Gedankenfreiheit im Krieg

Ist McCarthy zurück?

von Roland Appel
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Der „Emma” Herausgeberin Alice Schwarzer und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Rolf Mützenich, ist diese Woche eine ganz besondere Ehre zuteilgeworden: Sie sind von der ukrainischen Regierung auf eine internationale Schwarze Liste gesetzt worden, mit 75 Personen, die „Erzählungen fördern, die mit der russischen Propaganda übereinstimmen“. Die ukrainische Botschaft in Berlin bestätigte der Berliner Zeitung die Echtheit der Liste. Neben den beiden prominentesten Mitgliedern finden sich dort auch der seriöse Politikwissenschaftler Prof. Johannes Varwick und – die EAP-Sektenführerin, Antisemitin und Rechtsextremistin Helga Zepp-Larouche.

Das „Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation” – das „Wahrheitsministerium” – beim Nationalen Sicherheitsrat der Ukraine hat laut Berliner Zeitung erklärt, „das Zentrum prüfe sehr sorgfältig, wer die Kriterien erfülle, um auf diese Liste zu gelangen.” Toll. Mit dieser Aktion zeigt die Ukraine jedenfalls, wie meilenweit sie von einer demokratischen Debattenkultur entfernt ist. Mag man unter den Bedingungen einer offensichtlich von Kriegspropaganda geprägten Öffentlichkeit derzeit gegenüber der Ukraine eine gewisse Nachsicht üben – der darin liegende diplomatische Affront unterscheidet sich in keiner Weise von der Polemik des inzwischen abberufenen Botschafters in Berlin, Melnik. Darüber hinaus muss doch die Anwendung ähnlicher Praktiken innerhalb Deutschlands vom staatlich geförderten, dubiosen „Zentrum Liberale Moderne” aufhorchen lassen.

Feindbilderklärungen in Deutschland
Diese hier schon früher thematisierte Ideologiefabrik der Ehepartner Marieluise Beck und Ralf Fücks hat erst kürzlich zu einer „Gegneranalyse” ausgeholt, deren unwissenschaftliches, mit 280.000 € vom Familienministerium geförderte Pamphlet die „Nachdenkseiten” von Albrecht Müller, einem eingefleischten SPD-Parteisoldaten, zum politischen Feindbild erklären soll. Über das „Zentrum”, sein Machwerk und die finanziellen Hintergründe hat Friedrich Küppersbusch einen dokumentarischen Kurzfilm seiner Rechercheergebnisse veröffentlicht. Im Prinzip macht das LibMod nichts anderes, als ein Geheimdienst wie der Verfassungsschutz. Mit dem großen Unterschied, dass dieser sich an rechtstaatliche Vorgaben halten muss. So kann die AfD eben nicht einfach als faschistische Partei zur Wiederherstellung einer Diktatur ähnlich dem NS-Staat bezeichnet werden, obwohl der Faschist Bernd Höcke auf Parteitagen im Hintergrund die politischen Fäden zieht. Das vom Bundespresseamt opulent finanzierte LibMod denunziert dagegen ohne Rücksicht auf Fakten oder Rechtstaatlichkeit.

Diffamierung als politische Methode
Die Methode stimmt mit demokratisch fragwürdigen Praktiken überein, die aus der Frühzeit der Bundesrepublik Konrad Adenauers wohl bekannt sind. Man diffamiert den politisch Andersdenkenden und versucht, ihn von der Ebene des Diskutierbaren zu entfernen. Im Falle der „Nachdenkseiten”, die sich politisch in den letzten Jahren selbst im linken Spektrum isoliert haben, wäre das nicht nötig und käme allenfalls der politischen Leichenfledderei nahe.  Aber im Ergebnis ist der Versuch der Diskursmanipulation mithilfe von öffentlichen Geldern nicht weniger verwerflich. Die politisch Andersdenkende Person wird dabei, so Erich Kuby, in einen „Verbotenen Raum” gedrängt, in der Frühphase der Bundesrepublik probates Mittel im Umgang mit Kommunisten, gezielt aber immer auch auf Sozialdemokraten. Wer als Sozialdemokrat Argumente vertrat, etwa gegen Atomrüstung oder für Vergesellschaftung von Industrien, die auch Kommunisten vertraten, dem wurde von den Konservativen eine Konsensschuld angelastet.

Rechte Stigmatisierung von Adenauer bis in die Gegenwart
Dasselbe versuchen Fücks und Beck mit den „Nachdenkseiten” – sie verbreiteten angeblich Argumente in Putins Interesse. Und derselbe Gedanke steht auch hinter der „schwarzen Liste” des ukrainischen „Wahrheitsministeriums”. Bekanntester Begriff aus diesem Arsenal, der schon in der zweiten Jahreshälfte 2021 durch die Medien seine Runde machte war und ist der „Putinversteher”. Personen, wie etwa die langjährige Korrespondentin der ARD in Washington und Moskau, Gabriele Krone-Schmalz, wurden mit diesem Stigma versehen und tauchen seitdem mit ihrer kritischen Meinung nahezu in keiner Talkshow, geschweige denn in journalistischen Sendungen mehr auf. Sigmar Gabriel ist ein weiteres Beispiel für eine politische Person, der versucht wird, übertriebenes Verständnis oder Entgegenkommen gegenüber Putin anzudichten. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier blieb im Frühjahr von solchen Versuchen nicht verschont und entschuldigte sich für eine Politik, obwohl diese aus damaliger Sicht richtig war.

Methoden erinnern an McCarthy
Die sich inzwischen einschleichenden Methoden – besonders bei der Springer-Presse von „Bild” bis “Welt” – erinnern an die Ära McCarthy in den Vereinigten Staaten der 50er Jahre. „Sind Sie oder waren Sie jemals Mitglied der Kommunistischen Partei?“. Das war die zentrale Frage vor dem Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe, der von 1947 bis 1954 sein Unwesen trieb und tausende US-Bürger*innen der Sympathie für den Kommunismus verdächtigte und sie haltlos denunzierte. „Schwarze Listen”, Kampfbegriffe wie „Putinversteher” und „Gegneranalysen” der Ideologiefabrik LibMod bedienen sich antidemokratischer Mittel zu Meinungsbeeinflussung.

Fester Bestandteil der Politiksimulationen
Wie sehr dieser Konformitätsdruck in der Regierungsblase Berlins auf manche Moderator*innen wirkt, zeigt das am 11.5.2022 von Sandra Maischberger geführte Interview mit Klaus von Dohnanyi. So wie sie versuchte, dem erfahrenen Elder Statesman im Stile der Inquisitorin über den Mund zu fahren, muss schon gefragt werden, woher sie ihre absurden Unterstellungen hernimmt: Ob der Krieg stattgefunden hätte, wenn die Ukraine 2014 in der NATO gewesen wäre? Die Ukraine hätte damals nicht nur niemals die Kriterien der NATO erfüllt, die Frage war irrelevant. Graf Lambsdorff hat auf eine ähnliche Frage von Anne Will richtiggestellt, dass Russland bereits 2014 die Ukraine angegriffen hätte, wäre sie damals der NATO beigetreten. Wie kann es zu derart historisch absurden Einseitigkeiten kommen?

Strukturschwäche der vierten Gewalt
Anders als in der Bundeshauptstadt Bonn ist die Zahl der Journalist*innen in Berlin auf etwa ein Drittel geschrumpft. Die finanzielle Austrocknung des Journalismus – nicht zuletzt, weil dessen frühere Werbeeinnahmen heute in auf die Konten sozialer und antidemokratischer Netzwerke wie Facebook, Google, Instagram usw. fließen – hat demokratiegefährdende Ausmaße angenommen. Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland” RND ist in Wirklichkeit die Bankrotterklärung der beteiligten Verlage und Rundfunkanstalten, die sich allein keine publizistisch unabhängige Recherchearbeit mehr leisten können. So teilen konservative (FAZ, Rheinische Post) liberale (KStA, BZ, SZ) und öffentlich-rechtliche Journalist*innen die gleiche publizistische Blase. Die „vierte Gewalt” des Journalismus als verfassungsgemäße Kontrolle der Demokratie ist schon lange geschwächt. McCarthy scheiterte, weil es eine unabhängige, starke Presse gab. 2022 ist das anders.

Der Artikel wurde mit Erlaubnis des Autors dieser Seite entnommen: https://extradienst.net/2022/07/30/gedankenfreiheit-im-krieg/ Aus Platzgründen mussten wir auf die zahlreichen Quellenverweise verzichten; sie können im Originalbeitrag auf den Extraseiten nachgeschlagen werden.
Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten.

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Roland Appel ist Abgeordneter des Landestag Nordrhein-Westpfalen für die Fraktion Die Grünen und Innenpolitischer Sprecher der Fraktion.