Psychologische Kriegführung

Die Wahrheit als erstes Opfer?

von Ralf E. Streibl
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Von „psychologischer Kriegführung“ spricht man dann, wenn verschiedene Maßnahmen gezielt und kombiniert eingesetzt werden, um den Gegner zu destabilisieren oder die eigene Bevölkerung zu mobilisieren. Auch offene oder verdeckte Gewalt – von der Zerstörung von Dingen bis zu Folter, Missbrauch und gezieltem Mord – kann zum Repertoire gehören. Das „Psychologische“ der psychologischen Kriegführung bezieht sich auf die Wirkung, nicht unbedingt aber auf die gewählten Mittel. Zu diesen können beispielsweise offene und verdeckte Propaganda, Feindbilder, Falschmeldungen und Desinformation, Sabotage, gezielte Anschläge, Angriffe auf zivile Ziele, Bombenterror, aber auch jegliche Form der Erzeugung politischen, kulturellen, ökonomischen oder sozialen Drucks gehören.

Die wesentlichen Ziele psychologischer Kriegführung sind

die psychologische Destabilisierung des Gegners, d.h. dessen Willen und Fähigkeit zum Kampf sollen gestört oder zerstört werden, sowie

die psychologische Mobilisierung nach innen, d.h. auf der eigenen Seite und bei Verbündeten sollen Kampfes- und Siegeswillen sowie der Rückhalt in der eigenen Bevölkerung erzeugt und verstärkt werden.

Ergänzend kann psychologische Kriegführung

einen Gegner isolieren und auf der eigenen Seite ein Gefühl von Zusammengehörigkeit verstärken.

Entsprechende Methoden kamen und kommen nicht nur bei akuten Konflikten und Kriegen zum Einsatz. Dort werden sie sicherlich massiver und ungleich drastischer eingesetzt. Auch in „kalten“ Kriegen oder politisch angespannten Situationen können sie zum Erhalt und der Verstärkung bestehender Feindbilder beitragen, welche wiederum zur Enttabuisierung des Militärischen und zur Rechtfertigung militärischer Rüstung herangezogen werden.

Die Bedeutung von Medien
Einschätzungen, Urteile und Einstellungen von Menschen zu einem Konflikt oder Krieg basieren nicht nur auf ihrem direkten Erleben und eigener Wahrnehmung. Sekundär vermittelte Berichte und Darstellungen beeinflussen mehr oder minder stark individuelle Verarbeitungsprozesse zur sozialen Konstruktion von Wirklichkeit. Mittels Propaganda, einseitigen Informationen und gezielter Desinformation kann inhaltlich und emotional sowohl auf Gegner als auch auf Verbündete und die eigene Bevölkerung eingewirkt werden.

Wie zielgerichtet solche Mechanismen geplant und eingesetzt werden, zeigt sich im Rückblick auf die intensive multimediale Massenmobilisierung seitens der NSDAP: Die deutsche Propaganda diente laut den „Grundsätzen für die Führung der Propaganda im Krieg“ von 1938 zur „Erhaltung der Opferfreudigkeit und der geschlossenen Wehrwilligkeit des eigenen Volkes“, zur „Aufklärung über die das Leben des eigenen Volkes beeinflussenden militärischen Maßnahmen“, zur „Überwindung von Unruhe und Erregung im Volke, die durch feindliche Einwirkungen auf das Heimatgebiet hervorgerufen werden“ und zur „Tarnung, Verschleierung und Irreführungen eigener militärischer Absichten dem Auslande gegenüber“ (zit. nach Angerer 1993, S. 23). Ebenso sollte der „Wehrwillen“ der gegnerischen Soldaten zersetzt werden. Im Zweiten Weltkrieg wurden auch Rundfunk und Film massiv in diesem Sinne eingesetzt. Inhaltliche und technische Maßnahmen gingen Hand in Hand: Die weite Verbreitung des „Volksempfängers“ sollte nicht nur dafür sorgen, dass die eigene Rundfunkpropaganda die Bevölkerung erreichte – da diese Geräte nur auf Mittel- und Langwelle empfangen konnten, war ein Hören ausländischer Kurzwellensender damit ausgeschlossen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Bildern und Filmmaterial bei Konflikten und Kriegen zunehmend eine hohe Bedeutung zu. Medien verwandten das ihnen zur Verfügung gestellte Material ausgiebig und berichteten in Sondersendungen und rund um die Uhr. Es entstand der Eindruck, den Krieg „in Echtzeit“ mitzuerleben (vgl. Virilio 1993). Durch die gezielte Einbindung von Reportern und Kriegsberichterstatter*innen in die Aktionen militärischer Verbände („embedded journalists“) versucht das Militär seinen Einfluss auf die Kriegsberichterstattung sicherzustellen.

Zusätzlich zu den klassischen Massenmedien traten danach auch Computer und Netzwerke in den Fokus. So wurden beispielsweise in dem im Juni 2000 veröffentlichten „Masterplan“ der US-Streitkräfte für die nächsten 20 Jahre (Joint Chiefs of Staff, 2000) „information operations“ als wesentlich für die Gewährleistung einer umfassenden Überlegenheit in Friedenszeiten, wie auch in Krisen und Konflikten beschrieben. „Information“ wurde dabei gleichermaßen als Ziel, Waffe, Quelle oder Einsatzfeld verstanden. Das Gebiet der Information wurde den klassischen Gefechtsfeldern See, Land, Luft und Weltraum gleichgestellt. Strategische Planungen richten sich in der Folge sowohl gegen die Informationstechnik-Infrastruktur des Gegners (zur Störung des Informationsflusses, analog zu Angriffen auf Brücken und Verkehrsknotenpunkte, um die Mobilität des Gegners einzuschränken), als auch gegen die Daten selbst (Ausspähen und Manipulation von Informationen, Einschleusen von Fehlinformationen). Kennzeichnend für „Information Warfare“ ist dabei die Einsatzmöglichkeit bereits deutlich unterhalb der Schwelle klassischer militärischer Auseinandersetzungen. „Information Warfare“ greift dabei Konzepte psychologischer Kriegführung auf und setzt sie fort.

Mit zunehmender Verbreitung und Nutzung sozialer Netzwerke nahm deren Bedeutung im Hinblick auf Meinungsbildung zu. Zunächst war die Hoffnung groß, dass – da in einer globalen Informationsgesellschaft prinzipiell jede*r zum Sender werden kann –, Bildung, Demokratie und Partizipation automatisch starken Rückenwind bekommen würden. In Realität und Praxis zeigen sich jedoch Schattenseiten: die virale Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien sowie das Entstehen von Filterblasen und Echokammern, in denen sich Meinungen und Positionen verstärken und aufschaukeln, sind nur einige Beispiele. Im Zuge von Strategien der Informationskriegführung tun sich damit vielfältige neue Handlungsmöglichkeiten für Angriffe auf, die ohne allzu großen technischen Aufwand einsetzbar sind. Im Netz ist es vergleichsweise niederschwellig möglich, Desinformationen und Propaganda jeglicher Art zu streuen, Feindbilder zu verstärken und auch zielgruppenorientiert ggf. sogar personalisiert zu verbreiten. Hier schnell, verdeckt und durchaus nachhaltig aktiv zu werden, ist nicht nur technisch hochgerüsteten militärischen Einheiten für psychologische Kriegführung und Information Warfare möglich, sondern ebenso Aktivistengruppen oder sogar Einzelpersonen.

Die fortschreitenden Entwicklungen im Bereich von Informationstechnik, Digitalen Medien und Künstlicher Intelligenz bieten heute mächtige Möglichkeiten zur digitalen Audio-, Bild- oder Filmbearbeitung bis hin zu schwer erkennbaren Manipulationen und der künstlichen Generierung von Inhalten („Deep Fakes“). Für Rezipient*innen wird es immer schwerer, die Echtheit medialer Darstellungen schnell und zuverlässig zu überprüfen.

Die Wahrheit als erstes Opfer eines jeden Krieges?
Nationale, ethnische, religiöse, kulturelle oder sonstige Konflikte basieren auf Abgrenzung: WIR vs. DIE ANDEREN. Propaganda, Psychologische Kriegführung und Information Warfare beginnen nicht nach Ausbruch eines Krieges – es sind regelhaft wesentliche Mittel lange im Vorfeld. Sie tragen dazu bei, Feindbilder zu generieren, zu bestätigen, zu intensivieren. Weltweit auf allen Seiten sind Militärs und andere Akteure in diesen Feldern aktiv (vgl. z.B. Aro 2022). Man muss konstatieren, dass sich die Rüstungsspirale in der Informationssphäre schon lange immer weiterdreht. Dies mag auch dazu beigetragen haben, dass die gesellschaftliche und politische Suche nach diplomatischen Lösungen und Verhandlungen gegenüber Aufrüstung und militärischen Maßnahmen in den Hintergrund gerückt ist.

In den Augen der Betrachter*innen mag die Grenze fließend sein, wann es sich um eine Aufbereitung von Informationen handelt und wann um Verfälschung. Was mag als Information über Armee und Militär akzeptabel erscheinen, und wo beginnt eine systematische (manipulative?) Kampagne pro Aufrüstung, Kampf und Krieg?

Solange wir hinsichtlich der Mechanismen von Feindbildern, Propaganda und Informationskrieg keine gesellschaftliche und individuelle Resilienz und Kompetenzen entwickeln, besteht die permanente Gefahr, dass Konflikte schnell eskalieren und zu weiterer Aufrüstung, militärischen Auseinandersetzungen und Kriegen führen.

Anmerkungen/Quellen
Hinweis: Einige Teile dieses Beitrags basieren auf dem Text Streibl (2004).

Angerer, J. (1996): „Schlacht um Herzen und Hirne“ - Die Geschichte deutscher Kriegspropaganda. Wissenschaft und Frieden, 11 (3), 21-24.

Aro, J. (2022): Desinformation als Waffe. Über einen Krieg, den Russland seit Jahren führt. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/krieg-in-europa-2022/510257/d... (abgerufen 28.03.2023)

Joint Chiefs of Staff (2000): Joint Vision 2020. US Government Printing Office, Washington. http://www.dtic.mil/jv2020/jv2020a.pdf sowie http://www.dtic.mil/jv2020/jv2020b.pdf (abgerufen 17.01.2003).

Streibl, R.E. (2004): Psychologische Kriegführung und Information Warfare. In: Sommer, G.; Fuchs, A. (Hrsg.): Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz, S. 330-343.

Virilio, P. (1993): Krieg und Fernsehen. München: Hanser.

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Ralf E. Streibl ist Diplom-Psychologe und arbeitet seit 1993 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Informatik der Universität Bremen. Mitglied im Forum Friedenspsychologie (FFP) sowie im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF).