Strategische Interessen

US-Strategen und Nahost-Erdöl – Vom 2. Weltkrieg bis heute

von Luay Radhan
Hintergrund
Hintergrund

In diesem Beitrag wird die These aufgestellt, dass das Interesse von Großmächten an der Kontrolle des Nahost-Erdöls ein Kontinuum darstellt, das die Geschehnisse der Region seit vielen Jahrzehnten entscheidend beeinflusst. Als Beispiel hierfür soll eine Auswahl von Aussagen seitens VertreterInnen des US-Staats dienen, der im 2. Weltkrieg zum dominanten Imperium unserer Ära aufstieg.

Nachdem US-Erdölgeologe DeGolyer den enormen Erdölreichtum der Arabischen Halbinsel entdeckt hatte, teilte US-Präsident Roosevelt 1944 dem britischen Botschafter Halifax mit: „Das persische Öl gehört Ihnen. Das Öl im Irak und in Kuwait teilen wir uns. Und was das saudische Öl betrifft, das gehört uns.“  (1) 1945 beschrieben Offizielle des US-Außenministeriums die saudi-arabischen Energieressourcen als „gewaltige Quelle strategischer Macht“ und als „einen der größten materiellen Preise der Weltgeschichte“. (2) Die Golfregion wurde insgesamt als „wahrscheinlich reichster ökonomischer Preis im Bereich der ausländischen Investitionen“ betrachtet. (3) Die britische Regierung stimmte dieser Einschätzung zu und bezeichnete die Ressourcen der Region 1947 als „lebenswichtiger Preis für jede Macht, die an weltweitem Einfluss oder Weltherrschaft interessiert ist“. (4) US-Präsident Eisenhower sagte später, dies sei die „strategisch wichtigste Gegend der Welt“. (5) Laut dem richtungsweisenden Dokument „NSC 68“ (1950) produzierten die USA 1950 etwa siebenmal so viel Erdöl wie die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten. US-Militärs befürchteten, die Sowjetunion könnte „zu den erdölhaltigen Regionen des Nahen und Mittleren Ostens vorzustoßen […].“Man beklagte „ein unzureichendes Maß an Schutz von lebenswichtigen Militärbasen im Vereinigten Königreich und im Nahen und Mittleren Osten.“ (6)

Invasionspläne: Die 1970er
In den 1970ern wurden die USA von einem Nettoexporteur zu einem Nettoimporteur von Erdöl. Gleichzeitig wuchs der weltweite Ölverbrauch stetig. (7) Bereits 1973, während der Ölkrise, erwogen die USA eine Besetzung von Saudi-Arabien und Kuwait (mit britischer Unterstützung in Abu Dhabi). Verteidigungsminister Schlesinger sagte zum britischen Botschafter: „Es ist nicht mehr länger ausgeschlossen, dass die USA Gewalt anwenden.“ (8) Eine Geheimstudie von 1975 heißt: „Ölfelder als militärische Ziele: Eine Machbarkeits-Studie im Auftrag des US-Kongresses.“ Darin werden v.a. Saudi-Arabien, Iran und Kuwait genannt: (9) „Unsere Analysen zeigen, [dass die militärischen Kräfte der OPEC-Länder] quantitativ und qualitativ unterlegen sind und schnell zerschlagen werden könnten.“ (10) Da 58 % der Befragten im April 1975 gegen eine Besetzung arabischer Ölfelder waren (25 % dafür), schlugen die Autoren vor, Regierung und/oder Kongress sollten – mittels der Massenmedien – die öffentliche Meinung beeinflussen. (11)

In einem Artikel schrieb US-Politologe Robert W. Tucker, für eine Öl-Intervention eigne sich das Gebiet von Kuwait entlang der Küstenregion Saudi-Arabiens bis Katar. (12) Das Harper’s Magazine veröffentlichte unter einem Pseudonym „Die Eroberung des arabischen Öls“, worin zu lesen war: „[Militärische] Gewalt sollte selektiv eingesetzt werden, um große und konzentrierte Ölreserven“ zu besetzen. Dafür käme nur Saudi-Arabien in Frage. In einem Interview sagte James Akins, US-Botschafter in Saudi-Arabien, wer so etwas Absurdes vorschlägt, sei „entweder verrückt, kriminell oder ein Sowjet-Agent“. Monate später wurde Akins gefeuert und fand später heraus, dass die Quelle für diesen platzierten Artikel sein Ex-Boss war: Henry Kissinger. Dieser äußerte sich wie folgt in der Business Week (13.1.1975): „Massive politische Kriegsführung gegen Länder wie Saudi-Arabien und den Iran könnte dazu führen, dass diese Länder ihre politische Stabilität gefährden […] wenn sie nicht kooperieren.“ (13) Zudem sagte er: „Erdöl ist eine zu wichtige Ware, um sie in den Händen der Araber zu lassen.“ (14)  

Carter und die UdSSR: Die 1980er
US-Präsident Carter sagte in der Rede zur Lage der Nation 1980, die Abhängigkeit westlicher Demokratien vom Nahost-Erdöl sei eine der größten Herausforderungen. Die Region, die nun von sowjetischen Truppen in Afghanistan bedroht sei, enthalte über 66 % des exportierbaren Erdöls. Carter drohte: „Jeder Versuch einer ausländischen Macht, die Region des Persischen Golfs in ihre Gewalt zu bringen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet. Ein solcher Angriff wird mit allen nötigen Mitteln zurückgeschlagen werden, militärische Gewalt eingeschlossen.“ (15) Den späteren Zerfall der Sowjetunion kommentierte US-Ökonom Philip Verleger so: „Jeder glaubt, Ronald Reagan habe die Sowjetunion zu Fall gebracht. Das ist falsch: Es war der Fall der Erdöleinnahmen.“ (16) Hintergrund: Nachdem sich andere OPEC-Mitglieder nicht an die vereinbarten Erdöl-Förderquoten gehalten hatten, verdoppelte Saudi-Arabien seine Fördermenge im August 1985. Dies führte zu einem drastischen Fall des Erdölpreises und somit zu einer starken Reduzierung der sowjetischen Staatseinnahmen. (17)

Nahostkriege: Die 1990er bis heute
Im August 1990 besetzte die irakische Armee Kuwait. Ein Energieberater von Präsident Bush erklärte, dass „jeder Dummkopf das Prinzip verstehen“ müsse, dass die USA Öl bräuchten. Wären Orangen die Hauptexportgüter von Kuwait und Saudi-Arabien, dann wäre Washington „in den Sommerurlaub gefahren“. (18) Auch der Defense Planning Guidance Bericht von Paul Wolfowitz an Verteidigungsminister Dick Cheney (1992) spricht vom Ziel, die dominante Macht in Nahost zu bleiben und den Zugang zum Nahost-Erdöl zu bewahren. (19) Als Cheney 1999 Vorstandsvorsitzender von Halliburton war, teilte er vor dem International Petrolium Institute mit: „Jedes Jahr müssen wir Reserven finden und entwickeln, die unserer Förderung entsprechen, nur um das Niveau zu halten. […] Wo soll dieses Erdöl herkommen? […] Obschon auch andere Regionen der Welt große Möglichkeiten für die Erdölförderung bieten, bleibt der Nahe Osten mit zwei Dritteln der Erdölreserven und tiefen Produktionskosten die Region, wo der Hauptpreis liegt. Erdölfirmen hätten gerne besseren Zugang zu dieser Region.“ (20)

Als neuer US-Vizepräsident beauftragte Cheney eine Energieexpertengruppe, die im Mai 2001 ihre Erkenntnisse veröffentlichte: Die USA seien 2001 im schwersten Energieengpass seit dem Ölembargo der 1970er, und 48 der 50 US-Staaten hatten bereits 1970 ihr Erdöl-Fördermaximum erreicht. Fazit: „Wir werden immer abhängiger von ausländischen Lieferanten […].“ Präsident Bush Jr. sagte dazu: „Was die Leute laut und deutlich hören müssen, ist, dass uns hier in Amerika die Energie ausgeht. […] Wir müssen zusätzliche Energiequellen finden.“ (21) Folgende Tabelle bestätigt:

Region                                       Weltanteil Erdöl (22)
I. Nahost                                    65,5 %
     1. Saudi-Arabien                 24.2 % (23)        
     2. Iran                                   12.1 %        
     3. Irak                                   10.6 %        
     4. Kuwait                              9.2 %    
.    5. V.A. Emirate                    6.5 %
II. Mittel-/Südamerika             9,4 %            
III. Europa/Eurasien              9,3 %           
IV. Afrika                                   7,4 %          
V. Nordamerika                      4,8 %          
VI. Asien/Pazifik                      3,7 %          

US-General Clark packt aus
Paul Wolfowitz: „Was wir aus dem Golfkrieg [1991] gelernt haben, ist, dass wir unser Militär in dieser Region – dem Nahen Osten – einsetzen können, und die Sowjets stoppen uns nicht. Wir haben jetzt 5 oder 10 Jahre, um diese alten Sowjetregime – Syrien, Iran und Irak – wegzuräumen, bevor die nächste große Supermacht kommt und uns herausfordert.“ (24) US-General Wesley Clarks Erinnerung an diese Aussage kam kurz nach 9/11 wieder auf, als ihn folgende Nachricht eines Pentagon-Mitarbeiters schockte: „Ich habe gerade diese Memo vom Büro des Verteidigungsministers [Donald Rumsfeld] bekommen. Sie besagt, dass wir in 5 Jahren die Regierungen von 7 Ländern angreifen und zerstören werden – wir werden mit dem Irak anfangen, und dann bewegen wir uns nach Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und Iran.” (25) Zum Öl meinte Clark: „Die Wahrheit über den Nahen Osten ist: Hätte es dort kein Erdöl gegeben, wäre er wie Afrika. Niemand droht, in Afrika zu intervenieren. […] Es steht außer Zweifel, dass die Anwesenheit von Erdöl in der Region die Einmischung von Großmächten auslöste.“ (26) Noch deutlicher wurde John Bolton, UN-Botschafter unter Präsident Bush Jr.: „[Die] Region des Persischen Golfs - die entscheidende Erdöl und Erdgas produzierende Region, in der wir so viele Kriege führten beim Versuch, unsere Wirtschaft zu beschützen von der ungünstigen Auswirkung, diese Versorgung zu verlieren oder sie nur noch zu sehr hohen Preisen zur Verfügung zu haben.“ (27)

Fazit: Kampf um Nahost-Erdöl bleibt
Bertram Brökelmann schreibt: „Die Welt ist gewiss nicht so einfach, dass sich alle modernen Veränderungen Probleme, Krisen, Kriege allein auf die Frage der Ölversorgung zurückführen ließen. Dennoch ist es wichtig zu zeigen, dass sehr oft – und öfter als man dies gemeinhin vermutet – der Energieträger Öl einen deutlichen, maßgeblichen und nicht selten eben doch sogar den letztlich entscheidenden Anteil an den Vorgängen auf diesem Planeten hat.“ (28) Kontrolle über Nahost-Erdöl ist deshalb so bedeutsam, weil Erdöl lebensnotwendig für die Weltwirtschaft ist, sich das meiste Erdöl in Nahost befindet und das US-Imperium erwartungsgemäß das Ziel verfolgt, das Aufkommen von Rivalen zu verhindern. (29) Joschka Fischer sagte 2014 dazu: „[…] so werden sie [die USA] sich geopolitisch nicht aus dem Nahen Osten verabschieden  können, denn erstens bleibt die Golfregion die Tankstelle der Weltwirtschaft, und zweitens wird die Weltmacht USA keiner anderen oder gar feindlichen Macht die Kontrolle über dieses Kraftzentrum der Weltwirtschaft erlauben können, sofern sie ihren Status als globale Supermacht nicht gefährden will.“ (30)

Anmerkungen
1 Yergin, Daniel (1991): Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht. S. Fischer, Frankfurt/Main. S. 508
2 Chomsky, Noam (2004). Hegemony Or Survival. American Empire Project, New York. S. 150.
3 Ebd. Chomsky zitiert hier Aaron David Miller: Search for Security. North Carolina, 1980; Irvine Anderson: Aramco, the United States and Saudi Arabia. Princeton, 1981; Michael Stoff: Oil, War and American Security. Yale, 1980.
4 Ebd. Chomsky zitiert hier Mark Curtis: Web of Deceit. S. 15-16.
5 Ebd. Chomsky zitiert hier Steven Spiegel: The Other Arab-Israeli Conflict. Chicago, 1985. S. 51.
6 Lay Jr., James S. (Executive Secretary): A Report to the National Security Council - NSC 68. Washington, April 1950. S. 16-18, 32 (eigene Übersetzung).
7 Seifert, Thomas/Werner, Klaus (2005). Schwarzbuch Öl. Deuticke, Wien. S. 20.
8 Ebd., S. 54-57. Siehe Brökelmann, Bertram (2010). Die Spur des Öls. Osburg Verlag, Berlin. S. 361.
9 Congressional Research Service (1975): Oil Fields as Military Objectives: A Feasibility Study. US Government Printing Office, Washington DC. S.24, 25, 27
10 Seifert/Werner, S. 54-57. Siehe auch Brökelmann, S. 361
11 Congressional Research Service, S. 12, 36 (Fn. 33). Die Autoren zitieren Louis Harris: Oil or Israel? New York Times Magazine, 6. April 1975. S. 34.
12 Tucker, Robert W. (1.1.1975). Oil: The Issue of American Intervention, in: Commentary
13 Seifert/Werner, S. 54-57. Siehe auch Brökelmann, S. 361, 445-46.
14 Follath, Erich/Jung, Alexander (24.5.2004). Die Quelle des Krieges, in: DER SPIEGEL.
15 Carter, Jimmy (23.1.1980). State of the Union Address. Washington, DC. Zitat: Ganser, Daniele (2014). Europa im Erdölrausch. Orell Füssli, Zürich. S. 222-25.
16 Friedman, Thomas L. (5.12.2004). Fly Me to the Moon, in: The New York Times
17 Seifert/Werner, S. 23-24
18 Brökelmann, S. 374. Er zitiert Michael Kramer: The Gulf: Read My Ships. Time, 20.8.1990
19 Wolfowitz, Paul: Defense Planning Guidance, FY 1994-1999. Washington DC, 1992. S. 2, 6, 44, 49.
20 http://www.resilience.org/stories/2004-06-08/full-text-dick-cheneys-spee...
21 Ganser, S. 285-87.
22 SIPER (2011), in www.siper.ch (4.4.2018). Man zitiert BP Statistical Review of World Energy 2003.
23 Chossudovsky, Michel (4.1.2007). The “Demonization” of Muslims and the Battle for Oil, in: www.globalresearch.ca (29.6.2017). Er zitiert World Oil (Dec. 2004).
24 Ganser, S. 292-93.
25 Greenwald, Glenn (26.11.2011). Wes Clark and the neocon dream, in: www.salon.com (29.3.2018).
26 Clark, Wesley (2.3.2007). Video-Interview, in: www.democracynow.org (29.6.2017).
27 Bolton, John (22.10.2011). Video-Interview, in: www.foxnews.com (29.6.2017).
28 Brökelmann, S. 16.
29 Kumar, Deepa (2012). Islamophobia and the Politics of Empire. Haymarket, New York. S. 116.
30 Fischer, Joschka (22. Oktober 2014). Grenzen des Wachstums? In: Bank Notenstein Gespräch.

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Luay Radhan ist Promotionsstudent der Islamwissenschaft an der Uni Marburg sowie Absolvent der Uni Heidelberg in Politikwissenschaft.