Konflikt und Klimawandel

Klimawandel als Risikomultiplikator und Konflikttreiber

von Lukas Rüttinger
Schwerpunkt
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Der Klimawandel ist eine Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität aller Staaten und Gesellschaften. Besonders gefährdet sind Länder, die bereits von Fragilität, Konflikt oder Bürgerkrieg betroffen sind. Hier wirkt der Klimawandel als zusätzlicher Risikomultiplikator und Konflikttreiber.

Der Klimawandel ist eine der größten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. (1) Inzwischen wurde die von vielen Forschern als noch sicher betrachtete Grenze von 350 Teilen des klimaschädlichen Kohlendioxids pro Million Luftteilchen in der Atmosphäre überschritten. Die Folgen sind bereits heute weltweit spürbar: So beeinflusst der Klimawandel bereits die menschliche Gesundheit, Ökosysteme, Wasserversorgung und die Lebensgrundlagen vieler Menschen negativ (IPCC 2014). Bereits 2007 hat sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Klimawandel als einer Bedrohung der internationalen Sicherheit beschäftigt.
Heute besteht auf wissenschaftlicher Ebene ein zunehmender Konsens darüber, dass der Klimawandel negative Auswirkungen auf die Sicherheit von Staaten, Gesellschaften und Menschen hat. Die entscheidende Erkenntnis ist dabei, dass die Zusammenhänge zwischen Konflikten und Klimawandel komplex sind und sich einfacher, monokausalerer Erklärungen entziehen. So ist der Begriff der Klimakriege irreführend. Denn er suggeriert, dass es Konflikte oder Kriege gibt, die alleine durch den Klimawandel bedingt sind. Dies ist nicht der Fall.

Der Klimawandel wirkt vielmehr als Risikomultiplikator. Dort wo er mit anderen Stressfaktoren, wie Bevölkerungswachstum, ökonomischen Schocks, Urbanisierung, Umweltdegradation und steigender Ungleichheit, zusammentrifft, kann der kombinierte Druck Gesellschaften und Staaten überfordern. Manche Staaten und Gesellschaften sind dann nicht mehr in der Lage, diesem Druck standzuhalten. Politische Instabilität, Proteste und Gewaltausbrüche bis hin zu Bürgerkriegen und zwischenstaatlichen Spannungen können die Folge sein.

Sieben durch den Klimawandel bedingte Fragilitätsrisiken
Bereits heute lässt sich beobachten, welche Risiken und Konfliktdynamiken durch die Kombination von Klimawandel und anderen Stressfaktoren entstehen.

1. Lokale Ressourcenkonflikte
In vielen Regionen der Welt schränkt der Klimawandel in zunehmendem Maße die Verfügbarkeit lebenswichtiger natürlicher Ressourcen wie Land und Wasser ein. Gleichzeitig nimmt der Druck auf diese Ressourcen durch Bevölkerungs- und wirtschaftliches Wachstum zu. Die durch zunehmende Verknappung und steigende Nachfrage ausgelöste Konkurrenz kann vor allem dort, wo effektive Mechanismen zur Konfliktlösung fehlen, zu Instabilität und gewalttätigen Konflikten führen. Dies ist in vielen afrikanischen Ländern der Sahelzone der Fall. Dort nehmen Konflikte zwischen nomadischen Pastoralisten, die vor allem von der Viehhaltung leben, und sesshaften Bauern spürbar zu. Ein Beispiel ist der Konflikt im sudanesischen Darfur

2. Bedrohte Lebensgrundlagen und Migration
Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlage vieler Bevölkerungsgruppen, die von klimasensiblen natürlichen Ressourcen abhängig sind. So wird der Klimawandel in vielen Regionen die Weideflächen und den Zugang zu Wasser für die Bewässerung der Felder sowie Jobs in klimasensiblen Wirtschaftsbereichen bedrohen. Der Mangel an Alternativen und Perspektivlosigkeit, vor allem in jungen, ländlichen und männlichen Bevölkerungsgruppen, kann den Unmut über die eigene Lage und bestehende Ungleichheiten verstärken. In politisch bereits angespannten Situationen kann dies dazu führen, dass junge Männer anfälliger für die Rekrutierung durch Rebellengruppen und gewalttätige Extremisten werden oder sich stärker an kriminellen Aktivitäten beteiligen, z.B. Wilderei, Piraterie oder Drogenhandel.

Eine weitere Anpassungsstrategie und Reaktion auf den Verlust der eigenen Lebensgrundlage ist Migration. Die meisten Menschen migrieren zunächst im eigenen Land – von ländlichen Gebieten in die Städte. Von dort aus macht sich dann ein kleinerer Teil auf den Weg ins Ausland. Konflikte können sich vor allem in den Aufnahmegebieten für Migranten verschärfen, da dort der Druck auf natürliche Ressourcen und öffentliche Dienstleistungen steigt.

3. Extreme Wetterereignisse und Katastrophen
Extreme Wetterereignisse, wie Stürme, Fluten und Dürren, haben oft desaströse Auswirkungen auf Menschen und Umwelt. Katastrophen und Fragilität verstärken sich dabei oft gegenseitig. Denn Katastrophen erhöhen den Druck auf bereits schwache staatliche Institutionen, vermindern wirtschaftliches Wachstum, zerstören Infrastruktur und vertreiben Menschen. Ob es zu Konflikten kommt, hängt primär von der Fähigkeit von Regierungen ab, sich angemessen auf solche Katastrophen vorzubereiten und den Betroffenen Hilfe zu leisten.

Ein Beispiel für diese Dynamik war der Tsunami im Indischen Ozean 2004 und dessen Auswirkungen auf Sri Lanka und die Provinz Aceh in Indonesien. Sowohl in Sri Lanka als auch Aceh wurden damals gewalttätige Konflikte ausgetragen. In Aceh nutzte die Regierung die Katastrophe, um Vertrauen in der Bevölkerung aufzubauen und den drei Jahrzehnte währenden Konflikt zu beenden. In Sri Lanka führte die Reaktion der Regierung hingegen zu neuen Spannungen und vermehrter Gewalt, weil sich einzelne Bevölkerungsgruppen ungerecht behandelt fühlten. (2)

4. Schwankende Lebensmittelpreise
Der Klimawandel wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Ernten und die Lebensmittelproduktion in vielen Regionen der Welt vermindern. In Kombination mit anderen Entwicklungen wie dem steigenden Bevölkerungswachstum wird die Nahrungsunsicherheit zunehmen, und die Preise werden verstärkten Schwankungen unterworfen sein. Zwischen 2007 und 2009 führte eine globale Nahrungsmittelkrise zu Protesten und Unruhen in über 40 Ländern. Besonders betroffen waren Länder, die durch große Armut, schwache Institutionen und geringe Subventionen für Lebensmittel und Energie gekennzeichnet waren und deren Regierungen von Teilen der Bevölkerung als nicht legitim angesehenen wurden.

Ein Beispiel waren die politische Krise und Proteste in Ägypten zur Zeit des Arabischen Frühlings 2011. Die ägyptische Regierung war damals nicht mehr in der Lage, Lebensmittel im erforderlichen Maße zu subventionieren. In der bereits angespannten Situation wirkte der Anstieg der Lebensmittelpreise als Katalysator für die Proteste. (3)

5. Grenzüberschreitende Wasserkonflikte
Viele der wichtigsten grenzüberschreitenden Flussgebiete befinden sich in Regionen, die unter Fragilität, Konflikten und zwischenstaatlichen Spannungen leiden, darunter Nil, Indus, Ganges, Euphrat und Tigris, Amu-Darja, Syr-Darja und Mekong. Dort wird – bedingt durch Klimawandel, Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum – die Konkurrenz um grenzüberschreitende Wasserressourcen dramatisch zunehmen. Die existierenden internationalen Institutionen und Managementmechanismen sind auf solche Veränderungen nicht vorbereitet. Viele Experten befürchten deshalb, dass sie den zunehmenden Druck nicht friedlich regeln können. Besonders gefährlich wird es, wenn Staaten unilateral entscheiden, den Wasserfluss zu verändern, z.B. durch den Bau großer Dämme. (4)

6. Anstieg des Meeresspiegels und Küstenerosion
Mit der zunehmenden Überschwemmung von Land geht die Nutzbarkeit von Küstengebieten nach und nach verloren. Gleichzeitig nimmt die Gefahr durch Extremwetterereignisse wie Sturmfluten und Zyklone zu. Dies verstärkt viele der eben genannten Klima-Fragilitätsrisiken. Ebenso können sich verändernde Küstenlinien und das Versinken ganzer Inseln Hoheitsgrenzen in Frage stellen und dadurch Spannungen und Konflikte auslösen.

7. Nicht-intendierte Auswirkungen von Klimapolitiken
Klimapolitiken umfassen zum einen Maßnahmen zur Verminderung klimaschädlicher Emissionen, wie Kohlendioxid und Methan. Gleichzeitig müssen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, der nicht mehr zu verhindern ist, durchgeführt werden. Dabei können negative Auswirkungen entstehen, die nicht beabsichtigt bzw. vorhergesehen wurden. Meist sind sie die Folge nicht ausreichender Planung oder mangelhafter Implementierung.

Ein Beispiel für solche nicht-intendierten negativen Auswirkungen ist der Landverbrauch durch die Herstellung von Biokraftstoff. Zwischen 2000 und 2007 verdreifachte sich die Produktion von Bioethanol, und die Produktion von Biodiesel verzehnfachte sich. Um diese enormen Menge von Biokraftstoff zu produzieren, wurden große Gebiete von Regenwald, Savannen und Grasland in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt. Dies führte wiederum zu klimaschädlichen Emissionen, erhöhtem Wasserverbrauch, Entwaldung und dem Verlust wertvoller Ökosysteme. Auch waren Landkonflikte die Folge, z.B. in Brasilien, Indonesien und Kolumbien. (5)

Natürlich führen Klimapolitiken nicht zwangsläufig zu nicht-intendierten negativen Auswirkungen. Entscheidend ist, bei ihrer Konzipierung potenzielle negative Auswirkungen von Anfang an mitzudenken und zu versuchen, diese zu minimieren.

Klimawandel bekämpfen und Resilienz stärken
Es höchste Zeit, entschieden gegen den kombinierten Druck von Klimawandel und anderen Stressfaktoren vorzugehen. Zentral ist dabei die Reduktion klimaschädlicher Emissionen. Mit dem Klimaabkommen von Paris (2015) ist dafür ein ambitionierter Rahmen geschaffen worden. Die Umsetzung der festgeschriebenen Emissionsminderungen setzt weitreichende Veränderungen unserer bestehenden Wirtschafts- und Energiesysteme voraus.

Doch selbst mit einer sehr ambitionierten Emissionsreduktion wird der Klimawandel weiter voranschreiten. Wir werden mit einem globalen Temperaturanstieg von ca. 2 Grad rechnen müssen. Deshalb sind ebenso entschlossene Maßnahmen für die Anpassung an den Klimawandel erforderlich. Dabei müssen integrierte, sektorübergreifende Antworten gefunden werden. Mit Blick auf friedensbildende Maßnahmen in Konfliktländern müssen z.B. die langfristigen Risiken und Folgen des Klimawandels berücksichtigt und Klimaanpassungsmaßnahmen konfliktsensibel umgesetzt werden, damit sie die bestehenden Konflikte nicht zusätzlich verschärfen.

Als gemeinsame Agenda für die Integration verschiedener Politikbereiche bietet sich die Stärkung der Resilienzfähigkeit von Staaten und Gesellschaften an. Das Konzept ist bereits in relevanten Politikbereichen – v.a. der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe, Friedensbildung und der Anpassung an den Klimawandel – etabliert. Zwar unterscheiden sich die in diesen Bereichen verwendeten Resilienzkonzepte voneinander, doch im Kern bezeichnen sie die Fähigkeit eines Staates und einer Gesellschaft, mit externen Schocks und Veränderungen friedlich und konstruktiv umzugehen. Scheitert die Stärkung von Resilienz, besteht die Gefahr, dass durch den Klimawandel eine zunehmende Zahl von Staaten in einen Teufelskreis aus Fragilität, Konflikt und Bürgerkrieg gerät.

Literatur
Rüttinger, Lukas et al. (2015): A New Climate for Peace. Taking Action on Climate and Fragility Risks. adelphi, International Alert, Woodrow Wilson Center for Scholars, European Institute for Security Studies.
Harris, Katie/ Keen, David/ Mitchell, Tom (2013): When disasters and conflict collide: Improving links between disaster resilience and conflict prevention, London: Overseas Development Institute (ODI).
International Crisis Group 2014a: The security challenges of pastoralism in Central Africa, Brussels: International Crisis Group.
International Crisis Group 2014b: Water pressures in Central Asia, Brussels: International Crisis Group.
IPCC (2014): Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Part B: Regional Aspects. Contribution of Working Group II to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change (vor allem Kapitel 12 zu Human Security).
Center for Naval Analysis (2007): National Security and the Threat of Climate Change.
Stanfield, J. D./ Murtazashvili, Jennifer Brick/ Safar, M.Y./ Salam, Akram (2013): Community documentation of land tenure and its contribution to state-building in Afghanistan, in: Unruh, John/ Williams, Rhodri (Hrsg.): Land and post-conflict peacebuilding, Oxon: Routledge/Earthscan.
Steffen, Will et al. (2015): Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet, in: Science Vol. 347, S. 6223.
WBGU (2007): Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel, Berlin: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WBGU.

Links
Globale Wissensplattform zu Klimawandel und Fragilität
Datenbank von über 100 Fallstudien von Konflikten mit einer Klima- und Umweltdimension
Informationsplattform zum Thema Klimadiplomatie
Informationsseite des Auswärtigen Amts zum Thema Klima und Sicherheit

Fußnoten
1 Dieser Text basiert in weiten Teilen auf der Studie für die "Gruppe der 7" A New Climate for Peace. Für mehr Informationen und weiterführende Literatur siehe die globale Wissensplattform zu Klimawandel und Fragilität www.newclimateforpeace.org.
2 Vgl. Fallstudie Acehund Sri Lanka
3 Vgl. Fallstudie Ägypten.
4 Vgl. Fallstudie Nilbecken.
5 Link zur Datenbank.
 
Dieser Beitrag ist bei der Bundeszentrale für Politische Bildung erschienen, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/266... . Lizenz: by-nc-nd/3.0/

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