Friedenspsychologie - Ein notwendiges Instrument für Frieden?

Kann Friedenspsychologie Frieden bringen?

von Nadine Knab
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Vor mehr als einem Jahr ist Russland in die Ukraine einmarschiert und hat Europa und die Welt in einen Schockzustand versetzt. Die Möglichkeit eines Atomkriegs steigt ins Unerträgliche. Warum ziehen die Menschen in den Krieg und wie kann er verhindert werden? Was sind die emotionalen Folgen von Krieg und nuklearer Bedrohung? Wie kann man Menschen behandeln, die ein Trauma erlitten haben?

All dies sind psychologische Fragen, die in der Friedenspsychologie untersucht werden. Trotz der Tatsache, dass die Geschichte der Menschheit von Krieg und Frieden geprägt ist, ist die Disziplin noch jung und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft noch nicht gut etabliert.

Die Psychologie selbst ist eine junge Disziplin - das erste psychologische Labor wird üblicherweise Wilhelm Wundt im Jahr 1879 zugeschrieben, der auch als Begründer der modernen Psychologie bekannt ist.

Bevor sich der Begriff Friedenspsychologie etablierte, beschäftigten sich viele Forscher*innen auf diesem Gebiet mit der Erforschung der zugrundeliegenden Kognitionen, Emotionen und Motivationen von Krieg und Frieden. William James wird oft als der erste Friedenspsychologe angesehen, da er das „moralische Äquivalent des Krieges" vorschlug. William James interessierte sich für die Beweggründe und damit für den individuellen Nutzen des Kriegseintritts. Er argumentierte, dass Kriege das Streben nach persönlicher Ehre nähren können und dass man einen der treibenden Faktoren verhindern kann, wenn man alternative Wege (ein „moralisches Äquivalent") findet.

Die empirischen Fragestellungen wurden stets vom gesellschaftspolitischen Umfeld beeinflusst. Die Absicht, empirisch fundierte Ergebnisse zur Information der Politik zu nutzen, um die soziale Gleichheit zu verbessern, war von Anfang an immanent. Am Ende des Zweiten Weltkriegs hat eine Gruppe von Psycholog*innen das Psychologische Manifest verfasst, das von mehr als 4000 Psycholog*innen unterzeichnet wurde und in dem argumentiert wird, dass Kriege verhindert werden können, wenn man sich mit den grundlegenden Bedürfnissen von Menschen befasst (Murphy, G. 1945).

Empirische Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden außerdem einige der bekanntesten psychologischen Experimente durchgeführt, die in der Wissenschaft und in den Medien immer noch reproduziert werden (z. B. Haslam, Reicher, & Birney, 2014). Stanley Milgram untersuchte die Auswirkungen von Autorität auf Gehorsam, und Philip Zimbardo wollte die Auswirkungen von sozialen Rollen und Macht auf das Verhalten von Menschen in einer simulierten Gefängnissituation untersuchen (Haney, Banks, & Zimbardo, 1973; Milgram, 1963). Auch die Theorien und Forschungen von Gordon Allport (1954) erwiesen sich als sehr einflussreich für die Psychologie und darüber hinaus: Die Ermöglichung von Kontakten zwischen Mitgliedern verschiedener sozialer Gruppen und das Ergebnis, dass dadurch Feindseligkeit und Vorurteile abgebaut werden, war und ist einflussreich für die Diskussion über die Aufhebung der Segregation und könnte Auswirkungen auf die Stadtplanungsstrukturen haben.

Während des Kalten Krieges befassten sich Friedenspsycholog*innen insbesondere mit der Rolle von Propaganda, Ideologie und Gruppendynamik bei der Aufrechterhaltung von Konflikten. Sie erkannten, dass der Kalte Krieg nicht nur ein militärisches Patt zwischen zwei Supermächten war, sondern auch ein Kampf der Ideen und Werte. Sie erkannten auch, dass beide Seiten dazu neigten, die jeweils andere Seite zu dämonisieren und sich von Stereotypen und Vorurteilen leiten zu lassen.

Machtstrukturen infrage stellen
Trotz der wichtigen Beiträge der Friedenspsychologie wurde das Feld jedoch dafür kritisiert, dass es die Art und Weise vernachlässigt, in der die Wissensproduktion selbst eine Form von Gewalt sein kann (zum Beispiel Brunner, 2021). Diese Kritik, bekannt als Kritik an epistemischer Gewalt, besagt, dass die Produktion und Verbreitung von Wissen bestehende Machtstrukturen verstärken und bestimmte Stimmen und Perspektiven ausschließen kann. So argumentieren einige Kritiker*innen, dass die Friedenspsychologie von westlichen, eurozentrischen Perspektiven dominiert wurde und die Beiträge nicht-westlicher und indigener Ansätze zur Friedens- und Konfliktlösung vernachlässigt hat. Andere kritisieren, dass die Friedenspsychologie dazu neigt, sich auf Interventionen auf individueller Ebene zu konzentrieren, anstatt sich mit umfassenderen sozialen und politischen Fragen zu befassen.

Als Reaktion auf diese Kritik plädieren einige Wissenschaftler*innen im Bereich der Friedenspsychologie für einen inklusiveren und kritischeren Ansatz der Wissensproduktion, der darauf achtet, wie Wissen genutzt werden kann, um bestehende Machtstrukturen zu verstärken oder in Frage zu stellen (zum Beispiel Adams et al. 2015). Dieser Ansatz zielt darauf ab, verschiedene Perspektiven zu integrieren und die Ursachen von Gewalt und Konflikten anzugehen, einschließlich struktureller Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, und steht damit im Einklang mit Galtungs Unterscheidung zwischen positivem und negativem Frieden - während negativer Frieden die bloße Abwesenheit von Gewalt bedeutet, bezieht sich positiver Frieden auf die gesellschaftlichen Strukturen und soziale Gleichheit (Galtung 1969).

Situation in Deutschland
Dies zeigt, dass die Friedenspsychologie in den letzten Jahrzehnten zwar gewachsen ist, aber immer noch nicht ausreichend in der wissenschaftlichen Gemeinschaft verankert ist und es ihr folglich an wissenschaftlichen Strukturen fehlt. So gibt es zum Beispiel in Deutschland und Europa keine Professur für Friedenspsychologie, und es gibt kaum Curricula für Studierende. Anders sieht es in den USA aus, wo es mehrere Departments mit friedenspsychologischen Lehrstühlen gibt (siehe Universität Amherst oder Universität Notre Dame). Aber auch die American Psychological Association hat erst 1991 eine Abteilung für Friedenspsychologie (Division 48) eingerichtet.

Fast ein Jahrzehnt zuvor wurde in Deutschland das Forum Friedenspsychologie gegründet, als direkte Reaktion auf die Stationierung der Pershing-2-Raketen inmitten des Kalten Krieges. Wenige Jahre später wurde es als gemeinnütziger Verein eingetragen und arbeitet seitdem auf drei Säulen: Wissenschaftsproduktion und Austausch, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und angewandte Arbeit. Die Stärke der Organisation liegt darin, dass die Mitglieder sowohl Wissenschaftler*innen als auch Praktiker*innen innerhalb und außerhalb der Psychologie sind.

Der Mangel an wissenschaftlicher Verankerung in akademischen Einrichtungen hat jedoch zur Folge, dass vor allem die Kommunikation innerhalb der Disziplin schwierig ist, was die Zusammenarbeit in der friedenspsychologischen Forschung behindert. Das wiederum erschwert die Wissenschaftskommunikation und die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit.

Eine idealistische Perspektive in zehn Jahren wären mehrere Friedensprofessuren in Europa mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten, die gemeinsam an der Bewältigung gesellschaftspolitischer Herausforderungen arbeiten. Aber kann Friedenspsychologie Frieden bringen? Letztlich ist die Psychologie ein notwendiges Instrument, um konflikthafte und friedliche Prozesse in unserer Gesellschaft zu verstehen, da sie von Menschen geprägt sind, die Emotionen, Kognitionen und Motivationen erleben, die im Zentrum der psychologischen Forschung stehen. Dennoch ist die Disziplin noch jung, und es bedarf einer größeren Datenmenge, um klare politische Empfehlungen zu geben. Um ein Beispiel zu nennen: Selbst 50 Jahre nach der Formulierung der Kontakthypothese durch Gordon Allport weisen Paluck und Kollegen (2019) darauf hin, dass es noch empirische Lücken gibt, die geschlossen werden müssen, bevor die Theorie zuverlässig auf die Politik angewendet werden kann. Darüber hinaus ist die Friedenspsychologie zwar eine notwendige und stark unterbewertete Disziplin, die nützliche Instrumente zur Bewältigung von Frieden und Konflikten bereitstellen kann, doch muss sie mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten, um ein ganzheitliches Bild der jeweiligen Situation zu erhalten. Vereinigungen wie der Verein Forum Friedenspsychologie e.V. in Deutschland können solche Plattformen bieten und die Kommunikation zwischen den Disziplinen und darüber hinaus ermöglichen.

Zitierte Literatur
Adams, G., Dobles, I., Gómez, L. H., Kurtiş, T., & Molina, L. E. (2015). Decolonizing Psychological Science: Introduction to the Special Thematic Section. Journal of Social and Political Psychology, 3(1), 213-238. https://doi.org/10.5964/jspp.v3i1.564

Allport, G. W. (1954). The nature of prejudice. Cambridge, MA: Perseus Books

Brunner, C. (2021). Conceptualizing epistemic violence: an interdisciplinary assemblage for IR. Int Polit Rev 9, 193–212. https://doi.org/10.1057/s41312-021-00086-1

Galtung, J. (1969). Violence, Peace, and Peace Research. Journal of Peace Research, 6(3), 167–191. http://www.jstor.org/stable/422690

Haney, C., Banks, W. C., & Zimbardo, P. G. (1973). A study of prisoners and guards in a simulated prison. Naval Research Review, 30, 4-17.

Haslam, S.A., Reicher, S.D. and Birney, M.E. (2014), Nothing by Mere Authority: Evidence that in an Experimental Analogue of the Milgram Paradigm Participants are Motivated not by Orders but by Appeals to Science. Journal of Social Issues, 70: 473-488. https://doi.org/10.1111/josi.12072

Murphy, G. (1945). The Psychologists' Manifesto. In G. Murphy (Ed.), Human nature and enduring peace: Third yearbook for the Society for the Psychological Study of Social Issues (pp. 454–460). Houghton Mifflin Company. https://doi.org/10.1037/11192-026

Milgram, S. (1963). Behavioral Study of obedience. The Journal of Abnormal and Social Psychology, 67(4), 371–378. https://doi.org/10.1037/h0040525

Paluck, B. L., Green, S., & Green, D. The contact hypothesis re-evaluated. Behavioural Public Policy (2019), 3: 2, 129–158

Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer mithilfe von DeepL.com/Translator

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt