Naher Osten, Israel/Palästina

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02.08.2006


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Naher Osten, Israel/Palästina

 Archiv: Libanonkrieg 2006

ab 18.07.06

Pressesplitter I "(bis 02.08.) Stoppt die Eskalation und Gewalt in Nahost!"

div. Zeitungen / Agenturen / ...

[13]

15.07.06

dlf "Gezieltes Brandstiften"

18.07.06

FR Allmähliche Rückkehr zur Politik

taz Weiter und genauer

19.07.06

spiegel-online.de "Israel hat nur auf eine Gelegenheit gewartet"

20.07.06

taz Die Rechtmäßigkeit des Opfers

25.07.06

tagesschau.de "Diplomatie soll Schrecken des Krieges zudecken"

26.07.06

taz Keine Waffenruhe in Sicht

taz Zwischen den Fronten im Stellvertreterkrieg

27.07.06

jW Kein Frieden aus Rom

31.07.06

taz Vorsprung mit deutscher Technik

02.08.06

frInitiativen rufen zu sofortiger Waffenruhe auf">12frIm Süden herrscht offener Krieg"





Quelle: Deutschlandfunk, 15.07.06

"Gezieltes Brandstiften"

Friedensaktivist Moskovitz lehnt israelische Militäroffensive ab

Moderation: Friedbert Meurer

Der israelische Friedensaktivist Reuven Moskovitz hat die israelische Militäroffensive im Libanon kritisiert. Er bezeichnete sie als "gezieltes Brandstiften" und beschuldigte Israel, eine Politik zu gestalten, die nur in den Abgrund führen könne.

Friedbert Meurer: Israel spricht von Verteidigung. Die libanesische Regierung sieht sich dagegen als Opfer einer Aggression. Für die Menschen jedenfalls ist es eine Katastrophe. In Nordisrael suchen sie wieder die Schutzbunker auf aus Angst vor den Raketen der Hisbollah aus dem Südlibanon. Im Libanon selbst gibt es aber die meisten Opfer, auch in der Zivilbevölkerung. In einem Krankenhaus heute Nacht ist in Libanon Panik ausgebrochen, weil eine israelische Rakete nur knapp daneben einschlug.

[Bericht] In Nahost wächst damit die Angst vor einem neuen Krieg. Wie kann er noch gestoppt und verhindert werden? Am Telefon begrüße ich Reuven Moskovitz, er ist Mitglied der israelischen Friedensbewegung, hat 2003 den Aachener Friedenspreis erhalten und hält sich im Moment in Deutschland auf. Guten Morgen, Herr Moskovitz.

Reuven Moskovitz: Guten Morgen.

Meurer: Die große Mehrheit Ihrer Landsleute in Israel billigt ja die Offensive, sowohl im Gaza-Streifen als auch im Libanon. Sie billigen das nicht. Warum nicht?

Moskovitz: Die große Mehrheit der Deutschen haben gebilligt, was Hitler gemacht hat. Und immer irgendwie, bevor man den Preis zahlt für die Maßlosigkeit, ist man vom Krieg begeistert, von Macht begeistert, von Siegen begeistert und dann zahlen die Unschuldigen den Preis für diesen Wahnsinn.

Meurer: Die israelische Regierung sagt: Wir verteidigen nur das Land; wir haben uns aus Gaza zurückgezogen, wir haben uns aus dem Südlibanon zurückgezogen und zum Dank bekommen wir die Raketen der Hisbollah. Was sagen Sie zu dieser Argumentation?

Moskovitz: Na ja, ich habe erwähnt, dass ich glaube, dass der Nationalsozialismus und der Holocaust, das war ein kolossales Verbrechen. Und was, ich muss ehrlich sagen, was anbelangt israelische Politik, ist eine kolossale Lüge. Man denkt, dass alle - man redet von Israel, aber es gibt ein regierendes Israel, was derart beängstigt das Volk, was instrumentalisiert diese furchtbare Vergangenheit und die Verletzbarkeit von uns und man wird immer beängstigt. Aber im Grunde genommen heute, was wir machen, ist nicht zu verteidigen. Ist schon seit längst vergessen Verteidigungskrieg und so weiter. Wir führen eine aggressive Politik, die uns nur in Abgrund führen kann.

Meurer: Sie haben selbst den Holocaust überlebt, sind, glaube ich, Jahrgang 1928, 1947 dann nach Israel gegangen. Warum wählen Sie diesen harten Vergleich mit dem Nationalsozialismus?

Moskovitz: Weil die Denkstrukturen sind dieselben. Das hat nichts zu tun unbedingt mit nationalsozialistisch. Aber zum Beispiel wir sind einmal ein Sozialist, wir haben angefangen als Sozialisten. Und mehr und mehr sind unsere Sozialisten national geworden. Und heute hat der Nationalismus bei uns den Vorrang. Und wenn man will Probleme lösen nur durch Gewalt, das ist typisch für Faschismus. Ich weiß, man hört das nicht gerne in Deutschland, man hört das nicht gerne in Israel, man spielt den Verletzten. Aber grundsätzlich ist das, was jetzt läuft. Die Politik in Israel kennt nicht eine andere Sprache. Die regierende Politik kennt keine andere Sprache als Gewalt, nur Gewalt. Und wer versucht, mit Gewalt Probleme zu lösen, der erzeugt noch mehr Gewalt.

Meurer: Nur, gilt das nicht auch für die andere Seite, immer nur Gewalt zu suchen?

Moskovitz: Ja, selbstverständlich. Also ich will mich nicht... also ich glaube, die andere Seite hofft, uns zu machen, was wir heute machen. Aber es bedeutet noch nicht, dass die, dass es auch richtig. Ich glaube, die haben sich, auch auf sich ein Unglück gebracht, wenn sie haben gedacht, das ist so einfach, Israel in das Meer zu treiben oder zu liquidieren. Aber das ändert nicht die Tatsache, dass schon seit mehr als 50 Jahren - ich habe hier Briefe von Hannah Arendt 1955 und schon damals spricht sie, die Hannah Arendt, von der Germanisierung der israelischen Politik. Schon damals spricht sie davon, dass Menschen haben Angst vor dem Krieg, aber die meisten sind Kriegshetzer. 1955, Hannah Arendt. Und das ist eine Tatsache. Es tut mir Leid. Ich weiß, ich bin, ich glaube, der gemäßigte Mensch, ich bin nicht radikal, ich bin friedfertig, ich versuche, nur durch Frieden Probleme zu lösen. Aber man denkt, dass ich sei radikal, weil ich wage, die Wahrheit zu sagen. Und schon vor 32 Jahren bin ich nach Deutschland gekommen, um zu zeigen, dass es gibt Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und der jüdischen Geschichte. Mein Buch, was ich geschrieben habe, heißt "Deutsche und Juden zwischen Macht des Geistes und Ohnmacht der Gewalt". Und in Deutschland hat man auch einmal gesetzt auf die Macht des Geistes und das war Goethe und das war Mozart und das war Lessing und die alle großen Kapazitäten. Und dann hat man versucht, gerade nur mit der Macht und hat man Deutschland zugrunde gemacht. Danach ...

Meurer: Die Bundeskanzlerin - ja, Entschuldigung, Herr Moskovitz -, die Bundeskanzlerin hat ja gerade sich erst hinter Israel gestellt, als nämlich George Bush, der US-Präsident, jetzt in Stralsund zu Besuch war, hat gesagt: Israel verteidigt sich, der Angriff ist von der Hisbollah, ist von anderen ausgegangen. Was erwarten Sie von den Deutschen?

Moskovitz: Ja was soll ich machen? (.) Es gibt den Begriff vom "Bruch der Zivilisation". Und ich will sagen: Eine Welt, die duldet, was bei uns passiert und man stellt dar zum Beispiel diese absolute maßlose Reaktion auf eine Tat, was eigentlich wiederholt doch, was wir doch gemacht haben - wir haben von den in Deutschland entführten Scheichs und alle möglichen Menschen, die 16 im Gefängnis gesessen sind, und das, das durften wir, weil wir sind immer die Opfer. Und wenn dieses, ich bin gegen Entführungen, gegen Krieg und gegen Gewalt. Aber irgendwie in diesen Zuständen kann es nicht sein, dass wir auf so ein, was im Grunde genommen diese Leute, eine Lappalie entfacht man so einen schrecklichen Krieg. Das ist doch immer mit vorzuspielen. Und die Frau Merkel, ich habe für sie große Achtung gehabt, ich habe für sie ein paar Tränen verloren, weil sie hat unter den Mauern gelebt und wenn sie befreit worden ist, habe ich mich gefreut. Aber heute umarmt sie sich mit dem Brandstifter von Irak, den Mann, der Irak in Brand gesetzt hatte, und heute, und vor ein paar Monaten sie ist umarmt worden von Ehud Olmert, der jetzt diesen Brand gestiftet hat. Ich muss sagen, das ist ein gezieltes Brandstiften, das ist keine gemäßigte Reaktion auf die Entführung von einem Soldaten oder von anderen zwei Soldaten.

Meurer: In Israel wird natürlich argumentiert, und nicht nur dort, Herr Moskovitz: Jetzt wählen die Palästinenser auch noch ausgerechnet Hamas an die Regierung, nachdem wir - noch mal die Wiederholung - aus Gaza und Südlibanon abgezogen sind. Sind Sie auch von der palästinensischen Seite enttäuscht?

Moskovitz: Ich habe die Frage nicht verstanden.

Meurer: Ob Sie auch von der palästinensischen Seite enttäuscht sind, weil die Palästinenser die Hamas gewählt hatten?

Moskovitz: Ja, das ist eine lange Geschichte, was wir nicht in ein paar Minuten... Also die meisten Palästinenser haben nicht für Hamas gewählt. Und auch die Hamas sind unsere Feinde. Und Frieden macht man nur mit Feinden. Wer Frieden will, muss bereit sein, mit Feinden zu reden. Und wenn man sagt: "Ich rede mit den Feinden nicht", bedeutet das: "Wir wollen den Frieden nicht."

Meurer: Sie selbst...

Moskovitz: Das, das ist die traurige Tatsache. Wir müssen bereit sein, mit jedem zu reden, der bereit ist, zu reden auf eine Koexistenz zwischen einem jüdischen Staat und einem palästinensischen Staat.

Meurer: Sie versuchen ja schon seit langem, diese Koexistenz zu fördern, die Versöhnung zu fördern, haben ein Friedensdorf gegründet, Neve Shalom, ich glaube, in den 50er Jahren, zwischen Tel Aviv und Jerusalem...

Moskovitz: Nein, in den 70er Jahren.

Meurer: ... in den 70er Jahren. Da leben Israelis und Palästinenser zusammen. Wie funktioniert im Moment dort das Zusammenleben?

Moskovitz: Es funktioniert. Also die Tatsache, dass auch in solchen gespannten Situationen schmeißt man keine Steine aufeinander. Und es wird zusammengearbeitet. Und jüdische Wähler wählen den Bürgermeister, einen arabischen Bürgermeister für Neve Shalom und so weiter. Und es gibt sogar so ein Prinzip wie diskriminierende Begünstigungen, ich meine begünstigende Diskriminierung und so weiter. Es ist ein hoffnungsvolles Modell. Aber selbstverständlich, solche Modelle in Kriegssituationen sind wieder nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das kann nicht - die Lage muss politisch gelöst werden. Und ich muss sagen, ich beschuldige, dass die angeblich zivilisierte und demokratische Welt, dass die schweigen und die lassen zu, dass wir dort passiert, was ist passiert. Da führt man nicht den Krieg gegen Terror. Ein Krieg gegen ein ganzes Volk. Und damit gefährdet man auch, dass das verletzteste Volk der menschlichen Geschichte, das jüdische Volk. Ich muss sagen, es hätte schon längst, längst in Deutschland der Aufschrei kommen müssen. Aber eigentlich Deutschland versteckt sich hinter diesen Schuldgefühlen, und das ist eine, glaube ich, eine verhängnisvolle Sache, auch für uns. Manchmal muss man verstehen, dass ein zu eifriger Freund kann gefährlicher sein als ein Feind. Vor Feinden kann man sich schützen, mit solchen Freunden weiß ich nicht, was anzufangen.

Meurer: Das Mitglied der israelischen Friedensbewegung Reuven Moskovitz bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Herr Moskovitz, und auf Wiederhören.

Moskovitz: Auf Wiederhören.



Quelle: Frankfurter Rundschau, 18.07.06

Allmähliche Rückkehr zur Politik

von Inge Günther (Jersulem)

Die Hisbollah tönt, ihre Katjuscha-Depots seien bei weitem nicht leer. Und die israelischen Militärs glauben, dass sich das Bedrohungspotenzial der libanesischen Islamisten keinesfalls erschöpft habe. Was Scheich Hassan Nasrallah gemeint haben könnte, als er in seiner Rede am Sonntagabend von "Überraschungen" sprach, die die Hisbollah vorbereitet habe, malt man sich in Israel derzeit lebhaft aus. Womöglich könnten Krieger der "Gottespartei" eine Flugdrohne mit Sprengstoff bestücken und damit einen Terrorakt der ungekannten Art inszenieren, hieß es in der Zeitung Haaretz. Denkbar auch, dass Nasrallah erneut auf Mittelstreckenraketen des Silsal-Typs, made in Iran, anspiele, die, von Rampen im Libanon abgefeuert, Tel Aviv treffen könnten.

Auf schlimmste Eventualitäten eingestellt zu sein, gehört zum israelischen Alltag. Die "Patriot"-Abwehrbatterien, die man jetzt auf dem Carmel-Kamm in Haifa postiert hat, sind Teil dieses Konzepts. Auch wenn sie gegen den Beschuss seitens der Hisbollah bislang nichts auszurichten vermochten. Selbst eher leichtlebige "Tel Avivis" rümpeln inzwischen Bunker aus, statt jede freie Minute am Strand zu verbringen. Das klappt nicht ohne eine gewisse Panikmache.

Doch sie geht einher mit einem noch anderen Kalkül der Militärs. Denn Israels Sicherheitsapparat treibt auch die Sorge um, die Offensive im Libanon "zu früh" beenden zu müssen. Schon wird in Jerusalemer Regierungskreisen spekuliert, es blieben vielleicht nur Tage, wenn nicht Stunden, bis die Welt richtig Druck mache, die Kampfhandlungen einzustellen. Viel ist davon nicht zu spüren. Insofern können die Streitkräfte beruhigt sein. Die USA haben zwar gemahnt, bei den Einsätzen mehr Rücksicht auf libanesische Zivilisten zu nehmen, aber unter der Hand grünes Licht für die Luftangriffe erteilt. Außenministerin Condoleezza Rice hat sogar kundgetan, dass "nichts damit erreicht wäre", falls man zu einem Waffenstillstand komme, ohne die Hisbollah-Gefahr erheblich reduziert zu haben.

"Wir beabsichtigen, den Job zu Ende zu bringen", bekräftigte am Montag der israelische Verteidigungsminister Amir Peretz. Man werde sich von niemand stoppen lassen, bevor nicht im Südlibanon auf diese oder jene Art eine Pufferzone gegen Katjuscha-Raketen errichtet sei. Solange Washington Israel den Rücken freihält, lässt sich dies leicht behaupten.

Erste Fühler der Diplomatie

Dennoch, die internationale Diplomatie hat ihre ersten Fühler ausgestreckt, um die Chancen für einen Waffenstillstand samt Rückgabe der israelischen Geiseln zu testen. Die Initiative ergriffen EU-Außenpolitikchef Javier Solana und Italiens Ministerpräsident Romano Prodi. Über Appelle an die Vernunft hinaus dürften sie nach jetzigem Kräfteverhältnis wenig ausrichten. Aber auch Frankreichs Präsident Jacques Chirac, dem enge Beziehungen zur libanesischen Regierung nachgesagt werden, schickte einen Emissär nach Beirut. Um eine Reaktivierung der Politik zur Beendung der zerstörerischen Dynamik dieses Konflikts bemühten sich ebenso Tony Blair und Kofi Annan, die sich mit etwas konkreteren Lösungsvorschlägen einschalteten. Beide, der UN-Generalsekretär wie der britische Premier, plädierten für eine "internationale Präsenz" im Südlibanon. Israels Premier Ehud Olmert ließ am Montag bereits deutlich erkennen, dass er von dieser Idee nicht gerade begeistert sei. Internationaler Beistand müsste, um sich gegen die Hisbollah durchsetzen zu können, im Unterschied zu der zahnlosen Unifil-Truppe der Vereinten Nationen bewaffnet sein.

Welche Staaten wären dazu bereit? Wer will es mit den "Gottespartei"-Kämpfern aufnehmen, die von iranischen Revolutionsgarden trainiert und allemal der regulären libanesischen Armee überlegen sind? Die Schiiten, die Mehrheit der Bevölkerung, stehen offenbar nach wie vor zur Hisbollah. Mit dem brutalen Bombardement der Infrastruktur machte sich Israel auch keine Freunde unter den libanesischen Sunniten, Christen und Drusen. Gerade ein Jahr ist es her, dass syrischen Truppen aus dem Land abzogen, das die Nachbarn immer wieder zum Schauplatz ihrer Kriege gemacht hatten. Jede Intervention von außen, die wie so oft in der Vergangenheit mit Machtinteressen gekoppelt sein könnte, erhöht die Gefahr, dass ein Bürgerkrieg entlang der ethnischen Reibungslinien entflammt.

Nasrallah, Held der Palästinenser

Hisbollah-Chef Nasrallah ist unter den libanesischen Führern wahrscheinlich am wenigsten von einem solchen Szenario bedroht. In sechs Tagen Krieg gegen Israel, in denen sich die Hisbollah-Raketen weit verheerender erwiesen als im ersten Golfkrieg 1991 die "Scuds" von Saddam Hussein, ist er in Teilen der arabischen Welt zum Helden aufgestiegen. Auch unter Palästinensern, die in seinen Taten einen "solidarischen Akt" im Kampf gegen die Besatzung zu erkennen meinen. Nasrallah sei nicht nur eine Geiselnahme israelischer Soldaten gelungen, schrieb Haaretz: "Er hat das palästinensische Problem insgesamt gekidnappt und unter seine Kontrolle gebracht."

So spricht einiges dafür, dass der gewaltige Feuerregen, den Israels Luftwaffe über Libanon niedergehen lässt, den Nahen Osten weder besser noch sicherer macht. Realistisch scheint, möglichst viele Waffenlager der Hisbollah in die Luft gehen zu lassen.



Quelle: taz, 18.7.2006, S. 2

Weiter und genauer

Die modernen, mit Lasertechnik ausgestatteten Raketen der Hisbollah-Milizen sollen bis zu 100 Kilometer zurücklegen können

(JERUSALEM taz) "Der islamische Widerstand hat die israelische Stadt Haifa mit dutzenden Raad-2- und Raad-3-Raketen bombardiert", verkündete der Hisbollah-Sender al-Manar unmittelbar nach dem Tod von acht Mitarbeitern in einem Eisenbahndepot am Hafen der Stadt. Der blutige Angriff der Hisbollah markiert eine neue Stufe im Kampf der Schiiten, die Israel bislang mit den nur bedingt effektiven Katjuscha-Raketen attackierten. Transportminister Schaul Mofas, ehemals Stabschef, präsentierte der Presse Eisenteile, die darauf hindeuteten, dass die Raketen "aus Syrien stammen". Die Spuren führen indes auch nach Teheran.

Die Raad-2, zu Deutsch: Donner-2-Raketen wurden vor knapp zehn Jahren zum ersten Mal erfolgreich im Iran getestet. Die Raketen verfügen über eine weitaus größere Genauigkeit als die Katjuscha-Raketen und eine größere Reichweite. Während die Raad gut 45 Kilometer zurücklegen kann, fliegt die Katjuscha in der Regel nur 15 Kilometer. Die Raad-2 sind zudem mit moderner Lasertechnik ausgestattet und können, im Unterschied zu den Katjuscha-Raketen, nicht von der Hisbollah selbst produziert werden. Nach Auskunft einer israelischen Armeesprecherin wurden am Sonntag zehn der technisch verbesserten Raad-3-Raketen abgefeuert, die jeweils mit 45 Kilogramm Sprengstoff bestückt waren.

Laut Berichten der in London erscheinenden Zeitung al-Schark al-Awsat lieferte Iran rund 11.500 Raketen unterschiedlichen Typs an die Hisbollah, darunter Mittel- und Landstreckenraketen. Neben der Raad sind offenbar die Modelle Fajr-3 und Fajr-5 mit einer Reichweite von rund 100 Kilometern besonders häufig. Dazu kommen, den Berichten zufolge, eine Reihe so genannter Schahin-Raketen, die sogar 150 Kilometer weit fliegen können. - Susanne Knaul



Quelle: spiegel-online.de, 19.07.06

Historiker Tom Segev

"Israel hat nur auf eine Gelegenheit gewartet"

Scharfe Kritik an der eigenen Regierung: Israels Militäroffensive im Libanon sei lange geplant gewesen, glaubt der israelische Historiker Tom Segev. Die Regierung habe nur auf einen Anlass gewartet. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erläutert Segev, warum es im Moment keinen Frieden geben kann.

Spiegel-online: Herr Segev, hätte sich die Krise im Norden Israels vermeiden lassen?

Tom Segev: "Olmert hat versagt"

Tom Segev: Ja. Die Entführung der beiden Soldaten ist keine Rechtfertigung, um so eine Krise loszutreten, und sie wird auch nicht dazu beitragen, die beiden Soldaten zu befreien. Es sieht vielmehr so aus, als ob die Militäraktion vorbereitet war und man bloß auf eine Gelegenheit wartete, zum Beispiel die Entführung von Soldaten. Israel hat sich, so glaube ich, in eine Situation verstrickt, die viel umfangreicher und gefährlicher ist, als dies dem Interesse Israels entspricht.

Spiegel-online: Möglicherweise will Premier Ehud Olmert zeigen, wer der Starke ist, um das Abschreckungspotential zu erhöhen. Wird ihm dieser Beweis gelingen?

Tom Segev: Olmert ist ein schwacher Politiker, und auch die Regierung ist schwach. Nur eine starke Regierung wäre in der Lage gewesen, den Israelis klar zu machen, dass die Entführung von zwei Soldaten keinen Krieg wert ist. Doch wie gesagt: Olmert ist ein schwacher und zudem ein unpopulärer Politiker. Jetzt versucht er, ein väterlicher und beliebter Anführer zu werden, präsentiert sich als Premier, der das Volk in einem unvermeidbaren Krieg führt.

Spiegel-online: Wird ihn die Krise innenpolitisch stärken?

Tom Segev: Vielleicht ja. Es kommt auf das Resultat der Krise an. Günstig läuft es für ihn aus, wenn Israel keine oder nur wenige Verluste zu beklagen hat.

Spiegel-online: Derzeit ist in Israel kaum Kritik an der Regierung zu hören. 80 Prozent unterstützen das Vorgehen im Libanon. Woran liegt das?

Tom Segev: Es herrscht eine Atmosphäre von Rache, es kommt eine Feindseligkeit gegenüber der Bevölkerung in Beirut zum Vorschein. Die Hisbollah hat uns alle überrascht. Haifa ist ja kein Ort, der beschossen werden sollte - das sind wir eher von den Ortschaften an der Grenze zum Libanon gewohnt. Aber Haifa liegt ja mitten im Land. Es gibt also gute Gründe, sehr ärgerlich zu sein über die Hisbollah und deren Chef Hassan Nasrallah. Das ist eine echte Empörung. Seit Saddam Hussein Israel angegriffen hat, haben wir diese Erfahrung nicht gemacht. Aber die Kritik an der Regierung kann noch kommen.

Spiegel-online: Wann?

Tom Segev: Wenn wir viele Verluste hinnehmen müssen. Israel ist eine verwöhnte Gesellschaft. Wir dulden keinen Terror, ganz im Gegensatz zu dem, was uns die Regierung vormacht, wenn sie von "Standhaftigkeit" spricht. Standhaft sind wir nur, solange wir keine Verluste hinnehmen müssen. Israel ist im Prinzip eine zerbrechliche Gesellschaft. Das Image, das wir eine starke Gesellschaft seien, ist ein Mythos, den die Regierung benutzt. Sehen sie doch, wie die Leute im Norden ihre Häuser verlassen. Doch das ist normal: Wenn geschossen wird, verlassen die Menschen ihre Häuser.

Spiegel-online: Und stellen sich hinter die Regierung?

Tom Segev: Es gibt so ein Gefühl wie "endlich haben wir wieder wirklichen Krieg, wir sammeln Spielzeuge für die Kinder, die im Bunker sind und schicken Freiwillige zu den Armen". Wir sind solidarisch, vergessen sogar alle Streitereien in der Innenpolitik. Olmert macht den Versuch, die Hisbollah und die Hamas in einen Topf zu werfen. Aber das Problem liegt nicht in Teheran. Wir müssen vielmehr das Problem mit den Palästinensern in den Griff kriegen.

Spiegel-online: Droht eine Invasion mit Bodentruppen?

Tom Segev: Kaum. Denn Israel hat sich vom Trauma der letzten Invasion im Libanon noch nicht gelöst. Deshalb hieß es jetzt vom ersten Tag an: Auf keinen Fall werden wir im Libanon einmarschieren. Diesen Fehler haben wir nämlich schon mal gemacht, und dann dauerte es 18 Jahre, bis wir wieder draußen waren. Ein Einmarsch mit Bodentruppen würde von der Bevölkerung nicht unterstützt werden.

Spiegel-online: Die Hisbollah soll von der Grenze zu Israel verdrängt und durch libanesische Truppen ersetzt werden, wenn es nach Olmert geht. Ist das ein realistisches Ziel?

Tom Segev: Das weiß ich nicht. Ich bin nicht genügend gut über den Libanon informiert. Doch ich glaube, dass der Krieg von unserem wirklichen Problem ablenkt.

Spiegel-online: Und das wäre?

Tom Segev: Unsere Beziehungen zu den Palästinensern. Wir sagen jetzt, dass die Gefahr aus Iran komme, weil Teheran die Hisbollah unterstützt. Aber unser Problem liegt in Gaza und in Nablus, nicht in Beirut. Selbst wenn die Amerikaner Iran erobern würden, bliebe unser Grundproblem bestehen: Die Beziehungen zu den Palästinensern.

Spiegel-online: Wie beurteilen Sie Olmert in seiner ersten Bewährungsprobe als Premier?

Tom Segev: Nach seiner Rede vom Montag sieht es so aus, als ob er seine Sache gut macht. Ich höre zwar fast jedes Klischee, das seine Vorgänger Menachem Begin und Schimon Peres - beides hervorragende Redner - benutzt haben. Doch erstmals hat es Olmert geschafft, eine warme Beziehung zur Bevölkerung zu finden. Olmert ist von seinem Naturell her ein zynischer, kalter, professioneller Politiker, der nie als "Vater" des Landes betrachtet wurde. Das wollte er mit seiner Rede vom Montag ändern. Deshalb sprach er die Eltern der Gefangenen persönlich an, nannte die Namen von Opfern - das kommt gut an. Das Volk bekam zwar keine Antworten auf die Frage, wohin es geht, aber es hörte eine starke Sprache. Das hat sicher viele beeindruckt. Olmert wollte das Gefühl vermitteln, dass man sich auf ihn verlassen kann.

Spiegel-online: Olmert verspricht Frieden oder zumindest Ruhe vor Terror. Bringt der Krieg gegen die Hisbollah Israel diesem Ziel einen Schritt näher?

Tom Segev: Nein. Krieg hat im Nahen Osten noch nie Frieden gebracht. Es kann keinen Frieden geben im Moment. Im Vordergrund steht das Management der Krise. Und da hat Olmert eindeutig versagt. Er hat uns wieder in einen Krieg verwickelt. Als Historiker kommt mir das vor wie eine Situation, die es eigentlich nicht mehr geben sollte.

Das Interview führte Pierre Heumann, Nahostkorrespondent der "Weltwoche".



Quelle: taz, 20.07.06 (Kommentar)

Die Rechtmäßigkeit des Opfers

Seit der Entführung ihrer Soldaten fühlen sich die Israelis wieder als Opfer der Situation. Sie übersehen, dass ihre Regierung nicht zu Verhandlungen und Kompromissen bereit ist

In dem Film "Paradise Now" sagt einer der potenziellen Selbstmordattentäter zu seiner Freundin: "Die Israelis sind in Besitz von beidem: von der absoluten Rechtmäßigkeit des Opfers als auch in Besitz der totalen Macht." Ich würde hinzufügen: Wenn beide Seiten den Anspruch auf absolute Rechtmäßigkeit und totale Macht erheben, dann bleibt kein Raum mehr für Mitgefühl.

Wenn die Raketen auf die südlichen und nördlichen Teile Israels niedergehen, dann besinnt sich die jüdische Bevölkerung des Landes auf ihr grundlegendes Opfergefühl: Wir sind ein kleines Volk, das von vielen externen Kräften bedroht wird, denen mit Entschlossenheit und Macht begegnet werden sollte. Dieses grundlegende Opfergefühl stützt sich auf die Rechtmäßigkeit des Schwachen ("Wer versucht, dich zu töten, töte ihn zuerst"). Wir haben dieses Opfergefühl in den letzten Dekaden so oft erlebt, dass es uns wie eine zweite Haut geworden ist. Es gibt uns ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und bemächtigt unsere Regierung, in unserem Namen auf den Feind zu schießen, einschließlich dessen Zivilisten; als ob wir im Krieg wären, so wie im Krieg. Wir sind so sehr an dieses Szenario gewöhnt und bevorzugen es vermutlich zu allen anderen möglichen Szenarien in dieser Region.

Das Bewusstsein vieler Israelis kreist um diese Rechtmäßigkeit des Opfers. Es ist kein Zufall, dass wir uns unserer Macht und Stärke sowie deren negativen Auswirkungen auf die anderen, die unter dieser Macht zu leiden haben, viel weniger bewusst sind. Die Opfer haben gegenüber den Tätern einen entscheidenden Vorteil: Sie müssen keine Verantwortung für ihre eigenen Taten übernehmen, da diese nur eine Reaktion auf die bösen Taten anderer sind. Darum sollten wir uns, in diesen Tagen der Bomben und der Kämpfe in Gaza und im Libanon, daran erinnern, dass es unser Verhalten im Libanon und in den besetzten Gebieten war, das zum Entstehen sowohl der Hamas als auch der Hisbollah geführt hat. Diese militanten Organisationen sind zum Teil als Reaktion auf unsere exzessive Gewaltanwendung entstanden. Nachdem diese Organisationen zu einer Größe angewachsen sind, die uns bedroht, beschweren wir uns und sehen uns wieder als Opfer und sie als Terroristen, mit denen man nicht reden kann.

Auch wenn wir dazu neigen, alle Feinde in einen Topf zu werfen, würde ich doch einen klaren Unterschied machen zwischen Hisbollah und der Hamas. Erstere ist eine terroristische Organisation, die sich, dem Völkerrecht zum Trotz, mit Gewalt gegen Israel wendet und dabei auch die Sicherheit der Regierung und der Bevölkerung des Libanon aufs Spiel setzt. Sie wird von den regionalen Interessen Syriens und des Iran angetrieben, und darum sollte sich die internationale Gemeinschaft kümmern. Die israelische Regierung hat das Recht zu versuchen, diese Organisation zu schwächen, und die einzige offene Frage ist, ob die gegenwärtigen Militärschläge dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen, oder ob sie nicht eher die Hisbollah stärken werden, zumindest in den Augen ihrer arabischen Nachbarn.

Anders als die Hisbollah ist die Hamas-Regierung mittels demokratischer Wahlen vom palästinensischen Volk gewählt worden, hauptsächlich als Reaktion auf die vorhergehende korrupte Regierung und weniger aufgrund ihrer Strategie gegen Israel. In den letzten Monaten haben wir, aufgrund des Drucks der Europäer, Mahmud Abbas und Delegierten aus Jordanien und Ägypten, innerhalb der Hamas einen erbitterten Kampf erlebt zwischen dem moderaten Teil der Hamas, angeführt von Ismail Hanijeh, und dem militanten Teil, angeführt von Haled Mashal. Das "Dokument der Gefangenen", das von Marwan Barghuti und den Führern der Hamas in einem israelischen Gefängnis unterzeichnet wurde, könnte die Grundlage für einen Dialog zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde bilden. Jetzt sind wir diejenigen, die sich weigern, einen solchen Dialog zu führen, weniger aus politischer Klugheit als vielmehr aus einem Gefühl der Überlegenheit und des Machtbewusstseins heraus. Es war unsere militärische Reaktion auf die Entführung von Gilad Shalit, die den Extremisten in der Hamas in ihrem Kampf mit den Moderaten Auftrieb gegeben hat, statt das Gegenteil zu bewirken. Wo liegt da die Logik?

Mit dem palästinensischen Volk müssen wir einen schmerzhaften, aber notwendigen Kompromiss darüber finden, wie wir dieses Land aufteilen. Ein Kompromiss kann nur durch Dialog erreicht werden. Fast jedes Kind in Palästina und Israel kennt die Natur dieses Kompromisses: Rückkehr zu den Grenzen von 1967, mit leichten Veränderungen, zwei Staaten mit der Hauptstadt in Jerusalem sowie eine schrittweise, systematische Lösung des Problems der palästinensischen Flüchtlinge, dazu gehört, dass Israel seinen Anteil an der Entstehung dieses Problems anerkennt. Darüber verständigte man sich 2001 in Taba, das wurde 2002 von der Arabischen Liga vorgeschlagen, und das ist auch die Grundlage des jüngsten Gefangenenpapiers. Durch einen Kompromiss werden die Palästinenser aus dem bedrohlichen Gleichgewicht der Kräfte in unserer Region gezogen, unter dem sie genauso leiden wie wir.

Es könnte sein, dass, wenn die Militäroperationen erst einmal vorüber sind, wir es mit einer palästinensischen Regierung zu tun haben, die zu so einem Kompromiss bereit ist. Die Frage wird dann sein: Gibt es eine israelische Regierung, die in der Lage ist, in solch einen Verhandlungsprozess einzutreten? Im Moment sieht es nicht danach aus. Mit dem Rückzug aus dem Libanon und aus Gaza hat Israel versucht, zu einem internen Konsens der Rechtmäßigkeit zurückzufinden, der durch die lange Besatzung von Land, das uns nicht gehört, behindert wurde. Die Tatsache, dass Israel jeden Zentimeter dieser Territorien zurückgab, gemäß internationalem Recht, gab uns wieder dieses Gefühl der Rechtmäßigkeit zurück, in unseren Augen und denen der internationalen Gemeinschaft. Wir haben dieses Gefühl so sehr geliebt, dass wir es auch auf die Westbank anwenden und uns hinter einer 8 Meter hohen Mauer verschanzen wollten. Das war das Mandat, das die Kadima-Partei in den letzten Wahlen vom israelischen Volk bekommen hat. Der Premierminister proklamierte sogar, dass wenn dies erst einmal vollbracht wäre, Israel ein Staat sein würde, in dem es Spaß machen würde zu leben.

Aber in diesem "sauberen" Prozess vergaß man wohl, dass es da noch andere Leute gibt mit ihren eigenen Bedürfnissen, Schmerzen und Gefühlen der Rechtmäßigkeit und der Macht. Die ganze Zeit spielten wir Schach mit uns selbst, ohne die andere Seite ein Wort mitreden zu lassen, da "niemand da ist, mit dem wir sprechen können" und sie "sowieso keine andere Sprache als Gewalt verstehen". In diesem Sinne waren die Kassam-Raketen aus dem Gaza-Streifen eine unerfreuliche Erinnerung daran, dass da noch andere Menschen sind. Wer nicht mit ihnen reden will, wird weiter Raketen und entführte Soldaten bekommen. - Dan Bar-On

Übersetzung: Daniel Bax



Quelle: tagesschau.de, 25.07.06

Interview mit Nahost-Expertin

"Diplomatie soll Schrecken des Krieges zudecken"

Die aktuelle Nahost-Diplomatie soll nach Einschätzung von Expertin Johannsen auch dazu dienen, die Lage und die Interessen einiger Akteure zu "vernebeln". Eine deutsche Vermittlerrolle beim Austausch von Gefangenen sei "durchaus denkbar", sagte sie im Gespräch mit
tagesschau.de.

tagesschau.de: Politiker aus aller Welt fordern eine Waffenruhe in Nahost. Nun kämpfen dort aber nicht zwei Staaten gegeneinander, sondern Israel kämpft gegen eine Miliz - beide lehnen Gespräche miteinander kategorisch ab. Läuft eine solche Forderung da nicht völlig ins Leere?

Margret Johannsen: Nein, eine solche Forderung läuft nicht ins Leere. Man muss ja nicht direkt miteinander sprechen, man kann auch Dritte einschalten.

tagesschau.de: Wer könnte denn im aktuellen Konflikt überhaupt mit wem verhandeln?

Johannes: Die Hisbollah hat der libanesischen Regierung ja schon eine Art "Mandat" gegeben, um ihre Forderungen für eine Einstellung des Raketenbeschusses Israels zu präsentieren. Es ist eine ganze Latte von Forderungen, die eine Grundlage sein könnten - dann weiß man, was die Hisbollah will. Über diesen Weg könnte man in Gespräche kommen. Eine sofortige Waffenruhe ist ja auch nicht das, was die USA, Israel oder die deutsche Diplomatie wünschen. Diese drei halten es offenbar für richtig, dass die Kämpfe zunächst weitergehen, damit Israel zumindest einen Teil seiner Kriegsziele erreicht.

Deutschland könnte bei Gefangenenaustausch vermitteln

tagesschau.de: Hisbollah-Chef Nasrallah hat in einem Interview heute wieder eine deutsche Vermittlung ins Gespräch gebracht. Wäre das denkbar?

Johannes: Bei der Frage des Gefangenenaustausches ist das durchaus denkbar. Deutschland hat hier in der Vergangenheit zwischen der Hisbollah und Israel vermittelt. Nicht nur die Hisbollah hat ja israelische Soldaten festgehalten, auch Israel hat der Hisbollah nahestehende Menschen aus dem Libanon entführt und jahrelang festgehalten. Einen hält sie noch immer fest - als Pfand zum Austausch gegen israelische Soldaten. Dass man Soldaten oder auch Bürger der anderen Seite gefangen nimmt und sie als Pfand zum Austausch behält, ist ja nicht ganz ungewöhnlich. 2004 haben deutsche Geheimdienstler erfolgreich bei einem Gefangenenaustausch vermittelt. Das könnte Deutschland auch im aktuellen Fall versuchen.

tagesschau.de: Kanzlerin Merkel hat ausgeschlossen, dass Deutschland eine klassische Vermittlerrolle einnimmt. Trotzdem war Außenminister Steinmeier einer der ersten westlichen Spitzenpolitiker, der in dem Konflikt Gespräche geführt hat. Ist das denn nicht schon der Beginn einer Vermittlung.

Johannes: Wenn man die Frage des Gefangenenaustausches zu einer Vermittlungstätigkeit hinzuzählt, würde ich sagen, das ist eine Vermittlung. Dabei geht es ja nicht um eine Waffenruhe - vielleicht hat Frau Merkel das gemeint - sondern darum, was man tun kann, während die Waffen noch sprechen. Denn über die Probleme, die den Krieg begründen, kann und muss man verhandeln, solange die Waffen sprechen. Ich halte es für einen Fehler zu sagen, Verhandeln kann man erst, wenn die Waffen schweigen.

tagesschau.de: Läuft da im Hintergrund vielleicht schon deutlich mehr an Gesprächen als nach außen mitgeteilt wird?

Johannes: Einerseits wird hinter den Kulissen aller Wahrscheinlichkeit nach durchaus gesprochen. Andererseits vernebeln die vielen Nachrichten, die zurzeit über diplomatische Bemühungen an die Öffentlichkeit gelangen, auch die Tatsache, dass eine Waffenruhe bei denjenigen, die letztlich das Sagen haben, noch gar nicht in Frage kommt. Das heißt, das Reden von der Diplomatie soll den Schrecken des Krieges auch ein wenig rhetorisch zudecken.

Kein Konsens der internationalen Gemeinschaft

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie insgesamt das Verhalten der internationalen Gemeinschaft?

Johannes: Das Wort Gemeinschaft signalisiert Konsens, den es hier nicht gibt. Einige Regierungen, wie etwa die der USA, sind der Ansicht, dass Israel erst einmal freie Hand haben muss. Die Deutschen hängen sich ins Schlepptau der USA. Dann gibt es Kritik zum Beispiel von den Franzosen, die eine sofortige Waffenruhe wünschen. Der britische Premier Blair unterstützt einerseits die amerikanische Position, andererseits äußert er sich inzwischen auch tief beunruhigt darüber, welchen Zerstörungen der Libanon ausgesetzt ist. Da könnte es durchaus zu einem Umschwenken kommen - auch aufgrund der öffentlichen Meinung. Es ist in der Tat eine sehr komplizierte Lage. Nach meiner Einschätzung gerät die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel, die Israel anwendet um die Provokation der Hisbollah zu beantworten, immer mehr in den Blickpunkt - und das halte ich auch für richtig.

Waffenruhe als "rhetorisches Zugeständnis"
tagesschau.de: Zunächst hatten die USA das Selbstverteidigungsrecht Israels betont, nun schließt sich Frau Rice der Forderung nach einer Waffenruhe an. Von vielen wird das als Umschwenken interpretiert. Sehen Sie das ähnlich?

Johannes: Nein, ich sehe das nicht so. Sie hat zwar das Wort Waffenruhe benutzt, was ich für ein rhetorisches Zugeständnis an die Lage vor Ort halte, aber sie hat auch hinzugefügt, dass es Bedingungen für eine Waffenruhe gibt. Und diese Bedingungen hat sie auch benannt: nämlich die Entwaffnung der Hisbollah. Das sollte das Ziel von Verhandlungen sein, aber das sollte nicht die Bedingung für eine Waffenruhe sein.

Das Interview führte Holger Schwesinger,
tagesschau.de

Zur Person: Margret Johannsen arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem der Nahe und Mittlere Osten sowie die Friedenspädagogik.



Quelle: taz, 26.07.06

Keine Waffenruhe in Sicht

Angesichts der unvereinbaren Positionen ihrer Teilnehmer dürfte die Konferenz kaum Einfluss auf den Krieg haben

Andreas Zumach

"Wir haben diesen Gipfel einberufen, um fundamentale Probleme zu lösen - das erste ist ein Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und den Hisbollah-Milizen im Libanon."

Diese Worte des italienischen Premierministers Romani Prodi, Gastgeber der heutigen internationalen Nahost-Konferenz in Rom, dürften Wunschdenken bleiben. Schon allein wegen der unzureichenden Teilnehmerschaft. Zwar werden UNO-Generalsekretär Kofi Annan, US-Außenministerin Condoleezza Rice sowie ihre Amtskolleginnen aus Russland, den vier EU-Staaten Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien sowie den vier arabischen Ländern Ägypten, Saudi-Arabien, Libanon und Jordanien an den Beratungen teilnehmen. Es fehlen am Konferenztisch aber Vertreter der beiden unmittelbar kriegsführenden Parteien Israel und der Hisbollah. Die israelische Regierung lehnte eine Teilnahme ab. Und die Hisbollah wurde erst gar nicht eingeladen. Ebenso wenig wie Iran und Syrien, obwohl beide Staaten nach Darstellung westlicher Regierungen die Hisbollah in dem aktuellen Krieg unterstützen oder sie sogar dazu angestiftet haben.

Auch der knappe Zeitrahmen - zwei Stunden Diskussion am Morgen, dann 90 Minuten Mittagessen - lässt kaum gründliche Beratungen erwarten, geschweige denn greifbare Ergebnisse wie die Vereinbarung einer Waffenruhe.

Aber das ist auch gar nicht gewollt - zumindest nicht von der politisch gewichtigsten Teilnehmerin der Konferenz, US-Außenministerin Rice. Sie wird wiederholen, was sie bereits in den letzten zwei Tagen bei ihren Besuchen in Beirut und Jerusalem verkündet hat: Ein "Waffenstillstand um jeden Preis" wird von der US-Regierung abgelehnt. Damit ein Waffenstillstand "tragfähig" sei, müssten vor seiner Vereinbarung drei Bedingungen erfüllt sein: die Freilassung der beiden am 12. Juli von der Hisbollah entführten israelischen Soldaten; die Entwaffnung der Hisbollah und ihre Vertreibung aus einer mindestens 25 Kilometer breiten Pufferzone im Libanon entlang der Grenze zu Israel; die Vereinbarung über die Stationierung einer multinationalen, bevorzugt von der Nato geführten Truppe in dieser Pufferzone für 60 bis 90 Tage. Diese Truppe soll die libanesische Armee durch Training dazu in die Lage versetzen, die Pufferzone dauerhaft militärisch zu kontrollieren und eine Rückkehr der Hisbollah in dieses Gebiet zu verhindern.

Damit hat die Bush-Regierung die Vorbedingungen der israelischen Regierung für einen Waffenstillstand vollständig übernommen. Die Kriegsführung der israelischen Streitkräfte dient wesentlich dem Ziel, eine dieser Vorbedingungen - die von Hisbollah und ihren Raketenstellungen gesäuberte Pufferzone - zu schaffen, möglichst bis Anfang nächster Woche. Zumindest bis dahin hat die Bush-Regierung nach Darstellung ranghoher US-Vertreter der Regierung Olmert grünes Licht und ihre Unterstützung für die Fortsetzung des Krieges signalisiert.

Rice stieß mit ihren Vorstellungen bereits bei ihrem Beiruter Treffen mit Libanons Premierminister Fuad Siniora am Montag auf Ablehnung. Siniora bestand darauf, der erste Schritt in einem Friedensprozess müsse die schnelle Vereinbarung und Umsetzung eines Waffenstillstandes sein. Diese Position dürfte der libanesische Außenminister heute bekräftigen - unterstützt von seinen Amtskollegen aus Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten, Russland, Frankreich und Italien. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird hingegen weitgehend oder gar vollständig die Position Washingtons unterstützen. Nicht ganz klar war im Vorfeld der Konferenz, wie sich der britische Außenminister positionieren wird, nachdem einer seiner Staatssekretäre am Wochenende mit deutlicher öffentlicher Kritik an der israelischen Kriegsführung für Aufsehen gesorgt hatte.

UNO-Generalsekretär Annan versucht angesichts dieser Gemengelage den goldenen Mittelweg. Zwar plädiert auch er für eine "sofortige Waffenruhe", erwähnt zugleich aber auch die Forderungen, deren Erfüllung die Regierungen in Washington und Jerusalem zur Vorbedingung für eine Waffenruhe machen. Mit Blick auf die Konferenz erklärte er: "Es ist wichtig, dass wir nicht mit leeren Händen auseinander gehen und wieder einmal einen Strich durch die Hoffnungen derjenigen machen, die in diesem Konflikt gefangen sind." Doch genau dieses dürfte passieren.



Quelle: taz, 26.07.06

Zwischen den Fronten im Stellvertreterkrieg

Selbst eine mit robustem Mandat ausgestattete Truppe im Libanon wäre überfordert, wird der Konflikt mit Syrien und Iran nicht gelöst

BONN taz: Ginge es nach dem israelischen Verteidigungsminister Amir Peretz, dann würde die Nato im Südlibanon das Kommando übernehmen. Sie würde entlang der israelisch-libanesischen Grenze im Auftrag der UNO eine Pufferzone kontrollieren, um die künftige Waffenruhe zwischen der Hisbollah-Miliz und Israel zu garantieren.

Unabhängig davon, ob sich die USA an dieser Mission mit eigenen Soldaten beteiligen würden, wäre eine solche Konstruktion schon deshalb problematisch, weil eine Nato-Truppe im Nahen Osten als amerikanisch, nicht als europäisch angesehen würde. Stünde das Kontingent zudem noch unter dem wahrscheinlichen Befehl eines amerikanischen Generals, gäbe das dem Verdacht der Araber noch zusätzliche Nahrung, es handele sich um ein pro-israelisches Unternehmen.

Die Erfahrungen mit der Unifil-Mission im Südlibanon, die 1978 nach dem israelischen Litani-Feldzug vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurde und bis heute andauert, sind ernüchternd. Das hat gewiss vor allem mit dem schwachen Mandat der Unifil-Soldaten zu tun, die hilflos mit ansehen mussten, wie damals noch die PLO-Guerillas und später die Hisbollah-Kämpfer ihrem militärischen Geschäft gegen Israel nachgingen. Israel und seine libanesischen Hilfsmilizen wiederum gingen sogar so weit, die Stellungen der Unifil zu beschießen oder die Bewegungsfreiheit der UN-Truppe einzuschränken.

Der Blutzoll unter den UN-Soldaten war hoch. Ihre Erniedrigung durch die Konfliktparteien und der Autoritätsverlust der UNO wiegen schwer. Bis heute. Aber das Versagen von Unifil liegt nicht allein daran, dass die Soldaten den Konfliktparteien militärisch nichts entgegenzusetzen hatten. Auch eine international zusammengesetzte Truppe, die mit einem robusten Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta ausgestattet ist, wäre auf Dauer überfordert, wenn ihre Präsenz nicht in einen Aktionsplan zur politischen Lösung des Kernkonflikts eingebettet wird. Denn der Krieg zwischen Israel und Hisbollah ist auch ein Stellvertreterkrieg, droht also immer wieder aufzuflammen.

Die Lage an der israelischen Nordgrenze ist unmittelbar verknüpft mit der Palästina-Frage und mit dem Konflikt zwischen Israel und Syrien, das die israelisch besetzten Golanhöhen als Preis für einen Friedensvertrag zurückfordert. Das gespannte Verhältnis zwischen den USA und Israel einerseits und dem Iran andererseits spielt hier ebenfalls eine Rolle.

Eine Friedenstruppe im Südlibanon könnte zwar für einen begrenzten Zeitraum für eine Waffenruhe sorgen. Dafür wäre jedoch nicht nur die Zustimmung Israels erforderlich, sondern auch Hisbollah müsste einverstanden sein. Da Hisbollah sich bei allen regionalpolitisch wichtigen Entscheidungen mit Damaskus und vor allem mit Teheran abstimmt, müssen Syrien und der Iran für eine solche Regelung mit ins Boot geholt werden.

Niemand kann ausschließen, dass die "Friedenstruppe" nicht gezwungen sein könnte, ihren "Kampfauftrag" zur Erzwingung der Waffenruhe tatsächlich umzusetzen. Aber diese aus überwiegend europäischen Soldaten bestehende Truppe würde wohl kaum Israel militärisch in den Arm fallen, wenn es meint, erneut gegen Hisbollah vorgehen zu müssen. Es ist überdies unrealistisch anzunehmen, die "Friedenstruppe" könnte so ohne weiteres die UN-Resolution 1559 verwirklichen und Hisbollah entwaffnen. Das ist ohne Einverständnis von Syrien und Iran nicht zu machen. Dafür werden sie einen hohen politischen Preis verlangen, weil sie nicht ohne Gegenleistung auf ihren wichtigsten nahöstlichen Trumpf verzichten wollen.

Für die Regime in Damaskus und in Teheran geht es um ihre Existenzsicherung, die sie nicht durch die Politik der USA und Israels bedroht sehen wollen.

Marcel Pott (Der Autor, 60, war zehn Jahre lang Leiter des ARD-Hörfunkstudios Nahost, er lebt heute als Publizist in Bonn)



Quelle: Junge Welt, 27.07.06

Kein Frieden aus Rom

Internationale Nahostkonferenz mit widersprüchlichen Ergebnissen

Rainer Rupp

Am gestrigen Mittwoch fand in Rom die als "Friedensinitiative" deklarierte internationale Konferenz statt, an der neben den USA und Rußland unter anderem auch Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien sowie die US-Marionettenregierungen Ägyptens, Jordaniens und Saudi-Arabiens teilnahmen. Von institutioneller Seite waren die UNO, die Europäische Union und die Weltbank dabei, um bei der Beratung über ein internationales Hilfspaket zu assistieren. Damit soll der teilweise Wiederaufbau der von Israel in einem Akt der Kollektivstrafe mutwillig zerstörten zivilen Infrastruktur des Libanon und in Gaza finanziert werden. Während in Rom über Hilfe und Wiederaufbau geredet wurde, ging das israelische Morden im Libanon ungestört weiter. UN-Generalsekretär Kofi Annan beschuldigte Israel vor der Konferenz, absichtlich einen UN-Kontrollturm im Südlibanon unter Beschuß genommen zu haben, wobei am Dienstag vier unbewaffnete Blauhelmsoldaten getötet wurden. Der Vorfall und die scharfe Reaktion An-nans prägten offensichtlich den Verlauf der Gespräche.

Während die Vertreter Rußlands, der UNO und etlicher EU-Länder angesichts der humanitären Katastrophe mit der Forderung nach einer unverzüglichen Einstellung der Kampfhandlungen nach Rom gekommen waren, hatte die US-Außenministerin zuvor erklärt, daß die USA einen Waffenstillstand erst dann für richtig halten, wenn Israel seine strategischen Ziele erreicht hat. Dennoch hieß es in der gemeinsamen Abschlußerklärung, die mit eineinhalbstündiger Verzögerung zustande kam, daß "die Teilnehmer der Rom-Konferenz entschlossen sind, sich sofort mit der größtmöglichen Dringlichkeit für einen Waffenstillstand einzusetzen, der der aktuellen Gewalt und Feindseligkeit ein Ende bereitet".

Diese Passage über einen sofortigen Waffenstillstand in der gemeinsamen Erklärung steht jedoch im Widerspruch zur Aussage von Condoleezza Rice nach Abschluß der Konferenz, wonach die Gewalt im Libanon auf einer "tragfähigen Basis" beendet werden müsse. Denn eine "tragfähigen Basis" hat sie wie folgt definiert: Stopp des Hisbollah-Raketenfeuers auf Israel (einen Stopp des israelischen Bombenterrors und der Bodeninvasion fordert sie nicht), Abzug der Hisbollah aus Südlibanon bis hinter den Litani-Fluß, der etwa 20 bis 30 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt verläuft, Hinnahme einer "robusten" internationalen Truppe im Südlibanon und Selbstentwaffnung der Hisbollah. Dazu sagte die US-Außenministerin: "Eine dauerhafte Lösung wird nur die sein, die Frieden und Demokratie in der Region stärkt." Und nun sei "die Zeit gekommen, um allen, die keinen neuen Mittleren Osten wollen, klar zu machen, daß wir uns durchsetzen werden".

Laut gemeinsamer Erklärung von Rom soll eine internationale Truppe mit dem Mandat der Vereinten Nationen im Anschluß an eine Waffenruhe die Sicherheit im Grenzgebiet zwischen dem Libanon und Israel gewährleisten. Damit wären die Wünsche Israels, das letzte Woche mit Unterstützung der USA eine bis zu 20.000 Mann starke, -NATO-geführte Streitmacht für den Südlibanon gefordert hatte, nicht komplett erfüllt. Wie diese neue UN-Truppe jedoch aussehen wird und mit welchem Mandat sie ausgerüstet werden soll, steht offenbar in den Sternen. Klar ist nur, daß die libanesische Regierung einer solchen erst zustimmen müßte. Das aber ist gegen den Willen der Hisbollah kaum vorstellbar. Sie wiederum dürfte keiner Truppe zustimmen, die gegen ihre Interessen im Südlibanon eingesetzt werden soll. Als Ausweg aus dem Dilemma hat EU-Sicherheitschef Javier Solana bereits vorgeschlagen, unter EU-Führung Truppen aus der Türkei und anderen islamischen und arabischen Staaten in den Südlibanon zu schicken. Das aber dürfte Israel nicht gefallen.

Israel und Hisbollah waren in Rom nicht dabei. Dafür war Libanon durch seinen Ministerpräsidenten Fuad Siniora vertreten, der einen Sieben-Punkte-Plan vorlegte. Darin forderte er neben einem sofortigen Waffenstillstand eine Verstärkung der UN-Mission im Libanon, deren Mandat geändert werden solle, um auch humanitäre Hilfe zu leisten. Außerdem solle ein Gefangenenaustausch zwischen Israel und dem Libanon unter Kontrolle des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz erfolgen. Die israelische Armee solle sich hinter die sogenannte blaue Linie zurückziehen, die nach dem Abmarsch der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Mai 2000 von der UNO als Grenze festgelegt worden war. Die unter israelischer Besatzung stehenden Schebaa-Farmen im Libanon sollten unter UN-Aufsicht gestellt werden. Außerdem forderte er, daß Israel für Zerstörungen Entschädigung zu leisten habe.

Da Hisbollahs militärischer und politischer Widerstand die Forderungen der USA und Israels weiterhin als unerfüllbar erscheinen läßt, ist zu befürchten, daß trotz Rom-Konferenz Israel in den nächsten Tagen und Wochen versuchen wird, mit noch mehr Gewalt und summarischer Bestrafung der libanesischen Bevölkerung die Hisbollah politisch und militärisch zu unterwerfen.

Hintergrund: Das Comeback der Neokonservativen

Von der von Washington einberufenen "Krisen"-Konferenz am Mittwoch in Rom hatten sich die USA die Unterstützung nicht nur der EU-Mitglieder und Rußlands, sondern auch die wichtiger arabischer Staaten wie Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien für die neokonservative US-Strategie zur Schaffung eines "neuen" Mittleren Ostens erhofft. So wie die Bush-Administration versucht, die israelische Aggression gegen Libanon als Teil ihres globalen Krieges gegen den Terror darzustellen, machte US-Außenministerin Condolezza Rice bei ihrer Pressekonferenz am 21. Juli vor Antritt ihrer Reise nach Libanon, Israel und Europa deutlich, daß Bemühungen um die Beendigung der israelischen Angriffe auf zivile Ziele in Libanon aus US-Sicht nur dann akzeptabel sind, wenn sie der Schaffung des "neuen" Mittleren Ostens dienen: "Was auch immer geschieht, wir müssen sicherstellen, daß wir uns vorwärts in Richtung eines neuen Mittleren Ostens bewegen und nicht zurück zum alten". Das aber war eine deutliche Absage an die in Rom teilnehmenden arabischen Länder wie Ägypten und Saudi-Arabien, die ebenso wie viele europäische Länder auf einem sofortigen Waffenstillstand bestehen. Das steht im Gegensatz zur Haltung Washingtons, für das ein Waffenstillstand erst in Frage kommt, wenn Israel seine strategischen Ziele erreicht hat.

Frau Rice meinte es keineswegs zynisch, als sie bei der Pressekonferenz am Freitag fortfuhr: "Unsere diplomatischen Anstrengungen, um Libanons junger Demokratie zu helfen, machen Fortschritte auf allen drei Schienen: politisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch". Ganz im Sinne des neokonservativen Vordenkers Michael Ledden und dessen Theorie von der "kreativen Zerstörung" von unliebsamen Staaten, welche die USA zu Demokratien umbauen wollen, sieht auch Frau Rice in der Verwüstung des Libanon nichts anderes als einen schmerzhaften, aber heilsamen Prozeß, der wie die Geburt eines Kindes einen besseren Neubeginn verspricht, wenn sie sagt: "Was wir derzeit (im Libanon) sehen, sind die Geburtswehen eines neuen Mittleren Ostens". Dafür, daß diese Wehen möglichst schmerzhaft sind, sorgt die Bush-Administration selbst, indem sie einer Eilanfrage der Israelis nachkommend den gewünschten Nachschub an Präzisionsbomben liefert, wie die New York Times am Montag berichtete.

Mit ihren Aussagen bekräftigte Frau Rice die neokonservative Strategie zur Demokratisierung des Mittleren Ostens nach US-Vorstellungen. Durch die Invasion und den Regimewechsel in Bagdad sollte Irak "leuchtendes Vorbild" für die gesamten Region werden, so US-Vizepräsident Dick Cheney noch 2002. Aber infolge der Katastrophe in Irak hatten die Neokonservativen in letzter Zeit viel Glaubwürdigkeit verloren, und vom "neuen" Mittleren Osten wurde in den USA so gut wie nicht mehr gesprochen. Mit der israelischen Aggression gegen Libanon war das plötzlich vorbei. Nicht genug, daß diese Aggression der von Neokonservativen in der Bush-Administration ausgearbeiteten und Israel empfohlenen Strategie des "sauberen Bruchs" (clean break) folgt, auch die Idee von der gewaltsamen Schaffung eines "neuen" Mittleren Ostens ist plötzlich wieder in aller Munde. Selbst in Europa scheint sie Fuß zu fassen, was wiederum mit der massiven Unterstützung durch die proisraelischen Lobbies zusammenhängt, die nicht nur in den USA enormes politisches Gewicht haben.



Quelle: taz, 31.07.06

Vorsprung mit deutscher Technik

von Oftried Nassauer

Günther Hillinger* hatte ein Problem. Der altgediente Ingenieur des AEG-Werks in Wedel hatte es schlicht am schwarzen Brett gefunden. Per Hausmitteilung wurden er und seine Kollegen angewiesen: "Betrifft: LTDS-Hardware / Fertigungsunterlagen: Auf allen Einzelteilen (.) darf kein "AEG" Zeichen vorhanden sein. Falls für die Prototypen bereits Hardware mit AEG-Zeichen vorhanden ist, so ist dieses Zeichen vor der Auslieferung der Geräte zu entfernen." Das war 1986.

Das LTDS ist ein Prunkstück deutscher Ingenieurskunst und verantwortlich dafür, dass der Kampfpanzer "Leopard 2" besser trifft als alle Konkurrenten. Selbst bei voller Fahrt und im holprigen Gelände sorgt es dafür, dass die Kanone genau auf das angepeilte Ziel gerichtet bleibt. Es stabilisiert den Panzerturm und führt ihn präzise nach. Der "Leopard 2" kann also schießen und treffen, wo manch anderer Panzer nur noch Luftlöcher produziert.

Empfänger war Israel

Die Prototypen und die Fertigungsunterlagen lagen zur Ablieferung bereit. Das Problem war der Empfänger: Der saß in Israel und arbeitete an einem neuen Kampfpanzer "Merkava 3". Mittels der Prototypen und der Fertigungsunterlagen, so wusste Hillinger, wäre es den Israelis möglich, das LTDS nachzubauen und für den "Merkava" anzupassen.

Sollte man Israel mit einer so heiklen Lieferung modernster Rüstungstechnik helfen? War die Lieferung überhaupt legal, genehmigt? Warum sollten alle AEG-Logos entfernt werden? Sollte die Herkunft verschleiert werden?

Nur vier Jahre zuvor hatte eben dieses Israel unter militärischer Führung von Verteidigungsminister Ariel Scharon einen blutigen Feldzug in den Libanon unternommen, um die PLO auszuschalten und eine wohlgesonnene Regierung zu installieren. Noch immer hielt Israel die südlichen Landesteile besetzt, und noch immer kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Jetzt zumeist mit der schiitischen Hisbollah-Miliz, die sich im besetzten Süden gegen die Besatzung gebildet hatte.

Günther Hillinger plagte das Gewissen. Doch noch bevor er einen ungefährlichen Weg in die Öffentlichkeit fand wurden die Geräte abgeholt.

Heute, zwanzig Jahre später, finden sich das LTDS und seine Weiterentwicklungen unter dem Namen Geadrive in den "Merkava 3"- und "Merkava 4"-Panzer der israelischen Armee. Diese kommen erneut im Libanon zum Einsatz. Israel aber sagt, es sei eine Eigenentwicklung, in Israel hergestellt.

Eine ungewöhnliche Geschichte? Für die deutsch-israelische Rüstungskooperation eher eine symptomatische. Auch die Technologie der 120-Millimeter-Glattrohrkanone des "Leopard 2" fand auf verschlungenen Pfaden ihren Weg nach Israel. Ob direkt aus den Werkstätten des Herstellers, Rheinmetall, oder über die amerikanische Lizenzproduktion, ist unbekannt. Auch hier spricht Israel von einer Eigenentwicklung. Ebenso wie bei der Panzerung, bei der es eine Kooperation mit dem deutschen Ingenieurbüro IDB-Deisenroth gibt.

Offener wird über andere deutsche Komponenten in den "Merkavas" geredet. Die Panzergetriebe werden von der Augsburger Renk AG geliefert. Die Motoren wurden von MTU entwickelt und bei einem amerikanischen Lizenznehmer aus den Einzelteilen zusammengebaut. Von dort werden sie nach Israel versandt. Das ist vorteilhaft für Jerusalem. Denn für Lieferungen amerikanischer Generalunternehmer kann das devisenknappe Israel mit US-amerikanische Militärhilfe zahlen.

"Was schwimmt, geht" - so lautet ein Diktum, das Hans-Dietrich Genscher, dem langjährigen Außenminister der Bundesrepublik zugeschrieben wird. Es gilt auch für Israel. Die "Saar 5 Korvette", die während der Seeblockade vor der libanesischen Küste von einem Seezielflugkörper der Hisbollah getroffen wurde, hatte eine Motor von MTU. Motoren derselben Firma stecken auch in den israelischen Schnellbooten und Korvetten der Klassen "Saar 4.5", "Super Dvora Mk2" und "Shaldag".

Deutsche U-Boote in Israel

Die israelische Marine nutzt seit Jahrzehnten U-Boote, die in Deutschland entwickelt wurden. Zunächst drei Boote der GAL-Klasse, die heimlich in England nach deutschen Plänen und mit Hilfe deutscher Ingenieure hergestellt wurden. Heute sind es drei U-Boote der "Dolphin"-Klasse. Sie wurden in den 80er-Jahren beim Ingenieurkontor Lübeck, der Kieler Werft HDW und Atlas Elektronik in Bremen nach israelischen Wünschen entwickelt. Gebaut wurden sie in Kiel und Emden von HDW und den Thyssen Nordseewerken. Die Auslieferung erfolgte von 1998 bis 2000. In Israel wurden sie noch einmal umgerüstet. Da Israel sich die Boote nicht leisten konnte, wurden sie zu mehr als 80 Prozent aus dem deutschen Bundeshaushalt bezahlt.

Auch eine Hauptwaffe der Boote kommt aus Deutschland - schwere Seezieltorpedos der Firma Atlas Elektronik. Sie werden über die USA geliefert, damit US-Militärhilfe zur Finanzierung genutzt werden kann. Israel kann die U-Boote im Mittelmeer und in der Golfregion zur Aufklärung und zur traditionellen Seekriegsführung einsetzen. Sie können Kampfschwimmer zum Einsatz zu bringen, Seeminen verlegen und Flugkörper gegen See- und Landziele zu verschießen. Um ihre heikelste Mission aber rankt sich ein Geheimnis.

Die "Dolphin"-U-Boote besitzen eine Sonderausrüstung. Im Bug wurden Torpedorohre unterschiedlicher Größe eingebaut. Sechs normale Rohre des Kalibers 533 Millimeter, vier übergroße vom Kaliber 650 Millimeter. Mit den kleinen Rohren kann das U-Boot alle beschriebenen Aufgaben erfüllen. Wofür aber sind die großen Rohre?

Israel ist eine unerklärte Nuklearmacht. Es betrachtet die "Dolphin"-U-Boote als Teil seines strategischen Potenzials. Seit bekannt wurde, dass Israel 2000 vor Sri Lanka einen Flugkörper mit 1.000 bis 1.500 Kilometer Reichweite testete, gehen viele Beobachter davon aus, dass Israel einen Teil seiner Atomwaffen unverwundbar auf U-Booten stationieren will. Da die U-Boote mobil sind, können viel mehr und viel weiter entfernte Ziele abgedeckt werden. Aus deutscher Sicht wirft das die Frage auf, ob die Bundesrepublik mit dem "Dolphin"-Export Beihilfe zur Proliferation leistete, weil sie Jerusalem die Waffenplattform für nukleare Flugkörper lieferte.

Bei der Heidelberger Firma AIM-Infrarotmodule arbeiten Spezialisten. Sie bauen Infrarotmodule für die Aufklärung, Zielerfassung und -bekämpfung. 280 Mitarbeiter erwirtschafteten 47 Millionen Euro Umsatz (2004), 45 Prozent davon in den USA. Denn dort werden Heidelberger Module zu tausenden in Kampfflugzeugkomponenten wie den Zielerfassungsbehälter Lantirn oder in Hubschraubersysteme wie Tads eingebaut, dass im Kampfhubschrauber "AH-64 Apache" zum Einsatz kommt. Mit Hilfe der Module können Flugzeug- und Hubschrauberwaffen sehr gezielt verschossen werden. Je häufiger Lenk-, Abstands- und Präzisionswaffen zum Einsatz kommen, umso wichtiger werden solche elektrooptische Komponenten. Sie erst machen es möglich, die teure Waffenplattform wirksam einzusetzen.

Das gilt auch für die fliegenden Waffensystem Israels. Diese kommen meist aus den USA. Israel hat viele Jagdbomber des Typs F-16 und "Apache"-Hubschrauber. Wenn diese Ziele im Libanon beschießen, sind auch die deutschen Infrarotmodule meist an Bord. Das Label "Made in Germany" steht gerade, wenn es um Israel geht, oft nicht außen drauf, sondern innen auf wichtigen Komponenten.

Die deutsch-israelische Rüstungskooperation hat Zukunft. Dafür ist gesorgt, weil Deutschland sich der Existenzsicherung Israels verpflichtet weiß und selbst viele Rüstungsgüter aus Israel importiert. Auch künftig gilt, was Exkanzler Schröder 2002 festhielt: "Israel bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht wird."

An ihrem letzten Tag im Amt unterzeichnete die rot-grüne Bundesregierung 2005 einen Vertrag mit Israel, der die Lieferung von zwei weiteren "Dolphin"-U-Booten" vorsieht. Ein Drittel der Kosten von bis zu einer Milliarde Euro trägt der deutsche Steuerzahler direkt; ein Drittel trägt er indirekt, wenn die Bundeswehr - wie geplant - Rüstungsgüter in Israel einkauft. Das letzte Drittel zahlt Israel.

Der Industrievertrag wurde am 6. Juli in Berlin unterzeichnet. Die U-Boote sollen das aktuelle Prunkstück deutscher Marinetechnik enthalten. Den außenluftunabhängigen Brennstoffzellenantrieb, mit dem die U-Boote viel länger tauchen und weiter fahren können als alle konventionellen U-Boote. Das kommt Israel entgegen. Die Schiffe eignen sich, um in der Arabischen See und im Indischen Ozean zu patrouillieren. Dort wähnt Israel die wichtigsten Gegner der Zukunft. Die islamische Atommacht Pakistan und den Iran mit seinem Atomprogramm.

Jetzt neu: der "Dingo"

Ein weiteres Projekt genehmigte der Bundessicherheitsrat in der letzten Juniwoche, so die Welt: Ein gepanzertes Kampffahrzeug vom Typ "Dingo 2" soll Israel zu Testzwecken überlassen werden. 103 dieser Fahrzeuge möchte Israel schon länger kaufen. Sie eignen sich besonders gut für den Einsatz bei militanten Konflikten und zur Aufstandsbekämpfung. Vor einer Lieferung durch Rheinmetall hatte Berlin unter Rot-Grün noch zurückgeschreckt. Eine Fertigungslizenz wurde an die US-Firma Textron vergeben, die ebenfalls keine Exportgenehmigung erhielt.

Nun ist ein Präzedenzfall geschaffen. Wer die Lieferung eines Fahrzeug genehmigt, müsste begründen, warum die Genehmigung weiterer versagt wird. Das Fahrzeug soll unbewaffnet geliefert werden. Doch Israel hat bereits erklärt, dass es eine eigene, leistungsfähige Waffenanlage in den "Dingo" einbauen will. Es bleibt abzuwarten, ob deutsche Firmen sich auf einen "Dingo"-Auftrag aus Israel freuen dürfen oder ob in wenigen Jahren ein "Dingo" made in Israel auf den Markt kommt.

*Name von der Redaktion geändert



Quelle: Frankfurter Rundschau, 02.08.06

Friedensbewegung

Initiativen rufen zu sofortiger Waffenruhe auf

Berlin - Zwölf Friedens- und Bürgerrechtsorganisationen haben in einer Erklärung eine sofortige Waffenruhe in Israel, im Libanon und im Gazastreifen verlangt. In einem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Appell wurde zudem die Bundesregierung zu verstärkten diplomatischen Bemühungen im anhaltenden Nahost-Konflikt aufgefordert. Der Aufruf wird auch von in Deutschland lebenden Juden und Palästinensern getragen.

Unterschrieben wurde der Appell unter anderem von den Organisationen IPPNW (Ärzte gegen den Atomkrieg), Pax Christi und dem Kasseler Bundesausschuss Friedensratschlag. Zu den Erstunterzeichnern gehören auch die "Europäischen Juden für einen gerechten Frieden", die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft sowie die Palästinensische Gemeinde in Deutschland. (epd)



Quelle: Frankfurter Rundschau, 02.08.06

Interview

"Im Süden herrscht offener Krieg"

Zwei Mitarbeiter der Hilfsorganisation medico international, Martin Glasenapp und Sabine Eckart, sind im Libanon, um die Zusammenarbeit mit libanesischen Projektpartnern vor Ort zu koordinieren. Die FR sprach mit einem von ihnen.

Frankfurter Rundschau: Was sehen und erleben Sie?

Martin Glasenapp: Die Lage im Libanon ist fragmentiert. Wenn man, wie wir am Montagabend, vom nördlichen Tripoli nach Beirut fährt, dann sind die Straßen leer. In den sunnitischen und schiitischen Orten sind kaum Menschen auf der Straße. Sie fürchten sich auch während der fragilen Bombardierungspause vor weiterem Beschuss. Sobald man aber durch christliche Städte fährt, gibt es Leben, sind die Bars und Casinos offen. In Beirut stellt man dann fest, dass eine ganze Stadt in Angst lebt. Der Süden Beiruts ist ein Trümmerfeld. Es gibt die große Befürchtung, dass ab Mittwoch die Luftangriffe massiv fortgesetzt werden. Noch weiter im Süden herrscht offener Krieg. Nachdem zudem die große Straße zwischen Beirut und Damaskus bombardiert worden ist, sind die UN-Hilfskonvois über diese wichtige Verbindung ausgesetzt. Sie müssen über den Norden einreisen. In der Nacht zum Dienstag wurden kleinere Nachschubwege unweit von Sidon bombardiert.

Frankfurter Rundschau: Die Waffenruhe sollte Zivilisten die Chance geben, sich in Sicherheit zu bringen. Tun sie das trotz fortgesetzter Bombardierung?

Glasenapp: Vor allem nach der Tragödie von Kana, wo 60 Libanesen beim Luftangriff der Israelis umkamen, gibt es jetzt eine sehr starke Fluchtbewegung aus dem Süden, wo manche Dörfer pulverisiert wurden. Nach unseren Erkenntnissen sind 700 000 der gut vier Millionen Libanesen auf der Flucht. Unter den Menschen herrscht große überkonfessionelle Solidarität. Sunniten helfen Schiiten, palästinensische Flüchtlingslager, die eher isoliert sind von der libanesischen Gesellschaft, haben sich geöffnet.

Frankfurter Rundschau: Nehmen die christlichen Stadtteile Moslems auf?

Glasenapp: Auch das passiert. Dauert der Krieg aber noch zwei, drei Wochen, könnten alte interkonfessionelle Spannungen zunehmen.

Frankfurter Rundschau: Spüren Sie eine wachsende Zustimmung der Zivilbevölkerung zur Hisbollah?

Glasenapp: Ich glaube, dass es am Anfang eher eine Wut oder Ablehnung gab. Dass man verstand, hier wird der Libanon zur Geisel der Auseinandersetzung zwischen Hisbollah und Israel. Nach dem Ereignis von Kana aber ist die Stimmung umgeschlagen.

Frankfurter Rundschau: So dass letztlich die Zustimmung zur Hisbollah wächst?

Glasenapp: Das kann ich so nicht sagen. Es ist eine Zustimmung zur Verteidigung des Landes. Die Leute sagen, die Hisbollah ist nicht unsere Partei, aber derzeit kritisieren wir sie nicht, weil sie das Land verteidigt.

Frankfurter Rundschau: Einerseits sollen Zivilisten aus der Gefahrenzone, andererseits wird auch in der Waffenruhe zivile Infrastruktur zerstört.

Glasenapp: Das ist die Perfidie der Auseinandersetzung. Die humanitäre Katastrophe hängt unmittelbar damit zusammen, dass eine klare Aussage der Staatengemeinschaft über eine Waffenruhe fehlt. Das Hauptproblem bei der Versorgung der Zivilisten ist nicht, dass nicht genug Material im Land oder an den Grenzen wäre. Der Zugang wird zurzeit systematisch verhindert. Das ist neben der militärischen Auseinandersetzung einer der Hauptgründe, dass sich die Situation hier zuspitzt.

Frankfurter Rundschau: Was können Sie tun?

Glasenapp: Wir schauen zuerst mit unseren Partnern vor Ort in Sidon, wie wir helfen können. Es heißt, dass hier zu den 50.000 intern Vertriebenen, die in Parks und öffentlichen Gebäuden campieren, jetzt noch mal 15.000 Menschen aus den Orten nahe der Grenze zu Israel gekommen sind. Wir haben 50.000 Euro Soforthilfe vom Auswärtigen Amt.

Frankfurter Rundschau: Das ist nicht viel.

Glasenapp: Es ist ein Anfang. Wir haben auch eigene Mittel und man kann die lokalen Partner unterstützen - logistisch und politisch. Die internationale Gemeinschaft hat zu Recht den Beschuss Nordisraels durch Katjuscha-Raketen verurteilt. Genauso eindeutig müsste sie zurückweisen, was die israelische Luftwaffe im Südlibanon anrichtet. Die Tragödie von Kana ist zwangsläufig, wenn Ortschaften bombardiert werden.

Frankfurter Rundschau: Was brauchen die Menschen am meisten?

Glasenapp: Einen absoluten Waffenstillstand. Das ist das Einzige, was die Situation hier retten kann. In diesem Krieg kann es keinen Sieger und keinen Verlierer geben. Wir brauchen dringend eine politische Lösung. Die verständliche Forderung nach humanitären Korridoren greift zu kurz. In deren Schatten wird das Völkerrecht weiter missachtet.

Interview: Monika Kappus



E-Mail: friekoop (at) bonn (Punkt) comlink (Punkt) org
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