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„Rechtsoffenheit“ – zwischen Kampfbegriff und realem Problem
Zur Diskussion um „Rechtsoffenheit“

Eine neue Spaltungslinie zieht sich durch die Friedensbewegung: Der Vorwurf der „Rechtsoffenheit“, d.h. Teile der Friedensbewegung würden sich nicht gegen rechts abgrenzen. (1) Der neue Nahostkrieg hat sogar noch die Zuspitzung gebracht, Kritik an der einseitigen Parteinahme für Israel sei Antisemitismus. Angesichts der deutschen Geschichte ist die moralische Wucht solcher Vorwürfe nicht zu übertreffen.
Aber sollten in einer Bewegung, in der das Wissen über die Produktion von Feindbildern zwischen Staaten zu den ureigensten Themen gehört, nicht auch ein paar Selbsterkenntnisse über Konfliktdynamiken in den eigenen Reihen abfallen? Das ist kein Plädoyer für Friede, Freude Eierkuchen, sondern für die faire und sachliche Diskussion kontroverser Fragen.
Dringlich zu reden wäre u.a. über folgende Punkte:
- Was ist neu im gesellschaftlichen Kontext für Friedensbewegung im 21. Jahrhundert?
- Was ist rechts oder antisemitisch, und wer hat die Definitionshoheit darüber?
- Wie gehen wir mit neuem und spontanem Protest in der Gesellschaft um?
Auflösung ehemals kohärenter Weltbilder
So ist z. B. neu, dass sich die traditionelle Kongruenz von rechten Positionen mit Bellizismus und Aggressionsbereitschaft nach außen – vorzugsweise gegen Russland – zunehmend aufzulösen scheint. Jetzt vollzieht sich beim Thema Frieden das, was schon mit der Erosion des Links-Rechts-Schemas beim Neoliberalismus und „New Labour“ zu sehen war. Während der Ex-Linksradikale Joschka Fischer den Krieg gegen Jugoslawien damit rechtfertigte, ein neues Auschwitz verhindern zu wollen, behauptet Ex-KPdSU-Mitglied Putin, einen ukrainischen Faschismus zu beseitigen. Mehr Antifa geht nicht! Dagegen tritt die rechtspopulistisch/rechtsextreme AfD für einen Waffenstillstand, Verhandlungen und friedliche Koexistenz mit Russland ein. In Paris demonstrierten am 12. November 2023 Marine Le Pen gemeinsam mit der sog. gesellschaftlichen Mitte gegen Antisemitismus. Ausgerechnet Serge Klarsfeld hieß sie in dieser „Querfront“ willkommen. Lediglich die italienische Ministerpräsidentin von den Postfaschisten liegt mit ihrer 150-prozentigen Loyalität zur NATO noch im traditionellen Links-Rechts-Schema.
Klare Definitionen statt nebulösen Kampfbegriffen
Hinzu kommt, dass die Begriffe ‚rechts‘ und „rechtsoffen‘ Container sind, in die jeder hineinlegt, was ihm passt. Als rechts galten in der traditionellen Friedensbewegung Konservative und die CDU. Aus diesen Milieus engagierten sich auch immer Kräfte in der Friedensbewegung, darunter Militärs, wie der ehem. U-Boot-Kommandant Martin Niemöller. Zwar hatte die gesellschaftliche Linke damals einen starken Einfluss, aber Friedensbewegung als solche war immer schon breiter und keineswegs auf die Linke beschränkt. Schon im 19. Jahrhundert belegen dies Namen wie Bertha von Suttner oder Henri Dunant. Es liegt im Wesen der Sache des Friedens selbst, dass sie nicht auf links zu reduzieren ist.
So notwendig nach wie vor die Abgrenzung zu Rechtsextremismus und Faschismus ist, so notwendig ist es auch, sauber zu rechtem Konservatismus zu differenzieren, der durchaus seinen Platz in der Friedensbewegung haben kann. Auch Kräfte, die sich der Rechts-Links-Polarität entziehen, wie viele Gegner*innen der Corona-Politik, Anthroposoph*innen u. ä. können nicht von vorneherein mit Rechtsextremist*innen und Faschist*innen in einen Topf geworfen werden.
Wie mit neuartigen Protestbewegungen umgehen?
Das heutige Bild von Protestbewegungen hat sich gegenüber früher sehr verändert. Die Zeiten, da die gesellschaftliche Linke solche Bewegungen initiierte und politisch prägen konnte, sind vorbei. Dementsprechend sehen wir oft eine politische Diffusität und Undeterminiertheit, die sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln kann. Nicht jeder*, der/die auf die Straße geht, hat Faschismustheorie und historische Kenntnisse intus. Das betrifft zunehmend auch das Thema Krieg und Frieden. Hier wäre konfrontative Abwehr gegen alles, was nicht von Anfang an die – wie immer definierte – korrekte Linie drauf hat, eine Kapitulation vor der gesellschaftlichen Realität und würde neue und suchende Proteste ihrem Schicksal oder politischen Rattenfängern überlassen.
Zugegeben, die Probleme sind heute komplizierter als früher. (2) Es gibt viel Ambivalenz und Grauzonen und damit höheres Risiko, sich auch mal zu irren. Aber eine Friedensbewegung auf der Höhe der Zeit muss sich den neuen Problemen stellen, statt sich mit oberflächlichen Kampfbegriffen selbst zu zerlegen.
Anmerkung
1 Siehe ausführlich dazu das Diskussionspapier „Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung - Kampfbegriff oder reales Problem?“ der „Ukraine-Initiative – Die Waffen nieder“: https://nie-wieder-krieg.org/2023/08/24/diskussionspapier_rechtsoffenhei...
2 Siehe auch: Wahl, Peter. Der Krieg und die Linken. Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden. Hamburg, VSA-Verlag, 2023