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 Krisen und Kriege

Israel: Im Zentrum des nahöstlichen Rüstungswettlaufs

Felix Koltermann

Israel gilt heute als eine der stärksten Militärmächte des Nahen Ostens und ist informelle Atommacht. Seit der Staatsgründung, die mit dem ersten arabisch-israelischen Krieg einherging, haben die Israel Defence Forces IDF eine zentrale Rolle in Israel gespielt und tun dies bis heute. Millionen Israelis haben in der IDF gedient und Zehntausende stehen bis heute als Reservisten bereit. In den letzten zwei Jahren führte Israel zwei größere Kriege: Im Jahr 2006 gegen die Hizbollah im Südlibanon und über den Jahreswechsel 2008/09 gegen die Hamas im Gazastreifen. Darüber hinaus ist die israelische Armee seit über 40 Jahren mit der Kontrolle der besetzten Gebiete und dem Kampf gegen palästinensische Widerstandsgruppen betraut. Im folgenden Artikel soll aufgezeigt werde, welche Kosten diese Militärmaschinerie dem israelischen Staat verursacht und welche Folgen die Militarisierung für die Gesellschaft hat.

Im Mai 2009 hat das Bonn International Center for Conversion (BICC) einen neuen Global Militarization Index (GMI) vorgestellt. Der GMI setzt den staatlichen Militärapparat in ein Verhältnis zur Gesellschaft als Ganzes. Dabei wird Militarisierung in einem engen Sinn als dem staatlichen Militärapparat zur Verfügung stehende Ressourcen definiert. Der GMI fasst die Bedeutung des Militärapparats in den drei Kategorien Militärausgaben, Personalstärke und Waffensysteme zusammen. Einige dieser Kategorien werden dann in Relation zu sozialen Faktoren gesetzt. So werden die Militärausgaben in Beziehung zu den Gesundheitsausgaben oder das militärische Personal in Beziehung zur Anzahl von Ärzten gesetzt. In einem Ranking von 151 Staaten kommt Israel dabei auf Rang 3 nach Eritrea und Syrien. Das BICC betont zwar, dass sich aus dem Index keine normative Bewertung ableiten lässt, aber es ist mehr als interessant, dass unter den ersten zehn allein sieben Länder des Nahen Ostens zu finden sind.



Verteidigungsausgaben Israels

Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute SIPRI waren im Jahr 2007 ca. 12 Milliarden US-Dollar im israelischen Haushalt für das Verteidigungsministerium vorgesehen. Dies entspricht einem Anteil von 17,6% am israelischen Staatshaushalt. Umgerechnet auf den Anteil der Verteidigungsausgaben am Brutto-Inlandsprodukt kommt man auf einen Anteil von 8%. Im internationalen Vergleich liegt Israel damit weit über dem Durchschnitt von 2,5 % des Brutto-Inlandsprodukts (SIPRI Yearbook 2008). In den Nachbarländern liegen die Anteile der Verteidigungsausgaben am BIP zwischen 2,7% (Ägypten) und 5% (Jordanien, Syrien). Zwischen 2000 und 2007 sind die israelischen Militärausgaben um 20% von 9,6 auf 12,3 Milliarden US-Dollar gestiegen. Damit liegt Israel im internationalen Trend steigender Militärausgaben.

Interessant ist auch der Blick auf die Anzahl von SoldatInnen und ReservistInnen in Israel. Im Jahr 2007 waren laut IISS 177.000 Israelis Mitglieder der IDF. Dazu kommen 8.000 paramilitärische Kräfte und 565.000 ReservistInnen. Auf den Anteil des militärischen Personals incl. der Reserve an der Bevölkerung umgerechnet, belegt Israel weltweit den 3. Rang. Die große Bedeutung der IDF als Volksarmee mit einem verpflichtenden Militärdienst von 36 Monaten für Männer und 24 Monaten für Frauen lässt sich aus der israelischen Geschichte und dem Bedürfnis und der Notwendigkeit zur Schaffung einer sicheren Heimstatt für das jüdische Volk ableiten. Dies heißt aber umgekehrt, dass die Gesellschaft auch die immensen Kosten dieser Volksarmee zu tragen hat und bis heute ungefragt trägt.



Waffenimport und -export

Israel ist der neuntgrößte Waffen-Importeur auf der Welt. Zwischen 2000 und 2007 importierte Israel nach Angaben von SIPRI Waffen im Wert von insgesamt ca. 5 Milliarden US-Dollar. Der Großteil dieser Importe stammt aus den USA. Aus den EU Ländern wurden allein im Jahr 2007 Rüstungsgüter im Wert von 200 Millionen Euro nach Israel exportiert. Aus Deutschland importierte Israel zwischen 1999 und 2006 Waffen im Wert von ca. 800 Millionen Euro. Dabei waren das wichtigste deutsche Exportgut U-Boote. Diese bekommen eine große Brisanz, wenn man bedenkt, dass sie für die Bestückung mit Atomwaffen umrüstbar sind. Israel ist zur Zeit noch der einzige Staat der Region, der im Besitz von strategischen Atomwaffen ist. In den Nachbarländern Jordanien und Syrien lagen die Waffenimporte auf einem wesentlich niedrigeren Niveau. Nur Ägypten importierte im besagten Zeitraum Waffen in einer ähnlichen Größenordnung.



Aussagen über die Kosten der Besatzung

Die israelische Regierung begründet bis heute ihre immensen Militärausgaben mit der Bedrohung durch arabische Nachbarstaaten, obwohl mit den beiden Nachbarstaaten Jordanien und Ägypten Friedensverträge geschlossen wurden. Umso spannender ist die Frage, welcher Anteil der Verteidigungsausgaben für die Besatzung der Westbank verwendet wird. Der israelische Ökonom Shlomo Swirski stellte in einer Studie für das ADVA Center in Israel fest, dass "[t]here is no way we can calculate the full budgetary cost of Israel`s military control of the Palestinian territories - the cost of command centers, special forces, the extensive use of reserve units, etc. This is because most of the budget books about defense expenditures are secret". Seiner Ansicht nach sind die einzigen Indikatoren für eine grobe Schätzung der militärischen Kosten der Besatzung die im Haushalt extra ausgeschriebenen Zusatzausgaben für IDF Operationen in der Westbank und im Gazastreifen. So flossen laut Swirski zwischen 2000 und 2008 jährlich zwischen 125 und 1.330 Millionen US-Dollar in militärische Aktionen in der Westbank und im Gazastreifen.

Einen neuen Kostenfaktor stellt die seit 2003 in Bau befindliche Sperranlage dar, die die Bevölkerung der Westbank von Israel und seinen Siedlungen abtrennen soll, um Israel, so die offizielle Begründung, vor Terroranschlägen zu schützen. Umstritten ist die Sperranlage vor allem aufgrund ihres Verlaufs innerhalb der Westbank und der einseitigen Folgekosten für die lokale palästinensische Bevölkerung. Die Gesamtkosten für den über ein Jahrzehnt geplanten Bau werden auf ca. 3,25 Milliarden US-Dollar geschätzt. Ebenso wie die extra-budgetären Kosten für Militäroperationen in der Westbank sind diese Kosten den israelischen Verteidigungsausgaben hinzuzurechnen.



Externe Finanzierung des Militärhaushalts

Israel empfängt jährlich umfangreiche Militärhilfen aus dem Ausland, hauptsächlich aus den USA. Damit wird bis zu einem Fünftel des israelischen Militärhaushalts bestritten. Nach Angaben des World Policy Institute stellten die USA zwischen 2001 und 2007 Israel ca. 19,5 Milliarden US-Dollar für Militärausgaben zur Verfügung. Israel ist damit der größte Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe. Dabei ist die externe Finanzierung von Haushaltsausgaben für Israel nichts Ungewöhnliches. Seit der Staatsgründung empfing Israel umfangreiche Zahlungen, insbesondere aus Europa in Form von Reparationszahlungen und aus den USA in Form von Krediten und direkten Geldzahlungen vor allem für Wirtschaftsprogramme, sowie riesige Summen privater Spenden.



Fazit

Die hohen Militärausgaben werden zum großen Teil mit dem ungelösten Palästina-Konflikt sowie mit der Bedrohung durch arabische Nachbarstaaten gerechtfertigt. Israel befindet sich hier in einem klassischen Sicherheitsdilemma. Ohne die umfangreiche Militärhilfe aus den USA wären die hohen Militärausgaben für Israel volkswirtschaftlich jedoch nur schwer zu bewältigen. Dabei liegen die steigenden Militärausgaben im internationalen und vor allem im regionalen Trend. Der Nahe und Mittlere Osten ist die am stärksten militarisierte Region der Welt. Und so bergen die immensen Waffenkäufe die Gefahr, den Rüstungswettlauf in der Region weiter anzuheizen, anstatt Frieden und Kooperation zu fördern.

Andererseits sind die IDF ein wichtiger Arbeitgeber in Israel, der einen großen Beitrag zum Lebensunterhalt der israelischen Bevölkerung leistet. In der Wissenschaft ist des Weiteren umstritten, welche Folgen hohe Militärausgaben für die Volkswirtschaft haben. Insbesondere in Israel wird davon ausgegangen, dass die hohen Investitionen in Militärtechnologie in den 80er und 90er Jahren den Hightech-Boom im Land mit vorbereitet und damit zumindest anteilig zum gesamtgesellschaftlichen Wohlstand beigetragen haben. Nichts desto trotz ist jede andere Form der Wirtschaftsförderung produktiver als der Umweg über die Rüstungsproduktion.





Felix Koltermann ist studierter Kommunikationsdesigner und Fotograf und absolviert zur Zeit den Aufbaustudiengang "Peace and Security Studies" des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.

E-Mail: felix (Punkt) koltermann (at) gmx (Punkt) de

Website: www.kontext-nahost.de
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