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 Initiativen

Eine Verfassungsbeschwerde aus Gewissensgründen

Zivilsteuern statt Kriegspotential

Sepp Rottmayr

Durch das Bundeshaushaltsgesetz bzw. den Bundeshaushalt werden Steuern aller deutschen Staatsangehörigen auch für Rüstung und Militär verwendet. Das berührt das Gewissen vieler Menschen, die zum Frieden entschlossen sind. Eine Gruppe hat sich aufgemacht, ihre verfassungsgarantierten Grundrechte einzufordern und eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verwendung ihrer Steuern für Kriegspotentiale Mitte Februar einzureichen.



Wir alle finanzieren das Kriegspotential

Heute gibt die Welt täglich 2,6 Milliarden EUR Steuergelder für Rüstung und Militär aus, in der Bundesrepublik 30 Mrd EUR. Viele Menschen glauben, sie zahlten keine Steuern, weil sie Rentner, Hartz IV-Empfänger, Alleinerziehende, Auszubildende oder Studenten sind. Doch niemand ist ausgenommen, da überall indirekte Steuern stecken, in der Nahrung, in der Kleidung, in der Wohnung, in der Kommunikation und im Reisen.

Die Staatseinnahmen aus indirekten Steuern von der Energiesteuer bis zur Mehrwertsteuer sind höher als die direkten Einkommen- und Lohnsteuern. Im vergangenen 10-Jahresdurchschnitt zahlten die 82,4 Millionen Einwohner Deutschlands für den "Verteidigungshaushalt" je 148 EUR / Jahr über die direkten Steuern, aber 200 EUR über die indirekten Steuern. An den letzteren ist jeder und jede beteiligt. Das mag sich im Einzelnen bei äußerst bescheidenen oder bedürftigen Verbrauchern auf 100 EUR im Jahr reduzieren.



Kausalität

Behaupten wir, dass selbst bescheidene oder bedürftige Menschen über die Verbrauchssteuern bzw. indirekten Steuern mit 100-200 EUR pro Jahr unser Kriegspotential mitfinanzieren, so begegnen wir Stirnrunzeln. Was hat das Glas Bier, die Begleichung der Gas- oder Stromrechnung oder der Schuhkauf mit der Finanzierung von Militär und Waffen zu tun? Was hat dies mit dem Krieg in Afghanistan oder den Rüstungslieferungen an Israel zu tun? Ich zahle Steuern. Aber bin ich es, der entscheidet, dass meine Steuern für solcherlei Zwecke verwendet werden? In der Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtzulassung einer Verfassungsbeschwerde eines Militärsteuerverweigerers aus Gewissensgründen (AZ: 2BVR 478/92) ist in bestem Juristendeutsch zu lesen: "Durch die strikte Trennung von Steuererhebung und haushaltsrechtlicher Verwendungsentscheidung gewinnt der Staat rechtsstaatliche Distanz gegenüber den ihn finanzierenden Steuerpflichtigen und ist deshalb allen Bürgern - mögen sie erhebliche Steuerleistungen erbringen oder nicht zu den Steuerzahlern gehören - in gleicher Weise verantwortlich. Andererseits nimmt er dem Steuerzahler Einflussmöglichkeit und Verantwortlichkeit gegenüber den staatlichen Ausgabeentscheidungen." Darauf stützt sich die Ansicht, dass zwischen Steuerzahlung und Steuerverwendung keine ursächliche Verbindung, keine Kausalität bestehe und somit auch kein Gewissensproblem sich entwickeln könne.

Andererseits gibt es namhafte in die Materie eingearbeitete Juristen, die die Kausalität zwischen Steuerzahlung und Steuerverwendung bestätigen und bekräftigen. Schon die Überlegung, dass es ohne Steuerzahlung eben kein Militär gäbe, beweist den Zusammenhang. Doch noch mehr: Alle mündigen Menschen im Staate haften für die Verwendung der Steuern einschl. ihrer Folgen mit ihren Ersparnissen und ihrem Hab und Gut. Kein Volksvertreter kann wegen der 1,6 Billionen EUR Schulden, die er mit beschlossen hat, zur Verantwortung gezogen werden. Das steht sogar im Grundgesetz (Art. 46). Nur wer haftet, hat wirklich die Verantwortung. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, alle Haftung liegt bei ihm - deshalb ist folgerichtig, das auch alle Verantwortung bei ihm liegt. So ist die Kausalität nicht nur daraus ersichtlich, dass ohne Zahlung keine Verwendung möglich ist, sondern auch daraus, dass der Steuerzahler für die Steuerverwendung haftet und die Verantwortung dafür trägt.



Wissen und Gewissen

Nur wenn wir wissen, hat das Gewissen eine Chance zur fruchtbaren und weiterführenden Beunruhigung: Erstens, wir zahlen Steuern auch dann, wenn wir weder eine Lohnsteuerkarte noch eine Steuernummer besitzen. Zweitens, diese unsere Steuern sind in Jugoslawien, in Afghanistan, im Libanon oder im Gazastreifen tötungsrelevant verwendet worden. Sie werden weiterhin tötungsrelevant verwendet und sie finanzieren das Kriegspotential. Und drittens müssen wir wissen, dass wir für diese Verwendung haften und die Verantwortung tragen, auch wenn sie durch Regierung und Bundestag veranlasst wird.



Ist das Haushaltsgesetz verfassungswidrig?

Der erste Artikel des Deutschen Grundgesetzes bestimmt im 3. Absatz: "Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." Kein Gesetz, keine exekutive Handlung und keine Rechtsprechung dürfen hiernach die Grundrechte verletzen. Zu den nachfolgenden Grundrechten gehört der Art. 4 Abs. 1 "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Das Gewissen ist damit umfassend geschützt, nicht nur das Gewissenhaben (forum internum) sondern auch - und darauf kommt es an - das Gewissenshandeln (forum externum). Das Bundesverfassungsgericht hat dies mehrmals bestätigt. Die Militärsteuerverweigerung aus Gewissensgründen ist ein solches Gewissenshandeln. Allen, die eine Militärsteuer ablehnen, muss es demnach ermöglicht werden, dass ihre Steuern ausschließlich für zivile und nicht für militärische Zwecke verwendet werden.

Doch der Haushaltsplan, der durch das Haushaltsgesetz festgestellt wird und Gesetzeskraft erhält, differenziert nicht. Er legt die Steuerverwendung unterschiedslos auch für militärische Zwecke fest, eben auch die Steuern von Pazifisten. Dies widerspricht dem Grundrecht der Gewissensfreiheit der Betroffenen, sie sehen sich in der Freiheit ihres Gewissenshandelns mit allem sittlichen Ernst eingeschränkt. Das Haushaltsgesetz ist damit nach dem oben zitierten Art. 1 Abs. 3 GG verfassungswidrig.



Beschwerdegruppe

Nach Art. 93 Abs. 1, 4a GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht "über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte ... verletzt zu sein."

Personen, die ihre Gewissensfreiheit durch die Verwendung ihrer Steuern für ein Kriegspotential verletzt sehen, gibt es genug. Über 13.000 Interessierte haben bisher mit ihren Unterschriften bekundet, dass sie eine zivile Alternative zur Militärsteuer wollen (im Unterschied zu Zivilsteuern sind Militärsteuern die Steuern, die aufgrund des Bundeshaushaltes für militärische Zwecke verwendet werden).

Im Netzwerk Friedenssteuer wird die Militärsteuerzahlung seit 1983 thematisiert. Ca. 60 Friedensbewegte haben seitdem Militärsteuern verweigert und bei den zuständigen Finanzgerichten gegen ihre Finanzämter geklagt. Das Gewissensproblem wurde durch die Gerichte nicht gelöst.

Deshalb war es nicht so schwer, eine Gruppe von 10 Beschwerdeführenden zu bilden, die die Beschwerdeschrift Mitte Februar 2009 beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Im Internet ist die Beschwerdeschrift unter
http://www.netzwerk-friedenssteuer.de nachzulesen.



Sepp Rottmayr ist Mitglied im Netzwerk Friedenssteuer, er war Initiator und Sprecher der pax christi Gruppe Gewaltverzicht in München und ist Mitglied des deutschen Zweiges des internationalen Versöhnungsbundes.



Website: www.netzwerk-friedenssteuer.de
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