Komitee für Grundrechte
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Grundrechtsverletzungen und Innere Sicherheit


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Mit Sicherheit Verlust von Freiheit

Heiner Busch

Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte durch die "Anti-Terror"-Sicherheitspakete

Impressum

Die Anschläge vom 11. September 2001 wurden und werden als unser aller Bedrohung dargestellt. Deshalb müssen "wir" uns staatlicherseitsschützen lassen. Und der Schutz vor dem Terror, so die politische Botschaft, kann keine Rücksicht nehmen auf menschen- und bürgerrechtliche "Empfindlichkeiten".

Festzustellen ist aber zunächst: Es besteht in der Bundesrepublik Deutschland keine "gegenwärtige Gefahr" terroristischer Anschläge. Das haben am 15. Januar und am 7. Februar nacheinander auch die Landgerichte Berlin und Wiesbaden festgestellt. Weil es eine solche Gefahr nicht gibt, so die Schlussfolgerung der beiden Gerichte, gab und gibt es auch keine Berechtigung für den Einsatz eines außergewöhnlichen und gefährlichen Instruments, wie es die Rasterfahndung darstellt. Die Gerichte gaben den ausländischen Studenten recht, die sich gegen die Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gewehrt hatten.

Während in Berlin und Hessen die Rasterfahndung gestoppt wurde, trafen Gerichte in anderen Bundesländern andere Entscheidungen. Die Berliner und die Wiesbadener Richter sind - so wäre zu hoffen - Vorboten einer rationaleren und ruhigeren Herangehensweise an die Attentate in New York und Washington. Sie haben sich der Elften-September-Panik entzogen, die da lautete: Die Gefahr neuer Anschläge ist so groß, dass (fast) jedes Mittel recht ist. Diese richterlichen Entscheidungen müssen deshalb hoch bewertet werden. Dennoch: Sie kommen in mehrfacher Hinsicht zu spät.

Verletzung von Bürgerrechten durch die Rasterfahndung

Erstens: Für die Betroffenen der Ende September letzten Jahres quer durch die Republik angelaufenen Rasterfahndungen ist der Schaden an ihren Grundrechten bereits eingetreten: Ihre Daten, die sie Universitäten, Arbeitgebern, Einwohner- und Ausländerbehörden, Telekommunikationsunternehmen etc. anvertraut haben - anvertrauen mussten - wurden mit Beginn der Rasterfahndungen zweck-entfremdet. Sie dienten nicht mehr der Regelung von Studienangelegenheiten, der Abrechnung von Löhnen oder der ohnehin schonrepressiven Ausländerverwaltung, sondern einzig und allein einem polizeilichen Zweck. Da, wo die öffentlichen und privaten Stellen nicht in vorauseilendem Gehorsam die Daten von Menschen aus Ländern des Nahen Ostens und vermutlich islamischer Religionszugehörigkeit von sich aus herausgaben, wurden sie per gerichtlicher Anordnung dazu gezwungen. Ein zentraler Grundsatz des Datenschutzes, das sog. Zweckbindungsgebot, wonach Daten nur zu dem Zweck genutzt werden dürfen, zu dem sie auch erhoben wurden, ist damit hunderttausendfach gebrochen worden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Polizeigesetze der meisten Bundesländer dieses Vorgehen ermöglichen. Über 19.000 Personen landeten bisher in der "Treffer"-Datei des Bundeskriminalamtes. Der einzige Verdacht: Sie sind TrägerInnen von Merkmalen, die auf das Bild zutreffen, das sich die Polizeibehörden von den sog. Schläfern machen - den unerkannten und nicht erkennbaren möglichen Helfern dervermutlich islamischen Terroristen, die die Anschläge in den USA verübt haben. Einen strafrechtlich verwertbaren Verdacht haben die Datenabgleiche, die Rasterungen, nicht erbracht. Sie haben ihn auch nicht erbringen können: "Schläfer" sinddaran zu erkennen, dass sie sich bewusst angepasst verhalten. Deshalb ist es nicht möglich, sie durch Verhaltensauffälligkeiten aus dem Kreis der "Normalen" herauszufiltern.

Datenverarbeitung mag abstrakt sein. Die Verletzung ihrer Bürgerrechte, die die Rastergefahndeten hinnehmen mussten, ist zum Teil sehr konkret. Schon die Ankündigung der Rasterfahndung - so klagten im Oktober ausländische Studenten in Berlin - habe manchen Arbeitgeber dazu bewogen, sich von dem "islamischen" Angestellten zu trennen. In vorauseilendem Gehorsam wurden auf dem Frankfurter Flughafen Arbeitsverträge muslimischer Arbeiter nicht verlängert bzw. gekündigt. In Hamburg wurden als Folge der Rasterfahndung insgesamt 140 ausländische StudentInnen von der Polizei vorgeladen. Man erklärte ihnen - korrekterweise -, dass sie dieser Vorladung nicht zu folgen bräuchten. Was man ihnen nicht mitteilte, ist, dass eine Verweigerung sie nicht vor polizeilichen Nachforschungen schützt, gegebenenfalls Nachbarn oder Arbeitgeber befragt werden oder die Polizei an ihrer Tür auftaucht.

Schüren von Angst und Misstrauen - vor allem gegen Ausländer und Ausländerinnen

Die bürgerrechtlich positiven Urteile kamen
zweitens zu spät, um etwas gegen das Schüren von Angst und Misstrauen durch PolitikerInnen aller etablierten Parteien innerhalb der Gesellschaft bewirken zu können. Außenpolitisch verfuhren Regierung und etablierte Parteien nach dem Kaiser-Motto von 1914: Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch die "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA. Fragen sollten nicht mehr geduldet sein: Nicht nach den möglichen Gründen für diese Anschläge, nicht danach, wem die Solidarität gelten sollte, und erst recht nicht nach den Folgerungen aus der Solidarität. US-Präsident Bush erklärte den "Krieg gegen den Terror", und die "verantwortlichen" deutschen Politiker erklärten ihre Bereitschaft, daran teilzunehmen. Eine demokratisch-menschenrechtlich fundierte Strafverfolgung stand nicht zur Debatte. Der "Krieg gegen den Terror" trat an ihre Stelle. Er wurde mit sich ständig verändernden, menschen- und völkerrechtswidrigen Zielsetzungen verkauft - von der Terrorbekämpfung bis zur Frauenbefreiung. Der mutmaßliche Hauptschuldige, dessen man "tot oder lebendig" habhaft werden wollte, ist bis heute nicht gefunden worden. Die Strafe zahlen vor allem zivile Opfer. Wieder einmal spielt das Recht im Krieg gegen Afghanistan keine Rolle, nicht einmal das Kriegsvölkerrecht, wie die Internierung von Gefangenen auf Guantánamo beweist. Vielmehr sind bereits Stimmen zu vernehmen, die dieses Recht für unzeitgemäß erklären.

Innenpolitisch sind wir in einem neuen Kalten Krieg gelandet. Gesucht wird nach den "fünften Kolonnen" des ausgemachten Feindes. Sowohl die Politik als auch die Justiz der europäischen Staaten nutzten die Gelegenheit des Kampfes gegen die auch hierzulande vorgeblich aktiven terroristischen Netzwerke. Der Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte wurde aus diesem Grund zugestimmt. Wie wohltuend wäre im September letzten Jahres ein Richterspruch gewesen, in dem es - wie jetzt im Wiesbadener Urteil - geheißen hätte: Es ist "nicht ersichtlich, dass sich terroristische Netzwerke gebildet hätten, die jederzeit in der Lage wären, auf entsprechenden Befehl binnen kurzem Attentate zu verüben".

Die richterlichen Anordnungen zur Rasterfahndung - wie der Beschluss des Berliner Amtsgerichts Tiergarten vom 20. September - machten statt dessen klar, wo die "fünften Kolonnen" des neuen Feindes zu suchen waren: in erster Linie unter der ausländischen Bevölkerung. Das darin wiedergegebene Profil der gesuchten Personengruppe liest sich fast wie ein Leitfaden zur Vergabe von green cards: "männlich, islamische Religionszugehörigkeit ohne nach außen tretende fundamentalistische Grundhaltung, legaler Aufenthalt in Deutschland, keine eigenen Kinder, Studientätigkeit (technische Studienfächer), Mehrsprachigkeit, keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich, rege Reisetätigkeit, häufige Visabeantragungen, finanziell unabhängig ...". Deutlicher hätte man nicht ausdrücken können, dass AusländerInnen auch dann nichts vor polizeilicher Überwachung schützt, wenn sie sich unverdächtig und angepasst verhalten. Bereits am Tag darauf reduzierte dasselbe Gericht unter demselben Aktenzeichen die Suchkriterien auf zwei: "mutmaßlich islamische Religionszugehörigkeit" und mutmaßliche Herkunft aus einem von siebzehn "islamischen" Staaten (darunter auch Frankreich, wo bekanntlich viele maghrebinisch-stämmige Personen leben!). Anders formuliert: Alle Menschen aus diesen Ländern und mit diesem Glauben stehen seitdem unter Verdacht.

Hektik kennzeichnet die Verschärfung der Sicherheitsgesetze

Drittens kamen die Urteile zu spät, um die in aller Eile durchgepaukten neuen Sicherheitspakete zu verhindern. Nach den Anschlägen in New York vergingen nur wenige Stunden, bis der Bundesinnenminister der Öffentlichkeit mitteilte, die bestehenden Gesetze zur Terrorismusbekämpfung reichten nicht aus. Zwei Anti-Terror-Pakete wurden in Windeseile geschnürt. Nach der Aufhebung des Religionsprivilegs im September präsentierte Bundesinnenminister Schily Anfang Oktober ein zweites "Anti-Terror"-Paket. Es folgte ein medienträchtiger Streit in der Regierungskoalition, deraber folgenlos blieb. Anfang November wurde es regierungsintern gebilligt, ging durch eine parlamentarische Kurzberatung und war am 20. Dezember von Bundestag und Bundesrat verabschiedet - ein Gesetz, das in 17 verschiedene Gesetze eingreift und die Bürgerrechte beschränkt. In einer derartigen Hetze hat das Parlament nicht einmal in den "bleiernen Jahren" des Deutschen Herbstes, der Terrorismushysterie der 70er Jahre, gehandelt.

Die nachträgliche Feststellung der Berliner und Wiesbadener Richter - "keine gegenwärtige Gefahr" - ist damit zugleich ein Urteil gegen den Innenminister, der diese Gesetze eilig und ohne jede Rücksicht auf Bedenken vorangetrieben hat; gegen die staatstragenden Parteien, die sich in Vorschlägen immer schärferer Art überboten haben; gegen die große Mehrheit der ParlamentarierInnen schließlich, die diesem Gesetz zugestimmt haben, ohne sich auch nur das übliche Verfahren der Gesetzgebung auszubedingen.

Auch vor dem Elften September konnte sich die Bundesrepublik nicht über einen Mangel an Sicherheitsgesetzen beklagen. Die Anti-Terror-Gesetze der 70er Jahre sind nach wie vor in Kraft. Seit Mitte der 80er Jahre folgte eine neue Welle von Sicherheitsgesetzen: Länderpolizeigesetze, Gesetze über Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz, Geheimdienstgesetze, Gesetze zur Veränderung der Strafprozessordnung, Gesetze, die den Zugriff von Polizei und Geheimdiensten auf die Datenbestände anderer Verwaltungen eröffnen (Melderegister, Fahrzeugregister, Ausländerzentralregister), Gesetze über neue maschinenlesbare Personalausweise und Pässe, Ausländer- und Asylverfahrensgesetze ... Mit dem großen Lauschangriff und der damit verbundenen Grundgesetzänderung schien ein kaum mehr zu überbietender Höhepunkt erreicht.

Die neuen angeblichen Anti-Terror-Gesetze setzen auf diesen gesetzlichen Haufen noch einen drauf. Die Richtung bleibt allerdings dieselbe. Wie bei den bestehenden, so geht es auch bei den neuen Sicherheitsgesetzen um die Ausweitung von Befugnissen im Vorfeld des Verdachts und nicht um die Verfolgung von Straftaten. Da immer mehr Bürger und Bürgerinnen generell unter Verdacht gestellt werden, können sie leicht Opfer von Ermittlungen werden.

Ausweitung von Befugnissen im Vorfeld statt Strafverfolgung

Obwohl der Elfte September demonstriert hat, dass die amerikanischen und europäischen Geheimdienste und ihre vielfältigen Überwachungsmethodengerade nicht dazu getaugt hatten, die Anschläge zu verhindern, bauen Regierung und Parlament die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes erneut aus. Geheimdienste ermitteln ohne jeden strafrechtlichen Verdacht. Sie dürfen nun bei Banken Daten über Kontenbewegungen, bei Luftfahrtgesellschaften Informationen über Reisende und bei Telekom-Firmen Verkehrs- und Verbindungsdaten abfragen. Wer hat mit wem telefoniert? Von welchem Standort aus wurde ein Handy benutzt? Wer schickte wem eine E-Mail? Anders ausgedrückt: wer steht mit wem in Kontakt? Über die Herausgabe dieser höchst privaten Informationen entscheidet nicht mehr ein Richter im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens und anhand einer konkreten Beschuldigung, sondern ein Schlapphut aufgrund amtlicher politischer Vorurteile.

Dass die Vollmacht zum Lauschen "nur" fünf Jahre lang gilt, kann kaum beruhigen. Es handelt sichum Befugnisse, die sonst nur im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens galten. Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten - ohnehin schon vielfach durchlöchert - wird hier erneut aufgehoben.

Die Veränderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes ermöglicht dem Verfassungsschutz zusätzlich, einen weit größeren Kreis von Beschäftigten als bisher durch Abfrage einer Vielzahl von persönlichen Daten auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen.

Weitere Befugnisse im Vorfelddes Verdachts erhielt auch das Bundeskriminalamt. Noch vor einem Anfangsverdacht darf es "zur Ergänzung vorhandener Sachverhalte oder sonst zu Zwecken der Auswertung" Daten bei öffentlichen oder nicht-öffentlichen Stellen erheben, "soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgabe als Zentralstelle erforderlich ist". Bei seinen bundesweiten Rasterfahndungen darf das BKA nun auch auf Daten zugreifen, die bisher dem Sozialgeheimnis unterlagen - z.B. auf Informationen der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenkassen.

Biometrische Daten in Ausweisen?

Schon bisher konnte der Bundesgrenzschutz verdachtsunabhängig kontrollieren (Schleierfahndung). Diese Befugnisse wurden nun ausgedehnt. Die Kontrolleure können dabei demnächst auch auf neuartige Personalpapiere zugreifen. Der Fingerabdruck soll zwar nicht in Pässe, Personalausweise und Ausländerausweise aller Art aufgenommen werden, wie das noch in Schilys Erstentwurf vorgesehen war. Man begnügte sich mit biometrischen Kennzeichen von "Fingern, Händen oder Gesicht". Welche das aber sein sollen, steht nicht im Gesetz. Für die Personaldokumente von Menschen mit deutschem Pass soll diese Frage in einem weiteren Gesetz beantwortet werden, für die Dokumente von AusländerInnen soll dafür eine Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates ausreichen. In jedem Falle aber gilt: Damit diese biometrischen Daten in verschlüsselter Form auf die Dokumente aufgetragen werden können, müssen sie erst erfasst werden. In rund zehn Jahren werden also die Muster der Iris oder die Gesichtslinien sämtlicher erwachsener BewohnerInnen der BRD in einem Computersystem lagern, das für die Polizei zugänglich ist. Dies ist nichts anderes als eine besondere Form der erkennungsdienstlichen Behandlung, einer Maßnahme, der bisher nur Verdächtige einer Straftat - oder Asylsuchende - unterworfen wurden.

Von letzteren werden seit 1992 flächendeckend Fingerabdrücke genommen. Die "identitätssichernden Maßnahmen" beinhalten bei ihnen nicht nur die biometrischen Daten für Ausweise und Visa, sondern auch Stimmproben, die eine Bestimmung des Herkunftsstaates - und damit die Abschiebung - erleichtern sollen. Derartige Maßnahmen können auch bei anderen Ausländern angeordnet werden.

Schon immer war die ausländische Bevölkerung übererfasst. Das Ausländerzentralregister (AZR) ist die größte administrative Datensammlung der Republik. Hier hatten Polizei und Verfassungsschutz seit langem umfangreiche online-Zugriffsmöglichkeiten. Das AZR erhält jetzt noch mehr Daten - aus der Visadatei wird eine Visaentscheidungsdatei. Auch die Zugriffe der "Sicherheitsbehörden" werden umfangreicher. So sollen Gruppenauskünfte - sprich: Rasterfahndungen im Datenbestand des AZR - auch bei Personen mit "verfestigtem Aufenthalt" erlaubt sein. Und zwar ohne Verdacht und ohne eine konkrete Gefahr.

Ausländer raus - zumindest bei vagem Verdacht

Das zweite Antiterrorpaket stellt Asylsuchende und Einwanderungswillige unter den Generalverdacht des Terrorismus. Was unter Terrorismus zu verstehen ist, bleibt jedoch offen und abhängig von Interessen. Was die einen als Befreiungsbewegung betrachten gilt den anderen als terroristische Vereinigung.

Gerade für die Bevölkerung ohne EU-Pass bleibt die Überwachung nicht folgenlos. Hier geht es immer auch um Einschränkungen politischer Rechte und letztlich um die Frage, ob eine Person einreisen oder hierbleiben darf. Im Vereinsgesetz sind einfachere Möglichkeiten für das Verbot von Ausländervereinen aufgenommen worden. Ins Ausländergesetz kamen zusätzliche Gründe für die Versagung oder Nicht-Verlängerung von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen sowie entsprechende Ausweisungsgründe. "Ausländer raus" - bzw. gar nicht erst rein - lautet die staatliche Parole bei vagen "Anhaltspunkten" auf eine "sicherheitsgefährdende Bestrebung" oder eine Unterstützung jener Gruppen, die Polizeiund Geheimdienste demnächst als "terroristisch" definieren werden. Ziel der neuen Regelungen ist nicht nur ein Rausschmiss politisch Missliebiger. Gleichzeitig wird die ausländerpolitische Schlinge generell enger gezogen. Mit den neuen Versagungs- und Ausweisungsgründen sollen vor allem illegale Einreise, falsche Angaben zur Identität und fehlende Mitwirkung bei den Identifizierungsmaßnahmen bekämpft werden. So verhalten sich Asylsuchende jedoch, um eine kleine Chance zu haben, nicht in Länder abgeschoben zu werden, in denen ihre Menschenrechte verletzt werden. Widerspruch und Klage sollen keine aufschiebende Wirkung haben. Die Betroffenen werden rechtlos gestellt.

Was ist Terrorismus?

Noch nicht verabschiedet ist die Ergänzung des aus den 70er Jahren stammenden  129a StGB (terroristische Vereinigung) um einen  129b - ausländische terroristische Vereinigung. Die Zahl der Verurteilungen aufgrund der neuen Strafnorm dürfte so gering bleiben wie bei der alten. Schon der  129a ist vor allem ein Instrument der Ausforschung. Verfahren wegen "Unterstützung" von und "Werbung" für "terroristische" Vereinigungen ermöglichten bei banalen Anlässen - einem an die Autobahn gesprühten RAF-Emblem etwa - die Anwendung der gesamten Palette strafprozessualer Zwangsmaßnahmen - von der Registrierung in Datensystemen über den V-Leute-Einsatz und die Telefonüberwachung bis hin zur Verhängung von U-Haft. Mit dem neuen 129b könnte - je nach politischer Opportunität - jeder bewaffnete Widerstand selbst gegen eine Diktatur zur ausländischen terroristischen Vereinigung umdefiniert werden. Die neue Bestimmung bedroht alle möglichen radikalen Ausländergruppierungen - unabhängig von der Frage, ob sie sich in Deutschland legal verhalten. Er trifft gerade nicht jene Personengruppen, die sich unauffällig und politisch angepasst verhalten, also diejenigen, die gemäß der veröffentlichten Meinung für die Anschläge in den USA verantwortlich sind.

Kriminalisierung von politischem Protest

Am 6. Dezember verabschiedete der Rat der Innen- und JustizminsterInnen der EU zusätzlich den Rahmenbeschluss einer gemeinsamen "Terrorismusdefinition", die die EU-Mitgliedstaaten nun in ihr nationales Strafrecht umsetzen sollen. Terroristische Straftaten werden darin anhand eines Straftatenkatalogs definiert. Dieser enthält erstens schwere Delikte wie Mord, Entführung, Geiselnahme etc. Eingeschlossen ist zweitens der Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" (Anführen, Beteiligung, Unterstützung, Förderung = Werbung oder Finanzierung), den bisher neben der BRD nur fünf weitere EU-Staaten kennen. Als "terroristische Straftat" gewertet werden können drittens die "widerrechtliche Inbesitznahme oder Beschädigung von öffentlichen Einrichtungen, Regierungsgebäuden oder -anlagen, öffentlichen Verkehrsmitteln, der Infrastruktur, allgemein zugänglichen Orten sowie (öffentlichem und privatem) Eigentum". Trotz abschwächender Formulierungen in der Präambel des EU-Rahmenbeschlusses kann kein Zweifel bestehen, dass sich diese Definition von Terrorismus gegen oppositionelle Handlungen richtet. Gemeint sind auch Aktionen zivilen Ungehorsams oder militanten sozialen Protests.

Statt Sicherheit werden Angst und Mißtrauen geschaffen

Der Elfte September wird von den Regierungen und den etablierten Parteien nicht nur in Deutschland als Pauschallegitimation für den Ausbau von Polizei und Geheimdiensten, für den weiteren massiven Abbau von Rechten vor allem der ausländischen Bevölkerung und für die Kriminalisierung von politischem Protest benutzt. Die eiligst durchgebrachten Gesetze und Maßnahmen tragen nichts zu einer ernstzunehmenden Strafverfolgung bei. Sie schaffen auch keine Sicherheit vor neuen Anschlägen - selbst wenn es eine solche Gefahr gäbe. Ganz im Gegenteil: Die GesetzgeberInnen haben vor allem Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung gefördert. Sie haben einen wesentlichen Teil von Sicherheit - nämlich die Rechtssicherheit und die Sicherheit vor staatlich-repressiven Eingriffen - abgebaut.

Was können wir tun?

Die Aufgabe der Bürgerrechtsorganisationen wird darin bestehen, die verabschiedeten Gesetze nicht zur Normalität werden zu lassen. Die öffentliche Diskussion darf jetzt nicht achselzuckend beendet werden. Umso weniger, als der Reigen der neuen Gesetze noch keineswegs abgeschlossen ist. Der EU-Ministerrat hat einen selbst gesetzten "Anti-Terror-Fahrplan" von insgesamt 64 Punkten abzuarbeiten. Der Bundestag wird demnächst über den  129b des Strafgesetzbuchs entscheiden. Der Bundesinnenminister wird mit einer Verordnung aufwarten, die die zu erfassenden biometrischen Daten von hier lebenden AusländerInnen bestimmt, und danach einen Gesetzentwurf ausarbeiten, der für die Bevölkerung mit deutschem Pass dasselbe festlegt.

ZurErinnerung: 1986 debattierte das Parlament über die Einführung des damals neuen maschinenlesbaren Personalausweises, der für die Ewigkeit gemacht schien. Die bis dahin in Westdeutschland grauen und in Westberlin grünen Heftchen sollten abgelöst werden durch die nunmehr üblichen Plastikkarten mit der optischen Lesezone. Aus datenschutzrechtlichen Gründen protestierten damals Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen gegen dieses neue Instrument der Kontrolle - nicht nur mitVeranstaltungen und Communiqués, sondern mit öffentlichen Waschtagen: Wasser und Seife machten die alten "Lappen" unbrauchbar. Deren InhaberInnen brauchten sofort neue Dokumente - im alten Format und mit zehnjähriger Gültigkeit. Die Meldestellen wurden überhäuft mit Ausweisanträgen. Welche phantasievollen Aktionen fallen uns ein - jetzt, wo es um die Erneuerung der damals neuen Ausweise geht?

Zur Vorbereitung von Protest und Aktionen Zivilen Ungehorsams sind jetzt öffentliche Debatten zu organisieren. Die Sensibilität für Bürgerrechte muß (neu) geschärft werden.



Verteilen Sie deshalb diese Bürger- und Bürgerinnen-Information und diskutieren Sie darüber!



Organisieren Sie Veranstaltungen zum Thema "Innere Sicherheit". Eine Liste von ReferentInnen hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie zusammengestellt.



Auch Demonstrationsbeobachtungen, eine Form des praktischen demokratisierenden Verfassungsschutzes, können zum Schutz der Bürgerrechte und zur Diskussion über Freiheitsrechte von Nutzen sein. Zur Hilfe bei der Organisation regionaler Demonstrationsbeobachtungen, haben wir Materialien (Hintergründe zum Demonstrationsrecht, Checkliste der zu berücksichtigenden Aktivitäten zur Demonstrationsbeobachtung, Beispiele für Briefe und Presseerklärungen) zusammengestellt.




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1. Auflage: März 2002, 12.000 Exemplare

Text: Heiner Busch

Redaktion: Volker Böge, Heiner Busch, Wolf-Dieter Narr, Albert Scherr, Elke Steven

Presserechtlich verantwortlich: Elke Steven, Köln

Druck: hbo-Druck, Einhausen

ISBN: 3-88906-098-6



E-Mail: heinerbusch@freesurf.ch
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