Zu einem Thesenpapier des ZdK zur "humanitären Intervention"

Wie kriegt man den "cleanen" Militäreinsatz?

von Albert Fuchs
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Vor dem Hintergrund der Diskussion um den Kosovo-Krieg veröffentlichte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) im Februar 2000 "rechtsethische Überlegungen" zu Fragen der Legitimation so genannter humanitärer Interventionen.1 Angesichts der Vorbereitung in großem Stil auf ähnliche Szenarios (Stichwort "Krisen-Reaktions-Kräfte" der EU) bleibt dieses Thema hochaktuell. Was also gibt das Thesenpapier des ZdK für die Klärung der Fragen her?

Wer einschlägige frühere Stellungnahmen des Verbandskatholizismus kennt, wird von dem jüngsten Papier keine entschieden kritische Auseinandersetzung mit dem NATO-Krieg und noch viel weniger eine Infragestellung der ganzen Richtung, der zugrunde liegenden "Staatsreligion", erwarten; allerdings wird er oder sie auch keine Mit-Gott-Rhetorik befürchten. Diese Vorwegnahme wird durch das fragliche Thesenpapier ziemlich genau bestätigt: Das ZdK schwimmt im breiten Krieg-für-Frieden- und Krieg-für-Menschenrechte-Strom mit oder vielleicht, um die Richtung beeinflussen zu können, auch ein bisschen vornweg; es schwimmt jedenfalls nicht gegen diesen Strom. Was führt im einzelnen zu diesem Eindruck? Und was folgt daraus?

Schiefe Ebene der Begriffe
Das Mitschwimmen fängt an mit der "Rahmung", mit den (impliziten) begrifflichen Festlegungen. Zum einen setzt das ZdK individuelle Notwehr und individuumbezogene Nothilfe, wie sie beispielsweise in den §§ 32-35 des deutschen Strafgesetzbuches thematisiert werden, und kollektive Notwehr und kollektivbezogene Nothilfe in eins und überträgt die Grundsätze für jene unbesehen auf diese. Zweifel an der Angemessenheit dieses Vorgehens, die sich doch aufdrängen, wenn man sich beispielsweise fragt, wie die angeblich naturgegeben notwehr- und nothilfeberechtigten Kollektive als solche zu bestimmen sind, beunruhigen das ZdK offensichtlich nicht; jedenfalls verschwendet man keinen Satz auf diese Problematik. Zweitens ist für die AutorInnen des ZdK-Papiers nahezu selbstverständlich, dass Notwehr und Nothilfe gewaltförmig bzw. gewaltgestützt sein müssen, um wirksam zu sein. Gewaltfreie Notwehr und Nothilfe kommen nur als Zwischen- oder Übergangszustände zwischen passiver Hinnahme von Unrecht und gewaltförmigem Widerstand in Betracht; erweisen sie sich doch "in unserer Zeit, leider, noch als Illusion" (S. 6). Damit ist drittens auch klar, dass effektiv nur Staaten oder ähnliche Gebilde als "Nothelfer" fungieren können; denn nur Staaten verfügen über die letztlich wirksamen Mittel.
 

Diese Festlegungen führen zu einem zutiefst voreingenommenen Grundverständnis von humanitärer Intervention: Gemeint ist (einschlussweise) immer ein militärgestützter Eingriff von Staaten in die Belange eines anderen Staates gegen den erklärten Willen seiner Regierung oder wenigstens eines wesentlichen Teils seiner Bevölkerung, freilich mit dem Ziel der Verhütung "massiver" Menschenrechtsverletzungen. Da der Sprachgebrauch (noch) keineswegs so normiert ist, wie das ZdK-Papier nahe legt,2 hat man es bestenfalls mit mangelhafter terminologischer Sorgfalt zu tun, vielleicht aber auch mit einer mehr oder weniger bewussten Begriffs- und Diskursstrategie mit fragwürdigem Interessenhintergrund.

Rettung der bellum-iustum-Lehre?
Wie bekommt man die Militärintervention, die das Beiwort "humanitär" verdient, wie kriegt man den "cleanen" Militäreinsatz? - das ist im Grunde die Leitfrage des ZdK-Papiers. Im Zentrum stehen demgemäß die Legitimationskriterien für Interventionen mit diesem Bewertungsanspruch (S. 8-21). Um als ethisch gerechtfertigt gelten zu können, muss dem ZdK zufolge eine Intervention zweifelfreies massives Unrecht, namentlich schwerste Menschenrechtsverletzungen wie "massenhaften planvollen Mord" (S. 8), zum Anlass haben. Ziel und Zweck muss sein, einerseits "das Opfer des Unrechts in sein Recht zu setzen" und andererseits "die schuldigen Täter vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft zu ziehen" (S. 12). Ferner muss der Nothilfe Leistende, der Träger der Intervention, rechtens sein, d.h. eine zuständige, autorisierte Rechtsinstanz darstellen. Und schließlich müssen die Maßnahmen als solche rechtsethisch vertretbar sein, das heißt "mit Klugheit, Augenmaß und zur rechten Zeit ergriffen werden" (S. 19) und vor allem "nicht etwa mehr Schaden anrichten" als sie verhüten können (S. 20).

Das alles ist natürlich bellum-iustum-Lehre pur, bewegt sich ganz im Rahmen dieser Lehre - ohne dass sie oder der Begriff des "gerechten" bzw. "gerechtfertigten Kriegs" auch nur erwähnt werden. Man kann auch dahinter die oben bereits für möglich gehaltene Begriffs- und Diskursstrategie mit fragwürdigem Interessenhintergrund argwöhnen; das soll hier aber dahingestellt bleiben. Auch braucht die bellum-iustum-Lehre nicht nochmals problematisiert zu werden.3 Aufschlussreicher ist der Versuch, den gewählten Rahmen durch ein deutliches Plädoyer für eine Fortbildung des Völkerrechts in zwei Richtungen behutsam zu erweitern. Da die Bedingungen, die eine Intervention rechtfertigen könnten, trotz der Positivierung der Menschenrechte durch die Menschenrechtspakte auslegungsbedürftig seien, müsse das Völkerrecht "um präzise Bestimmungen für jenes massive Unrecht" erweitert werden (S. 13). Darüber hinaus sei die "Bildung von global verantwortlichen öffentlichen Gewalten" geboten, damit die Täter "wissen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden, etwa nach dem Muster der Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio" (S. 14). Offensichtlich setzen die Verbandskatholiken auf "Weltinnenpolitik" im Rahmen "einer teils europäischen, teils globalen Rechts- und Friedensordnung" (S. 24) mit einem umfassenden Gewaltmonopol von Institutionen, die von allen Staaten anerkannt werden. Dass dieses Ideal realistischer ist als der von ihnen als Illusion hingestellte gewaltfreie Ansatz, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Vor allem blendet man die Militarisierungsdynamik völlig aus, die sich daraus ergeben müsste, dass immer nur mit überlegenen militärischen Kräften mit Aussicht auf Erfolg interveniert werden kann.4 Mit dem Plädoyer für "global verantwortliche öffentliche Gewalten" hat man zudem unter der Hand das Paradigma gewechselt: Es geht nun nicht mehr um die "nothilfreiche" Abwendung "einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr" für wesentliche Rechtsgüter 5 durch im Prinzip gleichgestellte Dritte, sondern um den Polizeieinsatz eines "Welt-Kingkong" (W.-D. Narr). Insofern ist nicht ersichtlich, wie mit der "Bildung von global verantwortlichen öffentlichen Gewalten" etwas für die ethische Rechtfertigung von Militärinterventionen des eigentlich thematisierten Typs gewonnen sein soll.

Eiertanz auf den Fakten
Das ZdK-Papier wurde, wie gesagt, vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um den NATO-Krieg veröffentlicht. Daher sollte auch die Positionierung in dieser Auseinandersetzung, und zwar sowohl bezüglich der konkreten NATO-Aktivitäten wie hinsichtlich der Situation im Kosovo, aufschlussreich sein. Allerdings ist eher aufschlussreich, dass keine klare Positionierung zu erkennen ist! So kann man den AutorInnen kaum die von "mainstreamern" vielfach vertretene Rechtfertigung des Krieges als Vorwegnahme einer wünschenswerten Weiterentwicklung des Völkerrechts 6 zuschreiben; nicht einmal eine klare explizite "Absegnung" der Zwecke ist in dem Papier zu finden; das eine oder andere an der Planung und Durchführung der Intervention wird gar bemängelt und vor allem wird eine "bessere Vorfeld-Politik" (S. 21) gefordert. Andererseits spielt harte, seinerzeit längst bekannte, NATO-kritische Information keine Rolle, wie etwa die über den geheimgehaltenen Annex B des Rambouillet-Abkommens, der u.a. der NATO ungehinderte Bewegungsfreiheit und Immunität auch auf serbischem Gebiet garantieren sollte und damit die Verhandlungen von Rambouillet konterkarierte. Und die zur Beurteilung der NATO-Intervention komplementäre Beurteilung der Situation in Kosovo lässt erkennen, dass den AutorInnnen zumindest der Interventions-Anlass "rechtens" erschien oder erscheint; kein kritischer Satz, kein kritisches Wort zu der Kriegspropaganda der Akteure.7 Allerdings wird auch diese Beurteilung gelegentlich konditional vorgebracht, z.B.: "Gehen wir davon aus, dass im ehemaligen Jugoslawien seit langem und neuerdings in Kosovo so gravierende und so wiederholte Menschenrechtsverletzungen geschehen, dass ..." (S. 9). In der Tat eine Eiertanz-Meisterschaft auf den zeitgeschichtlichen Fakten!
 

Fazit
Alles in allem ist m. E. die bloße Tatsache, dass das Papier "Humanitäre Intervention?" - mit dem Fragezeichen im Titel - ein knappes Jahr nach dem NATO-Krieg vom ZdK veröffentlicht wurde, das kritischste Moment an dieser Stellungnahme. Das Papier selbst beinhaltet nur ein wenig "verantwortliche Kritik", d.h. Kritik, die von den Kritisierten toleriert und wahrscheinlich sogar geschätzt wird, weil sie die eigenen Prämissen teilt und insofern bestätigt. Denn "Wenn selbst die Kritiker die Doktrinen der Staatsreligion übernehmen, wer könnte diese dann überhaupt noch in Frage stellen?" 8

Im übrigen wird sich niemand wundern, dass ich mein "Voraus-Urteil" im Detail belegt finde, nachdem ich das einleitend angekündigt hatte. Wer deswegen die Solidität meiner Einschätzung bezweifelt, macht sich am besten selbst ein Bild von dem ZdK-Papier.9 Das würde sicher auch dem "Kampf um Hirne und Herzen", zu dem Andreas Buro die FriedensaktivistInnen auffordert, zugute kommen. Dazu sehe ich bei den Verbandskatholiken jedenfalls Bereitschaft. Und wir teilen auch, denke ich, ihre Auffassung, dass die Menschenrechte kein Selbstläufer sind.

Anmerkungen
1 Generalsekretariat des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (Hrsg.), Humanitäre Intervention? Rechtsethische Überlegungen - Thesenpapier. Bonn, 2000 - im Folgenden zitiert unter Angabe lediglich der Seitenzahl.

2 vgl. Schweitzer, Christine: Humanitäre Intervention - nur ein Propagandabegriff der Bellizisten? Friedens-Forum, 14 (1), 2001, Anm. 1.

3 vgl. Fuchs, Albert: Gerechter Krieg? Anmerkungen zur bellum-iustum-Lehre. Wissenschaft und Frieden, 19 (1), 2001.

4 vgl. Buro, Andreas: Der Kampf um Hirne und Herzen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts. Friedens-Forum, 14 (1), 2001.

5 § 34 StGB.

6 z.B. Habermas, Jürgen: Bestialität und Humanität. Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral. Die Zeit, Nr. 18, 29.04.99; Ladwig, Bernd: Der Kosovo-Krieg im Spannungsfeld von Moral und Recht. ami, 29 (7), 1999.

7 vgl. Firgau, Martin: Rambouillet und andere Lügen. graswurzelrevolution, 29, Nr. 254, 2000; Angerer, Jo & Werth, Mathias: Es begann mit einer Lüge. Frankfurter Rundschau, Nr. 40, 16.02.01.
 

8 Chomsky, Noam: Bemerkungen zu Orwells Problem. In ders.: Sprache und Politik. Berlin: Philo, 1999, S. 115.

9 zu beziehen über das Generalsekretariat des ZdK, Postfach 240141, 53154 Bonn, bzw. herunter zu laden unter der Internet-Adresse http://www.zdk.de (pdf-Datei).
 

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