Klimawandel

Tschadsee: Klimawandel und nachhaltiger Friede

von Janani Vivekananda
Schwerpunkt
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Die Tschadsee-Region erlebt eine der größten humanitären Krisen der Welt, mit mehr als zehn Millionen Menschen, die dringend Hilfe benötigen. Der Konflikt und die Krise wurden verursacht durch Gewalt, die mit bewaffneten Oppositionsgruppen wie ‚Boko Haram‘ und dem ‚Islamischen Staat Westafrika‘ und staatlichen Sicherheitskräften zusammenhängt.  Doch die Situation hat ihre Wurzeln in länger existierenden Entwicklungsproblemen, die durch den Klimawandel verschärft werden. Weit verbreitete Ungleichheit und Dekaden politischer Marginalisierung der Gemeinschaften in der Region haben ein festsitzendes Gefühl von Ausgeschlossensein und Fehlen von Vertrauen zwischen den Gemeinschaften und der Regierung verursacht. Derzeit sind Angriffe durch bewaffnete Oppositionsgruppen an der Tagesordnung; der Konflikt führt zu massivem Leid, Menschenrechtsverletzungen und dem Missbrauch von Frauen und Mädchen.
Der Klimawandel hat eine wesentliche Rolle bei der Intensivierung der Krise gespielt. Die Region war schon immer anfällig für Umweltprobleme, und diese Risiken werden durch gegenwärtige und zukünftige Trends des Klimawandels verschärft. Diese Verbindung wurde durch die Resolution Nr. 2349 des UN-Sicherheitsrats vom April 2017 festgestellt:

„…die negativen Auswirkungen des Klimawandels und der ökologischen Veränderungen auf die Stabilität der Region, u.a. durch Wasserknappheit, Dürre, Wüstenbildung, Bodendegradation und Ernährungsunsicherheit, und betont die Notwendigkeit angemessener Risikobewertungen und Risikomanagementstrategien durch die Regierungen und die Vereinten Nationen in Bezug auf diese Faktoren."

Der in Berlin ansässige Think Tank Adelphi führt ein Projekt durch, das die Herausforderung, die vom Sicherheitsrat formuliert wurde, aufgreift, indem er zum ersten Mal untersucht, WIE Klimawandel die regionale, lokale Sicherheit und die Sicherheit von Gemeinschaften berührt. Diese Klima-Fragilitäts-Risiken werden oft beim Peacebuilding und der Entwicklungszusammenarbeit übersehen, aber sind entscheidend dabei, wie eine Krise verläuft. Auf Basis einer 360-Grad-Analyse der Klima-Fragilitäts-Risiken in der Region wird die Studie Zugänge und spezifische Ansätze identifizieren, um Entwicklungspartner zu unterstützen, die diese Herausforderungen angehen.

Frieden schaffen im Klimawandel
Die Auswirkungen des Klimawandels sind in fragilen und unter Konflikt leidenden Situationen wie der Tschadsee-Region besonders schädlich. Hier kämpfen Regierungen und gesellschaftliche Institutionen bereits um Sicherheit und gerechte Entwicklung. In dieser Region werden die Auswirkungen des Klimawandels durch die Unsicherheit erfahrbar, die durch den Klimawandel verursacht wird – vor allem durch zunehmend variierende Niederschlagsmuster. Die Menschen wissen nicht mehr, wann die Regenfälle kommen und, falls sie kommen, wie viel Regen fallen wird. Dies führt zu erheblichen Risiken für den Lebensunterhalt, da die Menschen nicht leicht zwischen verschiedenen Lebensgrundlagen wechseln können, wenn Dürreperioden oder exzessive Niederschläge häufiger auftreten. Diese Sorge verstärkt sich im Zusammenhang mit einer wachsenden Bevölkerung rund um den See. Obwohl die Situation komplex und vielschichtig ist, lassen sich vier Schlüsselrisiken für die Klimafragilität ausmachen, die, wenn sie bearbeitet werden, zur Wahrung der Menschenwürde und des sozialen Zusammenhalts beitragen können. Diese sind:

  • die erhöhte Lebensunterhaltsunsicherheit für Gemeinschaften, die von klimasensitiven Lebensgrundlagen wie Fischerei, Landwirtschaft und Weidewirtschaft abhängig sind;
  • die zunehmende Anfälligkeit von Gemeinschaften und Einzelpersonen, die Auswirkungen des Klimawandels infolge des anhaltenden Konflikts zu bewältigen;
  • das Potenzial des Klimawandels, Konflikte über natürliche Ressourcen wie Wasser und Land und zwischen verschiedenen Berufsgruppen wie Bauern und Hirten zu verschärfen; und
  • die Rekrutierung nicht-staatlicher bewaffneter Oppositionsgruppen wie Boko Haram als Folge von sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit, wachsender prekärer Lebensgrundlagen und finanzieller Anreize.

Zusammen bilden diese Risiken einen sich selbst verstärkenden Rückkopplungskreis zwischen zunehmender Unsicherheit in Bezug auf den Lebensunterhalt, der Anfälligkeit gegenüber dem Klimawandel und Konflikten und Fragilität.

Der Teufelskreis von Klimawandel und Fragilitätsrisiken:

Der Teufelskreis von Klimawandel und Fragilitätsrisiken
Der Teufelskreis von Klimawandel und Fragilitätsrisiken

Vielfalt bei der Datenerhebung
Was kann getan werden, um diese Risiken zu reduzieren? Das Verständnis der wahren Dynamiken, wie die Region durch den Klimawandel von einem auf den Menschen ausgerichteten Ansatz betroffen ist, ist für künftige Bemühungen um die Wahrung der Menschenwürde und Stabilität von entscheidender Bedeutung.
Mit Unterstützung des UNDP und des niederländischen und des deutschen Außenministeriums unternehmen adelphi und seine Partner zum ersten Mal eine Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und bestehenden Sicherheitsrisiken. Das Projekt verbindet lokal geleitete, partizipative Konfliktforschung mit hochmoderner Klima- und hydrologischer Analyse und zielt auf die Förderung eines kohärenten Prozesses, politischer Maßnahmen und Maßnahmen ab, die den Risiken und Chancen der Klima-Fragilität in der Region angemessen Rechnung tragen.
Das Klimateam besteht aus führenden ExpertInnen des Zentrums für Umweltforschung und Umweltforschung in Frankreich (CEREGE). Es hat einen besonders innovativen Ansatz verfolgt, um die aufgrund des Konflikts, der die Datenerhebung rund um den See riskant macht, knappen Daten mit einer Reihe von Methoden einschließlich Satellitenbildern, LIDAR und Feldarbeiten zu ergänzen, um die Veränderung der Oberfläche des Sees über einen langen Zeitraum zu ermitteln. Das lokal geführte und vor Ort ansässige Konfliktteam nutzt einen einzigartig nuancierten, qualitativen, erzählerischen Ansatz, um es den Mitgliedern der Gemeinschaft zu ermöglichen, gehört zu werden, anstatt vorschreibende Umfragen durchzuführen. Die lokal angeleitete Feldforschung in der Region ermöglicht einen stärkeren und tieferen Einblick in den Kontext und liefert gleichzeitig dringend benötigte Primärdaten zu Gemeinschaftsperspektiven und Erfahrungen aus erster Hand, wie der Klimawandel mit bestehenden Fragilitätsrisiken interagiert. Ohne eine angemessene, auf den Menschen ausgerichtete Analyse besteht die Gefahr, dass nicht hilfreiche und potenziell schädliche technische Lösungen zur Bewältigung dieser gesellschaftspolitischen Herausforderungen entwickelt werden.

Risikobewertung und Reaktion auf Klima-Fragilität
Ein Hauptziel der Arbeit besteht darin, sicherzustellen, dass die erkannten Risiken bearbeitet werden. Eine Bewertung ist nur so gut wie ihre Akzeptanz, daher ist es wichtig sicherzustellen, dass die Ergebnisse einer Bewertung die Prozesse und Maßnahmen auf allen Ebenen informieren und unterstützen. Um dies zu erreichen, wurde eine Reihe von Aktivitäten durchgeführt, von der Unterrichtung der Debatten des UN-Sicherheitsrats über den Tschadsee und Klimawandel und Sicherheit bis hin zur Unterstützung von Entwicklungspartnern, die Klimarisiken in ihre Programmentwicklung einbeziehen. Durch Dialoge und Konsultationen unterstützt das Projekt auch Partnerschaften zwischen verschiedenen Sektoren, politischen AkteurInnen und Institutionen, um einen besseren harmonisierten Klimawandel und Stabilisierungsarbeit vor Ort zu fördern.

Klimafreundlicher Frieden
Die Herangehensweise, eine kontextspezifische Klima-Fragilitäts-Bewertung durchzuführen, ist ein wichtiger Beitrag zu nachhaltigem Frieden und Sicherheit. Dieser Ansatz ermöglicht eine lokal fundierte Analyse des Klimawandels und des Konflikts und ermöglicht die Analyse der Tschadsee-Krise aus einer Reihe von Perspektiven, einschließlich der sozioökonomischen und politischen, Friedens-, Sicherheits- und Klimakontexte. Daraus können eine Reihe kontextspezifischer aktueller und zukünftiger Klima-Fragilitäts-Risiken identifiziert und Wege skizziert werden, um diesen zu begegnen, und, was noch wichtiger ist, es können Warnsignale ausgelöst werden, um unbeabsichtigten Schaden zu vermeiden.

Die Suche nach Lösungen erfordert ein verbessertes Verständnis der Ursachen von mit einander verbundenen Risiken. Gegenwärtig konzentriert man sich im Gebiet des Tschadsee-Beckens auf humanitäre Hilfe und Stabilisierungsbemühungen. Es ist natürlich unerlässlich, dass Menschen Zugang zu Nahrung und Unterkunft haben. Die Bewältigung alltäglicher Bedürfnisse wird jedoch nicht dazu beitragen, die Krise einzudämmen. Wenn die Anfälligkeit für den Klimawandel und die Unsicherheit nicht bekämpft werden, wird es schlimmer werden. Ein Teil des Puzzles ist, dass Menschen klimasichere Lebensgrundlagen brauchen, aber die Lösung ist nicht so einfach wie die wirtschaftliche Regeneration. Grundlegend dafür ist die Bekämpfung der historischen Marginalisierung. Die Region wird politisch vernachlässigt und die lokalen Gemeinschaften wurden lange Zeit marginalisiert. Es müssen die Lebensgrundlagen sichergestellt werden und gleichzeitig müssen diese marginalisierten und ignorierten Gruppen gehört werden, müssen erfahren, dass ihre Stimmen wichtig sind, und müssen sich als Teil der Gesellschaft fühlen. Inklusions-, Dialog- und Mediationsprozesse sind daher grundlegend für alle Bemühungen, das Risiko in dieser Region anzugehen.

Die Klima-Fragilitäts-Risikobewertung des Tschad-Sees bietet eine Vorlage für zukünftige Klima-Fragilitäts-Bewertungen und Interventionen. Diese Art von Ansatz wird in künftigen Konflikt-, humanitären und Stabilisierungsstrategien von entscheidender Bedeutung sein. Dies ist insbesondere der Fall, da verstärkte Klimaauswirkungen in fragilen Staaten dazu führen werden, dass die Bekämpfung von Klima-Fragilitäts-Risiken eine zunehmend wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit weltweit spielen wird.

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Janani Vivekananda ist Senior Advisor für Klimawandel und Sicherheit bei adelphi, Berlin. Sie beschäftigt sich seit mehr als 12 Jahren mit Fragen des Klimawandels, des Friedens und der Sicherheit und leitet derzeit die Klimafragilitätsanalyse am Tschadsee.