Bestandsaufnahme

Zivile Konfliktbearbeitung, die unbekannte Alternative

von Susanne Luithlen

Zu diesen vier im Titel genannten Aspekten möchte ich im Folgenden einige – sicherlich nicht erschöpfende, hoffentlich aber zur weiteren Behandlung anregende – Überlegungen anstellen.

Zunächst eine Begriffsklärung: Ich verstehe zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) hier als ein absichtsvolles, nicht gewaltförmiges vielfältiges Tun mit dem Ziel, gewaltförmig ausgetragene gesellschaftliche Konflikte oder gesellschaftliche Spannungslagen, die zu eskalieren drohen, hin zu einem nachhaltigen gewaltfreien Konfliktaustrag zu verändern.

Dabei macht ZKB einige Annahmen: Sie geht davon aus, dass gewaltförmige Konflikte Ursachen haben, die mit der Verletzung elementarer menschlicher Bedürfnisse – materieller und immaterieller Natur – zu tun haben, wenn sie auch nicht darin aufgehen. Sie geht zudem davon aus, dass Menschen in der Lage und willens sind, ihr Verhalten zu verändern. Weiterhin nimmt sie an, dass es für die nachhaltige Konflikttransformation hin zu gewaltlosen Formen unerlässlich ist, die Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen.

Betrachtet man diese Annahmen, dann wird deutlich, dass ZKB in ihrem Kern mit Fragen der Gerechtigkeit und der Menschenwürde verbunden und diesen verpflichtet ist.

ZKB kann daher nie rein instrumentell betrachtet werden. Sie ist keine Konflikt-Ingenieurskunst, die nur oder primär als technisches Wissen und Können trainiert werden könnte. Zwar braucht es Wissen aus den verschiedensten Fachgebieten und es braucht ein umfassendes und vielfältiges Können. Aber dieses Wissen und Können sind untrennbar verbunden mit aufrichtigem Interesse am Wohl der betroffenen und beteiligten Menschen, mit der Überzeugung, dass ihr Leben so viel wert ist wie meines, und der Bereitschaft, gerechte Verhältnisse zuzulassen. Aus diesem Verbundensein schöpft ZKB – jenseits der konkreten Mandatierung durch die Beteiligten – ihre grundsätzliche Legitimation und Wirksamkeit.

Sicherlich sind dies anspruchsvolle Vorgaben und sicherlich ist nicht alles umsonst oder gar schädlich, was ihnen nicht gerecht wird. Und doch bin ich überzeugt, dass sie den Kern der Wirksamkeit und auch der Berechtigung ausmachen, anderen zuzumuten, auf Ungerechtigkeit und Gewalt nicht mit Gewalt reagieren zu sollen.

Unbekanntheit
Was an ZKB ist unbekannt? Die Aktivitäten (humanitäre Hilfe, Mediation, Diplomatie, basisnahe Friedensarbeit, …), die sie charakterisieren, sind es nicht. Es geht um etwas anderes: Die Aktivitäten, die als ZKB bezeichnet werden und die oft nur durch das Wissen um die Absicht der Handelnden zugeordnet werden können, sind im Alltagsverständnis der meisten Menschen nicht begrifflich zusammengebunden. Die Bedeutung der Absicht im Einklang mit den Grundsätzen als einendes Moment ist unbekannt. ZKB als Konzept ist unbekannt, nicht die Aktivitäten als solche.

Und wenig bekannt ist das Was und Wie ihrer Wirksamkeit. Wäre mehr über die Wirksamkeit von ziviler Konflikttransformation und darüber hinaus über gewaltfreie Formen des Widerstands bekannt, würde aus der weit verbreiteten und in der Bevölkerung tief verankerten Abneigung gegen militärische Gewalt vermutlich eine politisch wirksame konkrete Ablehnung, verbunden mit der Forderung, gewaltfrei vorzugehen.

Alternative
Inwiefern ist ZKB eine Alternative und zu was? ZKB wird verstanden als eine Alternative zu militärischem Handeln ebenso wie zum Nichts-tun. Mit Bezug auf die Handelnden ist dies zutreffend: Sie haben die Möglichkeit, militärisch in einen Konflikt einzugreifen, nichts zu tun oder sich mit Formen der zivilen Konfliktbearbeitung zu engagieren.

Bezogen allerdings auf das Objekt des Handelns – also den Konflikt - impliziert die Bezeichnung von ZKB als Alternative eine sachlich nicht begründbare Ebenbürtigkeit der verschiedenen Möglichkeiten. Der Begriff der Alternative suggeriert, dass zur Zielerreichung zwei Wege gangbar sind. Es führen verschiedene Wege nach Rom; wie man auch geht, man kommt nach Rom.

Dem ist nicht so. Militärische Gewalt und ZKB basieren nicht nur auf fundamental anderen Annahmen, sondern sie verfolgen auch unterschiedliche Ziele. Es wird gesagt und vermutlich geglaubt, dass es um Frieden gehe, hier wie dort. Betrachtet man die Logik militärischer Gewalt, zeigt sich jedoch, dass die Mittel in grundsätzlicher Weise nicht zu dem behaupteten Ziel passen. Militärische Gewalt zielt von ihrem Wesen her auf die Produktion von Siegern und Verlierern ab. Im besten Fall ist sie bedrohungsfixierter Sicherheitslogik verpflichtet, im schlimmsten Mittel imperialen Machtinteressen. Sie ist nicht darauf aus, die Bedürfnisse aller Beteiligten ebenso wie deren Menschenwürde zu achten und zu schützen. Der Frage der Gerechtigkeit gegenüber ist sie indifferent und es geht ihr nicht darum, Ursachen von Konflikten zu bearbeiten. Sie kann Konflikte nur beenden, in dem eine Seite ausgelöscht wird oder aufgibt.

Das Ziel von ZKB hingegen – es leitet sich friedenslogisch aus ihrem Begriff ab –  ist das Eindämmen und Beenden von Gewalt und die Arbeit am fairen Interessenausgleich, dem die Idee eines positiven Friedens Orientierung gibt. Im Rahmen von ZKB ist Gewalt nur in der Logik polizeilichen Zwanges denkbar.

Die Rede von ZKB als Alternative zu militärischem Eingreifen suggeriert einen gemeinsamen Zielhorizont, den es nicht gibt. Damit verschleiert und verharmlost sie die auf Destruktion beruhende Wirkweise militärischer Gewalt, die von ihrem Wesen her nicht friedenstauglich ist.

Verbreiterung
Inwiefern ist Verbreiterung von ZKB sinnvoll oder nötig? Konzeptionell besteht aus meiner Sicht kein Bedarf zur Verbreiterung. Mit den vielfältigen Aktivitäten, die ergriffen werden können, lässt sich ZKB gar nicht durch Beobachtung allein abgrenzen. Erst die Absicht der handelnden  Akteure bringt Klarheit. Schon dadurch ergibt sich Offenheit und Innovationsorientierung, die ausreichende Breite ermöglichen.

Mit Blick auf ihre Anwendung und die weitere Erprobung sieht es anders aus. Hier ergreift die zunehmend einengende Logik des jeweiligen Konfliktgeschehens zu früh und zu häufig die Handelnden. Die Widerstandskraft der internationalen Gemeinschaft (bzw. der dort dominierenden Akteure) gegen die Sogwirkung eskalierender Konflikte ist noch zu gering. Hier muss der Raum für ZKB ausgeweitet – verbreitert – werden. Und er muss vertieft und intensiviert werden: Vertiefung und Intensivierung sind also zwei weitere Gebote.

Konkretisierung
Der Forderung nach Konkretisierung muss mit Vorsicht begegnet werden. ZKB bemüht sich durch umfassende und vielschichtige Kenntnis von Umständen – möglichst reversibel – Impulse in sozialen Systemen zu setzen. Sie tut sich schwer ohne Ansehen der
konkreten Situation, ihrer Geschichte, der Akteure konkrete Pauschalrezepte mitzuteilen. Ohne den Einzelfall bleibt ihr die Darstellung ihrer Grundsätze, der damit verbundenen Herangehensweisen und passender Methoden. Konkret kann sie nur im konkreten Fall sein und nur nach intensiver Beschäftigung.

ZKB lebt von einer Handlungsfähigkeit, die Komplexität, Ambivalenz und Ohnmacht nicht verleugnet oder aus dem Weg schafft, sondern die diese aushält, die Klarheit mit Demut verbindet, die in der Lage ist, solidarisch die Not und die Bedürfnisse aller Konfliktparteien und –betroffenen zu sehen und dennoch deutlich Stellung gegen Gewalt und anderes destruktives Verhalten bezieht. Eine Handlungsfähigkeit, die Menschen stärkt und ihnen etwas zumutet, ohne die Beziehung abzubrechen und die sich bei all dem immer wieder kritisch reflektierend selbst zum Thema macht. Die Konkretion ziviler Konfliktbearbeitung liegt in ihrer Handlungsfähigkeit in komplexen Einzelfällen. Dem nachvollziehbaren Bedarf an Konkretion im Sinne schnell zu vermittelnder Rezepte wird sie nur schwer oder gar nicht nachkommen können.

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