Ostermarsch
2008


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Ostermärsche und -aktionen 2008

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Redebeitrag für den Ostermarsch 2008 in Stuttgart am 22. März

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Heike Hänsel (in Stuttgart)

ich komme gerade vom Ostermarsch aus Ellwangen und möchte Euch solidarische Grüße von 200 OstermarschiererInnen überbringen!

Der Ostermarsch ist immer auch Anlaß friedenspolitisch Bilanz zu ziehen.

Vor zwei Tagen war der 5. Jahrestag des Beginns des Irak-Krieges, George Bush zog die Bilanz, dass die Welt dadurch sicherer geworden sei und die Menschen im Irak mehr Freiheiten hätten. Die Bilanz der Friedensbewegung in den USA und hier sieht anders aus:

Der Irak versinkt in Gewalt, die Versorgungslage der Menschen ist katastrophal, mehr als 60% sind auf Lebensmittellieferungen angewiesen. Die Zahl der Menschen, die direkt getötet wurden und an den Folgen von Krieg und Gewalt gestorben sind, schätzt die Lancet-Studie auf mind. 650 000, andere Schätzungen gehen auf bis zu 1 Million Menschen.

Mehr als 4 Mio IrakerInnen sind zu Flüchtlingen gemacht worden.

4.000 US-Soldaten, manche gerade 17 Jahre alt, wurden in diesem Krieg verheizt.

Auf mehr als 3 Billionen US-Dollar berechnet der US-Ökonom Joseph Stieglitz die umfassenden Kriegskosten - Geld das fehlt für die zivile und soziale Entwicklung in vielen Ländern auf dem Globus.

Politische und rechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen dieser verbrecherischen Kriegspolitik gibt es bis heute nicht. Keine UN-Resolution, die diesen Krieg verurteilt, keine außerordentliche Sitzung der UN-Generalversammlung.

Einige politisch Verantwortliche, wie Jose Maria Aznar, Tony Blair, Berlusconi wurde u.a. auch wegen der Beteiligung am Irak-Krieg abgewählt.

George Bush, Dick Cheney sind weiterhin im Amt.

Wir brauchen endlich ein UN-Kriegsverbrecher-Tribunal zu Irak und dort müssen alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und verurteilt werden!

Und was macht eigentlich die Bundesregierung? Keine einzige Pressemeldung, kein Wort, kein Kommentar von Angela Merkel (die damals den Krieg befürwortet hat) oder Frank-Walter Steinmeier zu 5 Jahren Irak-Krieg. Schweigen ist angesagt. Aus gutem Grund.

Denn das damalige Nein der Bundesregierung unter Gerhard Schröder war nie ein Nein sondern immer ein passives Ja zu diesem Krieg und das hat sich bis heute nicht geändert.

Die Bundesregierung ist wichtiger Unterstützer der gesamten US-Logistik für den Irak-Krieg. Zentrale Dreh- und Angelpunkte sind die US-Militärbasen wie Ramstein, Spangdahlem, Wiesbaden, Landstuhl für den Nachschub an Soldaten, Waffen. Die Überflugrechte wurden immer genehmigt, auch für illegale CIA-Flüge, die nachweislich Menschen verschleppten in Foltergefängnisse nach Osteuropa und den Mittleren Osten. Auch die US-Kommandozentrale EUCOM in Stuttgart, der Mannheimer Rheinau-Hafen spielten und spielen eine wichtige logistische Rolle.

Die Bundesregierung hat BW-Soldaten (4.000) als Schutz der Militärbasen eingesetzt und weitere deutsche Truppen zur Entlastung der US-Truppen nach Afghanistan verlegt.

Auch Geheimdiensthilfe, für die damals noch Frank-Walter Steinmeier zuständig war, wurde zum Ausspähen irakischer Ziele geleistet. ABC-Abwehrpanzer wurden in Kuwait stationiert und es beteiligten sich Bundeswehr Soldaten bei der Bereitstellung von AWACS-Fluzeugen in der Türkei. Die BW bildet seit dem offiziellen Ende des Krieges auch irakische Streitkräfte in den Vereinigten Arabischen Emiraten aus und überläßt die Ausrüstung.

Ich fordere die Bundesregierung auf, diese aktive Unterstützung des Irak-Krieges zu beenden und alle US-Militärbasen zu schließen!

Aber auch private Firmen, wie z.B. der deutsche Waffenhersteller Heckler-Koch profitieren von diesem Krieg. Erst als ein Panorama-Bericht über die enge Zusammenarbeit von Heckler-Koch mit der größten Privatarmee der Welt, Blackwater Wordlwide, berichtete, die im Irak und Afghanistan eingesetzt sind und für zahlreiche blutige Massaker verantwortlich sind, wurde die Zusammenarbeit angeblich eingestellt. Aber wer überprüft das?

Es wird Zeit, dass wir mit einer Demonstration bei Heckler-Koch vorbeischauen.

Unterstützung brauchen aber vor allem die mutigen Kriegsdeserteure aus den USA und Großbritannien. Zahlreiche US-Kriegsdienstverweigerer sitzen auch in Deutschland in US-Militärgefängnissen ein, sie brauchen das Recht auf politisches Asyl in Deutschland!

Während Irak-Krieg 5 Jahre dauert, geht der Krieg in Afghanistan bereits in das 7. Jahr! Dabei wird die Beteiligung der Bundeswehr systematisch ausgebaut. Während zu Beginn von ISAF die BW mit 1.200 Soldaten in Kabul polizeiliche Aufgaben übernehmen sollte in 2001, liegt die Anzahl mittlerweile bei 3.500 und das Einsatzgebiet umfasst die gesamte Nordregion. Dabei wird jetzt bereits von einer Aufstockung auf ev. 4.000-5.000 Soldaten gesprochen und Ausweitung des Einsatzgebietes. Und das obwohl 86% der Bevölkerung den Einsatz der BW in Afghanistan ablehnen und über 60% generell gegen Auslandseinsätze der BW sind! Aber selbst das Parlament und die MdBs werden immer weniger informiert, über OEF/KSK-Einsatz schon gar nicht und über Operationen der BW im Norden völlig unzureichend! Das ist ein systematisches Unterlaufen von Parlamentsrechten, weg von der Parlamentsarmee, hin zur Geheimarmee! Verteidigungsminister Jung kündigte letzte Woche an: ab sofort stünde Aufstandsbekämpfung im Mittelpunkt der Aufgabe deutschen Truppen! Das ist kein Friedenseinsatz - das ist ein Kriegseinsatz! Deshalb: die Bundeswehr muß aus Afghanistan abgezogen werden!

Die Versorgungslage der Menschen in Afghanistan nach 7 Jahren ist katastrophal. Welches System wird in Afghanistan durch die Truppenpräsenz gestärkt? 80% der Abgeordnete im afghanischen Parlament sind Warlords und Drogenbarone, die fundamentalistische Nordallianz steht den Taliban bzgl. Grausamkeit und Frauenfeindlichkeit in nichts nach. Die mutige afghan. Parlamentarierin Malalai Joya, klagt den Westen an: ihr habt US-feindliche Fundamentalisten nur gegen US-freundliche Fundamentalisten ausgetauscht, Leidtragende sind nach wie vor wir Frauen! Sie ist eine mutige Frau, die wegen ihrer Kritik aus dem Parlament ausgeschlossen wurde und seitdem um ihr Leben bangen muß! Sie war hier in Stuttgart und sie und andere demokratische Kräfte brauchen politische Unterstützung! Die bekommt sie aber nicht von ISAF, Bundesregierung etc. weil da machtpolitisch nicht friedenspolitisch gedacht wird!

Statt Ausweitung des Kontingents muß die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen werden, sie ist Teil des Problems nicht der Lösung! Stattdessen brauchen wir politische Initiativen für eine friedliche Entwicklung in Afghanistan, z.B. eine internationale Afghanistan-Konferenz unter UN-Kontrolle.

Der sog. Krieg gegen den Terror, der mit OEF und dem Afghanistan-Krieg begann und mit dem Irak-Krieg fortgesetzt wurde, hat nicht nur viel Leid für die Menschen gebracht sondern auch zu einer weltweiten Militarisierung der Politik und Schwächung internationalen Rechts geführt. Sog. Präventivkriege können sich mittlerweile auch die EU-Staaten einschließlich Deutschland vorstellen. (Weißbuch und ESVS). Es existiert keine "Friedenspolitik" mehr sondern nur noch "Sicherheitspolitik". Dabei geht es um eine entgrenzte Sicherheitspolitik nach innen und außen. Nach außen heißt: es kann weltweit ohne Grenzen interveniert werden seitens der Nato und/oder EU-Staaten. Nach innen heißt: für die "Sicherheit" der Bevölkerung muß die Bundeswehr auch im Innern eingesetzt werden können, daran arbeitet bereits die Bundesregierung mit einer Gesetzesänderung. Einen ersten Eindruck konnten wir bereits letztes Jahr beim G8-Gipfel in Heiligendamm bekommen, deshalb: keinen Bundeswehr-Einsatz im Innern, dagegen müssen wir Widerstand leisten!

Weltweit wurden mehr als 1,2 Billionen Dollar für Rüstung ausgegeben - soviel wie noch nie. Die weltweiten Entwicklungsausgaben betragen gerade mal 100 Milliarden, also 1/10 davon! Auch die Rüstungsexporte stiegen auf Rekordniveau, wobei Deutschland weltweit an 4. Stelle und Nr.1 innerhalb der EU ist. Was hätten wir alles mit diesem geld finanzieren können?

Allein für eine Billion Dollar hätte man 15 Millionen Lehrer einstellen oder 530 Millionen Kinder gesundheitlich versorgen können. Mit diesem Geld hätte man auch in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Osten die soziale und damit auch friedenspolitische Entwicklung finanzieren können. Oder man könnte mit dem Geld die Umstellung des Weltenergiesystems auf regenerative Energien weiterentwickeln können, weg von Öl und Atom, die kriegstreibend wirken.

Und deshalb ist es auch fatal, dass die Bundesregierung und die EU mittels des jetzigen EU-Reformvertrages, die Militarisierung vorantreiben und das ohne eine Mitbestimmungsmöglichkeit der Bevölkerungen in Europa! Dieser Vertrag ist nichts anderes als der vorherige Verfassungsentwurf, gegen den wir 2005 auf die Straße gegangen sind, der in Frankreich und den Niederlanden per Volksentscheid abgelehnt wurde und nun völlig undemokratisch von europäischen Regierungen eigenmächtig ratifiziert wird. Deshalb brauchen wir dringend Volksentscheide in Deutschland und allen anderen EU-Staaten über diesen Vertrag!

Denn wir brauchen keinen neuen "global player" EU mit aggressiver Handelsstrategie gegenüber den Ländern des Südens, mit Sozialabbau nach innen um wettbewerbsfähig zu sein und mit weltweiter militärischer Interventionsfähigkeit!

Wir brauchen endlich europäische Abrüstungsinitiativen, den Abzug und die Vernichtung aller Atomwaffen in Europa und die Auflösung des NATO-Bündnisses! Statt weltweiter Militärbasen der USA und anderer Nato-Staaten als "Infrastruktur des Krieges" brauchen wir weltweite soziale, ökologische, friedensstiftende Netzwerke von unten als eine Infrastruktur des Friedens! Das wäre eine vernünftige und weitsichtige Politik des Friedens!

Die Bundesregierung will jetzt den "gefallenen Soldaten" ein Denkmal in Berlin setzen und die Bundeswehr plant eine neue Auszeichnung für "außergewöhnlich tapfere Taten" für Soldaten im Auslandseinsatz.

Ich möchte dagegen allen, die den Kriegsdienst verweigern, allen Kriegsdeserteuren dieses Gedicht von Ingeborg Bachmann widmen:



Alle Tage

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,

sondern fortgesetzt. Das Unerhörte

ist alltäglich geworden. Der Held

bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache

ist in die Feuerzonen gerückt.

Die Uniform des Tages ist die Geduld,

die Auszeichnung der armselige Stern

der Hoffnung über dem Herzen.



Er wird verliehen,

wenn nichts mehr geschieht,

wenn das Trommelfeuer verstummt,

wenn der Feind unsichtbar geworden ist

und der Schatten ewiger Rüstung

den Himmel bedeckt.



Er wird verliehen

für die Flucht von den Fahnen,

für die Tapferkeit vor dem Freund,

für den Verrat unwürdiger Geheimnisse

und die Nichtachtung

jeglichen Befehls.



Heike Hänsel ist Mitglied des Deutschen Bundestages für die Fraktion "Die Linke". Vita siehe hier

E-Mail: heike (Punkt) haensel (at) bundestag (Punkt) de

Website: www.heike-haensel.de
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