Freundschaft dient dem Frieden

Vom völkerverbindenden Sinn des Fernwanderns

von Bert Winkler
Initiativen
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Wer seinen Auslandsurlaub nicht in allen Details planen kann und dann auf Essen und Übernachtungsmöglichkeiten angewiesen ist, der lernt echte Gastfreundschaft kennen und schätzen. In jedem Dorf und jeder Stadt findet man Unterstützung und lernt dabei immer wieder neue Freund*innen kennen. Das ist Völkerverständigung „pur“ – und damit auch Friedensförderung!
Fernwandern ist „in“. Diese Art, seinen Urlaub zu verbringen, ist in der Regel das Gegenteil von „all inclusive“. Zwar gibt es auch einige wenige Pauschalanbieter. Aber beim echten Fernwandern, insbesondere im Hochgebirge oder im Ausland, ist ein Gepäcktransport nur schwer realisierbar. Quartiere und Einkaufsmöglichkeiten sind mitunter „dünn gesät“. Und auch in Zeiten von GPS und Satellitennavigation können Wege verschüttet sein oder durch Windbruch und zugewachsene Vegetation unbegehbar werden. In all diesen Fällen ist man darauf angewiesen, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen und deren Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Obgleich dies auch auf andere Fernwanderwege zutrifft, soll hier konkret auf den „Internationalen Bergwanderweg der Freundschaft Eisenach-Budapest“ eingegangen werden, kurz als „EB“ bezeichnet. Dieser europäische Wanderweg führt über rund 2.700 Kilometer durch Thüringen, Sachsen, Böhmen, Mähren, das polnische Schlesien bis in die Slowakei und nach Ungarn. Er wurde im Jahre 1983 eingerichtet, als die betreffenden Länder noch „sozialistisch“ waren und sich hinter einem „Eisernen Vorhang“ befanden. Der Weg hat in Deutschland sein Logo und seine Beliebtheit als „EB-Wanderweg“ beibehalten, obgleich er im Ausland hauptsächlich als „Europäischer Fernwanderweg E3“ (in Tschechien, Polen und der Slowakei) bzw. „E4“ (in Ungarn) markiert ist. Mittlerweile ist der „EB“ zu einem echten Geheimtipp geworden, um naturnahe Erholung mit gesunder körperlicher Betätigung zu verbinden und dabei viele kulturhistorische und religionsgeschichtliche Orte kennenzulernen.
Mittlerweile sind rund 80 Wander*innen bekannt, die ihn bis nach Budapest gelaufen sind. Darunter sind z.B. Hartmut Büttner, Roland Born, Rolf-Jürgen Grimm, Dieter Biladt und die Leipziger Autorin Rebecca Maria Salentin, die sogar Bücher darüber veröffentlicht haben („Von Budapest nach Paris“ / „Von der Wartburg bis nach Budapest“ / „Klub Drushba“).
Ein wanderndes Pärchen aus Rauen wurde in der Slowakei spätabends von einer einheimischen Familie eingeladen, weil sich weit und breit keine Pension befand. Noch heute stehen sie mit der Familie in Kontakt, deren Sohn sogar seine Ferien bei ihnen verbrachte.
Eine Studentin aus Berlin und ihr Wandergefährte fragten in einem ehemaligen Kinderferienlager, in dem gerade eine freikirchliche christliche Gemeinde eine Freizeit verbrachte, nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Die Gläubigen widmeten jeden Tag ihres Aufenthaltes einem anderen kirchlichen Feiertag. Als die beiden Wanderer ankamen, war gerade der „Heiligabend“ – mitten im August. Sie wurden als „Heilige Könige“ ins Christmettenspiel einbezogen und zum anschließenden Weihnachtsessen mit eingeladen.
Von ähnlichen Erlebnissen kann fast jeder Wanderer berichten, der die Gesamtstrecke oder auch nur einzelne Abschnitte des EB-Wanderwegs bewältigt hat. Es ist eine wichtige Erfahrung, wenn man sich zum ersten Mal abends in einem fremden Land entscheidet, um Hilfe zu bitten, weil man allein nicht an das herankommt, was man mindestens braucht, nämlich etwas zum Essen und ein Dach über dem Kopf.
Natürlich sollen negative Erlebnisse nicht verschwiegen werden. Dazu zählen Begegnungen mit Wildschweinen oder Bären, Kleinkriminalität und Zusammenbrüche aufgrund von Wetterextremen. Außerdem könnte vor allem für das Land eines Victor Orban durchaus in Zweifel gezogen werden, ob einem dunkelhäutigen Fernwanderer durchgehend die gleiche freundliche Unterstützung gewährt wird wie einer weißen Europäer*in.
Was von jeder Wanderung bleibt, ist das Wissen, dass man in 99 Prozent aller Fälle Unterstützung erhält, wenn man sie benötigt. Die vielen Wander*innen, die auf Jakobswegen in Richtung Santiago de Compostela unterwegs sind, könnten also auch in Gegenrichtung grundlegende Erfahrungen machen. Nützlich ist dabei schon der Ratschlag, an welchem Haus man weiterfragen soll, weil dort jemand Deutsch oder Englisch spricht – oder weil derjenige genug Platz hat, um Gäste zu beherbergen. Ebenso nützlich ist ein Liegeplatz in der Garage, wo man seine Isomatte ausbreiten kann, wenn die Hausbesitzerin selbst nur über ein winziges Kämmerchen verfügt. Und wer noch nicht erlebt hat, wie sich ein Dutzend einheimischer Besucher einer Kneipe gegenseitig austauschen, um die bestmögliche Lösung für die Fremden zu finden, der wird das kaum glauben können.

Weitere Informationen:
-    „Der Weg der Sehnsucht“ (Dokumentarfilm von Wolfram und Patricia Klieme) in der MDR-Mediathek (https://www.mdr.de/tv/programm/sendung-741148.html)
-    Webseiten http://EB.Stadtigel.de & http://Eisenach-Budapest.de

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Der Autor Bert Winkler, Jahrgang 1967, ist Diplommathematiker und arbeitet in einer Stadtverwaltung in Sachsen. In seiner Freizeit wanderte er bereits von Luxemburg bis Serbien.