Eine literarische Annäherung an Trauma-Therapie

Trauma-Therapie

von Wolfgang Fehse
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Ein Geldmann aus Groß-Vernieden

Raste zum Fest für den Frieden.

Sprang aufs Podest

Schrie in das Fest:

„Ihr Diebe! Lasst mich in Frieden!“

Therapeutin: Guten Tag. Seit gestern bin ich bei der Bundeswehr als Therapeutin für posttraumatische Störungen angestellt. Mein schönster Lohn wäre es, wenn ich dazu beitragen könnte, dass die Soldaten nicht mehr mit diesen unaufhörlichen, schrecklichen Erinnerungen leben müssten. Meine Ausbildung war hart, sie hat mich auf schwierigste Situationen vorbereitet. Das ist auch notwendig und sinnvoll. Wie Sie sich vorstellen können, bringen die Soldaten von der Front schlimmste Traumatisierungen mit. Meine Arbeit ist anstrengend, sehr anstrengend. Vorhin kam mein erster Klient in die Sprechstunde; er war mehrere Monate in unseren Einsatzgebieten stationiert. Ich sage es Ihnen offen und ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich das durchhalte. Ich bin schon nach der ersten Sitzung ein Nervenbündel, schon nach der ersten Stunde bin ich mit meinen Nerven am Ende, am Ende. Ich bin es zum Beispiel gewohnt, dass verabredete Zeiten eingehalten werden.

Soldat: (Kommt herein, setzt sich, starrt die Therapeutin an)

Therapeutin: (zum Publikum) Ohne anzuklopfen, ohne zu grüßen, setzt er sich hin und starrt mich an. Die Stille ist quälend, ich sage: „Guten Tag.“

Soldat:  Gut siehst du aus, Baby. Nimm bitte die Hochglanzzeitung vom Tisch, deine Hochglanzrevue. Deine HALLO ZUKUNFT. Verstehst du mich, baby? Nimm das einfach mal weg. OK?

Therapeutin:   Selbstverständlich reagierte ich, wie ich es gelernt hatte, professionell. Ich ließ eine Pause, das ist wichtig, damit das Gesagte nicht gleich verwischt wird, sondern im Raum stehen bleibt. Damit Ruhe einkehrt und eine Art Bewusstsein entsteht für das Gesagte. Ruhe und Bewusstsein sind die Voraussetzung für eine sinnvolle therapeutische Intervention. Ich sagte: `Sie möchten also, Soldat Schmitz, dass ich meine Zeitung vom Tisch nehme.`
- Die Äußerung des Klienten zu wiederholen, ist sinnvoll – dadurch wird ihm vermittelt, dass er verstanden wird.

Soldat: Ja, Baby, und den verfluchten Teddy nimm auch gleich mit weg, er stört mich, und mach das verfluchte Fenster auf, hier ist es ekelhaft heiß und stickig. Und merk dir eins, ich bin kein Kleinkind, Baby, ich will auch in keine infantile Phase regredieren, verstehst du mich, Baby, dazu habe ich keine Lust! Und nimm den verfickten Teddy aus meinem Blickfeld. Und die verfickte Zeitung, OK? Baby?

Therapeutin:   Das sind die schwierigsten Patienten, die gleich zu Anfang Forderungen stellen und die therapeutischen Fachbegriffe kennen. Diese Klienten glauben, dass sie ihre Heilung schon in der Tasche haben, wenn sie bloß die Begriffe kennen.

Er sagte:

Soldat: Ich habe einfach keine Lust, zu regredieren. Wir sind hier nicht im Kindergarten, verstehst du, was ich meine?  Nimm einfach die Zeitung weg und den verfíckten Teddy, sie stören das Gesamtbild, bring beides aus dem Zimmer, Baby, dann verstehen wir uns, OK?  Ich warte, bis das weg ist.

Therapeutin:  Oh je, dachte ich, das kann ja heiter werden. Der Klient wirkte sehr nervös in seiner posttraumatischen Störung. Ich begann zu schwitzen, da sagt er:

Soldat: Scheiße ist das hier, Baby, ein großer Haufen Scheiße ist das hier. Verstehst du, was ich meine? Nimm einfach die verfluchte Zeitung aus meiner Gegenwart und den verfickten Affenteddy. OK?

Therapeutin:    Jetzt wurde es höchste Zeit, das Heft in die Hand zu nehmen und zu intervenieren.

Ich sagte: So kommen wir doch nicht weiter, Rekrut Schmitz. Also was führt Sie zu mir, womit kann ich dienen?

Soldat: (Schlägt die Faust auf den Tisch, dass die Kaffeetasse scheppert)  Das weißt du  nicht? Weißt du das wirklich nicht?  Hast du keine Ahnung? Ist der Ohrensessel bequem? Was bist du eigentlich, Baby? Traumatherapeutin oder Langweilerin!

Therapeutin:  Da reißt er die Augen auf, Speichel fließt aus seinem Mund, er hebt die Arme, als ob er eine Maschinenpistole hält.

Soldat: Taktaktaktaktak. Neben dir schreit einer und wimmert. Dein Kumpel sackt zusammen, aber du musst weiterschießen, Dein Freund verreckt, da verreckt noch einer und noch einer, verstehst du, was ich meine, verstehst du, was ich meine?! Bist du blöde? Die Hitze, mach doch das Fenster auf, um Gotteswillen!Fünf Minuten später sind drei Kumpels tot, sie liegen neben dir, tot, verstehst du das? Aber du musst weiterschießen! Gut siehst du aus, Baby.

Therapeutin: Da reißt er mir die Zeitung vom Tisch, schlägt sie auf, wie um zu lesen, schreit:

Soldat: (Schreit) Die Zahl der traumatisierten Bundeswehrsoldaten stieg 2015 auf nur 235, das sind weniger Traumatisierte als befürchtet! Grund für den Rückgang sind die gesteigerte Sensibilität unserer Soldaten und die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.Taktaktaktaktaktaktak! BALLABALLABALLA! TAKTAK!!

Therapeutin: Er reißt den Teddy vom Tisch, nimmt ihn in den Arm, küsst ihn wie verrückt, zerfetzt ihn, dass das Stroh herausquillt, und schreit:

Soldat: Titten, Baby, Titten, Titten!

Threapeutin: Ich halts nicht aus. Ich schreie: Soldat Schmitz! Ich kann das nicht, ich kann es nicht! Und er schleudert das Stroh durch die Praxis, umarmt den zerfetzten Teddy, wiegt ihn in den Armen, herzt und küsst ihn, lässt sich von ihm küssen, strampelt wie ein Kleinkind und schreit:

Soldat: TAKTAKTAKTAKTAKTAKTAKTAK !

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