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Wolfgang Borchert

von Redaktion FriedensForum

„Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
[…]“

Wolfgang Borchert gilt heute als einer der bekanntesten Vertreter der so genannten Kahlschlags- oder Trümmerliteratur. Schriftsteller dieser wenige Jahre währenden Literaturepoche nach dem Zweiten Weltkrieg antworteten auf den Zusammenbruch der alten Strukturen und die traumatischen Erfahrungen des Krieges mit der Forderung nach einer Tabula rasa in der Literatur. Das Ziel eines inhaltlichen und formalen Neuanfangs sollte eine ungeschönte und wahrhaftige Darstellung der Realität sein.

Wolfgang Borchert wurde am 20. Mai 1921 in Hamburg geboren, wo er auch aufwuchs. Im Alter von 15 Jahren begann er Gedichte zu schreiben. Im Dezember 1940 brach Borchert seine Lehre ab und konzentrierte sich fortan auf eine Schauspielausbildung, die er am 21. März 1941 mit einer Abschlussprüfung bestand. Im Juni 1941 wurde er zum Kriegsdienst einberufen.

Zweiter Weltkrieg
Vom Juli bis September 1941 durchlief Borchert seine Grundausbildung bei der Panzer-Nachrichten-Ersatz-Abteilung 81 in Weimar-Lützendorf. Borchert litt unter dem militärischen Drill, gleichzeitig erwachte sein Widerstandsgeist, der sich in zahlreichen Briefen an Verwandte und Freunde Ausdruck verschaffte. Auf einer Postkarte mit dem Bild seiner Kaserne grüßte er offen „[a]us einem der schönsten Zuchthäuser des Dritten Reichs“. Borcherts Einheit nahm am deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Rahmen der Heeresgruppe Mitte teil, am 10. September 1941 fuhr Borchert aus Weimar ab, erreichte später Pytalovo und Witebsk. Im Dezember wurde Borchert an die Front bei Smolensk abkommandiert.

Viele spätere Kurzgeschichten thematisierten Borcherts Fronterfahrung. So griff er in Jesus macht nicht mehr mit eine Episode auf, in der er zum Ausmessen von Gräbern für die Gefallenen abkommandiert worden war. Am 23. Februar 1942 kehrte Borchert von einem Postengang mit einer Schussverletzung der linken Hand zurück. Der linke Mittelfinger musste amputiert werden. Nach Borcherts Angaben war unmittelbar vor ihm ein sowjetischer Soldat aus einem Deckungsgraben aufgetaucht. Im Handgemenge habe sich ein Schuss aus der eigenen Waffe gelöst, worauf sein Gegenüber geflohen sei. Borcherts Vorgesetzter äußerte in einem Vermerk den Verdacht der Selbstverstümmelung. Der Vorfall wurde auch nach dem Krieg nie aufgeklärt. Borcherts Umfeld bezweifelte eine vorsätzliche Verletzung, da er als Schauspieler seinen Händen eine hohe Bedeutung beigemessen habe und sich der drakonischen Strafen für Selbstverstümmelung bewusst gewesen sei. Borchert selbst schwieg zu den Geschehnissen.

Mit Diphtherie wurde Borchert ins Heimatlazarett nach Schwabach verlegt. Kaum genesen, wurde er wegen des Vorwurfs der Selbstverstümmelung verhaftet. Der Prozess fand am 31. Juli in Nürnberg statt. Die Anklage forderte die Todesstrafe, das Gericht entschied jedoch auf Freispruch. Allerdings blieb Borchert weiterhin in Untersuchungshaft, da die zusammengetragenen belastenden Indizien, insbesondere Borcherts briefliche Korrespondenz mit ihrer unverhohlen geäußerten Kritik, zu einer Anklage wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz führten. In einem zweiten Prozess wurde Borchert zu acht Monaten Gefängnis verurteilt, das Urteil anschließend auf Antrag der Verteidigung in sechs Wochen verschärften Arrest mit anschließender so genannter „Frontbewährung“ umgewandelt. Borcherts Erlebnisse im Nürnberger Militärgefängnis bildeten die Basis seiner späteren Erzählung Die Hundeblume. Noch kurz vor seinem Tod bestätigte Borchert in einem Brief, „daß es diesen Hundeblumen-Mann gibt, daß er 21 Jahre alt war und 100 Tage in einer Einzelzelle saß mit dem Antrag des Anklagevertreters auf Tod durch Erschießen!“

Am 8. Oktober 1942 wurde Borchert aus der Haft entlassen. Im November 1942 traf er erneut an der Front ein. Bis Mitte 1943 verbrachte er immer wieder lange Zeiten mit verschiedenen Krankheiten im Lazarett. Schließlich wurde er für frontdienstuntauglich erklärt. Das Zeugnis seines Kompaniechefs, demzufolge Borcherts komödiantische Einlagen im Krieg wiederholt die Moral der Kompanie aufgerichtet hätten, ermöglichte die Versetzung zum Fronttheater einer Truppenbetreuung, doch als er eine Goebbels-Parodie vorführte, die das Sprichwort „Lügen haben kurze Beine“ auf Goebbels Klumpfuß bezog, wurde er erneut festgenommen.

Im Januar 1944 kam Borchert zur Untersuchungshaft ins Gefängnis Berlin-Moabit. Er litt unter den schlechten Haftbedingungen, sowohl was die sanitären Zustände als auch was die Verpflegung betraf, jedwede ärztliche Versorgung wurde ihm verweigert. Am 21. August fand Borcherts Verhandlung vor dem Zentralgericht des Heeres statt. Er wurde wegen Wehrkraftzersetzung zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten verurteilt, unter Anrechnung von fünf Monaten Untersuchungshaft. Das Urteil wurde am 4. September rechtskräftig und Borchert gleichzeitig „Strafaufschub zwecks Feindbewährung“ bewilligt. Seine Einstufung als „bedingt kriegsverwendungsfähig“ bewahrte ihn jedoch vor dem Einsatz an der Front.

Nachkriegszeit
In der Nachkriegszeit war Borchert beseelt vom Verlangen, die verlorene Zeit nachzuholen. Obwohl noch immer von seiner Gelbsucht und den Fußverletzungen geplagt, wurde er in der Theater- und Kabarettszene Hamburgs aktiv. Er schrieb Texte für das Kabarett Janmaaten im Hafen seines späteren Verlegers Bernhard Meyer-Marwitz, doch Borcherts körperliche Verfassung ließ nur den Auftritt in der ersten Vorstellung am 27. September 1945 zu. Es sollte sein letzter Bühnenauftritt bleiben. Als das von Borchert mitbegründete Hinterhoftheater Die Komödie in Hamburg-Altona am 11. November eröffnete und einen guten Monat später wieder schloss, war er bereits bettlägerig und konnte sich in der Wohnung seiner Eltern nur noch an den Wänden gestützt fortbewegen. Die Premiere von Lessings Nathan der Weise im Hamburger Schauspielhaus, deren erste Proben er als Regieassistent an der Seite von Helmuth Gmelin begleitet hatte, fand am 21. November ohne ihn statt.

Anfang Dezember 1945 wurde Borchert ins Hamburger Elisabeth-Krankenhaus eingeliefert. Seine Fieberanfälle verschlimmerten sich und ließen den anfänglich noch auf baldige Genesung Hoffenden immer mutloser werden. In dieser Situation wandte er sich dem Schreiben zu. Datiert auf den 24. Januar 1946 entstand Borcherts erster umfangreicher Prosa-Text, die Erzählung Die Hundeblume. Peter Rühmkorf wertete die Erzählung als ersten meisterlichen Text Borcherts. Dabei sei sie keine Folge einer allmählichen Entwicklung des Talents, sondern stelle eine „unvermittelte Geburt des Vermögens“ dar, in der Borchert stilistische Fertigkeiten demonstriere, die er zuvor nicht erkennen ließ. Die plötzliche literarische Entfaltung ging einher mit Borcherts Wechsel von Lyrik zu Prosa als hauptsächlicher Ausdrucksform.

Anfang April wurde Borchert aus dem Krankenhaus entlassen, ohne dass sich sein Zustand gebessert hatte. Borchert nahm die Entlassung mit Zynismus: „Da die vorhandenen deutschen Mittel die Krankheit nicht heilen können, wurde der Patient als nicht geheilt entlassen.“ Auch in der Wohnung seiner Eltern blieb Borchert pflegebedürftig und bettlägerig. Seine Tage teilten sich in Fieberanfälle und obsessive Arbeit. Halb sitzend verfasste er in seinem Krankenbett eine Geschichte nach der anderen. Da Papier knapp war, schrieb er in Schulheften oder auf Rückseiten von Briefen. Borcherts Vater tippte nach Feierabend die Geschichten auf der Schreibmaschine ab. Auf einer nachträglich in Basel entstandenen Auflistung finden sich bis Jahresende 1946 29 Prosatexte, 1947 folgten weitere 21 Arbeiten. Allerdings blieb diese Liste unvollständig. Ohne dass sich eine klare Entwicklung erkennen ließ, sprangen die Sujets zwischen leichten und schweren Texten, zwischen Kurzgeschichten und Prosa-Manifesten – Borchert bezeichnete sie ohne Unterscheidung als „Storys“. Viele hielt er für ungeeignet zur Veröffentlichung, und er bekannte in einem Brief: „im Ganzen befriedigt mich meine Arbeit nicht. In dem Moment, wo ich schreibe, muß ich es tun. Es zwingt mich!!! Hinterher sehe ich beim Anblick des Geschriebenen aber keine Notwendigkeit mehr und finde alles journalistisch und literarisch!!!“ Im Dezember 1946 entstand Borcherts erste Buchpublikation. Bernhard Meyer-Marwitz’ Hamburgische Bücherei veröffentlichte die Gedichtsammlung Laterne, Nacht und Sterne mit 14 Gedichten aus der Zeit zwischen 1940 und 1945, die allesamt um Borcherts Heimatstadt Hamburg kreisen, in einer Auflage von 3000 Exemplaren.

Im Spätherbst 1946 – Rühmkorf datiert den Zeitpunkt dagegen auf Januar 1947 – schrieb Wolfgang Borchert in einer Zeitspanne von acht Tagen sein Drama Draußen vor der Tür nieder. Anschließend lud er Freunde ein und deklamierte das Stück in einer dreistündigen Lesung. Die beeindruckten Freunde wollten versuchen, das Stück auf die Bühne zu bringen. Das Manuskript gelangte auch zum Nordwestdeutschen Rundfunk, wo sich der Chefdramaturg Ernst Schnabel für eine Hörspieladaption interessierte. Borcherts ursprüngliche Fassung wurde für den Rundfunk bearbeitet, teilweise gekürzt und am 2. Februar 1947 eingesprochen. Am 13. Februar erfolgte die Ausstrahlung im Abendprogramm. Das Hörspiel wurde im weiten Ausstrahlungsgebiet des NWDR ein unmittelbarer Erfolg. Als Reaktion erhielt der Sender eine ungewöhnlich hohe Zahl von Hörerbriefen, deren Spektrum von Begeisterung bis zu Empörung reichte. Viele Hörer bekundeten, der Autor habe ihnen aus der Seele gesprochen. In der Folge interessierten sich verschiedene Theater für eine Bühnenaufführung, allen voran Ida Ehre, die Gründerin und Leiterin der Hamburger Kammerspiele, die das Stück für den November 1947 zur Uraufführung annahm.

Der Erfolg von Draußen vor der Tür änderte Borcherts Leben grundlegend. In der Folge erhielt der Kranke zahlreiche Briefe und Besuche, verschiedene Verleger erkundigten sich nach weiteren Arbeiten. Borchert schloss einen Vertrag mit dem Rowohlt Verlag. Er schrieb auch über das Jahr 1947 hinweg zahlreiche Kurzgeschichten und plante einen Roman unter dem Titel Persil bleibt Persil, der jedoch nicht über das Anfangsstadium hinauskam. Sein Leben und Arbeiten blieb überschattet von der Krankheit. Nach dem vorherigen kalten Winter litt der fiebernde Borchert nun unter dem heißen Sommer 1947. In einem Brief bekannte er: „Ich will keine Zeile mehr schreiben können, wenn ich nur mal über die Straße gehen dürfte, mal wieder Straßenbahn fahren – und an die Elbe gehen“. Seine Hoffnung setzte er auf einen Kuraufenthalt in der Schweiz, den ihm seine neu gewonnenen Verleger ermöglichen wollten.

Schließlich reiste Borchert am 18. September per Zug aus Hamburg ab, aber wurde ins Basler St.-Clara-Spital eingeliefert. Borchert, der sich im fremden Land wie im katholisch geführten Krankenhaus unwillkommen und isoliert fühlte, ahnte bereits: „Ich werde nicht mehr aufstehen. Ich kann nicht mehr.“ Sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag, Borchert litt an Krampfanfällen und es traten erste innere Blutungen auf. Dennoch empfing der Todkranke noch eine Reihe von Besuchern und arbeitete weiterhin. Der Prosatext Dann gibt es nur eins!, laut Bernhard Meyer-Marwitz wenige Tage vor Borcherts Tod geschrieben, gilt als letzte in Basel entstandene Arbeit und wird vielfach als Borcherts Vermächtnis gewertet.

Wolfgang Borchert starb am 20. November 1947. Einen Tag nach seinem Tod fand die Uraufführung von Draußen vor der Tür in den Hamburger Kammerspielen statt. Die Uraufführung wurde ein großer Erfolg. Nachdem Borcherts Urne nach Hamburg überstellt worden war, fand am 17. Februar 1948 unter reger Anteilnahme auf dem Ohlsdorfer Friedhof die Beisetzung statt.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Borchert. Der Eintrag bei WIkipedia wurde redaktionell stark gekürzt.

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