OM 2014

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17.04.2014


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Ostermärsche und -aktionen 2014

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Redebeitrag für den Ostermarsch 2014 in Wiesbaden am 19. April

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Philipp Jacks (in Wiesbaden)



- Sperrfrist: 19.04.14, Redebeginn: ca. 13 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



wir haben gerade in diesem Jahr allen Grund, wieder verstärkt für den Frieden weltweit zu demonstrieren, und auch unsere neue alte Bundesregierung gibt uns leider genügend Anlass.

Den Auftakt hat unsere neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gemacht, als sie forderte, dass Deutschland international wieder "mehr Verantwortung" übernehmen soll.

Mit "Verantwortung" hat sie allerdings nicht etwa gemeint, dass nun keine Waffen mehr in Krisengebiete geliefert werden sollen.

Sie hat auch nicht gemeint, dass deutsche Soldaten unter ihrer Führung die deutschen Interessen nicht mehr in aller Welt verteidigen,

sondern ausschließlich der grundgesetzmäßigen Landesverteidigung dienen werden.

Im Gegenteil: mit "Verantwortung" hat sie gemeint, die außenpolitische Zurückhaltung endlich aufzugeben, und dass die Bundeswehr auch im Ausland ordentlich mitkämpfen soll, wenn mal wieder irgendwo in der Welt geopolitische Interessen mit Gewalt durchzusetzen sind.

Wir halten diese Zielrichtung für fatal, uns deshalb demonstrieren wir hier und heute für friedliche Konfliktlösungen, für eine Welt ohne Krieg, Militär und Gewalt.

Und es ist auch höchst aktuell, entschieden dagegen zu demonstrieren, dass die Nato nach 1990 zu einem Interventionsbündnis ausgebaut wurde. Die NATO nimmt die Krim-Krise zum Anlass, Russland zum Feindstaat zu erklären und die bisherige militärische Abstinenz in den osteuropäischen NATO-Ländern aufzugeben.

Dass die NATO seit wenigen Tagen auch noch die militärische Präsenz im Osten Europas verstärkt, zeigt, dass hier keinesfalls mit diplomatischen Mitteln deeskaliert werden soll, sondern ein neuer Krieg riskiert, wenn nicht sogar provoziert, wird.

Aber auch Russlands Verhalten ist alles andere als friedenstiftend. Säbelrasseln und militärische Drohgebärden sind Maßnahmen, die zusätzlich Öl ins Feuer eines gefährlichen Konflikts gießen.

Notwendig ist dagegen, die Diplomatie zu stärken, um eine friedliche Lösung des Konflikts in und um die Ukraine zu erreichen. Europa hat nur eine sichere Zukunft mit, und nicht gegen Russland, bei aller Kritik, die man an der russischen Krim-Politik üben muss.

Die Bundesregierung will mit der ukrainischen Übergangsregierung ein Assoziierungsabkommen abschließen und sie so an die EU binden. Diese Regierung ist nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen und ihr gehören Faschisten an!

In dem Punkt, ob es nun tatsächlich Faschisten sind oder nicht, gibt es ja leider auch sehr unterschiedliche Einschätzungen. Darum muss ich hier eine bekannte Weisheit bemühen: das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit! Dieses Sprichwort hat sich auch beim Konflikt in der Ukraine mal wieder bestätigt, auch wenn natürlich - wie immer - die Wahrheit schon lange vor dem eigentlichen Krieg geopfert wird.

Genau deshalb ist es für uns hier aus der Ferne aber auch für die Menschen in der Ukraine so schwer zu sagen, wer nun mit welchen Motiven auf wessen Seite kämpft.

Der Informationsfluss ist interessensgefiltert und sowohl russische als auch westliche Medien berichten einseitig. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, keiner der Seiten ihre Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen abzunehmen, sondern entschlossen für eine friedliche Konfliktlösung einzutreten!

Aber zurück zu den Faschisten: wenn selbst der ehemalige EU-Kommissar und Sozialdemokrat Günter Verheugen sagt, dass es "richtige Faschisten" seien und "nicht nur irgendwelche Nationalisten", dann sollte man sich doch zumindest fragen, ob da nicht etwas dran ist.

Wenn Gewerkschafter, die versucht haben die inhaltlich schwache Bewegung auf dem Majdan-Platz mit sozialpolitischen Forderungen aufzuwerten, mit Gewalt vom Platz gejagt werden, dann ist klar, dass dort keine emanzipatorische Bewegung stattgefunden hat.

Und die rechtsextremistische "Swoboda"-Partei ist keine Randerscheinung: sie hat eine breite Unterstützung besonders in drei westlichen Gebieten des Landes, wo sie bei den Wahlen im

Jahr 2012 zwischen 31% und 38% der Stimmen erreichte - in der Stadt Kiew bekam sie 17%.

Bezeichnend ist auch, dass niemand auf dem Majdan gegen den nationalistischen Diskurs oder die Präsenz der Ultrarechten protestierte. Es gab keine Versuche, "Swoboda" vom Platz zu entfernen. Somit nahm die Majdan-Bewegung ihren neofaschistischen Teil tolerierend oder billigend in Kauf.

Nach dem Sturz von Janukowytsch bekamen die Rechtsradikalen wichtige Posten in einer neuen Staatsadministration: die Vertreter von "Swoboda" bekamen die Posten von Vize-Ministerpräsident, Agrarminister, Umweltminister, Generalstaatsanwalt und Vorsitzender des Sicherheitsrates. Der Führer des "Rechten Sektors" wurde zum Vize-Vorsitzenden des Sicherheitsrates, und seine Militanten wurden in die Strukturen des Innenministeriums eingegliedert.

Wenn unsere Bundesregierung aus machtpolitischem Interesse mit solch einer Regierung zusammenarbeitet, ist das ein fataler Tabubruch - insbesondere wenn nun deutsche Steuergelder an so eine Regierung fließen sollen.

Um wieder einigermaßen zur Vernunft zu kommen, muss auf allen Seiten rhetorisch abgerüstet, und müssen die Dinge wieder gerade gerückt werden.

Wenn Putin sein möglicherweise völkerrechtswidriges Engagement auf der Krim damit rechtfertigt, dass die Nato genau das mit der ebenso völkerrechtswidrigen Trennung des Kosovo vorexerziert habe, dann bleibt es in beiden Fällen ein Bruch des Völkerrechts.

Aber die gefährliche Zuspitzung des Konflikts in und um die Ukraine haben neben Russland auch die EU und somit auch die Bundesregierung zu verantworten.

Mit ihrem Vorgehen, die in eher europa- oder eher russlandfreundlich gespaltenen ukrainischen Gesellschaft das Ultimatum zu stellen, entweder Abkommen mit der EU oder die Zollunion mit Russland zu unterzeichnen, wurde Russland brüskiert und die Ukraine zerrissen.

Russland und die EU wollen die Ukraine.

Niemand hat mit Russland mit dem Ziel verhandelt, die Ukraine zu einer Brücke zwischen der EU und Russland zu machen.

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung hatte Gorbatschow eine entscheidende Bedingung gestellt, nämlich dass es keine Ausweitung der NATO nach Osten gibt. Inzwischen wurden zwölf Staaten des ehemaligen Ostblocks in die NATO aufgenommen.

Als 2008 noch Georgien und Ukraine aufgenommen werden sollten, hat Putin folgenden Satz gesagt: "Das Entstehen eines mächtigen Militärblocks an unseren Grenzen würde in Russland als direkte Bedrohung der Sicherheit unseres Landes betrachtet."

Warum wurde trotzdem in den letzten Jahren seitens der EU versucht, die Ukraine einzubinden, statt nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, in der die Ukraine eine Brücke zwischen EU und Russland sein könnte?

Auch wenn wir jetzt immer wieder gepredigt bekommen, dass es um Demokratie und Menschenrechte in der Ukraine geht: das glaube ich nicht! Denn es geht ums Gas, es geht um den Zugang zum Schwarzen Meer, es geht um geostrategische Interessen. Der Kampf darum wird auf den Rücken der Menschen in der Ukraine, aber auch auf unseren Rücken ausgetragen.

Man kann aus kurzsichtigem Macht- und Sicherheitsinteresse weiter mit dem Feuer spielen, aber das ist keine Lösung. Es muss sich endlich die Einsicht bei allen Beteiligten einstellen, dass es eine Lösung in und um die Krise der Ukraine nur mit und nicht gegen Russland geben kann.

Das geht nur, wenn man endlich wieder miteinander spricht und Vertrauen aufbaut. Putin muss seine Politik ändern, und dafür brauchen wir Diplomatie.

Wir appellieren an Präsident Putin, auf den Einsatz von Soldaten und Waffen zu verzichten. Aber ebenso appellieren wir an die Übergangsregierung in Kiew, deeskalierend zu wirken. Der Aufruf von Vitalij Klitschko zur Generalmobilmachung ist in diesem Zusammenhang nicht hilfreich, im Gegenteil. Das Motto kann nur lauten: Reden statt Säbelrasseln.

Die Bundesregierung stilisierte den innerukrainischen Streit um die richtige außenwirtschaftliche Orientierung zu einem Kampf zwischen zwei Optionen: einer Westorientierung, angeblich verbunden mit einer Entscheidung für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Wohlstand, auf der einen Seite, und einer Ostorientierung, angeblich gleichbedeutend mit Abhängigkeit, Unfreiheit und wirtschaftlicher Misere, auf der anderen Seite.

Dabei liegt es auf der Hand, dass die Zerschlagung der ökonomischen Verbindungen zwischen der Ukraine und Russland zu einer weiteren Verarmung aller Teile der Ukraine und ihrer Bürger/innen führen würde.

Umgekehrt würde der Großteil der ukrainischen Bevölkerung bei einer reinen Westbindung oder gar "Integration" in die EU unter dem Diktat des Internationalen Währungsfonds und der EU-Troika mehr verlieren als gewinnen. Ein Blick in die "Transformations"-Gesellschaften Bulgariens und Rumäniens sollte Warnung genug sein.

Nochmal: im Konflikt um die Krise in der Ukraine kann es nur eine Lösung mit und nicht gegen Russland geben. Wir werden nie gute, stabile europäische Lösungen erreichen, wenn sie gegen Russland gerichtet sind und die Ukrainer als Bollwerk gegen Russland instrumentalisiert werden.

Nur mit Russland zusammen wird eine Verbesserung der Situation möglich werden. Darüber müssen sich die EU und die USA im Klaren sein. In der jetzigen Situation muss es eine Institution geben, mit der beide Seiten in der Ukraine und Russland reden können und auch wollen.

Vor genau 100 Jahren war das Jahr 1914, in dem mit dem Beginn des 1. Weltkrieges die große Katastrophe des 20. Jahrhunderts begann. 1939 begann Deutschland den 2. Weltkrieg. Die Lehre daraus sollte das "Nie wieder Krieg - Nie wieder Faschismus" als Leitidee sein. Für uns ist das auch heute noch Grundsatz: ein neuer Krieg in Europa muss mit allen Mitteln verhindert werden.

Zum Schluss möchte ich noch zwei Absätze aus einer vorgestern veröffentlichten gemeinsamen Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag und der Kooperation für den Frieden zitieren:

"Die Friedensbewegung achtet das Völkerrecht: Die Mithilfe des Westens am "Regime Change" in Kiew widerspricht eklatant dem Nichteinmischungsprinzip nach Art. 2 Ziff. 7 der UN-Charta. Aber auch das Eingreifen russischer Streitkräfte über das vom russisch-ukrainischen Stationierungsvertrag erlaubte Maß hinaus ist vom Völkerrecht nicht gedeckt."

Bei dem Referendum und der Unabhängigkeitserklärung der Krim und dem anschließenden Beitritt zu Russland handelt es sich trotzdem nicht um eine völkerrechtswidrige "Annexion", wie westliche Medien und Politiker behaupten, sondern um eine völkerrechtlich umstrittene Sezession. Als solche verstieß sie gegen die ukrainische Verfassung.

Die Friedensbewegung setzt auf gemeinsame Sicherheit: In den internationalen Beziehungen, insbesondere in den historisch so belasteten Beziehungen zwischen dem Westen und Russland, müssen die berechtigten Sicherheitsinteressen aller Staaten des "gemeinsamen Hauses Europa" Berücksichtigung finden. Mit der Osterweiterung der EU und Ausdehnung der NATO bis nahe an die Grenzen Russlands sieht sich Moskau zu recht politisch und militärisch in die Enge getrieben. Die Ukraine darf nicht zum Bollwerk gegen Russland ausgebaut werden, sondern sollte eine Vermittlerposition in der Region einnehmen. Sanktionen des Westens gegen Russland sind das falsche Signal und müssen aufgehoben werden.

In diesem Sinne danke ich Euch für die Aufmerksamkeit und wünsche Euch und auch allen anderen Frieden und Gerechtigkeit.



Philipp Jacks ist Wiesbadener DGB-Vorsitzender.

E-Mail: Philipp (Punkt) Jacks (at) dgb (Punkt) de

Website: frankfurt-rhein-main.dgb.de
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