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FF1/2001


vom:
Februar 2001


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FF1/2001:

  "Humanitäre Intervention"

Armee ohne Zukunft.

Deutschland braucht eine neue Bundeswehr

Markus Euskirchen

Aufgabe und Zweck von Militärapparaten, so auch der Bundeswehr ist Vorbereitung, Bereitschaft zum und Durchführung von Krieg. Um diesen Zweck eingebunden in eine demokratische Gesellschaft verwirklichen zu können bzw. nicht allzu große Widerstände gegen das Militär als Mittel von Interessenpolitik und Machtsicherung nach Innen und Außen aufkommen zu lassen, gibt es für die Bundeswehr eine zentrale - dennoch nachgeordnete - strategische Aufgabe: die Arbeit an ihrem Bild in der Öffentlichkeit. Ziel ist sozusagen die intellektuelle Vernebelung des eigentlichen militärischen Zweckes und die Verankerung legitimatorischer Argumentationen, Menschen- und Weltbilder. Öffentlichkeitsarbeit mit derartiger Zielsetzung aus politischen Institutionen im allgemeinen und aus dem Militär, der Bundeswehr im besondern, wird als Propaganda bezeichnet.


Institutionen und Men-Power für militärische Propaganda

Die institutionell-personellen Mittel, die der BW für diese Aufgabe zur Verfügung stehen, sind erstaunlich. Alleine im Militärhistorischen Institut der Bundeswehr in Potsdam dürften mehr professionelle Kräfte an einer historiographischen Konstruktion der "Natürlichkeit" von Militär arbeiten als es in ganz Deutschland professionelle Friedenspublizisten und -historiker gibt. Mehr als 1000 Jugendoffiziere sind tagtäglich in den Schulen und Jugendinitiativen der Republik unterwegs, um die Konzepte der Militärs "zur Diskussion zu stellen". Dabei haben sie z.B. in Berlin ein Auftrittsverbot mit Vertretern der Kampagne gegen Wehrdienst und Zwangsdienste zu beachten. Die Ausgewogenheit des Diskussionsangebotes der Jugendoffiziere setzt ein kader-geschultes Angebot gezielt gegen die erfahrungslose, manchmal interessierte und bestenfalls phantasievoll-kritische Aufmerksamkeit von Jugendlichen. Nicht nur die Jugendoffiziere werden in einer eigenen Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr geschult. Diese Institution steht in der direkten Tradition des Amtes für "psychologische Kriegführung" der frühen BRD bzw. später "psychologische Verteidigung", heute in Strausberg, ausgerüstet mit der größten militärwissenschaftlichen Bibliothek Deutschlands und einem eigenen Sozialwissenschaftlichen Institut, in dem Wissenschaftler in verteidigungsministeriell abgesegneten Forschungsvorhaben die Öffentlichkeitsstrategie der BW empirisch-wissenschaftlich vorbereiten, begleiten und überprüfen.

 zum Anfang


FF1/2001
BW-Propaganda und
"Propaganda des vorauseilenden Gehorsams"


Hinzu kommt ein ganzes Geflecht von Truppenzeitungen und -zeitschriften sowie rüstungs- und sicherheitspolitischen Magazinen aus dem Öffentlichkeitsreferat des BMVg bzw. nachgeordneten Stellen, die oft nur für den Spezialisten als BW-Publikationen erkennbar sind.

Hinzu kommen die Bundeswehruniversitäten, wo sich ein kritisch-reformatorischer Geist der frühen 70er mittlerweile komplett zu verschwinden anschickt, einem effizienz- und auftragsorientierten Bild vom universellen Sicherheitsdienstleister weichend. Alles unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Objektivität und des dadurch legitimierten Wahrheitsanspruches.

Hinzu kommt die privilegierte Möglichkeit über Verteidungsminister und Staatssekretäre ständig direkt in den zentralen parlamentarischen Institutionen wirken zu können: Bundesparlament, Fachausschüsse, Bundespressekonferenz. Die unkommentierte Multiplikation dieser Aktivitäten findet statt in der Dokumentationszeitung "Das Parlament" bzw. im Doku-Kanal "Phönix".

Eine in ihren Grundzügen bundeswehr-konforme Sichtweise der politischen Verhältnisse wird so dominant, dass sie sogar in der Lage ist, in den Meinungskorridoren der sog. freien, liberalen, unabhängigen Presse den Ton anzugeben. Die Grenzen zwischen direkt ministeriell verlautbarter Propaganda und der "Propaganda des vorauseilenden Gehorsams" sind tatsächlich fließend. Auf ein Beispiel hierfür möchte ich im folgenden näher eingehen und dann einen konkreten Vorschlag zu quasi subversivem Weiterarbeiten mit dem Propagandamaterial machen.

Relevanz von Fernsehdokumentationen
für die Friedensforschung


Am 5. Dezember strahlte das ZDF auf seinem festen Sendeplatz "zdf Dokumentationen" den Dokumentarfilm "Armee ohne Zukunft. Deutschland braucht eine neue Bundeswehr" von Bernd Mosebach und Patricia Wiedemeyer aus. Die Öffentlichkeitswirksamkeit einer solchen Publikation ist alleine schon wegen der massenhaften Sendereichweite des Fernsehens her nicht zu vernachlässigen. (1) Hinzu kommt die Suggestivkraft des Mediums aufgrund der verdichteten Übermittlung von bewegten Bildern, Musik, Geräuschen, Einstellungswahl, Schnitt und Kommentar. All das macht eine Beschäftigung mit dieser Art der Öffentlichkeit für bundeswehrpolitische Themen mindestens so dringend wie z.B. die Auseinandersetzung mit den unregelmäßig erscheinenden Weißbüchern des BMVg. Zur besseren Handhabbarkeit von Filmmaterial für die intellektuelle Arbeit trägt die "Vertextlichung" des Materials bei, die ich mit einem Filmprotokoll leiste (vgl. als Beispiel die folgende Schlusssequenz des Dokumentarfilmes. Das komplette Filmprotokoll liegt frei aus bei
http://userpage.fu-berlin.de/~ami/extra/neueBW/).





Nr. Einstellung


Kommentar/Interview-OT




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Die alte Bundesrepublik ist Geschichte und auch die alte Bundeswehr hat endgültig ausgedient.




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Die neue Bundeswehr zeigt erste Konturen - mindestens zehn Jahre noch wird es dauern, bis die Armee der Zukunft steht.




218 ../../gifs/218.jpg


Richard von Weizsäcker, Vorsitzender Wehrstrukturkommission.
"Nein, die größte Reform war natürlich, überhaupt Streitkräfte wieder einzuführen in der alten äh in der alten Bundesrepublik. Aber seither ist das, was jetzt bevorsteht, zweifellos die größte Reform. Sie erfordert auch einen langen Zeitraum, sie erfordert Mittel, aber sie erfordert auch viel Mut."




219 ../../gifs/219.jpg


Und sie fordert den Soldaten.




220 ../../gifs/220.jpg


Denn er steht nach wie vor im Mittelpunkt der neuen Bundeswehr.




221 ../../gifs/221.jpg


Nicht eine modernere Ausrüstung




222 ../../gifs/222.jpg


oder eine straffere Organisation.




223 ../../gifs/223.jpg


Auf seinen Einsatz, aufseine demokratische Gesinnung und sein Selbstverständnis als Bürger in Uniform baut diese Armee der Zukunft.




224 ../../gifs/224.jpg


Abspann
Ende





Inhaltliche Gliederung der zdf-Dokumentation





Einstellung


Dauer


Inhalte




I. Einleitung


(1:42)






1-4


0:39


Catcher: Spannung Bundeswehr 1955 contra Heute




5-12


0:33


Fragen: 1. Professionalität contra Wehrpflicht; 2. Verkleinerung contra Standorte; 3. Modernisierung contra knappe Kassen; 4. Öffnung für Frauen contra Männergesellschaft




13


0:10


These: "In ihrer heutigen Struktur hat die Bundeswehr keine Zukunft




14-15


0:20


Titel/Untertitel





II. Ideologische Grundlagen (6:25)





16-48


4:50


Sicherheitspolitische Lage - OT Weizsäcker - Bsp. KFOR - OT Müller




49-54


0:40


Friedensmissionen




55-62


0:28


Hilfseinsätze




63-65


0:27


Überleitungsfrage/OT Scharping





III. Modernisierung contra knappe Kassen (7:00)





66-104


3:43


Modernisierung I: Panzerbrigade




105


0:26


OT-Gertz: "Schrott"




106-127


2:09


Modernisierung II: Jagdgeschwader (Eurofighter, Transportflugzeug)




128-130


0:42


Zwischenfazit (Grafik): Beschaffungsprojekte contra Wehretat





IV. Verkleinerung contra Standorte (5:31)





131-139


1:42


Finanzierungsproblematik




140-144


0:27


Verkleinerung




145-176


3:22


Standortproblematik: Bsp. Weißenfel s/Saale





V. Professionalität contra Wehrpflicht (4:31)





177-180


0:25


Strukturreform I: Generalinspekteur




181-183


0:33


Strukturreform II: Umschichtung Teilstreitkräfte




184-190


1:24


Strukturreform III: Wehrpflicht, Wehrgerechtigkeit




191-201


2:09


Strukturreform IV: Wehreffizienz





VI. Öffnung für Frauen contra Männergesellschaft (2:22)





202-215


2:22


Frauen in der Bundeswehr




VII. Schluss


(1:20)






216-217


0:20


Überleitung zum Schluss




218


0:17


Schlusswort OT-Weizsäcker: "Mut"




219-Ende


0:43


Schlusssequenz: Panzerpatrouille der KFOR mit Deutschlandfahne





Eine inhaltliche Gliederung gibt am besten Überblick über Aufbau, Perspektive und Stoßrichtung dieser "zdf-dokumentation". Bemerkenswert sind die Selbstverständlichkeit, mit der ein Bundeswehrbild der "Alten Bonner Republik" schon in I. zur notwendigen Vergangenheit erklärt wird. In II. werden dann genauso selbstverständlich und axiomatisch unabgesichert die sicherheitspolitischen Notwendigkeiten behauptet, die die tiefere (odere höhere) Begründung liefern sollen für all das, was an Finanzierung im weiteren Verlauf im Detail gefordert wird. Der reinen Behauptung von Risiken und der sicherheitspolitischen Notwendigkeit der militärischen Vorsorge wird durch einen langen O-Ton des Ex-Bundespräsidenten und Vorsitzenden der 2000er Wehrstrukturkommission Richard v. Weizsäcker Autorität verliehen. Fazit und argumentatives Ziel in jedem der eigentlichen inhaltlichen Abschnitte III. bis V. ist die Ausage: "Die BW braucht mehr Geld". In der Schlussszene fließen dann - allen Mitteln der medialen Kunst gemäß - die Elemente des neuen deutschen militärisch abgesicherten Nationalpathos zusammen: Ein Ex-Präsident, der mehr "Mut" fordert zur Ausrüstung der Bundeswehr, eine Patrouille der siegreichen Bundeswehr-"Friedenstruppen" im Kosovo, ein seine Hacken schlagender Zivilist auf dem Acker, der die vorbeirollende und das Fernsehbild im Schwenk bald ganz bedeckende Schwarz-Rot-Goldne Flagge militärisch grüßt...

Auf der Grundlage dieses Protokolles ist nun eine Analyse des Dokumentarfilms möglich. Eine Kritik sollte den ideologischen Gebrauch von Bildern, O-Tönen, Kommentaren, Einstellungen etc. herausarbeiten. Am Schluss könnten wir, die "Gegen"-Fachleute aus antimilitaristischen und friedenswissenschaftlichen Zusammenhängen, - wenn nicht einen eigenen Film über die notwendige Abschaffung der Bundeswehr - so doch einen alternativen Kommentar erarbeiten und über das uns vorliegende Bild- und Tonmaterial legen.

Militärkritische Einflussnahme
jenseits akademischer Militärkritik


Diese eher akademische Arbeit könnte ihren Weg zurück in die Praxis dadurch finden, dass das dermaßen bearbeitete, neukommentierte Material (mit der ausführlichen inhaltlichen Begründung) an die Sendeanstalt zurückgeleitet wird und dort wenigstens sensibilisiert - bestenfalls neu ausgestrahlt wird. Auch eine Freigabe der Rechte (es handelt sich immerhin um öffentlich-rechtliches Material) für die Sendung über die nicht-kommerziellen Offenen Kanäle in der BRD wäre denkbar. So würde mit Sicherheit - jenseits der Fachöffentlichkeit - eine breitere Wirkung erzielt als - um beim obigen Beispiel zu bleiben - mit einem,Gegen-Weißbuch`.

Dokumentarfilmkritik: Literaturvorschläge

 Herding R.: Kritische Medienpraxis: was heißt das heute? (
http://www.idberlin.revolte.net/texte/id002.htm; Fr., 19.11.1999)

 Rabiger, M.: Dokumentarfilme drehen, Frankfurt/M. (Zweitausendeins) 2000.

 Wember, B.: Objektiver Dokumentarfilm? Modell einer Analyse und Materialien für den Unterricht, Berlin (Colloquium-Verl.) 1972.

 Wember, B.: Wie informiert das Fernsehen? ein Indizienbeweis, München (List) 1976.

Anmerkung:

1Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) Nürnberg wurde "Die ZDF-dokumentation: Armee ohne Zukunft?" von 1,08 Millionen Zuschauern ab 3 Jahre gesehen. Dies entspteil von 6,5%.


Markus Euskirchen ist Redakteur der antimilitarismus informationen (ami).

E-Mail:   euse@earthling.net
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