Der Weg ist das Ziel, ist der Weg gemeinsam

Jai Jagat Friedensmarsch 2020

von Karl-Julius Reubke

Was hat Konfuzius, was hat Gandhi über Weg und Ziel gesagt und worum geht es beim Jai Jagat 2020, diesem „globalen Marsch für Frieden und Gerechtigkeit“ – um den Weg und das Ziel oder um das Ziel und den Weg?  Gandhi faszinierten Gleichungen wie „der Weg ist das Ziel“ und „die Wahrheit ist Gott“. Und was passiert mit der Gleichheit, wenn man die Seiten vertauscht? Irgendwie ist es dasselbe.

Gandhi wollte Swaraj in die Welt bringen, Selbstherrschaft oder ökonomische, soziale und spirituelle Unabhängigkeit für jeden Einzelnen und für alle Menschen. Die indische Bewegung, die den Jai Jagat 2020 angestoßen hat, beruft sich auf Gandhi und verfolgt dieses vom Mahatma gewiesene Ziel. Die Bewegung ist über dreißig, vierzig Jahre gewachsen.

In der ersten Phase ihrer Arbeit beobachteten PV Rajagopal und seine Freunde, was sie in der Fortsetzung und bei der Umsetzung von Gandhis Vorschlägen neu und anders machen mussten. Sie wollten keine Bewegung anstoßen, die sich gegen etwas, was es gibt, richtet oder sich gar durch Opposition definiert. Zehn Jahre lang (1980-1990) überlegten sie und erkannten dann, dass sie durch keine neue Partei, keine religiöse Gemeinschaft und keinen organisierten Verein etwas völlig Neues und Zeitgemäßes auf den Weg bringen konnten.

Wie nennt man, was es noch nicht gibt? Wie macht man das? Man setzt sich gemeinsam zusammen und handelt als Einzelner. Dann sind alle gleich und eins – Ekta, eins, Einheit – im Kreis aller – Parishad, das ist ein Rat, ein Forum – also die Gemeinschaft derer, die aktiv an der Verwirklichung einer gemeinsamen Wahrheit gewaltfrei arbeiten. So entstand Ekta Parishad. Gewaltfreiheit und der aktive Abbau aller Feindbilder sind Voraussetzung und Programm dieser Bewegung für Veränderung.

Gandhis Talisman ist der zweite Leitgedanke, der jedem bei Ekta Parishad hilft: „Wann immer du etwas zu entscheiden hast, denke an das Gesicht des Ärmsten, der dir begegnet ist, und frage, wie du entscheiden musst, damit es diesem Menschen hilft.“ Konsequent angewendet ist dies ein Mittel, um die beiden Feinde friedlicher Zusammenarbeit, den persönlichen Ehrgeiz und die ideologische Verpflichtung zu vorgegebenem Handeln, zu bekämpfen.
Jai Jagat kann mit „Sieg für alle Welt“ übersetzt werden. Der Ruf wurde von Vinoba Bhave, dem Heiligen unter Gandhis Nachfolgern geprägt als Ablösung von Jai Hind! Sieg für Indien, wie während des Unabhängigkeitskampfes gerufen wurde. Er kann als Einladung an alle Menschen verstanden werden, selbst aktiv zu werden und durch Zusammenhalt mit der weltweiten Bewegung eigenverantwortlich, nicht eigenmächtig, mitzuhelfen, dass wir alle auf dieser Erde immer besser und rücksichtsvoller miteinander (über)leben können.

Der Weg zum friedlichen Miteinander ist der ewige Weg der Menschheit – der Jai Jagat 2020, der globale Marsch für Frieden und Gerechtigkeit, ist der Schritt, den wir jetzt gemeinsam tun. Ihm gingen viele Märsche in Indien voraus. Kein spektakulärer Durchbruch wird erwartet oder angestrebt, nach dem wir feiern und uns zur Ruhe setzen können, sondern die Stärkung der Bewegung zur nachhaltigen Änderung unserer Lebenswelt. Vier große Ziele – Eliminierung von Armut, soziale Teilhabe aller, Klimagerechtigkeit und gewaltfreie Konfliktlösung – charakterisieren unsere Aufgabe.

Der Jai Jagat 2020 ist am 2. Oktober 2019 in Delhi an der Stätte, wo Gandhis sterbliche Hülle verbrannt wurde, aufgebrochen. Am 26. September 2020 wird er in Genf eintreffen. Nach vier Monaten in Indien haben sich die Wanderer in Gruppen aufgeteilt – es ging durch politisch unruhiges Gebiet. Vor seiner Unterbrechung wegen Corona wanderte eine Gruppe im Iran, in Aserbaidschan und in Armenien.

Überall findet der Jai Jagat 2020 begeisterte Unterstützung: Märsche durch Schweden, Deutschland, Spanien, Frankreich und die Schweiz sind geplant – viele Veranstaltungen entlang der Wanderwege rufen Menschen auf, ihre eigenen Probleme z.B. für die „Wall of Goals“ mit einzubringen. Ein Fahrradkorso von Wuppertal nach Genf wird die Botschaft der Jugend zu dem Abschlussfest bringen. Eine Woche lang finden in Genf Gespräche und Foren statt und geben Möglichkeit zum Dialog über die Probleme und Wege zu ihrer gewaltfreien Lösung. Das zerstörerische Fortschritts-Paradigma wird überwunden, wenn wir gemeinsam fortschreiten. Es bedarf noch vieler Menschen, vieler Unterstützer*innen: Mach mit beim Jai Jagat 2020!

Der Mahatma, auf den sich die globalen Wanderer berufen, sagte auch: „Der Weg des Friedens ist der Weg der Wahrheit. Wahrhaftigkeit ist sogar noch wichtiger als Friedfertigkeit.“  Diese Botschaft kann Mut machen für den langen Weg aus der Ratlosigkeit und über alle Zerstörungstendenzen hinweg in eine friedliche Zukunft helfen.

Mut für den langen Weg …
Jai Jagat 2020 und alle die ihn fördern und tragen bekommen die Chance, ihre Positionen Ziele und Aktionen zu überdenken. Der Marsch kam bis Eriwan, wo die armenische Regierung mit überwältigender Hilfsbereitschaft bei der außerplanmäßigen Unterbrechung behilflich war. Alle „Yatris“ sind inzwischen in ihre jeweiligen Heimatländer zurückgekehrt.

In der nun abgeschlossenen ersten Phase gingen JaiJagat 2020 Gruppen 16 Wochen durch Indien, zwei Wochen durch Nepal, eine Woche durch Pakistan, drei Wochen durch Vereinigten Arabischen Emirate, drei Wochen durch den Iran und vier Wochen durch Armenien.

Angesichts des Corona-Virus wurde der Marsch vorläufig unterbrochen. In der neu eingeschobenen zweiten Phase werden die indirekten Kommunikationsformen für virtuelle Märsche und Trainings in Gewaltfreiheit genutzt.

In der dritten Phase wird eine Friedensdekade, ein Jahrzehnt der Schaffung einer gemeinsamen gewaltfreien Basis für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen mit Natur und Umwelt durch weitere Märsche und Foren auf den Weg gebracht.

Mehr Informationen über den Marsch und seine Stationen in Deutschland: http://www.freunde-ekta-parishad.de  www.jaijagat2020.org ; www.wallofgoals.org; www.jaijagat.de

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Rubrik

Friedensbewegung international
Karl-Julius Reubke, geb. 1939, promovierter Naturwissenschaftler, Gründer des Vereins Freunde von Ekta Parishad e.V., Mitglied im Ekta Europe Netzwerk. Veröffentlichungen: ‚Indien im Aufbruch‘ (Mayer 2006) und ‚Die fremden Gesichter des Todes‘ (Mayer, 2008), ‚Struggles for Justice and Peace‘ (Studera, in Vorbereitung). Kontakt: kjreubke@t-online.de.