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 Atomkraftwerke abschalten!

Eine "Renaissance" der Atomenergie beschleunigt die Weiterverbreitung von Atomwaffen

Aram Wegerhoff und Xanthe Hall

Am 14. Juni 1946 stellte der US-amerikanische Repräsentant Bernard Baruch vor der Atomenergiekommission der Vereinten Nationen einen Plan vor. Die USA seien bereit, ihr gesamtes Atomarsenal aufzugeben, wenn zuvor durch Inspektionen und andere Sicherungsmaßnahmen dauerhaft der Bau von Atombomben in anderen Ländern ausgeschlossen werden könne. Außerdem sollte die zivile Nutzung der Atomenergie weltweit unter die Aufsicht und das Management einer noch zu schaffenden Internationalen Atomentwicklungsbehörde gestellt werden.

Dieser so genannte "Baruch-Plan" scheiterte. Seit einigen Jahren tauchen ähnliche Ideen zu einem internationalisierten Regime jedoch wieder vermehrt in der Debatte über die Verbindung zwischen der zivilen Nutzung der Atomenergie und der Weiterverbreitung von Atomwaffen auf. Das hat zwei wesentliche Ursachen: Zum einen streben einige Staaten - 25 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl - eine "Renaissance" der Kernenergie an. Und zweitens rücken die durch die damit einhergehende Nutzung sogenannter "dual use"-Technologien entstehenden Proliferationsrisiken zunehmend ins Blickfeld von Experten und interessierter Öffentlichkeit.



Das Problem

Die Befürworter der Kernenergie erhoffen eine verstärkte Nutzung in der Zukunft. Diese ist vor allem darauf zurückzuführen, dass insbesondere Staaten mit hohem Wirtschaftswachstum, wie zum Beispiel China, Südkorea und Brasilien, angesichts ihres dadurch verursachten erhöhten Energiebedarfs auf den Bau von vermeintlich "sauberen" Atomkraftwerken setzen, um ihre Energieversorgung sicherzustellen. Außerdem sehen diese Länder darin einen Weg, ihren Ausstoß an CO2-Emissionen zu begrenzen. Sie klammern dabei die Emissionen aus, die aus den anderen Gliedern der "Nuklearkette" entstehen. Außerdem ignorieren sie die bekannten Probleme wie Kraftwerksicherheit, Müllentsorgung und -endlagerung. Dennoch haben viele weitere Staaten daher bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Interesse an Atomtechnologie und -energie angemeldet. Ob dies zu einem größeren Anteil der Kernenergie an der weltweit erzeugten Gesamtstrommenge führen wird, darf zwar bezweifelt werden, da ältere Anlagen stillgelegt werden und in vielen Ländern die Kernenergieprogramme noch nicht sehr weit fortgeschritten sind. Dennoch könnte diese Entwicklung dazu führen, dass die Weiterverbreitung von Atomwaffen spürbar beschleunigt wird.

Das hat in erster Linie folgende Gründe: Wichtige Atomtechnologien, wie beispielsweise die Urananreicherung und die Wiederaufarbeitung von Brennstäben, können sowohl für den Betrieb von Kernkraftwerken als auch zur Herstellung von Spaltmaterial für Atombomben genutzt werden. Für die Verwendung in Atomkraftwerken wird Uran in der Regel nur auf einen Uran-235-Gehalt von 3-5% (Reaktorgrad) angereichert. Mit denselben - mehr oder weniger aufwendig modifizierten - Anlagen lässt sich Uran aber auch auf die über 90% Uran-235 (Waffengrad) anreichern, das normalerweise für den Bau von Atombomben verwendet wird.

Dieses Problem ist es, das an der Wurzel der Krise um das iranische Atomprogramm liegt. Dieser gibt zwar an, rein zivile Absichten zu verfolgen, und bisher konnte nichts Gegenteiliges bewiesen werden. Dennoch könnte ihn sein Anreicherungsprogramm in die Lage versetzen, Atombomben bauen zu können. Dazu müsste er eine vor den IAEO-Inspektoren verborgene Anlage bauen, wo er unbemerkt reaktorgradiges Uran bis zum Waffengrad weiter anreichern könnte. Irans Informationspolitik über das Atomprogramm - beispielsweise hinsichtlich der neuen Urananreicherungsanlage in Qom - hat das Vertrauen in die rein zivile Natur seines Atomprogramms beschädigt. Iran müsste jedoch weitere technische Probleme lösen, die unter anderem mit der Erforschung von Zündungsmechanismen und Sprengkopfdesigns verbunden sind, bevor das Land einsetzbare Atomwaffen bauen könnte. Außerdem läuft das Anreicherungsprogramm nicht so wie geplant, besonders nach dem es durch einen Cyberangriff teilweise Funktionsprobleme bekam.

Die Wiederaufbereitung von Brennstäben ist mitverantwortlich für die immer größer werdenden Bestände an überschüssigem Plutonium. Nach Zahlen für 2009 lagen die zivilen und militärischen Bestände an abgetrenntem Plutonium bei zusammen etwa 500 Tonnen. Allein die zivilen Bestände enthalten genug Material für mehr als 30.000 Atombomben. Da die Wiederaufbereitung schwer zu kontrollieren ist und die IAEO nie mit vollkommener Sicherheit feststellen kann, ob Plutonium zur Waffenproduktion abgezweigt wird, sollte diese Technologie gänzlich aufgegeben werden.



Das Nichtverbreitungsregimes fördert die Weitergabe

An dieser Stelle ist Kritik am gegenwärtigen Nichtverbreitungsregime angebracht. Wesentliche Elemente dieses Regimes sind nämlich darauf angelegt, die zivile Nutzung der Kernenergie zu fördern, als Angebot an die Staaten, die auf die Entwicklung von Atomwaffen verzichtet haben. So legen beispielsweise die Statuten der IAEO fest, dass die Organisation die zivile Nutzung der Atomenergie fördern und gleichzeitig deren militärische Nutzung verhindern soll.

Ähnlich verhält es sich mit dem Atomwaffensperrvertrag (NPT = Non-Proliferation Treaty). In Artikel IV des Vertrages wird das "unveräußerliche Recht" der Vertragsparteien auf die "friedliche" Verwendung der Kernenergie festgeschrieben und zum "weitestmöglichen Austausch" von Ausrüstung und Informationen, um die friedliche Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, verpflichtet. Gleichzeitig sagen alle atomwaffenfreie Staaten zu, Atomwaffen "weder zu bauen noch sonst wie zu erwerben" zu. Darüber hinaus verpflichten sich alle Vertragsparteien in Artikel VI zu "in redlicher Absicht" geführten Verhandlungen über einen "Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung" der Atomwaffen.

Wie bereits angedeutet, sind diese beiden Ziele nicht miteinander vereinbar. Sobald ein Staat die notwendige Technologie für den Betrieb von Teilen oder des kompletten Brennstoffkreislaufs erhalten hat, ist er theoretisch auch zur Produktion von spaltbarem Material für Atombomben in der Lage. Es entsteht ein "virtueller" Atomwaffenstaat, der bei Bedarf innerhalb relativ kurzer Zeit (abhängig von den technischen Vorarbeiten) eine einfache Atombombe bauen kann. Urananreicherungsanlagen und andere Aktivitäten, die zum Bau einer Atombombe führen könnten, lassen sich vor Inspektoren verstecken. 16 Staaten haben bekanntlich entweder Urananreicherungs- oder Wiederaufarbeitungsanlagen (den sog. geschlossenen Brennstoffkreislauf) und insgesamt 44 Länder haben Atomkraft- oder Forschungsreaktoren.



Gibt es eine technische Lösung?

Damit die ausgeweitete Nutzung der Kernenergie nicht gleichzeitig zur Weiterverbreitung von Atomwaffen führt, gibt es verschiedene Vorschläge, wie diese beiden Entwicklungen entkoppelt werden könnten: Eine in letzter Zeit wieder gründlicher erwogene Möglichkeit wäre zum Beispiel, eine international kontrollierte und garantierte Versorgung mit Nuklearbrennstoff als einer Art "Brennstoffbank" zu gewährleisten. Dadurch könnten neue Nutzer der Atomenergie auf eigene Kapazitäten zur Urananreicherung verzichten. Ein solches Projekt ist Ende 2010 bereits in Russland verwirklicht worden, wo in der sibirischen Stadt Angarsk unter Federführung der IAEO 120 Tonnen niedrig angereichertes Uran (LEU) gelagert werden. Außerdem hat der Gouverneursrat der IAEO am 3. Dezember 2010 die Errichtung eines teilweise aus einer privaten Großspende finanzierten internationalen Brennstoffvorrats beschlossen.

Viele Entwicklungsländer sind diesbezüglich allerdings weiterhin sehr skeptisch, weil sie nicht auf das Recht zur Entwicklung aller Atomtechnologien für einen geschlossenen Brennstoffkreis verzichten wollen, die ihre unabhängige Energiesicherheit gewährleisten kann. Darüber hinaus empfinden sie das Monopol der technologisch fortgeschrittenen Länder auf die Urananreicherung als diskriminierend. Um den für manche Länder inakzeptablen Zustand zu beenden, dass sie bei der Brennstoffversorgung auf einige wenige, meist westliche Länder angewiesen sind, müsste eigentlich die gesamte Urananreicherung unter internationale Kontrolle gestellt werden.

Intensivere Inspektionen gelten auch als Mittel, das die Weiterverbreitung von Atomwaffen zumindest verlangsamen könnte. Daher drängen viele Staaten auf das Abschließen eines "Zusatzprotokolls" mit der IAEO, manche verlangen dieses sogar als Pflicht für die weitere Unterstützung bei der Entwicklung von Atomenergie. Dennoch bringen Inspektionen, die noch weiter gingen als heutzutage, politische Schwierigkeiten mit sich. Zum einen müssten solche Inspektionen oft in die Autonomie und Souveränität der Staaten eingreifen, um Vertragsverletzungen zu entdecken. Die Informationen, die hierbei gesammelt werden, könnten auch z.B. in einem Cyberangriff gegen das Land verwendet werden, wie beim Fall "Stuxnet" im Iran. Außerdem dauert es in der Regel sehr lange, bis sich die Staatengemeinschaft auf die Ahndung von Rechtsverstößen einigt.

Verschärfte Exportkontrollen als weiteres Instrument werden ebenfalls häufig für diskriminierend gehalten. Außerdem hat hier die im Jahre 2008 von der Gruppe der nuklearen Lieferländer (NSG) erteilte Ausnahmegenehmigung zu ziviler Nuklearkooperation mit Indien, das nicht dem NPT beigetreten ist und nur unzureichend von der IAEO überwacht wird, ein schlechtes Beispiel gesetzt.

Wir sind der Meinung, dass politisch darauf hingearbeitet werden müsste, Technologien, die größere Proliferationsrisiken in sich bergen (z.B. Laserurananreicherung), nicht zu entwickeln und international zu vermarkten. Das Beispiel der Urananreicherung mit Gaszentrifugen, die leichter im Verborgenen betrieben werden kann als ältere Verfahren, verdeutlicht das. Nachteilig ist es, wenn anstelle von Technologien, die relativ weiterverbreitungsresistent sind, Technologien mit größeren Proliferationsrisiken geliefert werden (z.B. Schwerwasserreaktoren).



Nur die doppelte Nulllösung hilft

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die zivile Kooperation im Nuklearbereich nachgewiesenermaßen die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Bewaffnung des Empfängerlandes stark erhöht, insbesondere dann, wenn sich das Land in bewaffneten Konflikten mit anderen Staaten befindet. Umgekehrt gab es außer bei den ersten Atomwaffenstaaten (USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich) keinen Fall mehr, in dem ein Staat ohne vorherige zivile Nuklearkooperation mit einem anderen Land ein erfolgreiches Bombenprogramm gestartet hätte. Hier spielen der "dual use"-Charakter nuklearer Technologie eine wichtige Rolle, ebenso wie die Weitergabe von Wissen über Nukleartechnologie (zum Beispiel Ausbildung von Wissenschaftlern, Baupläne etc), das auch für zivile wie für militärische Zwecke genutzt werden kann.

Die große Mehrheit der Schriften zu den behandelten Themen stellt zwar in ihrer Problemstellung einen Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie her, aber nicht bei ihren Lösungsvorschlägen. Die bis hierher skizzierten Argumente machen jedoch deutlich, dass die komplette Abschaffung der Atomwaffen so lange nicht dauerhaft gelingen wird, wie die Anlagen zur atomaren Stromerzeugung weiter in Betrieb sind. Letztendlich kann das Problem also nur umfassend mit einer "Doppel-Null-Lösung", d.h. der vollständigen Abschaffung sowohl der Atomwaffen als auch der zivilen Kernenergienutzung, behoben werden.



Aram Wegerhoff ist Politikwissenschaftler und lebt in Düsseldorf. Er hat bei der IPPNW in der Geschäftsstelle mitgearbeitet.

Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin der IPPNW und internationale Campaignerin.



E-Mail: xanthe (at) ippnw (Punkt) de

Website: www.ippnw.de
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