das Bewusstsein der meisten Menschen eingegraben, und der UN-Sicherheitsrat ist ausdrücklich dazu da, dieser Norm zur Geltung zu verhelfen – dass er dieser Aufgabe nicht gerecht wird, spricht ja nicht gegen die Norm. Auch der Einsatz von Chemiewaffen im Syrienkrieg, von welchen Akteuren auch immer, ist kein Argument gegen die Chemiewaffenkonvention; diese wird im Gegenteil international als Beweis dafür angeführt, warum der Chemiewaffeneinsatz völkerrechtswidrig und besonders verdammenswert ist.
Gründe für den Verbotsvertrag
Der Wunsch, den Normenkatalog der Weltgemeinschaft durch ein völkerrechtliches Atomwaffenverbot zu ergänzen, ergibt sich deutlich aus der Präambel des Vertrags, die die Argumentationlinien der internationalen Debatten aufgreift, u.a. mit folgenden Feststellungen:
- Der Verbotsvertrag trägt dazu bei, die Ziele und Grundsätze der UN-Charta umzusetzen.
- Die Folgen eines Atomwaffeneinsatzes wären katastrophal, das Leid der Hibakusha und der Atomtestopfer ist dafür Beweis; die Folgen beträfen aber nicht nur die humanitäre Dimension, sondern auch die Umwelt, die sozioökonomische Entwicklung, die Weltwirtschaft, die Ernährungssicherheit und die Gesundheit der Menschen.
- Nukleare Abrüstung und die atomwaffenfreie Welt sind ein ethisches Gebot und ein globales öffentliches Gut höchsten Ranges.
- Atomwaffen widersprechen dem humanitären Völkerrecht, und es besteht eine Verpflichtung zu Verhandlungen für nukleare Abrüstung (darauf hatte der Internationale Gerichtshof in einem Rechtsgutachten bereits 1996 unmissverständlich hingewiesen).
- Ein rechtsverbindliches Verbot von Kernwaffen stellt einen (wohlgemerkt: nicht den einzigen!) wichtigen
- Abrüstungsbemühungen verlaufen schleppend und die Atomwaffenarsenale werden aufrecht erhalten und sogar modernisiert, was eine Vergeudung wirtschaftlicher und menschlicher Ressourcen darstellt.
Verbot oder Rüstungskontrolle?
Der letzte Punkt dieser Liste verweist darauf, dass nukleare Rüstungskontrolle seit Jahren nicht mehr auf der Agenda der Atomwaffenstaaten steht. Schon in der Vergangenheit gab es Abrüstungsverträge ausschließlich zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Russland, die bis heute 93% aller Atomwaffen besitzen und massiv in ihre Arsenale investieren. Die zahlenmäßige Reduktion Großbritanniens und Frankreichs erfolgte einseitig aus der Einsicht, dass große Arsenale und vielfältige Trägersysteme weder finanzierbar noch nötig sind. Selbst das „kleine“ britische Arsenal mit 120 U-Boot-gestützten Atomsprengköpfen würde ausreichen, die ganz Welt in eine tiefe Krise zu stürzen und das globale Klima auf Jahrzehnte drastisch zu verändern, vom Leid der Opfer ganz abgesehen. China, Indien, Pakistan und inzwischen auch Nordkorea arbeiten an einer Optimierung und Vergrößerung ihrer Atomwaffenbestände sowie der Trägersysteme, letzteres gilt auch für Israel.
Was also tun, pauschal verbieten oder mit dem mühseligen Geschäft der Rüstungskontrolle und Abrüstung fortfahren?
Diese Frage führt in die Irre, denn sie stellt sich nicht. Der seit Jahren geforderte Verbotsvertrag liegt vor und wird nach Ratifizierung von 50 Staaten in Kraft treten (selbst wenn das aufgrund von Druck der Atomwaffenstaaten vermutlich kein Selbstläufer wird). Das Verbot ist formuliert und entfaltet schon dadurch seine Wirksamkeit. Da die Atomwaffenstaaten signalisiert haben, sie würden dem Vertrag nicht beitreten, ändert das allerdings an der bestehenden Atomrüstung nichts.
Das mühselige Geschäft zahlreicher Staaten und vieler Nichtregierungsorganisationen, Friedensgruppen und Individuen, für Abrüstung zu werben, muss also weitergehen, was im aktuellen politischen Umfeld so schwer ist wie schon lange nicht mehr. Das bedeutet, auf internationaler Ebene Schritte zu fordern, die uns eigentlich viel zu klein erscheinen, die aber dennoch wichtig sind: Jegliche Aufrüstung und Modernisierung stoppen, die ständige Alarmbereitschaft (das ist die Möglichkeit, Atomwaffen durch Knopfdruck ohne Zeit zum Nachdenken abzuschießen) aufheben, Sprengköpfe von den Trägersystemen getrennt zu lagern, den Ersteinsatz von Atomwaffen förmlich auszuschließen, dem Umfassenden Teststopp beitreten, neue Abrüstungsverhandlungen aufnehmen, am besten in Form einer umfassenden Nuklearwaffenkonvention.
Ohne politischen Wandel allerdings wird nichts dergleichen geschehen. Und hier sind, zumindest in den demokratischen Staaten, nicht nur Regierungen und Parlamente gefordert, sondern auch die WählerInnen, also wir.
Und was heißt das für Deutschland?
Deutschland beteiligt sich mit den in Büchel stationierten US-Atomwaffen aktiv an der „nuklearen Teilhabe“ der NATO. Die USA machen sich jedoch ernste Sorgen, ob das so bleibt. Ihren Verbündeten ließen sie im Herbst 2016 ein Schreiben zugehen, das ausführlich begründet, weshalb die USA einen Verbotsvertrag ablehnen, und darauf drängt, sich nicht für Verhandlungen auszusprechen und diesen fernzubleiben. (1) Die deutsche Bundesregierung ließ sich auf die Argumentation der USA ein und erklärte wiederholt, dass ein Verbotsvertrag sinnlos sei und den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) schwäche. Die nukleare Teilhabe verteidigt sie mit dem Argument, im NATO-Bündnis gelte die Lastenteilung, die Verteidigung der Sicherheit dürfe nicht den USA alleine überlassen werden und die NATO bleibe erklärtermaßen ein nukleares Bündnis, solange es Atomwaffen gibt.
Die Kampagnen, die den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, die Beendigung der Finanzierung von Atomwaffen durch deutsche Finanzinstitute und den Beitritt Deutschlands zum Verbotsvertrag fordern, scheinen aber zu wirken. Wie anders wäre zu erklären, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages noch während der laufenden Vertragsverhandlungen beauftragt wurde, sich Gedanken zu machen über „Völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands beim Umgang mit Kernwaffen“? Neben einer Ko-Finanzierung französischer und/oder britischer Atomwaffen (!) halten die Bundestages-Dienste auch die nukleare Teilhabe für uneingeschränkt NVV-konform.
An dieser Einschätzung bestehen erhebliche Zweifel, aber selbst wenn, ändert das nichts daran, dass Atomwaffen dem humanitären Völkerrecht widersprechen und jeder Einsatz dem Prinzip der menschlichen Sicherheit Hohn spricht. Auch für Deutschland gilt daher das oben Gesagte: Wir dürfen nicht nachlassen im Bohren dicker Bretter. Sich für ein atomwaffenfreies Deutschland und eine atomwaffenfreie Welt zu engagieren, ist tatsächlich alternativlos, auch wenn es manchmal ermüdend ist.
Anmerkungen
1 Siehe die (nicht autorisierte) Übersetzung des Schreibens in Wissenschaft und Frieden 1-2017, S. 53-54.
2 Aktenzeichen WD 2-3000-013/17, 23. Mai 2017.