Virtuelle Kriegsspiele

Westliche Feindbilder, um westliche Käufer*innen anzusprechen

von Michael Schulze von Glaßer
Schwerpunkt
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87 Milliarden US-Dollar Umsatz erwartet die Videospielbranche 2020 – Tendenz für die nächsten Jahre weiter steigend. Dabei soll es in diesem Jahr weltweit 3,55 Milliarden Videospieler*innen geben. Spiele, die Kriege und Militäreinsätze thematisieren, erfreuen sich dabei großer Beliebtheit.
Ein besonders beliebtes Franchise ist CALL OF DUTY – eine First-Person-Shooter-Reihe des US-Publishers „Activision“. Bei den Videospielen schlüpfen die Spieler*innen meist in die virtuelle Haut westlicher Soldat*innen und erschießen aus der „Ich-Perspektive“ virtuelle Feinde. Von den zehn Spielen der Serie mit den meisten Verkäufen wurden insgesamt über 250 Millionen Exemplare verkauft. In Deutschland liegt der aktuelle, 2019 erschienene Serienteil auf Platz zwei der meistverkauften Spiele. Bei der Studie „Jugend, Information, Medien“ (JIM) rangierte CALL OF DUTY für 2019 auf Platz sechs der bei 12- bis 19-Jährigen in Deutschland beliebtesten Spiele. Unter den jungen Menschen ab 16 Jahren liegt das Spiel sogar auf Platz 3 – trotz der gesetzlichen Altersfreigabe der Spiele ab 18 Jahren. Denn die mittlerweile sechzehn CALL OF DUTY Spiele stehen prototypisch für moderne Kriegsvideospiele und vermittelt bildgewaltig – aber inhaltlich subtil – auch politische Aussagen.

Verbreitete Feindbilder
Seine Wurzeln hat das First-Person-Shooter-Franchise im Jahr 2003. Die ersten CALL OF DUTY-Teile versetzten die Spielenden in den Zweiten Weltkrieg: In der virtuellen Haut britischer, US-amerikanischer und sowjetischer Soldaten zieht man auf den Schlachtfeldern in Europa, Afrika und im Pazifik gegen die Achsenmächte in den Kampf.

2007 verließ die CALL OF DUTY-Reihe das klare Weltkriegsszenario und versetzte die Spieler*innen in eine fiktive Gegenwart: CALL OF DUTY 4: MODERN WARFARE wirft die Spieler*innen in das Jahr 2011. In Russland herrscht ein Bürgerkrieg zwischen Ultranationalisten (die von Terroristen aus dem Nahen Osten unterstützt werden) und Loyalisten (die von Großbritannien und den USA unterstützt werden). Auch im arabischen Raum tobt nach einem Putsch ein blutiger Krieg, in den westliches Militär eingreift (was sehr an den realen Irak-Krieg ab 2003 erinnert). Erst eine Atomexplosion hält die westliche Intervention auf. Dennoch können CIA-Agenten und britische SAS-Elitesoldaten den arabischen Anführer der Putschisten festnehmen und töten. Ein Angriff der russischen Ultranationalisten auf die USA mit atomaren Interkontinentalraketen kann in letzter Sekunde vereitelt und auch ihr Anführer getötet werden. Aufgehalten hat man die rechten Kräfte in Russland damit aber nicht.

Im zweiten Serienteil – CALL OF DUTY: MODERN WARFARE 2 (2009) – stellen die Ultranationalisten in Russland 2016 sogar den Präsidenten. Ihr radikaler Flügel hat aber noch weitere Pläne: In einer Geheimaktion verursachen sie ein Massaker an Zivilist*innen an einem Moskauer Flughafen und schieben es den USA in die Schuhe. Die „False Flag“-Aktion stürzen Russland und die USA in einen konventionell geführten Krieg – russische Truppen landen in zahlreichen US-Städten. CIA- und britische-Truppen versuchen derweil die Hintergründe zu erfahren und finden heraus, dass die radikalen Ultranationalisten mit einem US-General zusammengearbeitet haben, der bei der Atomexplosion im Rahmen der Invasion im arabischen Raum (aus dem Vorgängerteil) zehntausende Soldaten seiner Truppen verloren hat und nach Rache sinnt. Man kann ihn stoppen – doch der Krieg geht weiter.

In CALL OF DUTY: MODERN WARFARE 3 (2011) versucht man in der Rolle der westlichen Kämpfer beide Seiten zu einem Friedensvertrag zusammenzubringen – die radikalen russischen Ultranationalisten versuchen dies zu sabotieren: Sie greifen mehrere europäische Hauptstädte mit Giftgas an und erpressen den russischen Präsidenten, damit dieser nicht mit der US-Seite verhandelt. Auch Hamburg und Berlin werden zu Schlachtfeldern. Man jagt dem Anführer der radikalen Ultranationalisten nach und kann ihn schließlich töten. Im Januar 2017 wird im Spiel der Friedensvertrag unterzeichnet.

Ein Prequel mit dem schlichten Titel CALL OF DUTY: MODERN WARFARE erschien 2019. Darin kämpft man (in der Serienchronologie vor dem ersten MODERN WARFARE-Teil) in einem fiktiven – sehr an Syrien – erinnernden Land in einem Team aus CIA-Agenten, britischen Soldaten und Aufständischen (die sehr an bewaffnete kurdische Einheiten erinnern) gegen den lokalen Machthaber sowie russische Truppen.

Zusammengefasst kommen in der hier beispielhaft vorgestellten MODERN WARFARE-Serie russische Nationalisten, das russische Militär und arabische Terroristen/Putschisten als Feinde vor. Im zweiten Serienteil gehört auch ein abweichender US-General zu den „Bösen“. Am Rande kommen auch noch afrikanische und südamerikanische Waffenhändler als Feinde vor. Die den Spielenden gegenüberstehenden Feinde sind oft klischeebehaftet und vereinfacht. Nicht selten sind die direkten Feinde, die von den Spieler*innen in einzelnen Missionen bekämpft werden müssen, durch Gasmasken, Schals und andere Mittel anonymisiert – die Gesichtslosigkeit kann dabei auch als teilweise Entmenschlichung verstanden werden. Ihnen gegenüber stehen furchtlose, erfolgreich, von den Spieler*innen gesteuerte Soldat*innen westlicher Militäreinheiten (oder ihrer Verbündeter) mit Namen und Persönlichkeiten.

Der US-Medienwissenschaftler Roger Stahl von der University of Georgia erklärt dies wie folgt : „Die Spiele-Hersteller verwenden von der Politik vorgegebene und in der Öffentlichkeit akzeptierte Feindbilder.“ Das heißt, dass die Politik nicht selbst in die Produktion von Videospielen eingreift, sondern dass Spielehersteller häufig einen aktuellen politischen Grundtenor – beispielsweise wie im 2019er CALL OF DUTY: MODERN WARFARE den Krieg in Syrien – aufgreifen und in ihren Spielen verarbeiten.

Ausgeklammerte Politik
Politische Zusammenhänge werden in den Spielen so gut wie nie erklärt: Die Spielenden sind die ausführende – soldatische – Kraft, die auf der Seite der „Guten“ gegen die „Bösen“ kämpft. Das Handeln der eigenen Seite wird nicht hinterfragt oder in einen politischen Kontext gesetzt. Zwar kämpft man in vielen Spielen – auch in den CALL OF DUTY-Teilen – als westliche Soldat*innen auf nahezu allen Kontinenten, dass es für solche Einsätze aber eigentlich politischer Mandate (etwa von den Vereinten Nationen) bedarf, wird in keinem Spiel thematisiert. Auch internationale Verträge wie die „Genfer Konvention“ kommen in den Spielen schlicht nicht vor. Den – oft jungen – Spieler*innen werden zügellose Militäreinsätze präsentiert. In den MODERN WARFARE-Teilen wird dabei selbst Folter als effektives und erfolgreiches Mittel zum Informationsgewinn (und am Ende zur Beilegung des Krieges) dargestellt. Doch warum thematisieren die Spiele trotz ihres kontroversen Inhalts nicht, was sie darstellen?

Fazit
Weil sich dies schlechter verkaufen würde. Unternehmen wie CALL OF DUTY-Publisher „Activision“ (bzw. dessen Mutterkonzern „Activision Blizzard“) müssen – gerade als Aktiengesellschaft – so viel Gewinn wie möglich machen. Und Unterhaltungsmedien sprechen besonders viele potenzielle Käufer*innen an, wenn sie für die Zielgruppe angenehme Inhalte vermitteln: Die Spiele wollen unterhalten und den Spielenden meistens ein gutes Gefühl geben – man ist „Held*in“, nicht „Verlierer*in“. Die eigene militärische Seite wird daher in fast allen Spielen als sehr erfolgreich dargestellt: Zwar geht man bisweilen rabiat vor, doch schafft man es, Konflikte zu lösen. Da die Haupt-Videospielmärkte für Unternehmen wie „Activision“ noch Nordamerika und Europa sind (wobei China sehr im Kommen ist), sind auch die Spiele westlicher Hersteller auf diese potenziellen Käufer*innen ausgerichtet. Die im Spiel dargestellten Feinde sind dementsprechend häufig welche aus für die Spielehersteller vernachlässigbaren Märkten.

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