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 Initiativen

Büchel-Demo

US-Veteranen gegen Irak-Krieg fordern Solidarität

Chris Capps-Schubert

(red) Auf der Auftaktkundgebung bei der Demo in Büchel am 30.8.08 hielt Chris Capps-Schubert eine sehr bemerkenswerte Rede, die viel Beifall und Nachdenklichkeit auslöste. Capps-Schubert ist 24 Jahre alt und hat aktiv im Irak gekämpft, bevor er als Deserteur zu den "Iraq Veterans Against The War" ging. Er setzt sich heute für Deserteure und Verweigerer ein und kämpft gegen die Fortsetzung von Krieg und Besatzung im Irak. Die bundesdeutsche Friedensbewegung ist aufgerufen, seinem Appell zur Solidarität nachzukommen: auf bundesdeutschem Boden werden die US-Truppen für die Fortsetzung des Krieges gedrillt. Im Oktober soll die 172. Infanterie-Brigade aus Schweinfurt wieder in den Irak verlegt werden. Allein aus dieser Brigade sind schon 93 Soldaten im Irak gefallen.

Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit habe, hier zu sprechen. Mein Name ist Chris Capps-Schubert. Ich bin ein Veteran der US-Besatzung im Irak. Ich bin Deserteur der US-Armee. Ich bin Mitglied einer Organisation, einer neuen Generation von US Veteranen und Militärangehörigen, der "Irak Veteranen gegen den Krieg" und ich bin auch euer Nachbar hier in Deutschland.

Seit ich 2005 hier stationiert wurde, habe ich die meiste Zeit - außer das eine Jahr in Baghdad - hier in Deutschland verbracht und lebe jetzt hier. Ich bin beeindruckt von dieser Mobilisierung und der Organisation dieser Demonstration und ich hoffe, dass ihr alle weiterhin solche Demonstrationen macht und die Regierung dazu zwingt, sich dem Willen ihrer Bürger zu fügen.

Seit ich letztes Jahr die US Armee verlassen habe, weil ich mich weigerte in einen abscheulichen, vergessenen Krieg nach Afghanistan zu gehen, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, anderen Soldaten zu helfen. Ihr Fragt euch bestimmt warum zur Hölle ich Soldaten helfe. Sind die nicht die gnadenlosen Killer, die das Elend in den Irak und nach Afghanistan bringen?

Auf dem Papier ist das US Militär theoretisch eine Freiwilligenarmee. Auf dem Papier gibt es keine Wehrpflicht, um noch mehr Soldaten für diese Kriege zu bekommen. In der Realität setzt sich das US Militär in weiten Teilen aus Menschen zusammen, die denken, dass sie das Richtige tun, wenn sie sich verpflichten, lernen dann aber das Gegenteil. Menschen, die verschuldet sind, Menschen, die aus den ärmsten Familien kommen, Menschen, die sich eine Collageausbildung in den USA nicht leisten können, Menschen, die sich einfach von der Armee ein besseres Leben erhoffen.

Ich war einer dieser Leute. Ich ging zur Armee, weil ich aus meinem Kaff am Ende der Welt herauskommen wollte und weil ich die Hoffnung hatte, so die Möglichkeit zu bekommen, aufs College zu gehen.

In Wahrheit hat die US Armee eine Klausel in ihren Verträgen, die sich Stop Loss nennt, mit der sie die Leute verpflichtet, länger in der Armee zu bleiben als in den Verträgen vereinbart - eine Wehrpflicht durch die Hintertür.

Es sind genau diese Leute, die wieder und wieder in den Irak und nach Afghanistan geschickt werden und gezwungen werden, in permanenter Gefahr zu leben. Viele werden gegenüber der einheimischen Bevölkerung immer paranoider und tun alles, um sich und ihre Freunde wieder lebend nach Hause zu bekommen - egal was dies die einheimische Bevölkerung kostet. Sie sind keine Monster - wie überall gibt es unter ihnen gute und schlechte - sie sind nur Menschen mit einem beschissenen Job. Einige haben Alpträume, einige haben ihre Erinnerungen an den Krieg komplett ausgeblendet, einige haben, wie ich, einfach Glück gehabt im Irak, und einige sind einfach so blind vor Wut und Frustration über ihre Erlebnisse im Irak, dass sie in den Krieg zurückgehen wollen, um sich für ihre toten Freunde zu rächen.

Ich kann mich nicht einfach zurücklehnen und das einfach geschehen lassen.

Gegen Ende meines Einsatzes im Irak war den meisten in meiner Einheit klar, dass das alles nur Scheiße ist, ich war einfach nur der Einzige, der die Initiative ergriffen hat, etwas dagegen zu unternehmen.

Es ist meine Pflicht, den Soldaten zu helfen, die sich in der Situation, die sie verachten, gefangen fühlen - es ist meine Pflicht, denjenigen zu helfen, die nicht in den Krieg wollen, aber keine Möglichkeit sehen, dem Kriegseinsatz zu entgehen. Ich will denen helfen, die hier in eurer direkten Nachbarschaft leben und in einen sinnlosen Krieg geschickt werden.

Ich war letztes Jahr der erste Irak Veteran gegen den Krieg, der hier in Deutschland lebt. Heute sind wir schon 10 und haben in Frankfurt den ersten Chapter außerhalb Nord Amerikas. Die Anzahl der "Iraq Veterans Against The War"-Mitglieder ist von 500 im letzten Jahr über 700 in diesem Frühjahr auf über 1.200 angewachsen. Wir haben gerade einen Soldaten im Irak, der Videos von seinem Einsatz im Irak veröffentlicht, um den Menschen die brutale Wahrheit über die Besatzung zu zeigen, die man nicht in den Nachrichten sieht. Immer mehr Soldaten, die gerade im Irak sind, hören von uns und schließen sich uns an. Und wir bringen die Wahrheit zu allen, die sie hören wollen.

Soldaten fangen an, den Menschen zu erzählen, was wirklich im Irak passiert. Immer mehr Soldaten äußern ihre Unzufriedenheit mit der Regierung, die nur allzu willig ist, sie in den Tod zu schicken.

Dies alles passiert jetzt, in diesem Moment! Das ist die ganz reale alltägliche Bedrohung, und nicht irgend eine mögliche nukleare Gefahr in der Zukunft!

Menschen sterben, Menschen kommen nach Hause mit physischen und psychisch Wunden, die niemals vollständig heilen werden. Die Menschen im Irak leiden und die Soldaten sind frustriert über das, was passiert, und sagen ihre Meinung.

Ich stimme euch zu, dass die nukleare Teilhabe der NATO falsch ist. Es ist eine klare Missachtung des Atomwaffensperrvertrages von 1970, und Deutschland braucht keine Atomwaffen.

Allerdings fühle ich mich sicherer, wenn diese Waffen in deutscher Hand sind, als wenn sie in den Händen einer Regierung sind, die den Iran bedroht und ihre Soldaten gefühllos in einen solchen zerstörerischen und sinnlosen Krieg schickt.

Für mich steht aber eine ganz andere Bedrohung im Vordergrund. Nicht die hypothetische Bedrohung, dass durch die Missachtung internationalen Völkerrechts irgendwann in der Zukunft durch einen Atomschlag Menschenleben zerstört werden könnten, sondern dass heute und jetzt Menschen sterben und durch die Verletzung von internationalem Völkerrecht, durch die Missachtung der Paragraphen 25 und 26 des deutschen Grundgesetzes und durch die Missachtung der amerikanischen Verfassung Leben jetzt zerstört werden.

Ich will damit nicht sagen, dass das, was ihr hier heute macht, nicht wichtig ist. Aber mit den Erfahrungen die ich habe, fühle ich mich verpflichtet, die Leben derjenigen zu retten, die JETZT sterben. Ich habe nie eine so große Demonstration zu diesem Problem hier in Deutschland gesehen.

Im Frühjahr haben wir mit Hilfe von der Linken Birkenfeld hier in Rheinland-Pfalz Informationen an Soldaten der Ersten US-Panzerdivision verteilt. Sie waren gerade dabei, Vorbereitungen zu treffen, um zurück in den Irak zu gehen. Die Erste US-Panzerdivision ist jetzt immer noch im Irak. Seit sie dort angekommen sind, müssen sie Tote und Verletzte in Kauf nehmen. Wenn es eine Invasion des Iran gibt, wird mit größter Sicherheit die Erste US Panzerdivision die Speerspitze in den Iran bilden. Für mich ist es wichtig diese Soldaten wissen zu lassen, dass es hier in Deutschland Menschen gibt, die über den Krieg empört sind.

Von deutschem Boden aus wird ein illegaler Angriffskrieg geführt, und ich bin nicht bereit, zur Seite zu treten und noch mehr Menschen sterben zu lassen. Ich will nicht, dass noch mehr amerikanische Familien hier nach Rheinland-Pfalz kommen, um ihre verletzten Söhne und Töchter in Landstuhl zu besuchen. Ich will nicht, dass noch mehr Söhne und Töchter die amerikanische Flagge überreicht bekommen, weil sie ihre Eltern beerdigen. Ich will nicht, dass noch mehr Soldaten noch mehr Befehle bekommen, die der Grund für das Leiden der irakischen Bevölkerung sind. Ich will nicht noch mehr Menschen mit entsetzlichen Alpträume von ihrer Zeit im Irak. Ich will nicht, dass Menschen für einen zwecklosen Krieg grauenhafte Dinge tun müssen. Und ich bin bereit, alles in meiner Macht stehende zu tun, um es zu beenden.

Ich will diese Art von Aktion im Oktober in Schweinfurt sehen. Die Hundertzweiundsiebzigste Infanterie Brigade bereitet sich gerade darauf vor, in den Irak zurückzukehren. Mit 93 im Krieg Gefallenen und einer Vielzahl dessen mehr Verwundeten, haben die Einheiten der US-Community in Schweinfurt mehr Tote und Verletzte zu beklagen als jede andere US Army Community außerhalb der USA. Genau jetzt treffen sie die Vorbereitungen für ihren nächsten Todestrip. Und - tragischerweise - kein einziger aus der Friedensbewegung plant irgend etwas gegen diesen Kampfeinsatz zu unternehmen. Dieser Kampfeinsatz geht von Nordbayern aus - das ist geographisch fast exakt die Mitte von Deutschland.

Wen interessiert es, dass eure Nachbarn in den Tod geschickt werden? Wenn ihr diesen Wahnsinn stoppen wollt, müsst ihr die Soldaten unterstützen, denn sie sind diejenigen, die den Krieg stoppen können. Politiker stoppen den Krieg bestimmt nicht.



Chris Capps-Schubert ist Mitglied der Iraq Veterans Against The War.
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