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Oster-
marsch
2003


vom:
19.04.2003


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Ansprache zur Friedenskundgebung beim Ostermarsch in Karlsruhe, 19. April 2003

"... dass das Leben siegt"

Ulrich Fischer

Liebe Mitmenschen,

wir stehen hier auf dem Marktplatz in Karlsruhe, um für den Frieden zu demonstrieren. Wir haben in den vorösterlichen Wochen häufig vor dem Krieg im Irak gewarnt. Wir haben öffentlich die Legitimation dieses Krieges bestritten. Wir haben in großer ökumenischer Geschlossenheit den Missbrauch des christlichen Glaubens bei der Begründung dieses Krieges attackiert. Heute ist Ostersamstag, Karsamstag - kein Tag der lauten Töne. Gestern haben wir Christen in unseren Gottesdiensten des Todes Jesu gedacht. Heute schweigen in vielen Kirchen die Glocken und bis zur Osternacht auch die Orgeln. Ich trage das violette Collarhemd. Violett, das ist für Christenmenschen die Farbe der Buße, der siebenwöchigen vorösterlichen Fastenzeit, die heute Nacht zu Ende geht. Ostersamstag, das ist ein stiller Tag.

Auch der Anlass, der uns zusammenführt, ist kein Anlass für laute Töne. Und doch müssen wir reden. Vor mehr als vier Wochen begann im Irak ein völkerrechtswidriger Krieg, der unzähligen Menschen großes Leid zugefügt hat. An dieses Leid zu denken und an die Menschen zu erinnern, die es erlitten haben, muss an diesem Karsamstag am Anfang allen Redens stehen.

So denken wir in Stille an die getöteten Kinder, Frauen und Männer des irakischen und des kurdischen Volkes (Stille).

Wir denken an die getöteten Soldaten der irakischen, amerikanischen und englischen Streitkräfte (Stille).

Wir denken an die Verletzten und Verstümmelten, an die Traumatisierten und Verstörten (Stille).

Wir denken an alle, die Opfer in ihren Familien und Freundeskreisen zu beklagen haben (Stille).

Wir denken an alle, die ihr Leben aufs Spiel setzten, weil sie sich diesem Krieg verweigerten (Stille).

Wir denken an die Ärztinnen und Ärzte, an die Helferinnen und Helfer im Irak, die sich ohnmächtig menschlichem Elend entgegenstemmten (Stille).

Wir denken an die getöteten Journalisten und Berichterstatter (Stille).

Wir denken an alle, in deren Seele dieser Krieg tiefe Wunden hinterlassen hat (Stille).

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Oster-
marsch
2003
Unser Denken an diese Menschen steht am Anfang. Daneben stellen sich auch Gefühle der Erleichterung ein. Erleichterung über die Befreiung eines geknechteten Volkes von einer grausamen Diktatur. Erleichterung darüber, dass die Kriegshandlungen, wie es scheint, ein Ende gefunden haben. Aber wir dürfen jetzt nicht bei Gedenken und Erleichterung stehen bleiben. Vielmehr ist tiefe Nachdenklichkeit und Wachsamkeit angesagt. Vergessen wir nicht: Die Befreiung des Irak von einem Terrorregime wurde mit einem hohen Preis erkauft - mit einem zu hohen Preis.

Zerstört wurde nicht nur das Leben von Menschen mit all ihren Sehnsüchten und Hoffnungen.

Zerstört wurden nicht nur Gebäude und Städte, Straßen und die innere Ordnung eines Landes, das nach Jahren einer unmenschlichen Embargopolitik nun in blanker Anarchie zu versinken droht.

Zerstört wurden nicht nur Kulturgüter von unschätzbarem Wert.

Zerstört wurde vor allem das Vertrauen in eine Weltordnung, die das Recht höher setzt als Gewalt.

Zerstört wurde der sehr zerbrechliche, aber doch langsam gewachsene Konsens der Völkergemeinschaft, dass Krieg kein Mittel politischer Auseinandersetzung mehr sein darf.

Zerstört wurde das Vertrauen in die Grundwerte, welche die westlichen Demokratien zu verteidigen haben.

Gestört wurden nachhaltig die zaghaften Versuche eines Dialogs mit dem Islam.

Zerstört wurde das Vertrauen in die Friedensfähigkeit der Menschen.

Der Preis, der für die Befreiung des Irak von einer blutrünstigen Diktatur gezahlt wurde, ist hoch. Er ist zu hoch.

Dieser Krieg darf nicht noch nachträglich gerechtfertigt werden, nur weil er relativ schnell sein Ende gefunden hat. Nein. Unser Blick muss weiter zurückreichen als nur vier Wochen bis zum Anfang dieses Krieges. Nachhaltige Erinnerungsarbeit ist nötig. Wir Menschen neigen dazu, die Vergangenheit durch einen schönenden Blick zu entstellen. Schnell vergessen wir die Opfer, welche die Vergangenheit gebracht hat. Durch verfälschende Träume vom Gestern retten wir eine saubere Vergangenheit, die so sauber nie war. So werden wir Gefangene einer geschönten Vergangenheit. Ist es nicht genau dieser Mechanismus, der die Verantwortlichen zu diesem Krieg getrieben hat? Haben sie vergessen, was in der Vergangenheit unserer Welt Kriege angerichtet haben? Haben sie die Gesichter der verstümmelten Leichen vergessen und das Elend von Flucht und Vertreibung? Gegen den schönenden Blick in die Vergangenheit richtet für Christenmenschen das Osterfest den Blick nach vorn auf das Reich Gottes. Reich Gottes meint die Sehnsucht nach dem Traum, der nicht in der Vergangenheit liegt. Der Traum von einem Reich, in dem "Gerechtigkeit und Frieden sich küssen" - wie es in der Bibel heißt. Das ist die Botschaft des Osterfestes. Ostern nährt nicht die Illusion, dass wir Menschen selbst den Traum vom Frieden verwirklichen können. Ostern lehrt, die Geschichte der Welt von ihrem Ende her zu sehen, das Gott ihr zugedacht hat. Das Osterfest richtet - wie wir Christen glauben - unseren Blick aus auf das Reich Gottes, das mit Jesus Christus an Ostern zum Vorschein gekommen ist. Deshalb kann in uns Menschen die Hoffnung auf Frieden wachsen. Daran haben wir zu erinnern in diesen Tagen des Krieges.

Es ist Gottes Wille, dass alle Menschen in Frieden leben, aber auch heute schon Schritte auf dem Weg des Friedens gehen. Ausgerichtet auf dieses von Ostern her gewiesene Ziel haben wir uns zuerst daran zu erinnern, dass Friede immer bei uns selbst beginnt. In unseren Köpfen und Herzen wächst der Friede, oder er wächst überhaupt nicht. Friede beginnt dann, wenn ich beginne, von anderen her zu denken, und aufhöre, die Welt in schwarz und weiß, in Freund und Feind und gut und böse einzuteilen.

Aber auch politisch müssen wir Schritte auf dem Weg des Friedens tun. Vordringlich bedeutet dies jetzt: Wir brauchen dringend eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten, die ein friedliches Zusammenleben in dieser Region gestaltet und es dabei auch zu einem Ausgleich der wirtschaftlichen Interessen kommen lässt. Es darf nicht sein, dass der Nahe Osten weiter zu einem militärischen Übungsplatz der Rüstungsindustrie verkommt.

Der nächste und weiterführende Schritt ist der zur Stärkung einer internationalen Friedensordnung. Die UNO darf nicht noch einmal Opfer einer unilateralen und von einseitigen Interessen gelenkten Machtpolitik werden. Wer - wenn nicht die UNO - muss die führende und entscheidende Rolle beim Wiederaufbau des Irak einnehmen! Schon einmal wurde die UNO in diesen Wochen durch den Alleingang einer Koalition der Willigen geschwächt, ein zweites Mal darf dies nicht geschehen. Hier müssen auch unsere Politiker beharrlich für eine einheitliche europäische Stimme zur Stärkung der Völkergemeinschaft eintreten.

Die UNO muss entscheidend gestärkt werden, um auf der Grundlage der Menschenrechte eine für die Völkergemeinschaft verbindliche Weltfriedensordnung auf den Weg zu bringen. Sie muss gestärkt werden, um dem Recht zur Geltung zu verhelfen. Eine internationale Weltordnung kann nur dann dem Frieden dienen, wenn sie unter dem Recht steht. Die Pflege eines internationalen Rechtsbewusstseins wird also ein entscheidendes Element einer internationalen Friedensordnung sein müssen. Deshalb kommt der Bildung eines Internationalen Strafgerichtshofes so große Bedeutung zu. Denn die Bildung dieses Internationalen Gerichtes ist ein wichtiger Schritt zur Durchsetzung des Völkerrechts. Eine solchermaßen auf das Recht gegründete internationale Friedensordnung zielt auch auf die Minimierung internationaler Gewaltanwendung und auf die Zunahme und Entwicklung von Gerechtigkeit der Völker untereinander.

Während ich dies skizziere, wird deutlich, wie sehr uns dieser Krieg beim Bemühen zum Aufbau einer solchen internationalen Friedensordnung zurückgeworfen hat. Verständlich, wenn viele angesichts dieses Rückschlags resignieren. Wir aber resignieren nicht. Wir lassen uns anstecken von der österlichen Hoffnung, die ich in die Worte Schalom Ben Chorins fasse:

Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,

ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt.

Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit,

achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.

Tausend zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,

bleibt uns ein Fingerzeig, dass das Leben siegt.




Ulrich Fischer ist Landesbischof der Evangelische Landeskirche in Baden (EkiBA)

E-Mail:   ulrich.fischer@ekiba.de
Internet: http://www.ekiba.de
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