Bundeswehr out of area in Afghanistan

Der gescheiterte Afghanistaneinsatz

von Otmar Steinbicker
Schwerpunkt
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Die Bundeswehr begann ihren Einsatz in Afghanistan auf der Grundlage des Bündnisfalles nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Dem lag die Annahme zugrunde, die Terrororganisation Al Quaida habe die Angriffe vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon zu verantworten, denen mehr als 3.000 Menschen zum Opfer fielen. Die NATO wertete damit diese Terroraktionen als Angriffe auf das NATO-Mitglied USA und sah sich in der Bündnispflicht. Unbestritten unterhielt Al Quaida zu dieser Zeit Ausbildungslager in Afghanistan, und ihr Anführer Osama bin Laden hielt sich in Afghanistan auf. Die Taliban lehnten eine vom UNO-Sicherheitsrat geforderte Auslieferung bin Ladens an die USA ab.

Daraufhin gingen die USA ein Bündnis mit den Anti-Taliban-Kämpfern der afghanischen Nord-Allianz ein, die am 7. Oktober 2001 mit US-Luftunterstützung die Stellungen der Taliban in Afghanistan angriffen. Der Bundestag beschloss am 16. November 2001 eine militärische Beteiligung an der „Operation Enduring Freedom“ im Rahmen des 2001 von den Vereinigten Staaten ausgerufenen „Krieges gegen den Terrorismus“. Dazu gehörte auch der Einsatz von 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan.

Eine entscheidende Schlacht wurde im Dezember 2001 um die Bergfestung Tora Bora unweit der pakistanischen Grenze geführt. Hier vermutete die USA Osama bin Laden, doch er konnte dort nicht gefasst werden. Nach einem Bericht der FAZ im August 2008 nahmen auch deutsche Soldaten des KSK an diesen Kämpfen teil.

Der damalige Kommandeur des deutschen Einsatzes, General Friedrich Riechmann, gestand mir gegenüber in einem längeren Gespräch im Jahr 2007 ein, dass ihm bereits damals klar geworden war, dass der Afghanistaneinsatz gescheitert war. Hätte man bin Laden töten oder gefangen nehmen können, so hätte man Afghanistan als „Sieger“ verlassen können, so aber saß man in einem Land fest, das man nicht kannte und dessen Menschen und Kultur man nicht verstand.

Vom 27. November bis zum 5. Dezember 2001 fand auf dem Petersberg in Königswinter bei Bonn eine Konferenz von vier Delegationen verschiedener afghanischer Gruppierungen statt, die sich im Petersberger Abkommen auf einen Stufenplan zur Machtübergabe an eine demokratisch legitimierte Regierung einigten. Eine Interimsverwaltung wurde bestimmt, und durch den UNO-Sicherheitsrat (Resolution 1386) wurde eine von NATO-Staaten und mehreren Partnerländern gestellte Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) unter Beteiligung der Bundeswehr mandatiert und „vorübergehend“ in Kabul stationiert, um die Sicherheit der Interimsverwaltung zu gewährleisten. Diese Aufgabe erschien zeitlich begrenzt und militärisch ohne größere Risiken durchführbar.

Ab 2004
Eine gänzlich andere Richtung wurde mit der Ausweitung des ISAF-Mandats auf die afghanischen Provinzen ab Januar 2004 eingeschlagen, als Provincial Reconstruction Teams (PRT) sowohl militärische Sicherungs- als auch zivile Wiederaufbauaufgaben durchführen sollten. Manche gut gemeinten Ansätze von NGOs scheiterten allerdings an der Unkenntnis der afghanischen Geschichte, Tradition und Kultur, was zu Widersprüchen und kleineren Konflikten führte.

Wesentlich problematischer waren allerdings die Militäraktionen der US-Armee, die nicht selten gegen Zivilist*innen vorging und auch Hochzeitsgesellschaften bombardierte. Daraus entwickelte sich ein zunehmender Widerstand in der afghanischen Bevölkerung, der die Taliban wieder erstarken ließ. Obendrein richtete sich der Zorn der Afghan*innen zum Teil auch gegen die Soldat*innen anderer Nationen als Teile der ausländischen Truppen.

General Riechmanns Bilanz 2007 nach seiner Pensionierung: Militär könne keinen Frieden schaffen, Militär könne nur Zeit gewinnen, damit Politiker*innen Frieden schaffen können. Diese Zeit habe man in Afghanistan geschaffen, die Politiker*innen hätten sie aber nicht genutzt.

Die Bundesregierung war nicht an einer militärischen Eskalation in ihren Verantwortungsbereichen, den PRTs in Kunduz und Faizabad, interessiert, wurde aber von den USA bedrängt, militärisch gegen die Taliban vorzugehen. Im Frühjahr 2010 berichtete der damalige Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Bernd Mützelburg, im kleinen Kreis von Versuchen, mit den Taliban einen Deal zu schließen, der bei von den USA erzwungenen Patrouillen nach der Devise verlaufen sollte: „Wir sehen Euch nicht und Ihr schießt nicht auf uns.“

Das Scheitern war bekannt
Dass der Afghanistaneinsatz in Gänze gescheitert war, wussten zu diesem Zeitpunkt die verantwortlichen Militärs. Im Januar 2009 erklärte der damals formelle Oberkommandierende der ISAF-Truppen, der deutsche General Egon Ramms, am Rande einer Veranstaltung in Aachen gegenüber Andreas Buro und mir, ihm sei bewusst, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen werden müsste. „Noch ein halbes Jahr ausbilden und dann nichts wie raus“, lautete seine Empfehlung. Nach dem von Oberst Klein befohlenen Bombardement von Zivilist*innen bei Kunduz unterstützte Ramms einen Vorschlag der Kooperation für den Frieden für einen regionalen Waffenstillstand, der möglichst umgehend auf das ganze Land ausgedehnt werden sollte. Er scheiterte damit allerdings an US-Kommandeur Stanley McChrystal, dem Einsatzführungskommando in Potsdam und der Bundesregierung.

Im Auswärtigen Amt lehnte Bernd Mützelburg die Waffenstillstands-Initiative aus einem interessanten Grund ab: Sie ging ihm nicht schnell genug. Über Monate Waffenstillstände von Provinz zu Provinz auszuhandeln, dauere viel zu lang. „Wir wollen sofort mit den Taliban verhandeln, und wenn ein akzeptabler Vertrag unterschrieben ist, dann nichts wie raus aus Afghanistan“, benannte er seine Devise im kleinen Kreis. Bei den Taliban löste diese Bemerkung die Frage aus, was sie denn unterschreiben sollten, damit die ausländischen Truppen abziehen würden. Schließlich rangen sie sich durch, Frauenrechte wie Ausbildung, Berufstätigkeit und Wahlrecht zu akzeptieren.

Durch Vermittlung von General Ramms und den afghanischen Stammesführer Naqibullah Shorish kam es im Juli und August 2010 in Camp Warehouse in Kabul zu Gesprächen zwischen ISAF-Offizieren, darunter auch Bundeswehroffiziere, und hohen Talibanführern, in denen sich schnell ein praktikables Herangehen an eine Friedenslösung abzeichnete. Dass diese nicht realisiert wurde, lag auch in Verantwortung der Bundesregierung.
Nach der Pensionierung von General Ramms Ende September 2010 ließ sein Nachfolger General Wolf-Dieter Langheld alle Gesprächskontakte mit den Taliban kappen. Obendrein begann die Bundeswehr am 31.10.2010 mit der Operation Halmazag im Distrikt Char Darah bei Kunduz die erste deutsche Offensive seit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei gelang es, einen militärischen Außenposten einzurichten und zu halten. Letztlich war damit aber nicht viel gewonnen. Im Frühjahr 2011 sah ein Journalist im Distrikt Char Darah eine Gruppe Taliban in Diensten der Bundeswehr. Er wertete das als Rückversicherung.

Im September 2011 bestätigte der damalige Leiter des Afghanistan-Stabes im Auswärtigen Amt, dass nach ihm vorliegenden Informationen die Taliban in den von ihnen kontrollierten Gebieten Mädchenschulen zugelassen hätten.
Ab dem Sommer 2011 übergab die Bundeswehr nach und nach ihre Sicherungsaufgaben im Norden Afghanistans an die Afghanische Nationalarmee. Im Oktober 2013 beendete die Bundeswehr schließlich ihren Abzug aus dem Feldlager Kunduz. Zum Jahreswechsel 2014/2015 beendete die NATO ihren Kampfeinsatz in Afghanistan.

Nach Ende des NATO-Kampfeinsatzes
Zurück blieben im Rahmen der Nachfolgemission „Resolute Support“ ab dem 1.1. 2015 vor allem Ausbilder*innen für die Afghanische Nationalarmee. Nach dem aktuell gültigen Beschluss des Bundestages vom 13. März 2020 können dafür bis zu 1.300 deutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.

Die Bundesregierung bezifferte 2012 die Kosten des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan in den zurückliegenden zehn Jahren auf 6,1 Milliarden Euro plus 1,7 Milliarden Euro für Wiederaufbau und Entwicklung.

Eine kritische Aufarbeitung des Afghanistaneinsatzes ist von der Bundesregierung vermieden worden. Dass der Einsatz ein Erfolg gewesen sei, wurde nach dem Abzug der Kampftruppen nicht mehr behauptet.

Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gibt es mittlerweile. Ihre Aussichten sind ungewiss. Ohne Unterstützung seitens der verbliebenen US-Truppen dürfte die Lage der Regierungstruppen ziemlich aussichtslos sein. Die Taliban wissen das und spielen ihrerseits auf Zeit.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de