Die Stimme für Zivile Konfliktbearbeitung erheben

Zur Marginalisierung von Pazifismus und Ziviler Konfliktbearbeitung im Ukraine Krieg

von Christiane Lammers
Schwerpunkt
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Die Realitäten des Ukraine-Kriegs sind katastrophaler als alle Szenarien, die die Friedensbewegung in den letzten Jahrzehnten „an die Wand gemalt hat“, um ihre politischen Forderungen zu begründen bzw. ihre Arbeit und deren Finanzierung zu legitimieren. Angesichts dessen ist die Frage naheliegend, warum pazifistische bzw. gewaltärmere Alternativen der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) gerade jetzt so wenig Eingang in die öffentliche Debatte gefunden haben.

Drei Begründungszusammenhänge drängen sich mir auf und es erscheint mir sinnvoll, sie getrennt voneinander zu betrachten. Den thesenhaften Erläuterungen vorausgeschickt sei der Hinweis, dass keine für sich alleine zum Tragen kommt. Durch die Differenzierung des komplexen Problems sollen eigene Handlungsmöglichkeiten sichtbar werden. Das Thema Medien und Journalismus habe ich außen vorgelassen: Medien“schelte“ bringt uns nicht wirklich weiter. Die gerade in Abschnitt I vorgetragenen Argumente sind nicht die meinigen, aber sie fordern uns heraus. Mit simpler Reduktion oder Schuldzuschreibung ist ihnen nicht beizukommen. Auch deshalb habe ich im Folgenden oft die entpersonalisierte Form bei der Formulierung gewählt.

1. Das inhaltliche Angebot der zivilen Konfliktbearbeitung ist nicht überzeugend.
Es erscheint als unrealistisch, dass Zivile Konfliktbearbeitung eine (bessere) Wirkung entfaltet. Diese Einschätzung wird unterschiedlich begründet:

  • Als Konsequenz einer wertegeleiteten Haltung, dass dem eklatanten gewaltförmigen Rechtsbruch nur mit Gewalt begegnet werden kann, um
    • der Zielsetzung des Rechtsbruchs keinerlei Chance der Realisierung zu geben (keine Belohnung),
    • um den Opfern der Gewalt Genugtuung zu geben (Bestrafungsprinzip),
    • um das internationale Rechtssystem vor Nachahmung zu schützen (Abschreckungsgedanke).
  • Oft schwingt in der Ablehnung, über Alternativen nachzudenken, aber auch die generelle Annahme mit, dass Waffengewalt vorrangig nur mit Waffengewalt eingedämmt werden kann. Alle Widerlegungsversuche mit historischen Fallbeispielen werden mit dem Argument der Nichtvergleichbarkeit der Situation entkräftet, insbesondere mit dem Verweis auf Putins weitgehend unbeeinflussbarem Eroberungswillen. Hier setzt dann auch die Analogsetzung zum Hitlerschen Angriffskrieg an.
  • Sich prinzipiell einlassend auf gewaltarme Konfliktbearbeitung als Handlungsalternative wird situativ argumentiert, dass man es mit Diplomatie in den letzten Jahren und Monaten ja versucht habe, aber gescheitert sei. Außerdem seien die Bedingungen nicht vorhanden bzw. könnten nicht geschaffen werden, um Zivile Konfliktbearbeitungsverfahren umzusetzen. Dieses Argument wird unterschiedlich differenziert:
    • dass es zur Umsetzung solcher Ansätze anderer zeitlicher Voraussetzungen zur Vorbereitung bedarf;
    • dass es an der hierfür notwendigen Bereitschaft in der ukrainischen Bevölkerung bzw. seitens des angegriffenen ukrainischen Staates mangelt und dieses im Kontext des legitimen Selbstverteidigungsrechts zu akzeptieren sei;
    • und zum dritten, dass die Zeit für alternative Handlungsformate noch nicht reif sei. So wurde in den letzten Wochen zunehmend argumentativ auf die Forderung nach Waffenstillstands- bzw. Friedensverhandlungen eingegangen. Sie wird u.a. unter Bezugnahme auf empirische Untersuchungen (z.B. von W. Zartman) über das Zustandekommen von Verhandlungen als derzeit nicht realistisch zurückgewiesen, da sich erst „Kriegsmüdigkeit“ bei beiden Seiten einstellen müsse, damit eine ernsthafte Verhandlungsbereitschaft entsteht.

2. Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) als Handlungsalternative in bewaffneten Konflikten wird seitens der Friedensbewegung nicht genügend artikuliert.
Dieser Begründungszusammenhang bezieht sich auf die Akteure, die gewaltärmere Alternativen in die Debatte einbringen können/wollen, verkürzt formuliert auf die Friedensbewegung und ihre Protagonist*innen. Auch diese These lässt sich in mehrere Einzelteile differenzieren:

  • Die Friedensbewegung als politische Bewegung hat sich seit den 1980er Jahren weitgehend darauf beschränkt, antimilitaristische Forderungen aufzustellen. Im Fokus stand die grundsätzliche und auch differenzierte Kritik an Waffensystemen, dem Militärbündnis der NATO und den Einsätzen derselben. Diese Fokussierung auf das „Anti“ gegenüber militärischer Sicherheitspolitik vernachlässigte eine interne und öffentliche Debatte um eine alternative deutsche Sicherheitspolitik und sie klammerte eine differenzierte Sicht auf Kriegsursachen und Kriegstreiber aus. Der versuchte Spagat in vielen Erklärungen der Friedensbewegung, einerseits anzuerkennen, dass Russland den Krieg in der Ukraine begonnen hat, und andererseits doch vor allem die NATO zur Verantwortung für das Kriegs-Desaster zu ziehen (z.B. durch das Vokabular „Wirtschaftskrieg“, „Stellvertreterkrieg“) ist Ausdruck dessen.
  • In den letzten drei Jahrzehnten hat sich aus der Friedensbewegung heraus eine Professionalisierung und Organisationsstruktur entwickelt, die ZKB in der Praxis umsetzt. Ziviler Friedensdienst ist das wichtigste Label hierfür. Der - wenn man so will - professionalisierte Teil der ZKB-Community ist vorwiegend in Projekten der Bearbeitung innergesellschaftlicher Konflikte zur Gewaltprävention oder/und in Nachkriegssituationen tätig. Die professionelle ZKB ist weitgehend regional und nur mittelbar im Kontext (zwischen-) staatlicher Konflikte tätig. Insofern stellt sich die Frage, wer und auf welchem Wissensfundament Methoden der ZKB in die Debatte einbringen kann. Hinzukommt, dass der Großteil der Projekte in außereuropäischen Ländern angesiedelt sind. Viele der dort Engagierten halten vermutlich die dortigen Konflikte und Kriege für nicht weniger relevant als den Ukrainekrieg.
  • Ein weiterer Punkt: Die begründete wissenschaftliche Untermauerung der Argumente für Handlungsalternativen wird von zu wenigen geleistet. Dies lässt mich einen Blick auf die Friedens- und Konfliktforschung (FuK) in Deutschland werfen. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde die FuK in Forschung und Lehre ausgebaut. Unter den neu geschaffenen bzw. ausgeweiteten Kapazitäten findet sich zwar die Zivile Konfliktbearbeitung als Schwerpunkt wieder, jedoch weder der Pazifismus noch die Arbeit an Modellen der alternativen Sicherheitspolitik. Hinzukommt, dass es offensichtlich auch in der FuK eine starke Verunsicherung darüber gibt, ob ihre bisherigen Wissensbestände heute noch eine Aussagekraft besitzen (Stichwort Zeitenwende). So fehlt es an Wissenschaftler*innen, die, wie Dieter Senghaas, Ulrich Albrecht, Johan Galtung oder Theodor Ebert in den 70er und 80er Jahren, Ergebnisse einer kritischen Friedensforschung an Politik und Bewegung herantragen.

3. Die Menschen sind mit dem russischen Angriffskrieg und seinen Konsequenzen überfordert; es entwickelt sich keine gesellschaftliche Kraft und es mangelt an einem parteipolitischen Anker ins Parlament.
Selbstverständlich hat die mangelnde gesellschaftliche Debatte auch etwas mit den gesellschaftlichen Zu- oder Umständen zu tun, in denen über Wege zum Frieden gestritten werden müsste:

  • Die beginnende Klimakatastrophe und die Corona-Epidemie haben zu einer starken Verunsicherung und weitreichenden Zukunftsängsten bei den Menschen geführt. In den kommenden Monaten werden existentielle Nöte bei Vielen mit geringen Einkommen hinzukommen. Auch bei denjenigen, die relativ gut situiert sind, ist die Folge eine Art Selbstschutzhandeln, zu sichern, was zu sichern ist und keine weiteren Katastrophen „zuzulassen“. Die eigene Wirkmächtigkeit ist in Frage gestellt, und es gibt keine einfachen, tradierten Antworten für die komplizierten, neuen Probleme.
  • Vor Corona gab es durchaus größere gesellschaftliche Debatten über, im weiteren Sinne, friedenspolitische Fragen wie z.B. Afghanistan und Flüchtlingspolitik. Mit Fridays for Future wurde das ökologische Überleben der Menschheit zum Thema. Demonstrationen fanden nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland statt. Wichtige Fürsprache erhielten die Themen auch von Teilen der Kirchen. Große humanitäre Solidarität zeigte sich noch bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge. Aber der Schritt, tatsächlich über Alternativen zur militärischen Verteidigung nachzudenken, ist – vielleicht noch - nicht gegangen worden. Auch nicht von denjenigen, die sich gegen das 100 Mrd.-Paket zur besseren Ausstattung der Bundeswehr ausgesprochen haben, wie z.B. Gewerkschaften.
  • In den 80er Jahren gab es mit der Partei Die Grünen eine aufstrebende politische Organisation, zu deren Grundfundament wenn nicht der Pazifismus, so doch mindestens die Ablehnung von Aufrüstung gehörte. Die SPD war friedenspolitisch gespalten, so dass sich auch hier Bündnismöglichkeiten ergaben. An die Stelle dieser beiden Parteien hätte die Partei Die Linke treten können, aber sie befindet sich in einer seit Jahren sich zuspitzenden innerparteilichen ideologischen Zerreißprobe.

Was könnte nun am Ende betrachtet der Mehrwert meiner Darlegungen sein? Nicht intendiert ist, dass der*die Leser*in den Eindruck hat, ob der Vielschichtigkeit der aufgeworfenen Fragen, Probleme und Defizite, wäre es sinnlos, sich für Zivile Konfliktbearbeitung im Kontext des Ukraine-Krieges einzusetzen. Nein, es geht darum, die eigenen Argumente für die ZKB zu schärfen, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, den eigenen Handlungsrahmen abzustecken, aber auch zu erweitern und mehr im Jetzt und in Vorausschau als mit einem Blick zurück zu agieren.

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