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 Krisen und Kriege

Die neue Verfassung fördert den Ausverkauf des Landes *

Öl-Raub per Gesetz: Die ökonomische Invasion des Irak

Joachim Guilliard

Mit den Wahlen am 15. Dezember 2005 hat die Bush-Administration ihren "Übergangsprozess" im Irak fast abgeschlossen. Die neu gewählte Nationalversammlung und das zukünftige Kabinett sollen nun nicht mehr als Interimslösungen gelten, sondern als souveräne und verfassungsmäßige Organe eines neuen Irak. Erst mit einer international anerkannten Regierung kann Washington beginnen, seine ehrgeizigen Pläne auf völkerrechtlich verbindliche Weise umzusetzen. Auch drei Monate nach den Wahlen ist die Regierungsbildung allerdings noch nicht abgeschlossen, ein deutliches Zeichen, wie brüchig diese Fassade ist.

Ein wesentliches Element ihres "Übergangsprozesses" war die Einführung einer neuen Verfassung. Diese trat Ende Oktober letzen Jahres per Referendum in Kraft, nach einem verfassungsgebenden Prozess, den unabhängige Experten wie der renommierte Historiker und Nahostexperte Juan Cole, als völlig "irregulär" bezeichneten. Der hastig durchgeboxte Verfassungsprozess spiegelt nicht irakische, sondern rein US-amerikanische Dringlichkeiten wieder. Statt Konsensfindung und Ausbalancierung von Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen - unter Berücksichtigung der jahrzehntelangen säkularen Tradition des Iraks - schlugen sich im Verfassungstext die partikularen Ziele dreier extremer Kräfte nieder: die der kurdischen und radikal-schiitischen Parteien, die die Interimsregierung stellten, und die der US-Regierung.

Sehr umstritten ist unter anderem die Einführung islamischen Rechts. Weit mehr Sprengstoff bietet die vorgesehene Umwandlung des Iraks in eine lose Föderation auf ethnisch-konfessioneller Grundlage. Die Verfassung beschleunige "den gewalttätigen Zerfall des Landes", so die Nato-nahe International Crisis Group (ICG), die Lage entwickle sich "in Richtung einer Aufteilung des Landes und eines ungebremsten Bürgerkrieges."
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Während diesen Aspekten, sowie der mangelhaften Verankerung von Frauen- und allgemeinen Menschenrechten, viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, blieb eine mindestens ebenso wichtige Streitfrage stets ausgeklammert: die nach der zukünftigen ökonomischen Struktur des Landes.

Den ersten Entwürfen der Verfassung zufolge schwebte den meisten Mitgliedern der Verfassungskommission wohl ein Wohlfahrtsstaat skandinavischen Typs vor, in dem Iraks Ölreichtum jedem Iraker ein Recht auf freie Bildung und Gesundheitsversorgung, auf Wohnung und andere soziale Dienstleistungen finanzieren sollte. "Soziale Gerechtigkeit ist die Grundlage für den Aufbau einer Gesellschaft", hieß es beispielsweise in einem im Juni 2005 von der irakischen Zeitung "Al-Mada" veröffentlichten Entwurf. Soziale Gerechtigkeit sollte zudem auch die Basis der Wirtschaft sein, und Iraks natürliche Ressourcen sollten weiterhin kollektives Eigentum seiner Bürger bleiben.
(2) Diese Vorschläge knüpften an der alten Verfassung an, die noch die "soziale Solidarität" zur "ersten Grundlage der Gesellschaft" erklärt hatte.

Mit den Absichten der US-Regierung sind solche Vorstellungen schwerlich vereinbar. Sie hat lange vor der militärischen Invasion ganz andere Pläne für das ölreiche Land ausgearbeitet. Sie sind detailliert nachzulesen in einem Vertrag, den sie im Juli 2003 mit dem Consulting-Unternehmen "BearingPoint" abschloss, in dessen Hände die Umsetzung der ehrgeizigen Vorhaben gelegt wurde. BearingPoint wurde darin beauftragt, "den grundlegenden juristischen Rahmen für eine funktionierende Marktwirtschaft zu schaffen, indem aus der einzigartigen Möglichkeit, die die gegenwärtigen politischen Umstände für einen raschen Fortschritt in diesem Bereich bieten, angemessen Kapital geschlagen wird".
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Neben dem wachsenden Widerstand stand bisher vor allem die fehlende völkerrechtliche Legitimation einer raschen Umsetzung dieser Pläne im Wege. Angesichts der breiten Ablehnung der US-amerikanischen Politik in der Bevölkerung musste jeder Investor fürchten, dass seine Verträge von einer zukünftigen souveränen Regierung für nichtig erklärt werden. Mit Hilfe der neuen Verfassung soll nun die erforderliche Rechtssicherheit für Investoren hergestellt werden.

Daher drängten die USA bei der Verabschiedung so zur Eile und nahm der neue US-Botschafter im Irak, Zalmay Khalilzad, den Verfassungsprozess schließlich selbst in die Hand. Nicht die vom Parlament bestimmte Kommission, sondern ein kleiner Kreis, bestehend aus Khalilzad und den Führern der verbündeten Parteien, arbeitete am Ende den Entwurf aus, über den schließlich abgestimmt wurde.

Wie zu erwarten, waren am Ende die Artikel, die soziale Gerechtigkeit zur Grundlage der Gesellschaft machen wollten, verschwunden. Stattdessen wird der Staat nun dazu verpflichtet, "die irakische Wirtschaft gemäß moderner ökonomischer Grundlagen zu reformieren", auf eine Weise, die den "privaten Sektor ermutigt und entwickelt". Beseitigt wurde auch die Schutzklausel, die die Möglichkeit des Erwerbs irakischen Eigentums durch ausländische Einzelpersonen und Konzerne eng begrenzt hatte. Deren Regelung wurde nun einfachen Gesetzen überlassen. Ein solches Gesetz gibt es praktischer Weise schon, in Form der nach wie vor gültigen "Order 39" des einstigen US-Statthalters Paul Bremer, die Ausländern die hundertprozentige Übernahme irakischer Wirtschaftsgüter gestattet und rechtlich mit irakischen Staatsbürgern gleichstellt.

Speziell für den Ölsektor fordert der neu eingefügte Artikel 110 "Strategien anzuwenden", die auf "den modernsten Techniken der Marktprinzipien beruhen und Investitionen begünstigen". Diese Strategien flossen bereits in ein neues Gesetz über die Erdölproduktion, das parallel zur Verfassung ausgearbeitet wurde und nach Amtsantritt der neuen Regierung verabschiedet werden soll. Das "Moderne" dabei ist die vorgesehene Einführung von "Abkommen über gemeinsame Produktion", den sogenannten "Production Sharing Agreements" PSA.

PSAs sind sehr langfristige Verträge zwischen Ölkonzernen und ölbesitzenden Staaten mit Laufzeiten von 25-40 Jahren. Die Konzerne übernehmen bei diesen Geschäften die Erschließung und Ausbeutung der Ölquellen, die Einnahmen werden nach einem vereinbarten Schüssel geteilt. Die Firmen sind während der gesamten Laufzeit vor allen Gesetzesänderungen, die ihren Profit beeinträchtigen könnten, geschützt.

Da die Ölressourcen formal Eigentum des Staates bleiben, vermeiden PSAs das Reizwort "Privatisierung" und sind so leichter gegenüber der Bevölkerung durchzusetzen. In der Praxis erhalten die Ölmultis dennoch die volle Kontrolle über die Ölproduktion. Die anfänglichen Ersparnisse erkaufen sich die Förderländer dabei teuer durch langfristige enorme Einnahmeverluste, die sich auf Seiten der Konzerne als satte Profitraten niederschlagen. Nur wenige größere Ölförderländer haben sich bisher auf PSAs eingelassen. Wie groß der Anteil ist, der ihnen später an den Öleinnahmen verbleibt, variiert dabei stark von Land zu Land. Er ist abhängig von der jeweiligen Verhandlungsposition. Da der Irak keine unabhängige Regierung hat und die Ölkonzerne indirekt auch auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzen, haben diese hier die besten Vorraussetzungen, um für sich besonders günstige Konditionen durchzusetzen - festgeschrieben für bis zu 40 Jahren.

Die aktuell produzierenden Ölfelder sollen nach dem neuen Gesetz weiterhin von der staatlichen (bzw. später teilprivatisierten) Irakischen nationalen Öl-Company (INOC) betrieben werden. Alle neu in Produktion gehende Ölfelder hingegen sollen von Privatunternehmen erschlossen und ausgebeutet werden. Nur 17 der 80 bekannten Ölfelder sind bisher in Betrieb, mit den restlichen 63 erhalten die multinationalen Konzerne Zugriff auf 64% der bisher bekannten Ölreserven Iraks und weit über 80% der vermuteten.
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Über die ersten zwölf Ölfelder haben die Verhandlungen mit US-amerikanischen und britischen Ölkonzernen über PSAs bereits begonnen. Sie sollen bis Herbst 2006 unter Dach und Fach sein.

Nach Schätzungen von Experten würden dem Irak allein dadurch, selbst unter vorsichtigen Annahmen, wie einem Ölpreis von 40 US-Dollar und üblichen Vertragsbedingungen, innerhalb der nächsten 30 Jahre zwischen 74 und 194 Mrd. US-Dollar an Öleinnahmen verloren gehen. Sehr schnell können sich die Verluste zu mehreren Billionen US-Dollar addieren. Die beteiligten Firmen hingegen können mit jährlichen Renditen von 42% bis 162% vom eingesetzten Kapital rechnen.

* Der Artikel fußt auf der IMI-Studie 2005/05 "Iraks Verfassung - Eine konstitutionelle Besatzung", IMI, Dezember 2005

Anmerkungen



1"Unmaking Iraq: A Constitutional Process Gone Awry", International Crisis Group ICG, 26.9.2005 (die ICG ist ein multinationaler Think Tank, dem viele einst hochrangige westliche Politiker und Militärs angehören)



2Zitiert nach Nathan J. Brown, "Constitution of Iraq: Draft Bill of Rights," Carnegie Endowment for International Peace, July 27, 2005, http://www.carnegieendowment.org/files/BillofRights.pdf



3Herbert Docena, "`Shock and Awe` Therapy", Beitrag zum Punkt "Economic Colonization" auf dem World Tribunal on Iraq, 24.-26. Juni 2005 in Istanbul (siehe auch: J. Guilliard "Irak - Zerstört - besetzt - geplündert", Vortrag v. 15.7.2005 in München)



4Greg Muttitt, "Crude Designs:The Rip-Off of Iraq`s Oil Wealth, PLATFORM, November 2005, http://www.carbonweb.org/crudedesigns.htm




Joachim Guilliard, Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg.

E-Mail: joachim.guilliard@t-online.de

Website: www.antikriegsforum-heidelberg.de
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