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 Umwelt und Konflikte

Krieg um die Umwelt

Knut Krusewitz

Worum geht es?

Die Formel vom Krieg um die Umwelt ist mehrdeutig. Mein Verständnis vom Krieg um die Umwelt begründe ich umwelt- und militärhistorisch. In gebotener Kürze, versteht sich. Das Ergebnis meines Beitrags lautet: Dieser Kriegstyp ist der Versuch kapital- und wachstumsorientierter Gesellschaften, sich gegen die Rückwirkungen globaler Umweltgefahren, die sie selbst verursachen, gewaltförmig zu schützen.




I. NATO ernannte sich zum umweltpolischen Vorreiter

Am 20. April 1969 gründete die NATO als erste weltpolitisch bedeutende Organisation einen Umweltausschuss. Er sollte zur Bewältigung der weltumspannenden ökologischen Krise durch praxisrelevante Studien und Aktivitäten beitragen. Dazu gehörten Beiträge zu einem westlichen Sicherheitsverständnis, das sich nicht mehr nur an militärischen, sondern auch an ökologischen, sozialen und politischen Interessen der Allianz ausrichtete. Damit stand die NATO vor der Aufgabe, ihre ökologischen Sicherheitsplanungen in den komplizierten, widersprüchlichen und instabilen Entwicklungsprozess des Kalten Krieges einzuordnen. Erfolg versprach sie sich vom Angebot, zukünftig über Umweltfragen als Angelegenheiten von globalem Interesse zu verhandeln. Dieser Vorschlag richtete sich allerdings an Adressaten, die weder gemeinsame ökonomische, soziale und sicherheitspolitische Interessen vertraten, noch ökologische. Zudem interpretierte ihn die Weltöffentlichkeit als Versuch westlicher Regierungen, im Vorfeld der geplanten Ersten Umweltkonferenz der Vereinten Nationen (UNO) vom beispiellosen Umweltkrieg der USA in Vietnam abzulenken, den sie seit 1963 führten.



II. Die Stockholmer Umweltkonferenz der UNO

1972 fand in Stockholm die erste Umweltkonferenz der Vereinten Nationen statt. Damals erklärten sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen für die Sicherheit der Umwelt auf globaler Ebene verantwortlich. Anspruch und Realität: Tatsächlich betreiben sie, vor allem die Atommächte, ein historisch beispielloses Wettrüsten. Unbeeindruckt von den friedensrelevanten Normen und Zielen internationaler Umweltvereinbarungen, erforschen und nutzen sie Kontinente, Weltmeere, Atmosphäre und Weltraum - mithin die Kollektivgüter Menschheit - zur gewaltförmigen Absicherung ihrer Weltmachtinteressen. Erklärungsbedürftig bleibt, warum die Ursachen kaum noch als ernste Bedrohung der Menschheit und ihrer Umwelt wahrgenommen und kritisiert werden. Zumal die weltweite Sorge seit der Stockholmer Konferenz gewachsen ist hinsichtlich der Gefahren, die sich durch Planung, Finanzierung und Führung von Kriegen für Biosphäre und zukünftige menschliche Entwicklung ergeben.



III. Die OECD präsentierte die Hauptverursacher globaler Umweltgefahren

1984 veröffentlichte die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Studie, in der wesentliche Ursachen der Umweltkrise empirisch gehaltvoll benannt wurden. Danach ergeben sich viele der Umwelt- und Ressourcenprobleme auf Weltebene hauptsächlich aus den Produktions- und Konsumstrukturen, aus der Technologie sowie aus der Wirtschafts- und Handelspolitik der Länder der OECD. Als einen Beweis führte die OECD die Zunahme der CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre an. Danach waren ihre Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt für ungefähr zwei Drittel der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich. Kehrten sie diesen Trend nicht um, würden sie innerhalb des nächsten Jahrhunderts klimatische Veränderungen bewirken, die weltweit verheerende physikalische, wirtschaftliche und soziale Erschütterungen zur Folge hätten.

Und als weitere Ursache für die stetig wachsenden Umweltgefahren benannte die OECD die Praxis transnationaler Konzerne, bestimmte Primärindustrien in Entwicklungsländern anzusiedeln, um dort übliche geringe Lohnkosten und andere geringere Produktionskosten zu nutzen. Die Folgen einer Verschlechterung der natürlichen Umwelt, die sich aus umweltfeindlichen in den Entwicklungsländern getätigten Investitionen ergeben [!], werden nicht nur in den Empfängerländern spürbar, sondern auch in den Nachbarländern, und sie können sogar einen Rückkoppelungseffekt in den Ländern der OECD haben. Rückkopplungseffekte haben auch die globalen Verteilungsbedingungen: 20 Prozent der Menschheit genießen inzwischen 90 Prozent der Güter, die reichsten 200 Weltbürger verfügen über ein Vermögen, das dem jährlichen Einkommen der Hälfte der Menschheit entspricht (über eine Billion US$), eine Milliarde Personen lebt im Wohlstand, eine Milliarde in grausamem Elend, vier Milliarden vegetieren am Existenzminimum.



IV. Die ökologische Sicherheitsdoktrin des Westens

Unmittelbar nach Zerfall der weltpolitischen Koordinaten des Kalten Krieges machten führende westliche Staaten ihren globalen Führungsanspruch zum organisierenden Prinzip auch ihrer langfristigen ökologischen Sicherheitsinteressen.

In einem Bericht, den das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik bereits Mitte 1989 [!] in Auftrag gegeben hatte, legten Experten aus Forschung und Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften, sowie Verwaltung, Parlament und Publizistik eine richtungsweisende "Bedrohungsanalyse" vor, die zur Begründung einer erweiterten Definition von nationaler Sicherheit herhalten musste. Die hier interessierende Passage lautete: Es zeichnen sich neue Herausforderungen zum Teil globaler Natur ab - Umweltgefahren etwa -, die heute [!] die Sicherheit Europas gefährden und derer sich eine vorausschauende Friedenspolitik annehmen muss. Zukünftige westliche Sicherheitspolitik müsse deshalb neben politischen und militärischen Faktoren mehr denn je [!] auch ökonomische, soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen. Ziel war die Durchsetzung strukturkonservativer Weltmachtinteressen auch im Umweltbereich.



V. Die Rio-Konferenz der UNO entwarf mit der Agenda 21 das Gegenprogramm zur strukturkonservativen Sicherheitsdoktrin

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro machte das Aktionsprogramm Agenda 21 für die internationale Völkergemeinschaft verbindlich. Deren umfassende politische Zielbestimmung sustainable development (Sustainability) interpretierte der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) 1994 als eine Programmatik für die Bewältigung der gemeinsamen Zukunft der Menschheit, die - wenn sie ernst genommen wird -, revolutionär sein kann. Mit dem Leitbegriff "Sustainability", so der SRU weiter, verbindet sich nichts Geringeres als die Erkenntnis, dass ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungen notwendig als innere Einheit zu sehen sind. Indem die Sustainability-Programmatik diese Problemfelder einander zuordnete, weitete sie den ökologischen Diskurs zu einem gesellschaftspolitischen Diskurs aus. Dadurch wurde sie zum Impulsgeber für eine neue Grundlagenreflexion über die Zukunft der Gesellschaft. Daraus folgere ich: Die Gutwilligen in den mächtigen kapitalistischen Gesellschaften müssen beginnen, ein Zukunftsmodell einzufordern und mitzugestalten, das gleichzeitig nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, soziale Gerechtigkeit, positiven Frieden und ökologische Stabilität überall auf der Erde verwirklicht. Daraus folgt nicht nur eine tiefgreifende Korrektur bisheriger Fortschritts- und Wachstumsvorstellungen, sondern auch die Verabschiedung von bisherigen Gewalt-, Militär- und Kriegsvorstellungen. Die dienen nur noch der Aufrechterhaltung historisch überholter Interessen. Deshalb ließen die NATO-Staaten nach der Rio-Konferenz die wachstums-, kapitalismus- und militärkritischen Implikationen der Agenda 21 bis zur Bedeutungslosigkeit kleinarbeiten und durch eine gegenaufklärerische Version ersetzen. Mit dieser Aufgabe betrauten sie ihren - Umweltausschuss.



VI. Die EU-Kommission fordert ein nachhaltiges Wirtschafts- und Entwicklungsmodell

1994 veröffentlichte die Europäische Kommission ein erstaunlich kritisches Weißbuch über Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert. Darin bestätigt sie frühere OECD-Warnungen. Würden die gegebenen industriellen Verbrauchs- und Produktionsmuster im EG-Raum auf die ganze Welt ausgedehnt, so benötigte die Erde ein Zehnfaches der derzeit verfügbaren Ressourcen; diese Extrapolation veranschaulicht das Ausmaß der weltweiten Verteilungskämpfe, die drohen, falls es nicht gelingt, die gegenwärtigen Trends umzukehren. Und bestimmte Formen der Umweltschädigung bedrohen nicht bloß örtliche Ökosysteme, sondern auch das natürliche Gleichgewicht der ganzen Erde.

Diese selbstmörderische Tendenz sei nur durch den Übergang zu einem tauglicheren Wirtschaftsmodell umkehrbar, das eine dauerhafte Entwicklung möglich mache. Solche Konsequenzen wollten die Herrschenden aus naheliegenden Gründen nicht ziehen. Damit hatten demokratische Reformer, die den notwendigen Wandel zu einem zivilisatorisch dauerhaft tragfähigen europäischen Wirtschafts- und Entwicklungsmodell planen wollten, keine Chance mehr.

Fazit: Westliche Gesellschaften haben globale Umweltgefahren zu einer Selbstbedrohung gemacht. Die Vorstellung, diesen Prozess könnten sie abwenden mit einer ökologischen Sicherheitsdoktrin, der Kriege um die Umwelt immanent sind, ist nachgerade absurd. Die Herrschenden im Westen erweisen sich auch nach dem Kalten Krieg als unfähig zur sustainability-politischen Korrektur ihrer strukturkonservativen Wachstums-, Entwicklungs- und Umweltinteressen. Stattdessen bauen sie ein weltökologisch und weltwirtschaftlich nicht mehr beherrschbares Krisenpotenzial auf.





Knut Krusewitz ist entpflichteter Hochschullehrer, Umwelt-, Friedens- und Regionalwissenschaftler; Leiter der "Rhöner Friedenswerkstatt im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön".

E-Mail: k (Punkt) krusewitz (at) t-online (Punkt) de
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