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Erstellt:
09.07.1999


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FriedensForum 4/1999


Verstopfungsstrategie gegen AKWs

Jochen Stay

Die Kampagne "X-tausendmal quer - überall" setzt der rot-grünen Bundesregierung ein eigenes Atomausstiegskonzept entgegen.

Mitte Juni deckte der "Spiegel" die neuen Pläne der Anti-Atom-Bewegung auf: "Während die rot-grünen Bonner Regenten mit den Stromkonzernen um einen Ausstieg in ferner Zukunft feilschen, planen die Kernkraftgegner generalstabsmäßig den schnellen Atom-Knockout."

Worum geht es? Das Nachrichtenmagazin war auf die in großer Auflage kursierenden Aufrufe der Kampagne "X-tausendmal quer - überall" gestoßen. Nach dem Modell der großen gewaltfreien Sitzblockade in Dannenberg beim letzten Castor-Transport nach Gorleben 1997 wird nun bundesweit mobilisiert. Noch gilt der im Frühjahr `98 von Angela Merkel aufgrund des Skandals um kontaminierte Behälter verhängte Transportstopp. Geplant ist, den ersten Castor nach Aufhebung dieses Verbots mit großen Sitzblockaden zu behindern, und zwar egal, von wo nach wo dieser fährt.

Es ist nämlich gut möglich, dass der nächste Transport von einem deutschen AKW zur Wiederaufarbeitung nach Sellafield oder La Hague rollen soll. Durch die lange Pause bei den Atommüll-Abfuhren sind die Lagerbecken in den Kraftwerken mehr und mehr gefüllt. Innerhalb der nächsten 12 Monate droht bei einigen Reaktoren die völlige Verstopfung - die Kraftwerke müssten abgeschaltet werden, weil kein Platz für den Müll mehr da ist.

Die Regierung hat den AKW-Betreibern versprochen, dass kein Reaktor wegen fehlender Entsorgung vom Netz gehen muss. Deshalb sollen die Transporte rechtzeitig wieder rollen. Dies will die Anti-Atom-Bewegung mit ihrer "Verstopfungsstrategie" verhindern. Neben der Sitzblockade von "X-tausendmal quer - überall" wird es vielfältige andere Aktionen des Widerstandes geben - ein buntes Bild wie aus Gorleben und Ahaus bekannt.

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"Der Plan ist simpel, die Folgen für die Nuklearbranche sind womöglich gravierend", kommentiert der "Spiegel". Denn wenn sich beim ersten Transport Tausende querstellen, dann ist dieser erste schon wieder für lange Zeit der letzte, weil die rekordverdächtigen Großeinsätze der Polizei nur ein- bis zweimal im Jahr möglich sind. Das reicht aber nicht aus, um allen anfallenden Atommüll durch die Lande zu schicken. Die Verstopfung nimmt ihren Lauf: "Die Planspiele der Widerständler könnten den Chefs der Stromkonzerne schon bald jene Lösung aufzwingen, die sie derzeit noch mit aller Macht verhindern möchten: einen schnellen Atomausstieg - ohne Milliarden-Entschädigungen aus öffentlichen Kassen."

Dies bestätigt in einem Interview auch RWE-Chef Dietmar Kuhnt. Der will vom Umweltminister innerhalb der nächsten Monate wieder Transportgenehmigungen, sonst wird er Schadenersatz einklagen. Auf die Frage, ob das nicht zum unternehmerischen Risiko gehört, schließlich könne er auch keine Regressansprüche stellen, wenn die Transporte durch höhere Gewalt wie z.B. Demonstrationen verhindert würden, antwortet Kuhnt: "Richtig, gegen höhere Gewalt kann man nichts machen."

Schon sind 2.400 Menschen bei "X-tausendmal quer - überall" eingestiegen, in 45 Städten gibt es Regionalkontakte der Kampagne. Michael Friedrich von der "Oldenburger Initiative gegen Atomanlagen (OlgA)": "Der atompolitische Kurs der Bundesregierung treibt die Menschen geradezu auf die Schienen und Straßen, um der Atomindustrie einen Strich durch ihre Rechnung zu machen."

Es ist eine in der Geschichte der Anti-AKW-Bewegung wohl bisher einmalige Konstellation. Wiebke Herding, die ebenfalls bei "X-tausendmal quer - überall" mitmacht, beschreibt das so: "Ich finde das irre. Zum ersten Mal kann eine Protestbewegung in diesem Land umstrittene Projekte alleine dadurch zu Fall bringen, dass genügend Menschen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind. Das ist ja das Geniale an dieser Verstopfungsstrategie: Es kommt gar nicht darauf an, ob wir den ersten Castor tatsächlich aufhalten oder nicht. Wichtig ist nur, dass wir die anti-atomare Kettenreaktion auslösen: Viele BlockiererInnen erfordern viel Polizei. Viel Polizei bedeutet viele Überstunden. Viele Überstunden bedeuten langes Warten auf den nächsten Transport. Seltene Transporte bedeuten Entsorgungs-Notstand in den AKWs. Und der Entsorgungs-Notstand führt schließlich zum Abschalten."

Die Bundesregierung streitet sich darum, ob in dieser Legislaturperiode noch zwei oder ein oder kein Reaktor abgeschaltet werden soll. Ist die Verstopfungsstrategie der Bewegung erfolgreich, dann sind bis zur nächsten Wahl bereits elf AKWs vom Netz.

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Jochen Stay ist Koordinator der Kampagne "x-tausendmal quer - überall"

E-Mail:   j.stay@jpberlin.de





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