FF2011-1


 voriger

 nächster

FF2011-1

 Hintergrund

Buchbesprechung

Geschlechterverhältnis, Demütigung und globale Sicherheit

Uta Ottmüller

In der Friedens- und Konfliktforschung gehört das Verhältnis der Geschlechter (Gender) immer noch zu den Spezialthemen. In ihrem neuen Buch: Gender, Humiliation, and Global Security weist Evelin Lindner diesem stets kulturell geformten Verhältnis zentrale Bedeutung für die Veränderungen zu, die die aktuelle Krisensituation (sei sie als Finanzkrise, zunehmende ökologische Gefährdung oder Krise der globalen Sicherheit begriffen) erfordert.

Die Autorin, die über die Psychologie der Genozide in Somalia, Ruanda/Burundi und in Nazi-Deutschland promovierte und als Psychotherapeutin, Konflikt- und Sozialforscherin u.a. in Norwegen, Ägypten, Japan, Ruanda, Somalia, Indonesien, China, den USA und Neuseeland tätig war, gründete 2001 unter der Netzadresse humiliationstudies.org ein weltweit aktives Netzwerk von ForscherInnen, Friedens- und Bildungsfachkräften.


In einem Interview (Quelle s.u.) bezeichnet sie Demütigung als "die gefährlichste Triebkraft des Weltgeschehens und ... das grösste Hindernis für den Frieden" und erläutert: "Hitler verstand es, die Gefühle einer Bevölkerung in einem großen Narrativ nationaler Demütigung zu bündeln. Dasselbe hat auch Milosevic getan oder die Hutu-Elite, die den Völkermord in Ruanda organisierte. Dazu kam, dass ich als Psychotherapeutin erlebte, dass es fast nichts gibt, das Beziehungen so nachhaltig zerstört wie Demütigung." Mit Rückgriff auf die Neurowissenschaften, die die hirnphysiologische Nähe der Rezeptoren von `sozialem Schmerz` und `physischem Schmerz` aufzeigten, betont sie die extreme Aggressivität, die durch Demütigung auf privater Ebene, wie auch auf der Ebene ethnischer, religiöser und nationaler Konflikte, ausgelöst werden kann.

Lindner bettet ihre weltweiten Beobachtungen und Lösungsvorschläge in einen langfristigen menschheitsgeschichtlichen Kontext ein, der jahrtausendelang von wechselseitigen territorialen Bedrohungen gekennzeichnet war und im Innern der jeweiligen Gruppen Systeme von nach Rang abgestufter Ehre (ranked honor) hervorbrachte. Diesen entsprach das "Modell des strengen Vaters", der in "Ehrengesellschaften" Kinder mit allen Mitteln zu gehorsamen Untertanen erziehen sollte und auch die Mutter mehr oder weniger gewaltsam dominierte. In diesem System bestimmten Eltern auch die Ehepartner ihrer Kinder.

Seit der Erklärung der Menschenrechte wird das Prinzip der Ehre sukzessive durch das der Würde ersetzt, die jedem Menschen zusteht. In den Familien bedeutet dies neben dem Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit das Recht auf freie Partnerwahl.

Besonders gelungen ist Lindner das Kapitel zur `Rettung der Elternschaft`. Nachdem die Liebesheirat sich nicht nur in westlichen Ländern durchgesetzt hat, sondern auch weltweit verbreitet, stellt sich die Frage nach einem angemessenen Umgang mit der `Zerbrechlichkeit` der Liebe. Vor allem im Interesse der Kinder fordert Lindner, Scheidung `konstruktiver` zu machen. Zur Begründung zeigt sie die Folgen unreifer und frauenbenachteiligender Elternschaft weltweit. In vielen Gesellschaften, z.B. in Kenya, sind Frauen derzeit meist nur so lange für Männer interessant, wie sie jung und kinderlos sind. Lateinamerikanische Mütter schicken ihre Kinder auf die Straße, wenn ihr neuer Mann die Kinder des vorherigen nicht in seinem Haus duldet. Indische Frauen werden oft von ihren Männern verlassen, wenn sie sich weigern, ihre weibliche Foeten abzutreiben. 1,2 Millionen Kinder werden jährlich verkauft.

Parallel zu den oft oberflächlichen Partnerbeziehungen in arrangierten Ehen in Ägypten oder Japan fand Lindner intensivierte Mutter-Sohn-Beziehungen, die bei den Söhnen die Beziehungsfähigkeit stört und zu polygamem Pascha-Verhalten einerseits und Kamikaze-Bereitschaft anderseits führen kann.

Als Alternative beschreibt sie neue Familienformen in Norwegen. Hier werden erweiterte Familien als Nach-Scheidungs-Arrangements erprobt, in denen beide geschiedenen Elternteile sich bemühen, den Kindern einen erweiterten Lebenskontext zu bieten. Sie kommentiert: "Die Erfolge, die ich beobachtet habe, bestätigen die Tatsache, dass Scheidung nicht per se schmerzhaft ist. In einem kulturellen Kontext, wo veraltete Erwartungen - und entsprechend veraltete Ursachen für Hass und Kreisläufe gegenseitiger Demütigung - keine Rolle mehr spielen, enthalten die noch ausstehenden Transformationen das Potential, die Beteiligten mit Wachstum, Reifung und Vielseitigkeit auszustatten." (Übers. U.O.) Nicht zuletzt wird durch neue Formen der Elternschaft eine stärkere Beteiligung von Frauen an gesellschaftlichen Leitungsfunktionen ermöglicht.



Evelin Lindner (2010) Gender, Humiliation, and Global Security: Dignifying Relationships from Love, Sex, and Parenthood to World Affairs, Vorwort von Desmond Tutu. New York, Praeger. ISBN: 0-313-35485-5, ca 40 EUR

http://www.humiliationstudies.org/documents/evelin/ZuericherZeitungOriginal.pdf





Dr. Uta Ottmüller ist Soziologin, Konfliktforscherin und Pädagogin sowie langjähriges Fördermitglied im Netzwerk Friedenskooperative. www.Uta-Ottmueller.de

E-Mail: uta (Punkt) ottmueller (at) web (Punkt) de
 voriger

 nächster




       


Bereich:

FriedensForum
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
        
Netzwerk  Themen   Termine   AktuellesHome