Antikriegstag 2010

update:
07.09.2010


 voriger

 nächster

Antikriegstag 2010

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede zum Antikriegstag an der Gedenkstätte am Flughafen Echterdingen am 1. September 2010

Liebe Freundinnen und Freunde,

Walter Bauer (Filderstadt)



- Es gilt das gesproechen Wort! -



"Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben - nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen." Albert Einstein

Wir gedenken heute gemeinsam der Opfer von Terror und Krieg an einem Ort, an dem die Unmenschlichkeit der faschistischen Politik wie in ganz Deutschland und in großen Teilen der Welt vor unserer Haustüre ihre Blutspuren hinterlassen hat.

Weit über 50 Millionen Tote sind weltweit den Folgen der nationalsozialistischen Politik zum Opfer gefallen. Allein über 6 Mio. Menschen jüdischen Glaubens wurden ermordet, Sinti und Roma, Kommunisten und Sozialdemokraten sowie weitere politische Gegner, Behinderte und Homosexuelle wurden gnadenlos ermordet oder geschunden und drangsaliert. Die Künstler wurden in ihrem Schaffen bedroht, zur Emigration, Immigration oder in den Tod getrieben; die freie Meinungsäußerung wurde lebensgefährlich und eine freie Presse gab es schlicht und einfach nicht mehr. Ich möchte aber auch an die unzähligen Frauen erinnern, die mittelbar dieser unsäglichen Politik zum Opfer fielen.

Rund 600 Männer jüdischen Glaubens mussten hier am Flughafen zwischen dem November 1944 und Januar 1945 unter furchtbaren Bedingungen Zwangsarbeit leisten, 119 von ihnen starben an Hunger, Kälte oder Erschöpfung.

Am 8. Mai 1995 - 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges - wurde in Filderstadt ein Gedenkstein von Waldemar Beck eingeweiht, der an die Opfer des KZ-Außenlagers Flughafen erinnert.

Am 19. September 2005 rückte dieser schreckliche Teil der deutschen Geschichte erneut in unsere Gegenwart. Bei Bauarbeiten auf dem amerikanischen Teil des Flughafens wurde ein Massengrab mit den Leichnamen von 34 ehemaligen Häftlingen des KZ-Außenlagers Echterdingen gefunden. Mit der von Dagmar Pachtner neu gestalteten Gedenkstätte wird nicht nur dieser Opfer gedacht, sondern es geschieht ein Teil der Bewusstmachung in unserem alltäglichen Denken.

Die Idee zu einem Weltfeiertag für den Frieden war bereits 1845 in England aufgekommen. In Deutschland erklärten nach dem Ersten Weltkrieg Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Friedensgruppen zunächst den 1. August zum Friedenstag - als Erinnerung an den Kriegsbeginn 1914.

Diese Tradition griff der Deutsche Gewerkschaftsbund nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf. Unter dem Motto "Nie wieder Krieg" riefen Gewerkschaften die Bürger erstmals am 1. September 1957 zu Aktionen auf.

Zusammen mit Sozialdemokraten und Friedensgruppen organisierten sie Kundgebungen, Mahnwachen und andere Gedenkveranstaltungen und machten dabei auch auf aktuelle friedens- und gesellschaftspolitische Probleme aufmerksam. Im Mittelpunkt steht die Mahnung, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf.

Gestattet mir an dieser Stelle einen Text von Martin Niemöller vorzulesen, der schon Gegenstand vielfältiger Diskussionen war (!976).



Martin Niemöller

Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen;

Ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.



Letztlich müssen wir uns bewusst machen - angesichts des 71. Jahrestages, an dem der 2. Weltkrieg durch die Nazis ausgelöst wurde - dass die Katastrophe des Weltkrieges - und übrigens auch anderer Kriege - ihre Vorläufe hatte.

Es liegt in unserer Verantwortung, dass sich die kommenden Generationen stets aufs Neue der Aufgabe stellen, um im Vorfeld bereits zu erkennen, wo es zu handeln gilt!

Schließlich sind Faschismen überall möglich, leider auch bei uns.

Jede gesellschaftliche Situation ist für sich genommen neu, doch gibt es klare Indikatoren für totalitäre und menschenverachtende Umtriebe, die erkannt werden müssen und die zum Einschreiten auffordern. Frieden ist ein zartes Pflänzchen, das leicht zertreten wird, wenn sich Neonazis und Ignoranten die Hände reichen.

Krieg ist stets die Folge einer Menschen verachtenden Politik. Wer es versäumt, frühzeitig gegen entsprechende Tendenzen in unserer Gesellschaft einzuschreiten, wer Diskriminierung und Ausgrenzung Andersgläubiger und Andersdenkender und von Menschen mit anderen Hautfarben duldet, der macht sich mitschuldig, wenn totalitäre Weltanschauungen fußfassen und unseren gesellschaftlichen Frieden bedrohen.

Ich bewundere stets aufs Neue die Frauen und Männer, die in den Zeiten brutalster Unterdrückung und Bespitzelung ihren Widerstand aufrecht erhielten. Sie sind uns Vorbilder bis heute, Menschen wie Sophie Scholl, Elisabeth von Thadden, Otto Wels und Kurt Schumacher und viele andere - die mutig und nachhaltig für die Demokratie und gegen den Faschismus gekämpft haben und bittere Folgen tragen mussten.

Gerade sie machten nach dem 2. Weltkrieg den Neubeginn möglich, an ihnen konnten sich die Menschen ethisch-moralisch wieder aufrichten, weil es doch eine lebendige Keimzelle der Menschlichkeit und des engagierten Widerstands gegeben hatte, an der eine Kulturnation ihre verlorene Ehre wieder aufrichten konnte.

Martha Schad: "Frauen gegen Hitler"

Zum Beispiel Elfriede Scholz, die fünf Jahre jüngere Schwester des Schriftstellers Erich Maria Remarque (,Im Westen nichts Neues"). Unverhohlen bekundete sie ihren Hass auf Hitler, die Nazis und den Krieg.

Dem "Führer" wünschte die tapfere Schneiderin im fünften Kriegsjahr, 1943, einer Kundin gegenüber "eine Kugel durch den Kopf". Die Frau denunzierte sie.

NS-Richter Roland Freisler verurteilte Elfriede Scholz am 29. Oktober 1943 vor dem Volksgerichtshof zum Tod. Alle Gnadengesuche von Freunden, ihrer Anwältin und ihrem Mann an der Front fanden kein Gehör. Am 16. Dezember 1943 starb sie in Berlin-Plötzensee unter dem Fallbeil. Die Kosten für Vollstreckung und Haft: 495,80 Reichsmark. Die Rechnung ging an Elfriedes Schwester Erna.

Urteil und Verfahren entsprachen der "volksgebundenen Rechtsfindung" Freislers. Dieser Justiz fiel auch Hilde Coppi zum Opfer. Coppi war wie ihr Mann Mitglied im Widerstands- und Spionagering Rote Kapelle des legendären Leopold Trepper. Die Gestapo verhaftete sie im September 1942.

Im Frauengefängnis in Berlins Barnimstraße gebar sie im November ihren Sohn Hans. Die Schergen ließen die Frau leben, solange sie ihr Baby stillte - und hängten sie erst am 5. August 1943. Mit ihr starben fünf weitere Frauen am Galgen. Eine von ihnen war 19 und schwanger.

Auch hier auf den Fildern gab es mutige Menschen, die sich nicht vom braunen Sumpf einschüchtern ließen.

Mir ist diese Veranstaltung in ihrer Bedeutung für heute und für unser zukünftiges Denken und Handeln wichtig.

Von Primo Levi stammt das Zitat: "Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen!"

Keine Gesellschaft ist gefeit vor dem Verlust ihrer Grundwerte. Das mussten wir auch in anderen Ländern beobachten und wir müssen auch bei uns stets aufs Neue gewappnet sein.

Jede Generation muss die Grundwerte verinnerlichen und leben. Richtschnur des Handelns sind die Grundrechte, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Freiheitsrechte des Einzelnen und dafür wollen und werden wir uns auch in der Zukunft einsetzen.

Diese historische Stätte hier ist für uns und unsere Jugend Mahnmal und Aufforderung zugleich, dass auch wir in dieser Region uns bewusst sein müssen, dass wir angesichts der hier geschehenen Verbrechen nicht aufhören dürfen, Verstöße und erst Recht Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Anfang an zu bekämpfen.

Mit diesem authentischen Ort unserer Geschichte kommt die Bedeutung für die Jugendlichen näher - diese Art von Gedenkstätten ermöglichen eine anschauliche und glaubwürdige Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit - sie regen zum Nachdenken an über Menschenwürde, über Respekt im Umgang miteinander, über Recht und Unrecht, über Vorurteile und Diskriminierung, über unsere Gesellschaft.

Ich habe schon deshalb die Veranstaltung "Spur der Erinnerung" im Jahr 2009 als besonders beeindruckend empfunden. Ein aktives Zeichen wurde in Bewegung gesetzt; Bewusstsein wurde geschaffen und sichtbar gemacht. Von der Behinderteneinrichtung Schloss Grafeneck, in deren Nachbarschaft ab 1940 über 10000 Behinderte umgebracht worden sind, bis zum Innenministerium nach Stuttgart wurde aktiv von vielen Menschen ein violetter Strich durch das Vergessen gezogen. Menschen blieben stehen, diskutierten, reflektierten.

Die Erinnerung an den 2. Weltkrieg kann gerade auch der Jugend zeigen, dass Wachsamkeit, Zivilcourage und Widerstand wichtige Tugenden sind, dass es gilt, den Anfängen zu wehren, dass aktuelle Entwicklungen kritisch beobachtet werden müssen. Uns muss bewusst sein, wie wichtig die Demokratie und demokratische Institutionen sind, um Konflikte friedlich zu regeln, um Gewalt zu verhindern und um Solidarität zu leben.

Sich der Geschichte bewusst sein, heißt nicht, individuelle Schuld übernehmen - sich der Geschichte bewusst sein heißt, aus ihr zu lernen, denn wer dies nicht tut, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen (Georges Santayana 1905)

Aus der Geschichte lernen heißt also: In Verantwortung vor den Menschen bewusst und politisch verantwortlich handeln.

Ich glaube, dass Lehren aus der Geschichte gezogen werden müssen, in Schulen, bei Veranstaltungen, in Kirchen, durch demokratische Institutionen und nicht zuletzt tragen Gedenkstätten wie diese hier in Echterdingen und Bernhausen dazu bei, Erinnerung wach zu halten. Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen - dieser Satz Willy Brandts gilt und zeigt, dass aus den schrecklichen Erfahrungen eine besondere politische Verantwortung für den Frieden erwächst.

Ich glaube aber auch, dass die Lehren aus der Geschichte vor allem im alltäglichen Zusammenleben beherzigt werden müssen.

Wir alle, Jüngere und Ältere, müssen Zeichen setzen für Friede und Völkerverständigung und gegen Krieg, wir müssen Zeichen setzen gegen Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus, Antiislamismus und Fanatismus. Wir müssen Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit.

Wir haben alle eine besondere Verantwortung, dafür einzutreten für die Demokratie und den Rechtsstaat, für Menschenrechte und für Toleranz.

Diese Historische Verantwortung geht uns also alle an!

Vergessen wir nie das begangene Unrecht, das entsetzliche Leid und die abscheulichen Verbrechen, die von deutschem Boden ausgingen, denken wir aber auch daran, dass sich aus diesen grauenvollen Erfahrungen die Vision eines demokratischen Rechtsstaats entwickelte, die Vision eines geeinten Europa auf der Grundlage allgemein geachteter Prinzipien.

Verdrängen und Vergessen helfen nicht, wenn es darum geht, Brücken der Verständigung weltweit zu bauen.

Hitler hatte stets damit gearbeitet, Vorurteile, Hass, Feindschaften zu schüren. Lassen wir uns nicht hineintreiben in Feindschaft gegen andere Menschen, gegen Türken oder Juden, gegen Konservative oder Alternative, gegen Projekt-Befürworter und Projektgegner. Wir leben miteinander, nicht gegeneinander. Seien wir hier auch Vorbild in unserem Respekt für die Würde des anderen, für seine Freiheit, für den Frieden, für das Recht und für die Gerechtigkeit!



Walter Bauer ist Eektor der Realschul in Leinfelden-Echterdingen. Vita siehe hier

E-Mail: bauer-w (at) t-online (Punkt) de
 voriger

 nächster




       


Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
        
Themen   FriedensForum Termine   AktuellesHome