Komitee für Grundrechte
und Demokratie



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vom:
März 2001


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Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
- auch bei Castor-Transporten

Vor dem Castor-Transport März 2001:

Für die 13. und 14. Woche des Jahres 2001 ist ein Castor-Transport von hochradioaktivem Müll aus der Wiederaufarbeitung in La Hague nach Gorleben genehmigt. Der Transport wird in der 13. Woche am 26. März in den frühen Morgenstunden mutmaßlich beginnen.

Trotz sogenanntem Atomkonsens und Regierungsverantwortung von Bündnis 90/Die Grünen wird es gegen diesen Transport wiederum erhebliche Proteste seitens der Atomenergiegegner geben. Regierungsamtlich phantasiert man statt dessen von einen Atommüll-Transport, der ohne bürgerlichen Widerstand seinen Weg durch die Bundesrepublik Deutschland finden soll.



Die Grünen, beteiligt an der Bundesregierung, wollen ihrer Partei - und damit möglichst weitgehend allen Atomkraftgegnern - den Protest gegen das Konzept des sogenannten Atomausstiegs untersagen, an dem sie mitgewirkt haben. Als ob sie nur staatlich-repressiv noch von ihrer "bewegten Zeit" legitimatorisch zehren könnten.



Stefan Dietrich schwadroniert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5. März 2001) darüber, wie die Strategie der x-tausend Bürger und Bürgerinnen, die sich querstellen, ausgehebelt werden könnte: Man ignoriere den Protest und lasse die Atomkraftgegner mit dem Castor allein. Schnell sorgten diese dann für einen Weitertransport des - nur in ihren Augen? - gefährlichen Transportgutes.



Die Bezirksregierung Lüneburg richtet eine Abteilung "Konfliktmanagement" in der Polizei ein und tut, als ob der Konflikt durch Gespräche mit den Bürgern zu lösen sei. Als ob es um einen Konflikt der Polizei mit den Bürgern ginge und nicht vorrangig einen Konflikt über eine folgenreich-gefährliche Sache der Bürger mit "ihrer" Regierung. Dem Konfliktmanagement ist mit Skepsis zu begegnen. Zuallererst kommt es darauf an, daß die Polizei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt, und nicht vorrangig die Transportinteressen der Atomindustrie durchsetzen will.


Aus drei hauptsächlichenGründen protestieren Bürger und Bürgerinnen in demonstrativer Form.

Der erste Grund des Protestes besteht darin, daß trotz aller anders lautenden Ankündigungen und Beschlüsse ein definitives Ende der Atomenergieerzeugung und -verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus mit verbindlichen Terminen nicht verläßlich festgesetzt worden ist.

Vor allem dem Ziel, die Wiederaufarbeitung von Atommüll fortsetzen zu können, dient der Transport aus La Hague. Deshalb wird sich diesmal auch die französiche Antiatombewegung "Réseau sortir du Nucléaire" an den Protesten gegen einen Transport beteiligen, der ihnen in baldiger Zukunft nur mehr Atommüll aus Deutschland bescheren wird.

Der dritte Grund ergibt sich folgerichtig aus dem fehlenden Konzept, wie mit dem angefallenen, keinen Tag weiter zu vermehrenden Atommüll mit äußerster Sicherheit für die kommenden Generationen zu verfahren ist. Jede weitere Lagerung von Atommüll in Gorleben ohne langfristiges Konzept wird verständlicherweise als schleichende Einführung eines Endlagers in Gorleben wahrgenommen.

Das Ziel der Demonstrationen ist folglich, auf einen politischen Beschluß zum Ausstieg aus der Atomenergie hinzuwirken.Eine weitere Nutzung der Atomenergie soll politisch nicht durchsetzbar sein.

Folglich stellt sich die Frage, wie mit dem legitimen bürgerlichen Protest umzugehen ist. Diverse Formen der Einschüchterung, der Drohung und der Überwachung derer, die sich an den Protesten beteiligen könnten, machen uns Sorge.



Aus nicht triftig ausgewiesenen Gründen hat es kürzlich, wie schon in früheren Fällen, eine grundrechtswidrige Hausdurchsuchung gegeben. Die richterliche Begründung verweist konkret einzig darauf, daß sich diejenige, deren Haus durchsucht wird, im September 1997 an einer öffentlich angekündigten Aktion zivilen Ungehorsams beteiligt hätte. Eine solche Hausdurchsuchung dient nur der Verunsicherung. Sie läßt befürchten, daß diejenigen, die sich an Protesten beteiligen, ausgeforscht werden sollen. Sie zerstört das wechselseitige, gerade bei Konflikten nötige Vertrauen in grundrechtlich verläßliche, wechselseitig gültige Verfahren.



Gerade dieser Tage ist bekannt geworden, daß und wie Bewohner und ein ganzes Anwesen im Wendland 1997 großzügig überwacht worden sind. Eine solche Überwachung ist nicht zureichend begründet worden. Gründe dafür gibt es nicht. Allein 4.249 Telefongespräche wurden protokolliert und aufgezeichnet. Auch der damalige und heutige Pressesprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, gegen den keine Ermittlungen liefen, wurde abgehört.



Von verschiedenen Seiten werden Sitzblockaden von vornherein, als würde mit ihrer Hilfe "Gewalt" geübt, diskriminiert. Stattdessen werden sie ihrerseits vorausgreifend mit Gewalt überzogen.



In der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei wird immer wieder das Feindbild von gewaltbereiten Demonstrierenden aufrechterhalten. Der Protest von Bauern und die gewaltfreie Sitzblockade haben 1997 den Transport der Castorbehälter erheblich verzögert. Von 1.404 Strafverfahren im Zusammenhang mit den Protesten gegen die ersten dreiTransporte kam es nur in 19 Fällen zu Verurteilungen. Wegen Körperverletzung und Nötigung wurden aber Polizeibeamte verurteilt. Trotz alle dem wird von dem Polizei-Pressesprecher Detlev Kaldinski erneut der "Schwarze Block" als Grund für das gewalttätige Vorgehen der Polizei genannt (vgl. Elbe-Jeetzel-Zeitung vom 22.2.2001)



Grundrechtlich schlechterdings unhaltbar ist es, amtlicherseits zu erwägen, Käfige bereitzustellen, um Teilnehmende an Demonstrationen, die aus irgendeinem Grund mißliebig aufgefallen sind, vorübergehend aus dem Verkehr zu ziehen. Sind auch die Käfige inzwischen in die Landeshauptstadt zurückgezogen worden, so bleibt die Drohung einer vorbeugenden und/oder langfristigen Ingewahrsamnahme doch aufrecht erhalten. Container stehen zur Verfügung.



Im Rahmen der Versammlungen, die im Vorfeld des anstehenden Transportes in den letzten Wochen im Raum Lüneburg und Wendland stattgefunden haben, ist mit unverhältnismäßigen und einschüchternden Mitteln gegen Demonstrierende vorgegangen worden. Jeder Bürger und jede Bürgerin, die sich in dieser Region bewegt, steht unter dem Verdacht (!), das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Der möglichen Wahrnehmung eines Grundrechts halber wird deshalb in Grundrechte vorbeugend eingegriffen. Personalienfeststellungen bis hin zu erkennungsdienstlichen Behandlungen geraten zum normalen polizeilichen Umgang mit Bürgern. In Bussen, die auf dem Weg zu einer Demonstration waren, wurde das Gepäck der Reisenden komplett durchsucht. Die Bürger mußten still auf ihren Plätzen ausharren. Frauen, die sich an einer angekündigten gewaltfreien Sitzblockade beteiligten, mußten sich im Polizeigewahrsam nackt ausziehen.



Erneut ist ein weiträumiges und zeitlich ausgedehntes Versammlungsverbot verhängt. Auch die Parade der Trecker, die am Sonntag, den 25.3.2001 stattfinden soll, sollte zunächst polizeilich nicht zugelassen werden.


Wir protestieren gegen diese einschüchternden und Unruhe erzeugenden grundrechtswidrigen Vorkehrungen und Praktiken der politisch vorgeschickten Polizei. Hier wird Aggressionspotential gestaut, um dann hinterher die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit staatlicher Gewalt zu legitimieren.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie setzt sich seit seiner Gründung für ein unverkürztes Recht aller Bürgerinnen und Bürger ein: für ihre Interessen, ihre Sorgen und Befürchtungen, ihren politischen Willen demonstrieren zu können. Das Recht auf Demonstration (Art. 8 GG) ist ein zentrales demokratisches Recht. Dieses Recht allein gestattet es Bürgerinnen und Bürgern, sich kollektiv, vorbereitet und spontan, außerhalb der etablierten Institutionen zu äußern. In diesem Sinne ist das Demonstrationsrecht ein geradezu essentielles Korrektiv repräsentativ vermittelter Demokratie.

Weil das Demonstrationsrecht als demokratisches Urrecht so bedeutungsvoll ist, hat das Komitee seit Brokdorf 1981 Demonstrationen aller Art beobachtet. Um mit Hilfe einer großen Zahl von entsprechend informiert erfahrenen Beobachterinnen und Beobachtern dafür zu sorgen, daß über Demonstrationen und deren Verlauf zweiäugig, das heißt allein dem Grundrecht verpflichtet, mit verläßlichen Informationen berichtet werde. Dauernd ist das Bürgerrecht zu demonstrieren von allen möglichen, grundrechtlich jedoch unmöglichen Einschränkungen bedroht. Immer erneut werden Demonstrationen schon im Vorfeld durch einseitige Presseverlautbarungen, durch amtliche Auflagen und ähnliches als "gewaltsam", als Gewalt heckend verschrieen, eingeschränkt, ja verboten. Statt grundrechtsgemäß und gemäß ihrer grundgesetzlichen Pflicht, die Polizei dazu einzusetzen, den friedlichen Verlauf von Demonstrationen zu gewährleisten, wird Gewalt zuweilen geradezu herausgekitzelt oder werden vereinzelte Protestäußerungen zum Anlaß genommen, Demonstrationen insgesamt repressiv zu traktieren, als seien sie als solche gewalttätig. Zu letzterem dient auch im Vorfeld und im Verlauf von Demonstrationen ein überzogener, sachlich und grundrechtlich nicht haltbarer Gewaltbegriff, der auf der einen Seite gewaltfreie Sitzblockaden von vornherein zu "Gewalt" transformiert, auf der anderen Seite jedoch polizeiliche Gewalt, die oft unverhältnismäßig eingesetzt wird, pauschal legitimiert.

Wir appellieren an die politischen Vertreter und die zuständigen Behörden und ihre Vertreterinnen und Vertreter, alles zu unterlassen, was den friedlichen Verlauf der Demonstrationen gefährden könnte. Statt dessen sind die staatlich-demokratischen Institutionen und ihre Vertreter gehalten, alles zu tun, diedemokratische Offenheit der Bürgerproteste zu ermöglichen. Es geht nicht an, daß die Politiker die Polizei einseitig dazu mißbrauchen, Castortransporte gegen Bürgerproteste durchzuschlagen. Der staatliche Gewalteinsatz ist den Grundrechtenund dem darauf bezogenen Prinzip der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Der staatliche Gewalteinsatz soll deshalb zuallererst die Ausübung eines Grundrechts garantieren.



Ingrid und Werner Lowin, Wolf-Dieter Narr, Elke Steven

E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
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