60 Jahre Befreiung


 voriger

 nächster

60 Jahre Befreiung/Kriegsende 1945

 Erklärungen zum Jahrestag

Erklärung des Präsidiums von pax christi zum 8. Mai 1945

Der Wahrheit und dem Frieden verpflichtet

Pax Christi

Der 60. Jahrestag des Kriegsendes ist ein Tag des Gedenkens an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und des Dankes an die Menschen, die ihr Leben eingesetzt haben zur Befreiung Deutschlands und Europas von der Herrschaft Hitlers und seiner Anhänger. Die Opfer verpflichten uns, dafür zu arbeiten, dass Menschen nicht verachtet, entwürdigt, missbraucht und vernichtet werden.

Die Erinnerung an das Entsetzliche, was Menschen anderen Menschen angetan haben, stellt sich für jede Generation neu als Aufgabe und schärft zugleich den Blick für die Bedrohungen des Friedens heute.

Wenn wir heute auf 60 Jahre deutsche Geschichte nach 1945 zurückblicken, so können wir feststellen, dass die Deutschen in ihrer Mehrheit sich in einem schmerzhaften und nicht immer einfachen Prozess der Schuldgeschichte des Zweiten Weltkriegs und des verbrecherischen Systems des Nationalsozialismus gestellt haben und sich der Verantwortung auch gegenüber diesem Teil ihrer Geschichte bewusst sind. In dieser Auseinandersetzung - wesentlich durch die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes beeinflusst - wurde es möglich, den 8. Mai 1945 als einen Tag der Befreiung von einer menschenverachtenden Herrschaft anzuerkennen und einzugestehen, dass das deutsche Volk aus eigener Kraft nicht in der Lage war, sich dieses Systems zu entledigen. Vor diesem Hintergrund gelang - wenn auch für viele zu spät - eine materielle Entschädigung der Zwangsarbeiter und die juristische Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure.

Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur

Der 60. Jahrestag der Wiederkehr des 8. Mai 1945 markiert einen Übergang in der Erinnerung an das Ereignis des Krieges. Erinnerung löst sich vom persönlichen Gedächtnis des Einzelnen, der Familien und vom kollektiven Gedächtnis, ob Opfer, Täter oder Beobachter. Mit zeitlich größer werdendem Abstand zum Geschehen tritt mittlerweile eine vierte Generation neben die Generation der Zeitzeugen. Nunmehr kommt es darauf an, der Erinnerung einen Ort im kulturellen Gedächtnis der folgenden Generationen zu geben, um ihre Bedeutung für die Gegenwart aktualisieren zu können.

Die Erinnerung an den 8. Mai trifft heute aber auch auf eine Entwicklung, die deutschen Opfer des Krieges und die Kriegsfolgen für Deutschland in das Blickfeld der Erinnerung zu rücken. Hiervon zeugen die Veröffentlichungen über den Untergang der Gustloff, die Hervorhebungen der Verbrechen der Roten Armee oder die Darstellungen von der Bombardierung deutscher Städte durch Engländer und Amerikaner. Gegenüber dem bisherigen Umgang mit der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, der ambivalent ist:

Annehmen eigenen Leids

Die Resonanz in der Breite der Bevölkerung auf diese Felder der Erinnerung zeigt, dass viele, die für die Schuld Deutschlands mit großem individuellen Leid bezahlt haben, hier ein Forum gesucht und gefunden haben, um all die erlittene Gewalt und den gespürten Hass zur Sprache zu bringen, der auf sie als Deutsche zurückschlug. Diesem Leid muss Ausdruck verliehen werden können.

Eine Tabuisierung dieses Leides würde auch das geschichtliche Bewusstsein seiner Ursachen beschädigen.

Widerspruch zu revisionistischen Tendenzen

Zur Gefahr wird diese Erinnerung jedoch, wo sie als Entlastung Deutschlands von der Schuld, einen verbrecherischen Krieg begonnen und Millionen Menschen aus rassischen und politischen Gründen vernichtet zu haben, von der Rechten für ihre Ziele missbraucht wird. Diese Geschichtsverfälschung wird mittlerweile nicht mehr nur in den geschlossenen Zirkeln neonazistischer Gruppen praktiziert, sondern trifft in zunehmendem Maße auch in der Öffentlichkeit auf Resonanz. Der Schoß scheint fruchtbar noch und der in der Gesellschaft erreichte Konsens über die deutsche Kriegsschuld und die Verantwortung gegenüber den Folgen des Nationalsozialismus brüchig zu werden. Demgegenüber gilt es insbesondere jungen Menschen deutlich zu machen, dass nachfolgende Generationen, die sich der Verbrechen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs erinnern frei sind von der Schuld, die Deutsche in den Jahren von 1933 bis 1945 auf sich geladen haben. Wo der Blick frei und unverstellt auf die Vergangenheit gerichtet werden kann, dort kann der verantwortliche Umgang einer jeden Generation mit dieser Schuldgeschichte erlernt werden. Hieraus erwächst eine Identität, die vor rechtsextremistischer und antisemitischer Manipulation bewahren kann. Das Leid, das Deutschen widerfahren ist, lässt sich nicht aufrechnen gegen das Morden, das von Deutschland ausging. Die deutsche Schuld ist historisch ursächlich für die daraus folgenden Unrechtstaten. Revisionistischen Tendenzen ist deshalb zu widersprechen.

Umgang mit der eigenen Geschichte

Als christliche Friedensbewegung sehen wir, dass auch in der katholischen Kirche eine intensive Auseinandersetzung mit Rolle und Verantwortung der Kirche und der Christen stattgefunden hat. Dabei wird nicht die Mitschuld verschwiegen, die Christen und Kirche bei der Entstehung des Antisemitismus und an seinen grausamen Auswirkungen auf sich geladen haben. Wir vermissen aber bis heute eine ebenso intensive Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Verhältnis der amtlichen Vertreter der Kirche und der Christen zum Krieg und ihrem Verhalten in diesem Krieg. Aus heutiger Perspektive ist es schwer nachvollziehbar, dass die Mehrheit der deutschen Bischöfe die Gläubigen dazu aufgerufen hat, sich gehorsam und todesbereit als Soldaten Hitler zur Verfügung zu stellen. Während es zahlreiche kirchliche Proteste gegen nationalsozialistische Verbrechen wie z.B. gegen die Euthanasie gab, blieben die Proteste gegen den Krieg aus. Entweder haben die Bischöfe in ihrer Mehrheit den Krieg für gerechtfertigt gehalten und seinen verbrecherischen Charakter nicht erkannt, oder sie haben aus der Angst heraus geschwiegen, mit vehementen öffentlichen Protesten der Kirche insgesamt zu schaden. Wir sind uns bewusst, dass wir als Angehörige der Nachkriegsgeneration auf Gewissensfragen in einer Situation blicken, in die wir nicht gestellt waren. Doch wir erkennen heute, dass das Schweigen und die teilweise offene Unterstützung der deutschen Bischöfe damals Hitlers Krieg de facto unterstützt hat. Es gab lediglich einzelne persönliche Zeugnisse gegen diesen Krieg von Christinnen und Christen, die zum Teil mit ihrem Leben dafür bezahlt haben. Die ermordeten Kriegsdienstverweigerer, die damaligen Soldaten, die Gefallenen des Krieges und nicht zuletzt alle, die dem deutschen Angriffskrieg zum Opfer gefallen sind - sie alle haben das Recht auf ein Bekenntnis unserer Kirche, dass auch Christen und kirchliche Amtsträger geirrt haben und für das Geschehen mitverantwortlich sind. Nicht zuletzt kann ein solches Bekenntnis beispielhaft für die Gesellschaft sein, weil es das Bemühen um einen verantwortlichen Umgang mit der Geschichte dokumentiert. pax christi hofft, dass unter dem Pontifikat Benedikts XVI., der sich in die Nachfolge des "Friedenspapstes" Benedikt XV. stellt, ein neuer Schritt der Deutschen Bischofskonferenz in diesem Sinne möglich wird.

Konflikte politisch lösen

Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes brachten Europa einen Frieden, der durch die Aussöhnung ehemaliger Kriegsgegner begründet und die Bereitschaft zur wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit der Staaten gefestigt wurde. Aus diesem Bündnis ist heute eine Union von 25 Staaten in West- und Osteuropa geworden, die die Stabilität des Friedens in dieser Region garantiert. Die internationale Staatengemeinschaft schloss sich in unmittelbarer Folge der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zur Organisation der Vereinten Nationen zusammen, um gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit in der Völkergemeinschaft zu übernehmen. Auch wenn die Vereinten Nationen nicht in der Lage waren, die zahlreichen Kriege nach 1945 zu verhindern und der Verelendung weiter Teile der Weltbevölkerung Einhalt zu gebieten, schmälert das nicht ihre bleibende Bedeutung für die weltweite Förderung des Friedens.

Dieser Frieden ist heute, 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bedroht durch Armut und Verelendung, wirtschaftliche Vorherrschaft, Kampf um Ressourcen, Destabilisierung gesellschaftlicher und staatlicher Systeme, terroristische Anschläge, privatisierte Gewaltakte, militärische Interventionen. Die Gemeinschaft der Völker wird sich nur gemeinsam diesen Herausforderungen stellen können, soll nicht nur in den privilegierten Zonen des Nordens, sondern auch weltweit die Stabilität des Friedens gewährleistet sein. Auch wenn heute Gewalt zunehmend nicht mehr in Form klassischer Kriege zwischen Staaten, sondern in Konflikten innerhalb von Staaten oder Gesellschaften bzw. als terroristische Anschläge u.a. auf Metropolen westlicher Länder auftritt, müssen die Lehren aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges doch weiterhin prägend bleiben. Die zivile Bearbeitung der Konflikte muss als Alternative zur militärischen Intervention konsequent ausgebaut werden.

Die Ursachen des Unfriedens sind politisch zu bekämpfen. Friedenserhaltung ist nur auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen möglich, im Rahmen multinationaler und vorrangig ziviler Einsätze. Die Plattform der Vereinten Nationen ist hierfür auszubauen und zu stärken. Diesem Ziel muss insbesondere jede deutsche Regierung verpflichtet bleiben.

Der 8. Mai 1945 verpflichtet 60 Jahre danach zu einer Erinnerung, die sich zur deutschen Kriegsschuld bekennt und zu einer Politik führt, die konsequent jede Form von Nationalismus und Rassismus bekämpft, der zivilen Konfliktbearbeitung Vorrang vor militärischer Intervention gibt, wirtschaftlicher Ausbeutung entgegentritt und Solidarität mit den Verfolgten und Unterdrückten praktiziert.

Bad Vilbel, den 28. April 2005



Kontakt: pax christi/Deutsche Sektion, Sekretariat, Postfach 1345, 61103 Bad Vilbel, Tel.: 06101/2073, Fax: 06101/65165, eMail: sekretariat@paxchristi.de



E-Mail: sekretariat@paxchristi.de

Website: www.paxchristi.de
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
          
Themen   FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles