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 Flüchtlinge ohne Recht auf Asyl

Dokumentation:

50.000 billige Afrikaner - Aufstand der Unsichtbaren

Stefan Brändle

Heute sitzen sie an den Tischen der Herrschaften. Zwei Dutzend Schwarze haben sich im Restaurant "Chez Papa" in der Nähe des Pariser Ostbahnhofs versammelt. Einige haben einen Kleber der Gewerkschaft CGT auf der Brust. Aber sie skandieren keine Streikparolen, wie sonst in Frankreich üblich, sie sitzen ganz einfach da. Schweigend. Müde. Nach zwei Wochen Tarifkonflikt.

"Mein Körper schmerzt vom Nichtstun", sagt Fousseinou Traoré. Sonst spült der junge Mauretanier Geschirr. Seine Kollegen im Saal, Küchengehilfen und Köche, stammen aus Senegal, Mali, Mauretanien oder Algerien. Bei "Chez Papa" kochen sie typisch französisch: Foie Gras, Entenbrust oder Axoa, ein baskisches Hackfleischgericht. Und machen so die Arbeit, die Franzosen für diesen Lohn nicht machen wollen.

Bei "Chez Papa" kriegen die meisten Afrikaner nicht einmal den Mindestlohn von 1280 Euro, obwohl sie in ihrer kleinen Küchensauna bis um Mitternacht malochen. Aber sie klagen nicht - und wenn, hört sie niemand: Die Gäste der kleinen Restaurantkette bekommen das Küchenpersonal nie zu Gesicht. Die Kellner sind weiß. Der Patron kommt wie die Speisen auf der Karte aus Frankreichs Südwesten. Doch das Herz des Restaurants - die Küche - ist fest in afrikanischer Hand.

Fousseinou arbeitet seit drei Jahren dort. Er erzählt, wie er aus dem mauretanischen Busch an die Küste gewandert sei und in Dakar das Schiff nach Marseille genommen habe. Ohne Papiere kam er bis nach Paris; dort arbeitete er zuerst auf dem Bau, dann kam er bei "Papa" unter, nachdem er im Milieu für 300 Euro eine Aufenthaltsbewilligung aufgetrieben hatte. "Sie war falsch", räumt der Mauretanier ein, "aber der Patron schaute nicht zweimal hin."

Warum auch? Jahrelang drückten ja sogar die Behörden die Augen zu, wissen sie doch um den akuten Personalmangel in den französischen Restaurantküchen. Dort arbeiten etwa 50 000 billige Afrikaner ohne Papiere. Humanitäre Vereine kritisierten ab und zu die "verdeckte Sklavenarbeit". Aber eigentlich profitierten alle. Wirte und Inspektoren arrangierten sich. Schließlich zahlen die illegal Eingewanderten Steuern und Sozialversicherungsbeiträge - und zwar peinlich genau. Ärger mit dem Staat können sie sich nicht erlauben.

Doch den haben sie jetzt auch so. Im Sommer 2007 sagte Präsident Sarkozy den Sans-Papiers den Kampf an. Er will jetzt jährlich 30 000 abschieben. Seither kontrollieren die Polizeipräfekturen auch die Unterlagen der Wirte. Auch bei "Chez Papa" wurden sie fündig. Doch dort taten die Küchenhilfen das Undenkbare: Seit Mitte April streiken sie für reguläre Papiere. Seither

haben sich die Belegschaften zahlreicher anderer Restaurants dem Streik angeschlossen.

Steuerzahler ohne Papiere

Und die Arbeitgeber unterstützen die Streikenden. "Einige Afrikaner arbeiten schon seit neun Jahren bei mir", sagt Chez-Papa-Wirt René Druilhe. "Sie verdienen es alle, richtige Ausweise zu erhalten. Immerhin zahlen sie in Frankreich Steuern und leisten ganze Arbeit."

So sieht das auch der Wirte- und Hotelierverband. Er fordert die Legalisierung von 100.000 Sans-Papiers. "Sonst bricht in vielen Restaurants das Chaos aus", sagt Umih-Präsident André Daguin.

Immigrationsminister Brice Hortefeux räumte zwar kürzlich ein, dass die Behörden "heuchlerisch" handeln, wenn sie von den Sans-Papiers Steuern eintrieben, ihnen aber gleichzeitig die Aufenthaltsbewilligung verweigern. Gestern sagte er aber, es würden maximal "ein paar hundert" Gesuche der Sans-Papiers bewilligt. Eine generelle Anerkennung wie in Spanien und Italien schließt er aber kategorisch aus.

Obwohl 79 Prozent der Franzosen laut einer Umfrage der Meinung sind, dass die Sans-Papiers für ganze Wirtschaftszweige wie das Gast-, Reinigungs- oder Baugewerbe "unerlässlich" sind.

Bei den Protestkundgebungen der Einwanderer sieht man nun, wie etwa am 1. Mai, auch Frauen. Zahllose Afrikanerinnen hüten Kinder, helfen Senioren oder putzen Wohnungen. Obwohl sie seit Jahren in Frankreich arbeiten, werden sie jetzt erstmals öffentlich wahrgenommen. Und das dürfte auch so bleiben. Denn die Sans-Papiers wollen sich nicht mit ein paar Einzel-Legalisierungen abfinden. "Schließlich zahlen wir auch nicht nur vereinzelt, sondern allesamt Steuern", sagt Fousseinou, der Tellerwäscher.



aus Frankfurter Rundschau vom 05.05.2008
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