Ostermärsche und -aktionen 2012

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07.04.2012


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Ostermärsche und -aktionen 2012

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Ostermarsch 2012 in Hamburg am 9. April

Liebe Ostermarschiererinnen, liebe Ostermarschierer!

Wolfgang Erdmann (in Hamburg)



- Sperrfrist: 9. April, Redebeginn: ca 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Jeden Tag erzählen einem die Medien, es müsse gespart werden: an Sozialleistungen, an Lehrern, an kommunalen Einrichtungen.

Sehr viel weniger wird berichtet, wofür die deutschen Bundesregierungen Steuergelder vergeuden: 31,9 Milliarden Euro beträgt der Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums in 2012, nach NATO-Kriterien sind das 35,8 Milliarden Euro.

Die 31,9 Mrd. Euro sind weitaus mehr als die Haushaltsposten 2012 von Bildung und Forschung und Gesundheit zusammen ausmachen, fünfmal mehr als der Etat "Familie".

Die offiziellen deutschen Kosten des Afghanistan-Krieges: 1,059 Mrd. Euro allein im vergangenen Jahr 2011.

Für das Projekt Eurofighter gibt die BRD 23,3 Milliarden Euro aus. Das bedeutet eine direkte Umverteilung unserer Steuergelder in die Taschen der Rüstungskonzerne. Für dasselbe Geld allein aus diesem einen Rüstungsprojekt könnte man 216.000 Sozialwohnungen bauen oder 1.780 Berufsbildungszentren.

Und die angeblichen Einsparungen der sog. Bundeswehrreform dienen nur zur Kaschierung der wahren Absichten für das werte Publikum. Ich würde mir wünschen, die Bundesregierung würde mal die Bildung "vom Einsatz her denken". Heute agiert die Bundeswehr weltweit in neun Kriegseinsätzen, übrigens unter UN-Mandaten. UN-Mandate liefern die Legitimation für die Durchsetzung von wirtschaftlichen und Macht-Interessen. Die UN-Charta mit ihren richtigen und wichtigen Grundprinzipien des Gewaltverbotes und der Nichteinmischung wird leider zunehmend an den Rand gedrückt. Niemand bedroht Deutschland, Verteidigung ist daher kein Thema - aber es wird aufgerüstet. Das völkerrechtliche Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates wird geradezu umgekehrt in die Maxime, überall zu jeder Zeit aufgrund von eigenen Interesses zuschlagen zu können. Dazu Verteidigungsminister de MaiziŠre im SPIEGEL 25/2011: "Sterben und Töten gehören dazu, das müssen wir akzeptieren und bejahen." Dazu sagen wir Ostermarschierer NEIN und nochmals NEIN!

Im Schwur der Befreiten von Buchenwald hieß es, dass nie wieder von deutschem Boden Krieg und Faschismus ausgehen dürfen. Der Kampf gegen Neofaschismus und Krieg ist für uns Ostermarschierer Herzenssache. Dem Faschismus keinen Fußbreit! Nicht am 1. Mai in Neumünster und nicht am 2. Juni in Hamburg.

Verbot und Auflösung der NPD und aller neofaschistischen Organisationen jetzt!

Man probiert, wie weit man gehen kann mit der Kriegshetze; da hieß es im Leitartikel des Handelsblattes vom 2.3.2012 zum Thema Syrien: "Auch ohne die UNO .ist es legitim, den Krieg Assads. zu beenden - zur Not mit Waffengewalt. . Ja, auch wir, die Bundeswehr ist gefragt. .Eine kleine NATO-Truppe mit arabischen Kontingenten, am sinnvollsten unter türkischer Führung sollte . eine Flugverbotszone errichten. . Die Bundesluftwaffe könnte sich beteiligen, ähnlich wie 1999 im Kosovo-Krieg."

Oder in der ZEIT war im vergangenen Jahr zu lesen: Nach dem Militäreinsatz in Libyen sei nun "der Weg frei", jetzt wisse man auch in Damaskus und Teheran, "vielleicht sogar in Havanna und in Peking", dass "die Bomber kommen können."

Zum Glück bleibt die Bevölkerung skeptisch gegenüber der Kriegshetze. Nach einer ARD-Umfrage vom September 2011 lehnen 66% der Deutschen den Krieg der Bundeswehr in Afghanistan ab. Nach der EMNID-Umfrage vom Oktober 2011 antworteten auf die Frage "Sollte Deutschland Ihrer Meinung nach Rüstungsgüter in andere Länder verkaufen oder nicht?" 78% mit "nicht verkaufen".

Nach dem aktuellen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung erreichte der Gesamtexport in 2010 mit 2,119 Milliarden Euro den historischen Höchststand. Der SPIEGEL titelte dazu am 28.11.2011 "Bombig verdient"! Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI veröffentlichte in seiner Studie im Februar 2012, dass sich in den Jahren 2006 bis 2010 der deutsche Rüstungsexportwert gegenüber dem Jahrfünft davor verdoppelte. Alle Hemmungen wurden fallen gelassen, Waffen auch in Spannungsgebiete zu liefern. Und besonders profitabel wird es, wenn jeweils beide Seiten, also verfeindete Länder beliefert werden: Griechenland und die Türkei, arabische Länder und Israel, Indien und Pakistan.

Die Friedensbewegung fordert die Bundesregierung auf, endlich weltweit für Frieden "Made in Germany" einzutreten und die Rüstungsexporte zu stoppen.

Es ist nicht akzeptabel, wenn aus Deutschland U-Boote in Spannungsgebiete geliefert werden, z.B. U-Boote nach Israel, wobei die U-Boote der Dolphin-Klasse, die in Kiel auf den zum ThyssenKrupp-Konzern gehörenden HDW produziert werden, auch noch mit atomar bestückten Marschflugkörpern ausgerüstet werden könnten. Drei dieser U-Boote wurden bereits geliefert, zwei sind fast fertig, und ein sechstes wurde im März 2012 genehmigt, wobei sich der deutsche Staat mit 135 Millionen Euro an den Kosten beteiligen will. Produktion, Lieferung und die finanzielle Unterstützung mithilfe von Steuergeldern verschärfen die Spannungen in dieser hochexplosiven Region des Nahen und Mittleren Ostens.

Die zu ThyssenKrupp Marine Systems gehörende Hamburger Werft Blohm & Voss Naval hat in ihrem militärischen Teil seit den 1970er Jahren 64 Kriegsschiffe für die Bundesmarine sowie für Israel, Nigeria, Argentinien, Portugal, Griechenland, Türkei, Südafrika, Malaysia, Australien und Neuseeland entwickelt und zum Teil auch gebaut. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages genehmigte am 20.6.2007 trotz Kritik des Bundesrechnungshofes den Bau von 4 Fregatten F 125 im Umfang von 2,6 Milliarden Euro. Heute, 5 Jahre später, wird das Auftragsvolumen schon mit 2,9 Milliarden Euro beziffert (+12%). Damit nähert sich der Stückpreis zügig dem Preis der Queen Mary 2 an (870 M)! Im Mai 2011 wurde die Fertigung der ersten Fregatte der neuen Klasse F 125 begonnen. Die F 125 ist so konzipiert, dass sie Landkrieg von See aus führen, Landstreitkräfte von See aus unterstützen und die Zivilschifffahrt schützen kann. Mit Landesverteidigung hat das alles nichts mehr zu tun.

Die Rüstungsindustrie macht permanent Druck für mehr Rüstungsaufträge, denn diese bedeuten sicheren Umsatz und Gewinn. Bei EADS erbrachte lt. Handelsblatt vom 29.3.2011 der zivile Airbus-Bereich in 2010 eine Rendite von 1,0%, der Rüstungsbereich von 7,7%. Bei Rheinmetall, Deutschlands größtem Rüstungskonzern, trug das Rüstungsgeschäft im Jahr 2011 66% zum Konzerngewinn bei - bei einem Anteil am Gesamtumsatz von nur 47%.

Bilanzpressekonferenz Rüstungskonzern Diehl, der in Hamburg 2010 den Flugzeugkabinenbauer DASELL übernommen hatte, vom Juli 2009: Während der Jahresumsatz insgesamt um 4% gesunken ist, konnte die Rüstungsproduktion um 4% gesteigert werden. Während im Bereich Rüstung Überstunden gefahren werden, sind in anderen Betrieben etwa 1.500 Beschäftigte in Kurzarbeit.

Rund 100 Unternehmen in Hamburg liefern Produkte und Dienstleistungen für die Rüstungsindustrie. Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg besagt: "Hamburg will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein. Durch Förderung und Lenkung befähigt sie ihre Wirtschaft zur Erfüllung dieser Aufgaben." Unser Ziel ist es in diesem Sinne die Rüstungsproduktion in und den Rüstungsexport über Hamburg zu beenden. Das wäre dann eine "Friedensstadt Hamburg", eine "Friedliche und Hansestadt Hamburg".

Aber was passiert dann mit den Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie? Ich habe mich mein Leben lang als Betriebsrat und Gewerkschafter in Hamburg aktiv für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt. Aber der Erhalt von Arbeitsplätzen muss mit den Werten der Arbeiterbewegung in Einklang zu bringen sein.

Krieg zwischen den Völkern, Militarisierung im Innern und nach außen - das ist das letzte, was wir brauchen. Von den 400.000 Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie beider deutscher Staaten in 1990 sind heute noch ca. 80.000 übrig geblieben. 80.000 bedeuten 0,28 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der BRD. Einen derartigen und größeren Strukturwandel hat es auch in den Branchen Textilindustrie, Kohle und Stahl gegeben. Und immer war es der zähe, mühsame Kampf der Betriebsräte und Gewerkschaften, den Beschäftigten wieder eine Perspektive zu geben. In der Rüstungsindustrie heißt die Perspektive "Konversion". Dass Konversion möglich ist, beweisen die vielen gelungenen Beispiele im kommunalen Bereich nach Standortschließungen - auch hier in Norddeutschland.

Aktuelles Beispiel in Hamburg: Auf dem Gelände der ehemaligen Röttiger-Kaserne sollen 450 Wohnungen gebaut werden (Bebauungsplan Fischbek 66 in Harburg). An der Cuxhavener Straße soll Kleingewerbe entstehen. (Hamburger Abendblatt vom 12.11.2011)

Produkt-Konversion ist dann erfolgreich, wenn auf technologisch gleichwertige Produkte übergegangen werden kann, die dann auch noch (gesellschaftlich) nützlich sind, wie etwa der Übergang von Marine-Schiffbau zu Produkten sauberer Energie und der Energieeffizienztechnologien.

Am 11. 12.2009 fand der letzte Stapellauf auf der Werft Nordseewerke Emden statt, die seit 1903 Marine- und Sonderschiffe baute. Im März 2010 übernahm die SIAG den Großteil der Nordseewerke von ThyssenKrupp Marine Systems, um dort Stahlbau-Komponenten für Offshore-Windenergie-Anlagen zu produzieren. Für die übernommenen 721 Kollegen gab es keine Kündigungen. Die Auslastung ist bis 2013 gesichert.

Gerade in einer Stadt wie Hamburg, die zum erheblichen Teil im Zweiten Weltkrieg zerstört worden ist, muss es vorrangige Aufgabe sein, über Alternativen zu Rüstungsproduktion, Rüstungsexporten und Militärstandorten nachzudenken.

Der Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober 2011 hat beschlossen: "Die ungelöste soziale Frage und die Frage der Demokratie sind . die entscheidenden Triebkräfte und Ursachen der gewaltsamen Auseinandersetzungen. In allen Konfliktherden herrscht große Ungerechtigkeit bei der Verteilung der natürlichen Reichtümer dieser Länder. . Die BRD ist gefordert, ihre Entwicklungs- und Außenpolitik so auszurichten, dass Demokratie, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern gefördert werden, statt einseitig Rohstoff-Interessen und Absatzmärkte zum Maßstab ihrer Politik zu machen.

Die Bundesregierung wird aufgefordert,

Die Rüstungsausgaben deutlich zu senken;

Jegliche direkte oder indirekte Unterstützung von Kriegen oder kriegsähnlichen Handlungen zu unterlassen oder zu beenden;

keinen Krieg oder kriegsähnliche Handlungen um Rohstoffe . zu führen;

den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus allen Kampfeinsätzen zu vollziehen." Soweit die IG Metall.

Zum Abschluss noch ein Wort zu Rüstung und Krise.

Die Krise ist ja nicht zu Ende. Derzeit wird der Lebensstandard von Hunderten Millionen Menschen gesenkt, weil das Finanzkapital mit ihren finanzpolitischen Massenvernichtungswaffen ein Sparprogramm nach dem anderen diktiert. Nie gab es so viele Arbeitslose in Europa, nie wurden so flächig in Ländern soziale Errungenschaften ganzer Generationen abgebaut, nie wurde Demokratie so mit Füßen getreten. Da sorgt sich das Kapital natürlich schon darum, wie lange sich die Menschen das gefallen lassen, d. h. um die Stabilität des kapitalistischen Systems.

Und da wird kräftig vorgebaut: Zivilmilitärische Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene, Aufwertung der Reservistenverbände, eine nicht enden wollende Diskussion um den Bundeswehreinsatz im Inneren - das bedroht die Demokratie in ihrem innersten Kern. Krieg nach außen und Militarisierung im Innern - das sind die bedrohlichen Tendenzen in Krisensituationen, die in der Geschichte nur Unheil über die Menschen brachten.

Aber: Die Menschen sehnen sich nach sozialer Sicherheit, nach friedlichem Zusammenleben, nach friedlicher Beilegung von Konflikten. Eine andere Welt ist notwendig und machbar. Thomas Mann hat einmal geschrieben: "Der Krieg ist nichts als Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens!".

Daher: Schluss mit dieser Drückebergerei, lasst uns weiter energisch streiten für den Frieden!



Wolfgang Erdmann war bis 2011 zwanzig Jahre Betriebsrats- und Konzernbetriebsratsvorsitzender in einem Großbetrieb in Norderstedt und Hamburg und ist Mitglied der IG Metall.

E-Mail: wo (Punkt) erdmann (at) t-online (Punkt) de
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