Überblick

Die Geschichte der Friedensbewegung der USA

von Joseph Gerson
Schwerpunkt
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Die US-Friedensbewegung kann am besten mit einem alten Fluss verglichen werden, der aus verschiedenen Strömungen besteht, die sich manchmal vermischen, manchmal jeder für sich fließt. Manchmal führt dieser Fluss wenig Wasser, aber mit den Stürmen angedrohter und realer Kriege steigt die Flut und wird, wie die New York Times es einmal nannte, „die zweite Supermacht“. Er kann trübe sein, und für viele US-AmerikanerInnen ist er ein mystischer Fluss, von dem sie nicht wissen, wie sie ihn finden oder sich ihm anschließen sollen.

Die Anfänge unserer Bewegung sind in der frühen amerikanischen Geschichte zu finden. Sie beginnen mit dem Respekt der QuäkerInnen für die Würde der Indianer und die frühe Ablehnung der Sklaverei durch eine Minderheit der QuäkerInnen. Die säkularen Wurzeln der Bewegung können in der Opposition zu dem Eroberungskrieg 1848 gegen Mexiko gesehen werden, als Persönlichkeiten einschließlich des späteren Präsidenten Lincoln den Krieg ablehnten, und Henry David Thoreau ins Gefängnis ging und seinen klassischen Essay „Über Zivilen Ungehorsam“ schrieb. Diese Kräfte schufen die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei. An der Wende zum letzten Jahrhundert schufen mächtige Strömungen innerhalb der US-Elite die Anti-Imperialistische Liga, um gegen den Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 und den anschließenden zehnjährigen Krieg zur Unterwerfung des philippinischen Volkes zu protestieren.

Es waren der Widerstand gegen den Ersten Weltkrieg und die Erkenntnis, dass er nicht „der Krieg zur Beendigung aller Kriege“ war, die die Fundamente für die moderne Friedensbewegung der USA legten. Zum ersten Mal war die US-Regierung gezwungen, Kriegsdienstverweigerung (KDV) durch die Mitglieder der traditionellen Friedenskirchen (Quäker, Mennoniten und Brethren) juristisch anzuerkennen. Das American Friends Service Committee (AFSC) wurde geschaffen, um für diese KDVer einen alternativen Dienst zu organisieren. Der Versöhnungsbund, geführt von A.J. Muste – einer der einflussreichsten Pazifisten des 20. Jahrhunderts – stellte eine Plattform für ProtestantInnen dar, die sich für Rechte der Arbeiter und gegen Krieg einsetzen wollten. Und die War Resisters‘ League, deren Führerschaft zu einem signifikanten Teil Frauen waren, diente als eine militantere und säkulare anarcho-pazifistische Heimat für KriegsgegnerInnen dar, die sich weigerten, auf irgendeine Weise mit dem Kriegssystem zu kooperieren. Diese Organisationen sind auch fast ein Jahrhundert später noch einflussreich.

Nach dem 2. Weltkrieg
Viele FriedensaktivistInnen waren tief in die Nachkriegskämpfe zur Schaffung von Gewerkschaften und für Arbeiterrechte involviert und schlossen sich ihren afroamerikanischen Schwestern und Brüdern in der Bürgerrechtsbewegung an – der zweiten Revolution Amerikas, die die rechtlich erzwungene rassistische Apartheid überwand. Und es war die Hölle des Zweiten Weltkriegs und der Mut von religiösen und säkularen PazifistInnen – Leuten wie Muste, David Dellinger, Igal Roodenko, Russel Johnson – die die frühen AnführerInnen von Kampagnen zur Abschaffung von Atomwaffen stellten. Aufgrund der Erfahrung von Frankreichs katastrophalem Kolonialkrieg in Afrika waren sie auch die ersten, die vor dem Vietnam-Krieg zu warnten und gegen ihn Widerstand leisteten.

Heutige Prioritäten der US-amerikanischen Friedensbewegung
Aus dieser Geschichte und unter dem Schatten der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki entstanden die beiden dominanten Strömungen der Friedensbewegung der USA – atomare Abrüstung und Anti-Imperialismus. Beide nehmen zu und ab in Reaktion auf katastrophale Politiken der USA und auf Ereignisse in der Welt, und fließen oft getrennt, ohne die gegenseitige Bezogenheit der Themen zu sehen und so das Potential der Bewegung zu maximieren.

Während Organisationen wie der AFSC die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki innerhalb weniger Tage verurteilten, waren es die Artikel von John Hersey und sein Buch „Hiroshima“ ein Jahr später (1946), das den US-AmerikanerInnen die Gefahren eines Atomkrieges zum ersten Mal bewusst machten. Als amerikanische und andere WissenschaftlerInnen die Gefahren radioaktiven Fallouts von den Atomwaffentests der USA und der Sowjetunion erkannten – einschließlich von Strontium 90 in der Muttermilch – begann eine wachsende Bewegung, vorwiegend aus der weißen Mittelschicht, das Ende der Tests und des atomaren Rüstungswettlaufs zu fordern. Gewaltfreie Aktionen einschließlich Zivilen Ungehorsams und die Lobbyarbeit des Committee for a Sane Nuclear Policy (SANE – dem Vorläufer der heutigen Peace Action) erreichten keinen vollständigen Teststopp, aber trugen dazu bei, das Verbot der oberirdischen Tests zu erreichen, das bis heute gilt. Die Strömung gegen die Atomwaffen nahm ab, als der Horror des Vietnamkriegs und die wachsenden Zahlen an amerikanischen Kriegstoten (und zu einem geringeren Ausmaß die Millionen Vietnamesen, die getötet, verwundet und terrorisiert wurden) das Hauptanliegen der Friedensbewegung wurde.

Die Abrüstungsbewegung wuchs dann wieder in den frühen 1980er Jahren, als die „Freeze“-Bewegung die massiven Demonstrationen in Europa zum Stopp des Rüstungswettlaufs widerspiegelte und Referenden in Hunderten von Gemeinschaften und acht Staaten gewann. Die Bewegung zwang Präsident Reagan, der die Welt mit seiner konfrontativen Atompolitik an den Abgrund eines atomaren Armageddon brachte, zu tun, was er geschworen hatte, nie zu tun: mit der Sowjetunion zu verhandeln. Das Resultat, der INF-Vertrag, beendete im Kern den Kalten Krieg noch vor dem Fall der Berliner Mauer.

Nach den anfänglichen Erfolgen der Freeze-Bewegung – einschließlich der größten jemals stattgefundenen Friedensdemonstration von einer Million Menschen in New York - ebbte die Bewegung ab. Sie war konzentriert darauf, Unterstützung im Mainstream mit der Analyse und der Forderung zu gewinnen, dass es in einem Atomkrieg „keinen Ort zum Verstecken“ geben würde. So vermied die Bewegung, sich mit Strömungen einzulassen, die Widerstand gegen den US-Imperialismus leisteten: den Contra-Krieg in Zentralamerika, die Unterstützung der USA von Israels Invasion in den Libanon und dessen Kolonisierung von Territorien, die in dem Krieg von 1967 besetzt wurden, und die Unterstützung durch die USA von repressiven und erdölreichen arabischen Regimes. Ebenso zögerte die Abrüstungsbewegung, zu sehen, wie die USA ihr nukleares Arsenal, oft einschließlich geheimer Vorbereitungen und Drohungen mit einem Atomkrieg, dazu nutzte, ihr globales Imperium zu erzwingen. Um diesen Graben zu überbrücken, haben eine Reihe von AktivistInnen, einschließlich meiner selbst, eine Serie von Konferenzen mit dem Titel „Die tödliche Verbindung: Atomkrieg und US-Militärinterventionen“ initiiert.

Mit dem Versagen der Nichtverbreitungsvertrag-Überprüfungskonferenz 1995 verschärfte die Abrüstungsbewegung in den USA ihre Forderungen und drängte auf die komplette Abschaffung aller Atomwaffen. Mit der Ausnahme begrenzter Unterstützung der Ratifizierung des neuen START Waffenkontrollabkommens hat sie sich darauf konzentriert, zusammen mit ihren globalen Verbündeten Verhandlungen über einen Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen zu erreichen.

Die anti-imperialistische Bewegung
Der zweite Hauptstrom der US-Friedensbewegung ist ihr anti-interventionistischer, anti-imperialistischer Flügel. Diese Strömung entstand in der Massenbewegung gegen den Vietnamkrieg und den Lehren, die aus ihm gezogen wurden. Dies war, bevor die nächtlichen Fernseh-Nachrichten zu „Infotainment“ wurden und bevor das Pentagon die Manipulation der Medien völlig beherrschte. Mit Hunderten von JournalistInnen im Wettbewerb um Schlagzeilen, und als uns über die Medien die Bilder des Horrors des Krieges erreichten, entstand eine weitgefächerte Opposition gegen den Krieg.

nter den ersten waren junge afroamerikanische BürgerrechtlerInnen wie Muhammad Ali, die der Welt mitteilten: „Kein Vietnamese hat mich jemals einen Nigger genannt“. Im ganzen Land wuchsen teach-ins und höfliche Mahnwachen, Massenmärsche und andere im Wesentlichen gewaltfreie Demonstrationen, die Präsident Johnson dazu brachten, nicht zur Wiederwahl anzutreten und Verhandlungen mit den Vietnamesen zu beginnen, die – Millionen von Kriegstoten später – mit dem Pariser Friedensvertrag und Präsident Nixons wohlverdienter Absetzung endeten.

Von kritischer Bedeutung für jene von uns, die damals junge OrganisatorInnen und AktivistInnen waren, war die Lehre, die uns unsere weisesten Ältesten lehrten, dass „Vietnam keine Verirrung“ sei. Dies inspirierte viele von uns, uns mit der Geschichte von US-Militärinterventionen und Kriegen zur Errichtung eines Empires zu befassen. Und es gab uns einen analytischen Rahmen, der uns half, die endlosen US-Unterwanderungen und Kriege, die folgten, zu verstehen und gegen sie zu opponieren. Chile, Nicaragua, Afghanistan, Irak, Jemen, die Philippinen, Indonesien, Japan, Korea und Serbien stehen lediglich am Anfang der Liste. Einige von uns begannen sogar, die NATO als eine globale militärische Allianz zu verstehen, deren Hauptzweck es ist, Ressourcen für die trilateralen nördlichen Nationen (USA, Europa, Japan & Süd-Korea) zu sichern. Tausende folgten vor einigen Jahren unserem Aufruf und kamen nach Chicago, um gegen den NATO-Gipfel in Chicago zu demonstrieren, als Teile der Bewegung anfingen, sich mit der Rolle der NATO bei den wachsenden Spannungen mit Russland zu befassen.

Dieser Artikel ist ein leicht überarbeiteter Reprint eines Beitrags von Joseph Gerson aus dem Friedensforum 3/2013.

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Dr. Joseph Gerson ist Programmdirektor der Nordöstlichen Region des American Friends Service Commitees (AFSC) und seines Programmes "Frieden und wirtschaftliche Sicherheit". Er ist Mitglied im internationalen Koordinierungskomitee des No to NATO / No to War - Netzwerkes und Koordinator der Arbeitsgruppe für Frieden und Entmilitarisierung Asiens und des Pazifik. In seiner Jugend war er in der US-Bürgerrechtsbewegung aktiv und Anti-Kriegs-Organisator und Kriegsdienstverweigerer während des Vietnamkriegs. Im AFSC, dem er seit 1976 angehört, hat er bei dem Start der Nuklearen Freeze-Kampagnen geholfen, war Mitgründer der Organisation United for Peace and Justice auf nationaler Ebene und der United for Peace and Justice in der Gegend von Boston nach den Koalitionen des 11. September. Seine Bücher umfassen u.a. The Deadly Connection und Empire and the Bomb: How the US Uses Nuclear Weapons to Dominate the World.