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Israelischer Friedensaktivist Uri Avnery: 1923 – 2023 (†2018)
„Er war ein politischer Visionär“
vonAm 10. September hätte er den Hundertsten gefeiert, der in Beckum/Westfalen als Helmut Ostermann geborene israelische Friedensaktivist Uri Avnery.
Als er zehn Jahre alt war, wanderte die Familie nach Palästina aus. Aus dem deutschen Helmut wurde der hebräische Uri. Schon mit 15 schloss er sich der Miliz Irgun an. Im ersten Israelisch-Arabischen Krieg (Unabhängigkeitskrieg) kämpfte er bei der Einheit Simsons Füchse und wurde schwer verwundet. Sein Kriegstagebuch In den Feldern der Philister erschien auf Hebräisch, spanisch und jiddisch und wurde mit 12 Auflagen ein Bestseller. Schon vor dem Krieg hatte er Krieg oder Frieden im Semitischen Raum veröffentlicht. Wie Rudolf Augstein, sein Klassenkamerad vom Kaiserin-Auguste-Victoria-Gymnasium in Hannover, schlug Avnery die journalistische Laufbahn ein. Ersterer wurde Herausgeber des Spiegel, Avnery war in dieser Funktion sowie als Chefredakteur von 1950 bis 1990 beim israelischen Nachrichtenmagazin HaOlam Hazeh (Diese Welt) tätig. Zwischen 1965 und 1981 saß er als Abgeordneter in der Knesset, in der er mehr als 1000 Reden hielt. Selbst seine Gegner räumten ein, Avnery habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Vor den Wahlen 1969 erschien über ihn das Buch: „1 gegen 119“ - eine Anspielung auf seine Rolle im Parlament mit seinen 120 Abgeordneten.
Zeitlebens engagierte er sich für die israelisch-palästinensische Annäherung. 1975 war er Gründungsmitglied des Israelischen Rats für Israelisch-Palästinensischen Frieden. 1993 gründete er Gush Shalom, den israelischen Friedensblock, mit. Sein Einsatz für Dialog und Frieden ist vielfach ausgezeichnet worden. Dazu zählen der Kreisky-Preis, der Aachener Friedenspreis, der palästinensische Preis für Menschenrechte sowie 2001 der Alternative Nobelpreis (Right Livelihood Award).
Auch wenn viele Israelis Uri Avnery für blauäugig und einen „Palästinenserversteher“ hielten, ging er unbeirrt seinen Weg. Wiederholt forderte er gerade von Europa mehr politisches Engagement und Druck im Nahostkonflikt. Denn: „Amerika unterstützt vollkommen einseitig die schlimmsten Elemente in Israel. Europa ergreift aus Feigheit überhaupt keine Initiative im Nahen Osten, Europa hat abgedankt.“ Ein deutscher Außenminister habe ihm gestanden: „Wir sind machtlos.“
Den andauernden völkerrechtswidrigen Siedlungsbau jüdischer Siedler im besetzten Ost-Jerusalem sowie im West-Jordanland beobachtete er mit Sorge und Wut. „Dadurch wird der Frieden täglich noch schwieriger.“
Traurig stimmte den weißhaarigen Mann mit dem Vollbart, dass in Deutschland Friedensinitiativen für eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern eingeschlafen seien. Seine Botschaft an Deutschland lautete zeitlebens: „Kämpft gegen Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie!“
Dass auch über 100 Jahre nach dem Beginn des jüdisch-arabischen Konflikts (1882) der Friede außer Reichweite schien, lag nach Meinung Avnerys mehr an Israel als an den Palästinensern. „Gewisse Kreise in Israel sind nicht am Frieden interessiert - weil Frieden bedeutet, dass die Siedlungen im West-Jordanland abgezogen werden. Und wir haben leider keine Führung, die Zivilcourage hat, das zu veranlassen. Die Siedler und ihre Anhänger sind eine kleine Minderheit im Lande, aber eine sehr gewalttätige und sehr starke. Die Regierung hat Angst vor einer Konfrontation.“ Diese vor Jahren gesprochenen Worte sind mit der nationalistischsten und religiösesten Regierung in Israels Geschichte leider wahr geworden (Siedlergewalt im März im palästinensischen Huwara; selbst israelische Medien sprachen von „Pogrom“).
Avnerys Geburtstagswunsch lautete in den Jahren vor seinem Tod: „Frieden, Frieden, Frieden. Ich habe beschlossen, am Leben zu bleiben, bis der Frieden zustande kommt. Ich möchte es erleben.“ 2018, kurz vor dem 95. Geburtstag starb er. Bis dahin hatte er Freitag für Freitag seine Wochenbetrachtung verfasst. Doch seinen Kampf für den Frieden führte er nicht nur vom Rechner aus. Sein deutscher Verleger Georg Stein vom Palmyra-Verlag erinnert an zweierlei: „Anfang der 2000er Jahre war Sharon Ministerpräsident und hatte vor, Arafat umzubringen, der damals in seinem Hauptquartier in Ramallah war. Da war Uri mit seiner Gruppe Gush Shalom dessen persönliches Schutzschild. Er harrte wochenlang mit Arafat aus.“ Stein fällt noch etwas ein: „Uri – wir waren ja immer per Du – hat bis ins hohe Alter Palästinensern bei der Olivenernte geholfen.“
Stein hat Avnery etwa 20 Mal getroffen: in dessen Wohnung in Tel Aviv, auf der Frankfurter Buchmesse, bei Preisverleihungen oder der Arbeit an einem der drei Bücher in Heidelberg. Gefragt, wer dieser Mann für ihn gewesen sei, antwortet er: „Er war für uns ein politischer Visionär, der schon lange vor den 70er Jahren sagte, wir müssen mit der PLO reden, eine gemeinsame gerechte Lösung finden und dafür sorgen, dass die Besatzung aufhört und die Palästinenser ihren Staat bekommen. Uri war auch ein biblischer Visionär, mit unglaublichem Optimismus, dass diese zwei Völker gar nicht anders können als eine gemeinsame Lösung zu finden. Dieses Beharren und sein Einsatz über Jahrzehnte – das habe ich an Uri immer bewundert. Und er war ein wunderbarer Mensch, humorvoller Witzeerzähler, begnadeter Kenner der Bibel, unheimlich belesener Mensch und ein faszinierender, mitreißender Erzähler, er hat fast druckreif gesprochen.“
Lesetipps:
- Uri Avnery im Palmyra-Verlag: Zwei Völker, zwei Staaten (1995), Die Jerusalem-Frage (1996), Ein Leben für den Frieden (2003)
- Wochenkolumnen: www.uri-avnery.de