Friedensbewegung gegen den Irak-Krieg

Welche politische Relevanz hatte die Friedensbewegung im Zusammenhang des Irak-Krieges 2003?

von Clemens Ronnefeldt
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Am 15. Februar 2003 fanden weltweit Demonstrationen gegen den bevorstehenden Irak-Krieg statt, an denen etliche Millionen Menschen teilnahmen. Als Reaktion darauf schrieb der New York Times- Schriftsteller Patrick Tyler in einem Artikel vom 17. 2.2003: „Die riesigen Antikriegsdemonstrationen auf der ganzen Welt an diesem Wochenende erinnern daran, dass es möglicherweise noch zwei Supermächte auf dem Planeten gibt: die Vereinigten Staaten und die Weltöffentlichkeit.“

Der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan sprach daraufhin in seinen Reden von „zwei Supermächten“. Im März 2003 titelte das Magazin „The Nation": „The Other Superpower", woraufhin Jonathan Schell schrieb: „Die neue Supermacht besitzt immense Macht, aber es ist eine andere Art von Macht: nicht der Wille eines Mannes, der das 21.000 Pfund schwere MOAB (Anm. von C. Ronnefeldt: Abk. für „Mother Of All Bombs“) führt, sondern die Herzen und Willen der Mehrheit der Weltbevölkerung.“

Die politische Relevanz der weltweiten Friedensbewegung lässt sich rückblickend an den Kommentaren vom 17.2.2003 ablesen:

Im Berliner Tagesspiegel schrieb Bernd Ulrich über die „Rettung“ des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder durch die Friedensbewegung:

„Letzten Sonntag noch war der Kanzler außenpolitisch am Boden, er hatte sich mit seinem allerstriktesten Nein isoliert, (…). Diesen Sonntag hingegen wirkte es fast so, als hätten Millionen Menschen nur für ihn demonstriert.“ (Der Tagesspiegel, 17.2.2003).

Joachim Käppner sah in der Süddeutschen Zeitung die „Wieder-Auferstehung“ einer „neuen“ Friedensbewegung - nach den Großdemonstrationen der „alten“ Friedensbewegung in den 1980er Jahren: „Bertolt Brecht hat gesagt, das Gedächtnis an frühere Leiden sei erstaunlich kurz – noch geringer sei aber das Vermögen, sich künftige Leiden vorzustellen. An diesem Vermögen indessen hat es Millionen Menschen in Europa, Australien und den USA nicht gefehlt, als sie am Wochenende gegen einen Irak-Feldzug auf die Straße gingen. (…) In Berlin wurden Brechts Worte vor einer halben Million Menschen verlesen. Es war eine der eindrucksvollsten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik, und sie bedeutet nicht weniger, als dass die deutsche Friedensbewegung zurückgekehrt ist. Oder müsste man sagen: wiederauferstanden?“ (SZ, 17.2.2022).
Dieter Ostermann schrieb in der Frankfurter Rundschau:

„Und der Widerstand wächst, auch und gerade von unten. Denn jene Millionen Menschen, die da am Wochenende von Berlin bis London, von Melbourne bis New York auf den Straßen waren, sind ja nur die Vorhut einer weltweit um sich greifenden Angst, die weit über Irak hinausgeht. Es ist die Angst, dass die Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts bei komplexen Problemen vorschnell die diplomatischen Waffen streckt und zur militärischen Logik Zuflucht nimmt, nicht als in begründeten Ausnahmefällen allerletztes, sondern als scheinbar einfachstes Mittel.“ (FR, 17.2.2003).
Einen zweiten Kommentar am gleichen Tag in der Frankfurter Rundschau verfasste Stephan Hebel:

„Wenn sie nicht wieder 20 Jahre mühsam überwintern will, dann sollte ‚die Friedensbewegung‘, in Wahrheit eine vielfarbige Sammlung unterschiedlicher Gruppen, noch intensiver als bisher an Alternativen arbeiten auch zu solchen Militäreinsätzen, deren Unsinnigkeit weniger offensichtlich ist als im jetzigen Fall. Sie muss lernen, mehr zu sagen als ein lautes ‚Nein‘. (…) Sie muss ihren berechtigten Ruf nach Konflikt-Prävention viel präziser formulieren als bisher. Dann könnte wachsen, wofür eine noch so erfreulich große Demonstration höchstens die Saat legen kann: nachhaltiges zivilgesellschaftliches Wirken für friedliche Konfliktlösung.“ (FR, 17.2.2003).

Ralph Bollmann kommentierte in der taz: „Den Regierungen wird es nach diesem Protestwochenenden schwerer fallen als zuvor, diese Öffentlichkeit zu ignorieren. In einer repräsentativen Demokratie müssen die Regierenden zwar nicht immer tun, was die Mehrheit verlangt. Aber wenn Regierungschefs in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden in einen derart krassen Widerspruch zu ihren Wählern begeben wie Blair, Aznar und Berlusconi, dann bekommen sie ein Problem.

In Deutschland ist es die konservative Opposition, die durch die Proteste vom Wochenende mehr noch als bisher ins Schlingern gerät.“ (taz, 17.2.2003).

Fazit für heute: Regierungen brauchen für echte Friedens- und Abrüstungspolitik, die auf Interessenausgleich und Kriegsverhinderung setzt, massive Unterstützung aus der Zivilbevölkerung, die dem wachsenden Druck von Rüstungskonzernen und anderen Wirtschaftsinteressen wie in einem Kräfteparallelogramm zivile Kräfte entgegensetzt – und die Institution des Krieges irgendwann überwindet.

Quellen
https://web.archive.org/web/20051215162800/http://www.greenpeace.org/int...
https://www.theregister.com/2003/04/03/antiwar_slogan_coined_repurposed/
http://www.ag-friedensforschung.de/bewegung/15-02-2003/kommentare.html

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Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.