Die letzte starke Antikriegsbewegung vor 2022

Der Irak-Krieg 2003

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Der zweite Irakkrieg (1) 2003, zwei Jahre nach Beginn des Krieges in Afghanistan 2001, stand im Kontext des von den USA und der NATO ausgerufenen „Kriegs gegen den Terror“. Der Irak hatte seit seiner Invasion Kuwaits im Jahr 1990 unter schweren Sanktionen der USA und der UN gestanden, die nach Zahlen der Vereinten Nationen 500.000 Kindern das Leben kosteten. Der Krieg wurde durch die Behauptung vorbereitet, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze und die Arbeit von UN-Inspekteuren, die dies nachprüfen sollten, verhindere.

Der Krieg fand ohne Billigung der Vereinten Nationen statt, auch wenn die USA und Großbritannien, die eine neue sog. „Koalition der Willigen“ anführten, anfänglich behaupteten, er sei durch die UN-Beschlüsse zu den Sanktionen gedeckt.

Er begann am 20. März 2003 als kombinierter Luft- und Bodenkrieg mit der Bombardierung Bagdads und dem Einmarsch von Truppen von Kuwait her. Am 1. Mai 2003 ging er mit der Eroberung Bagdads und dem Sturz von Hussein zu Ende. Es kam (und kommt bis heute) aber weiterhin zu Terroranschlägen und Kampfhandlungen, u. a. auch im Rahmen des völkerrechtlich illegalen vom der CIA betriebenen Programms gezielter Tötungen durch Drohnen. Der Krieg hatte auf beiden Seiten wesentlich mehr Opfer als der erste Irakkrieg gekostet: 5.000 alliierte Soldat*innen und über 10.000 irakische Soldaten und Polizisten starben. Die Zahl der zivilen Opfer ist auch in diesem Fall umstritten. Schätzungen reichen von 100.000 bis zu einer Million, wobei auch die Zeit nach dem offiziellen „Ende“ des Krieges mit einbezogen wird. (2)

Noch im gleichen Jahr wurde durch die Kriegskoalition eine neue irakische Regierung eingesetzt; US-Kampftruppen blieben aber bis 2010/2011 im Land.

Mehrere europäische Staaten, so auch Deutschland, beteiligten sich nicht an der „Koalition der Willigen“. (3) Sie bemängelten die fehlende Legitimation durch die UN und das Fehlen eindeutiger Nachweise, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze. Weitere Aspekte waren die Sorge über Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens, eine Schwächung der Anstrengungen in Afghanistan und erwartete hohe Folgekosten durch Besetzung und Wiederaufbau.

Die Antikriegsbewegung
Die Antikriegsbewegung gegen den Irakkrieg 2003 ist bis zum Ukrainekrieg die letzte große Massenbewegung gegen Krieg geblieben. Getragen in Europa wie in den USA von einer breiten Koalition aus Friedensgruppen, Gewerkschaften, Kirchen und anderen, bildete sie sich bereits vor Kriegsbeginn in 2002. Am 15. Februar 2003 gab es zeitgleich, koordiniert u. a. über das Europäische Sozialforum, Proteste in vielen Großstädten, u. a. in London, Rom und Barcelona. In Deutschland fand eine Großdemonstration in Berlin mit rund 500.000 TeilnehmerInnen statt. Insgesamt, so wird geschätzt, nahmen weltweit ca. neun bis zehn Millionen Menschen an den Protesten teil. Auch nach Beginn der Kriegshandlungen setzten sie die Proteste fort; allerdings erreichten sie nicht mehr dieselben Zahlen.

Ein Teil der Bewegung in Deutschland setzte auf Aktionen Zivilen Ungehorsams und organisierte die Kampagne „resist“. Sie begann mit einer Selbstverpflichtungserklärung, im Falle eines Angriffs auf den Irak Aktionen zivilen Ungehorsams zu leisten. Dazu gab es Aufrufe an Soldat*innen, den Einsatz zu verweigern.

Der Widerstand war Cortright (4) zufolge besonders stark in den Ländern, wo die Regierungen die Kriegsbemühungen unterstützten, wie in Großbritannien, Spanien und Italien. In Spanien und Italien lehnten mehr als 80 %, in der Türkei 86 % den Krieg ab. Aber auch in dem nicht zur „Koalition der Willigen“ gehörigen Deutschland lehnten 80 % der Bevölkerung den Krieg ab.

Der Widerstand schwappte auch über auf Soldat*innen der Länder, die an dem Krieg beteiligt waren. Wie in der Zeit des Vietnamkrieges sendeten Tausende von US-Armeeangehörigen einen „appeal to redress“ an amerikanische Kongressmitglieder und forderten den Abzug der Truppen.

Anders als in der Situation während des Irakkrieges 1991 gab es wenig Uneinigkeit in der Bewegung, und es gab auch keine Angriffe auf Israel wie 1991, die ein Umschwenken der Meinung hätten bewirken können. Man war sich in der Verurteilung des Krieges, der wie der Krieg 1991 als ein Krieg für Öl (und strategische Interessen) gesehen wurde, einig, ohne deshalb dem System von Saddam Hussein Sympathien entgegenzubringen, aber mit deutlichen Hinweisen auf den unrechtmäßigen Charakter der Sanktionen, die vor allem die Zivilbevölkerung betraf.

Wie 1991 ging der Krieg vergleichsweise schnell zu Ende. Nach Kriegsende zerfiel die Bewegung; der Versuch von Seiten der Friedensorganisationen, ihren Impetus auf die Bewegung gegen den Afghanistankrieg zu übertragen, muss als weitgehend gescheitert angesehen werden.

Erfolge der Antikriegsbewegung
Es gelang der Antikriegsbewegung nicht, die Invasion in den Irak zu stoppen. Dennoch hatte sie politische Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen. So gelang es den USA nicht, ihre offizielle Rechtfertigung des Krieges, nämlich das vorgebliche Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen, in der öffentlichen Meinung zu verankern. Im Februar 2003 zogen sie einen entsprechenden Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat zurück, und gingen zusammen mit ihrem Hauptverbündeten Großbritannien und einer Reihe weiterer Länder (darunter auch militärisch völlig unbedeutende, die sich aus der Beteiligung an dem Krieg Vorteile versprachen) ohne Mandatierung der UN vor. Cortright bezeichnet dies als einen „major victory for the global antiwar movement” (Cortright 2008:174, s. Anmerkung 4).

Ein vielleicht größerer Sieg war zweifelsohne die Nichtbeteiligung einer Reihe von Ländern an dem Krieg: Dazu gehörten in Europa neben Frankreich, Österreich und den skandinavischen Ländern auch Deutschland unter der sozialdemokratisch-grünen Koalition, die wenige Jahre zuvor, 1998/99, noch den ebenfalls nicht von den Vereinten Nationen gebilligten Angriff der NATO auf Jugoslawien mitgetragen und sich aktiv an ihm beteiligt hatte.

In Deutschland und Spanien hatte der Krieg Wirkung auf die anstehenden Wahlen: Beobachter*innen sehen einen Zusammenhang sowohl mit dem Sieg des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Schröder in Deutschland wie Zapateros in Spanien.

Anmerkungen
1 Oder dritter Golfkrieg – der erste Golfkrieg ist der Krieg Irak-Iran in den 1980er Jahren, der zweite Golfkrieg entbrannte, als der Irak 1990 Kuwait besetzte, das dann 1991 von einer Koalition der Willigen unter Führung der USA befreit wurde.
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Dritter_Golfkrieg#Verluste
3 Allerdings unterstützte Deutschland den Krieg indirekt doch, indem es Aufgaben der Verbündeten in anderen Regionen übernahm, US-Kasernen mit 7.000 Soldaten bewachte, weiter die AWACS-Aufklärungsmaschinen besetzte und den alliierten Truppen Überflugrechte gewährte.
4 Cortright, David (2008): Peace. A History of Movements and Ideas. Cambridge: Cambridge University Press

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Kürzung des entsprechenden Kapitels in: Schweitzer, Christine, mit Jörgen Johansen (2014) Kriege verhindern oder stoppen. Der Beitrag von Friedensbewegungen. IFGK Arbeitspapier Nr. 26, S. 56-59. Christine Schweitzer schrieb ihn als Mitarbeiterin des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung (ifgk.de).

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.