Frauen als Friedensstifterinnen

von Ute Scheub

Weltweit sind es mehrheitlich Frauen, die in der Friedens- und Versöhnungsarbeit engagiert sind, vor allem auf der Graswurzelebene. Das hat zuletzt die wunderbare Schweizer Initiative „1000 Peacewomen Across the Globe" (www.1000peacewomen.org) sichtbar gemacht. Auch in der Unifem-Studie ,,Women War and Peace", verfasst im Jahre 2002 von der ehemaligen norwegischen Verteidigungsministerin Elisabeth Rehn und der jetzigen liberianischen Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf, sind unzählige Beispiele von - hierzulande unbekannten - Frauenfriedensinitiativen aufgezählt. Der Bericht liest sich wie eine Reise zu den weißen Flecken dieser Erde. Wer hier weiß schon von den Aktivitäten von „AVEGA", der Vereinigung der ruandischen Witwen, die sich ganz zu Anfang unter einem Baum trafen und nun als Netzwerk der Selbsthilfe die ganze Nation durchziehen? Wer kennt das „Mano River Union Women's Network for Peace", in dem Frauen aus der ehemaligen Kriegsregion Guinea, Liberia und Sierra Leone zusammenarbeiten? Wer hat schon mal von dem Ethnien übergreifenden „sechsten Clan" gehört, den somalische Frauen gründeten, nachdem sie im Mai 2000 in Djibuti von den Friedensverhandlungen zwischen fünf Clans ausgeschlossen wurden?

 

Oft nutzen Frauen geschickt ihren gesellschaftlichen Minderstatus, um den Dialog mit dem „Feind“ aufzunehmen und Brücken zu bauen. Ein Beispiel dafür ist der ,,Jerusalem Link". In den achtziger Jahren, als noch jeder politische Kontakt zwischen Israelis und Palästinensern verboten war, trafen sich Palästinenserinnen und Israelinnen an geheimen Orten in Jerusalem. Sie wurden nicht verhaftet, sie waren ja „nur Frauen". Die Abwertung des Weiblichen und die Idealisierung des männlichen „Kämpfers" - das haben die beiden militarisierten Gesellschaften Israels und Palästinas gemeinsam, und das brachte auch die Israelinnen und Palästinenserinnen einander näher. 1996 gründeten die Aktivistinnen mit EU-Geldern zwei Zentren: das israelische „Bat Shalom", die „Tochter des Friedens" in Westjerusalem, und das palästinensische „Jerusalem Center for Women" in Ostjerusalem, die sich zum „Jerusalem Link" zusammenschlossen. Immer wieder traten die Frauen dieses „Jerusalem Link" mit gemeinsamen Vorschlägen zur Konfliktlösung an die Öffentlichkeit, sie waren die Pionierinnen der Annäherung. Der in Oslo ausgehandelte Friedensprozess, glauben sie, sei auch deshalb gescheitert, weil die Frauen als Brückenbauerinnen zwischen zwei verfeindeten Gesellschaften davon systematisch ausgeschlossen wurden. ,,Die Verhändler waren Männer, die brutale Verbrechen gegeneinander begangen hatten - Militärs, die nur die Kriegskunst beherrschten und die ihren Erfolg daran messen, ob sich der andere bedingungslos ergibt", so der bittere Kommentar von Gila Svirsky, Mitbegründerin von den „Frauen in Schwarz" und der „Koalition der Frauen für den Frieden." Auch beim Verhandlungsprozess in Camp David unter Führung des US-Präsidenten Bill Clinton waren nur Männer dabei: ,,Wären Frauen dabei gewesen, wäre es viel leichter gewesen", seufzte Clinton, als der Prozess scheiterte.

Aber auch das sei nicht verschwiegen: Der Dialog im „Jerusalem Link" wurde im Laufe der Jahre immer schwieriger. Erstens aus äußerlichen Gründen: Die Bewegungsfreiheit der Palästinenserinnen wurde durch die unzähligen Straßensperren seit der zweiten Intifada immer weiter eingeschränkt, die Frauen konnten sich gar nicht mehr treffen. Zweitens war es von Beginn an ein Dialog zwischen Ungleichen, zwischen Vertreterinnen der Besetzer und Vertreterinnen der Besetzten, und das brachte die Frauen beider Seiten des Öfteren an die Grenzen des politisch Vertretbaren. Zumal radikale und fundamentalistische Palästinenser es als „Verrat" ansahen, mit der israelischen Seite überhaupt zu reden, und die beteiligten Frauen bedrohten.

In allen Gesellschaften, auch in patriarchalischen, genießen Mütter ein gewisses Ansehen, das manchmal, aber nicht immer und nicht zuverlässig, vor Repressionen schützt. Viele Frauenfriedensorganisationen agieren deshalb bewusst als Mütter- oder Witweninitiativen, sie betonen ihre moralische Autorität als Mütter und kümmern sich um traumatisierte Frauen und Kinder. Die ,,Vereinigung der russischen Soldatenmütter", eine der wenigen russischen Gruppen, die Widerstand gegen den Krieg in Tschetschenien leisten, hat sich „die Demilitarisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins" und die „Verteidigung der Zivilgesellschaft" mittels Bildungsarbeit vorgenommen, ähnlich wie das frauendominierte „New Profile" in Israel, das sich für KriegsdienstverweigerInnen einsetzt und Friedenserziehung in den Schulen anbietet. Die Organisation „Echo des Krieges" in Inguschetien sammelt Informationen über Kriegsverbrechen in Tschetschenien und organisiert Erholungsreisen für tschetschenische Kinder.

Das „Warme Haus" in Moskau, das SEKA-Projekt in Kroatien und die „Liga für den Schutz von Mutter und Kind" in Dagestan kümmern sich um die Behandlung kriegstraumatisierter Frauen und Kinder.

Eine andere berühmte Mütterinitiative sind die Mütter von der Plaza de Mayo in Argentinien, die seit der argentinischen Militärdiktatur beharrlich Aufklärung über das Schicksal ihrer verschwundenen Kinder forderte. Ähnlich arbeite(te)n die Gruppe „Gegenseitige Unterstützung" in Guatemala, die „Verwandten der Inhaftierten und Verschwundenen" in Chile oder die „Vereinigung der Frauen von Srebrenica". Eine weitere Gruppe in Guatemala, die „Nationale Kooperation der Witwen", kämpfte in den Zeiten des Bürgerkriegs gegen den Einzug ihrer Söhne ins Militär. In Kolumbien arbeitete eine Gruppe von Frauen guerilla-verschleppter Soldaten und Polizisten mit beiden Seiten zusammen, um humanitäre Vereinbarungen und den Austausch von Gefangenen zu erreichen. In Israel demonstrieren jeden Freitag die „Frauen in schwarz", eine inzwischen weltweite Bewegung mit Ablegern in Ex-Jugoslawien, Kolumbien und anderswo. In Kuba fordern die „Damen in weiß, jeden Sonntag Freiheit für politische Gefangene.

Wartum ist das so? Bestimmt nicht, weil wir Frauen die besseren Menschen wären. Einzelne Frauen, die an die Macht kommen, so wie Margaret Thatcher, Indira Gandhi, Condoleezza Rice oder nun auch Angela Merkel, verhalten sich oft sogar noch aggressiver als Männer, denn sie müssen sich in einem rein männlichen Umfeld behaupten. Aber es gibt in den Sozialwissenschaften die Formel von der „kritischen Masse" von 30 Prozent. Erst wenn eine soziale Gruppe - ob Frauen oder Migranten oder andere - einen Anteil von 30 Prozent oder mehr in den bestimmenden politischen Gremien hat, wird ihr Einfluss nennenswert. Einzelne Frauen, die „durchgekommen sind", können das patriarchalische System nicht verändern und wollen es meist auch gar nicht. Es kommt also darauf an, dass kritische Frauen eine „kritische Masse" bilden und sich gegenseitig in Netzwerken unterstützen, um ihre normabweichenden Wertvorstellungen voranbringen zu können.

Es gibt eine Reihe von sozialen Gründen, warum Frauen Krieg, Gewalt und Militär kritischer gegenüber stehen als Männer. Ich kann sie hier nur andeuten, nicht ausführen:

  • In vielen Gesellschaften existiert eine althergebrachte Arbeitsteilung der Geschlechter, wonach die. Männer für den Tod und das Töten (= Krieg) zuständig sind und die Frauen für das Leben und Überleben (= Kinder).
  • Die klassischen Nationalstaaten entstanden durch das Militär, und das Militär war fast überall rein männlich. Auch heute noch sind in den meisten Staaten der Welt Frauen nach wie vor vom Waffendienst ausgeschlossen. Frauen haben dadurch eine größere Distanz zu Militär, Rüstung und Kriegseinsätzen. In vielen Umfragen bestätigt sich immer wieder, dass Frauen Kampfeinsätzen ihres Landes kritischer gegenüberstehen als Männer. Das war schon im Zweiten Weltkrieg so und wiederholte sich beim Koreakrieg, beim Vietnamkrieg, beim Golfkrieg 1991 und beim Irakkrieg 2003. Beim Golfkrieg unterstützten laut einer Umfrage 48 Prozent der befragten Männer einen Angriff auf den Irak, aber nur 22 Prozent der befragten Frauen. (Gender Gap)
  • Frauen kommt in fast allen Gesellschaften die Rolle zu, für die Kinder und die Alten und für das Überleben der Familie zu sorgen, auch im Kriegsfall. Vor allem Frauen in Afrika müssen manchmal tagelang laufen, um Trinkwasser oder Brennholz zu holen, sie müssen Kriegsverwundete und Aidskranke pflegen, sie haben die ganze Care-Arbeit zu leisten. Im Konfliktfall haben sie nichts zu gewinnen (so wie die Männer: Orden, Land, Frauen ...) und umso mehr zu verlieren.
  • Mädchen werden von Kindesbeinen an trainiert, soziale Beziehungen zu pflegen, für den Zusammenhalt von Familie und Gemeinschaft zu sorgen und das eigene Ich zurückzustellen. Das führt zu einer höheren Kommunikations- und Empathiefähigkeit. Und, wie Carol Gilligan behauptet, auch zu einer anderen, weiblichen Moral, die sich weniger an abstrakten Prinzipien orientiert und mehr an pragmatischen Lösungen.
  • Rund 90 Prozent der Opfer heutiger Kriege sind ZivilistInnen. Früher ging es in Kriegen Mann gegen Mann, Soldat gegen Soldat. Das hat sich völlig umgedreht. Vor allem in den sogenannten Neuen Kriegen in Afrika sind Frauen und Kinder die Hauptbetroffenen, denn sie sind nicht mobil wie die männlichen Krieger, sie können oft nirgendwohin flüchten.
  • Frauen sind körperlich schwächer und haben im physischen Nahkampf geringere Chancen. Das ist eine biologische Tatsache, aus der sie soziale Schlussfolgerungen ziehen: Sie setzen mehr auf Verhandlungslösungen als Männer.
  • Frauen und Mädchen in Kriegen werden durch sexualisierte Gewalt zusätzlich bedroht. Ihre Vergewaltigbarkeit und Schwängerbarkeit ist eine biologische Tatsache, aus der sie die soziale Schlussfolgerung ziehen, dieser Gefahr schon aus Eigeninteresse entgegenzuwirken. In allen Kriegen dieser Welt spielt sexualisierte Gewalt eine enorm große Rolle, weibliche Körper sind ein zweites Schlachtfeld. Frauen werden gezielt vergewaltigt und danach oft als „Huren" aus der Gesellschaft ausgestoßen, oder erhalten die „Todesstrafe" durch Aids. In Ruanda wurden während des Völkermords von 1994 rund eine halbe Million Frauen vergewaltigt. Offiziere riefen HIV-kranke Soldaten zur Vergewaltigung von Tutsi-Frauen auf. 94 Prozent der weiblichen Binnenflüchtlinge in Sierra Leone haben sexualisierte Gewalt erlebt - Vergewaltigung, Folter und sexuelle Versklavung. Neun von zehn somalischen Frauen sind traumatisiert. In Bosnien wurden in fünf Kriegsmonaten zwischen 20.000 und 50.000 Frauen vergewaltigt.

Man nenne Frauen bitte dennoch nicht nur „Opfer". Der Begriff „Opfer" suggeriert Passivität, Wehrlosigkeit, Hilflosigkeit. Frauen ausschließlich als Opfer zu sehen, kann ihnen zum zweiten Mal die Menschenwürde rauben. Frauen leisten weltweit sehr aktiv und fantasievoll Widerstand gegen Krieg.

,,Frauen stellen die Hälfte jeder Gemeinschaft - sind sie nicht also auch die Hälfte jeder Lösung?", fragte der namibianische Außenminister Theo-Beri Gurirab am 31. Oktober 2000. Er amtierte gerade als Präsident des UN-Sicherheitsrates, als diese erlauchte Männerrunde von einer bisher nicht gekannten Anwandlung von Frauenfreundlichkeit erfasst wurde und einstimmig die sogenannte Resolution 1325 verabschiedete. In dieser Resolution fordert der Weltsicherheitsrat die gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen, die Einsetzung von ,,Gender"-Beraterinnen bei UN-Friedensmissionen und die massive Erhöhung des Frauenanteils auf UN-Führungsposten. Der Verabschiedung dieser historisch zu nennenden Resolution ging ein jahrelanges Lobbying durch WILPF und andere Frauenorganisationen voraus. Heute, fünf Jahre danach, ist sie allerdings nur in Ansätzen verwirklicht, auch wenn sie - kleiner Triumph am Rande - in den vom Staatengipfel im September verabschiedeten „Millenium Goals" enthalten ist.

Eigentlich müsste die Einbeziehung von Frauen in die Außen- und Sicherheitspolitik im ureigensten Interesse der Männer liegen. Es existiert nämlich ein enger Zusammenhang zwischen Geschlechtergleichheit und friedlicher Außenpolitik. In einer Studie hat die US-Friedensforscherin Mary Caprioli die Außenpolitik von 159 Staaten zwischen 1960 und 1992 untersucht und eben das herausgefunden. Staaten neigten zu friedlicher Außenpolitik, wenn viele Frauen in ihren Parlamenten vertreten waren, wenn sie schon lange das Wahlrecht hatten, wenn ein hoher Prozentsatz von Frauen bezahlt arbeitete, wenn ihre Geburtenrate niedrig lag. Umgekehrt galt das Gleiche: Länder mit wenigen oder keinen Frauen im Parlament, ohne oder mit nur einer kurzen Tradition von Frauenwahlrecht, mit wenigen bezahlten Jobs für Frauen und einer hoher Geburtenrate neigten dazu, ihre Konflikte mit anderen Staaten gewaltförmig auszutragen. Etwas schräg formuliert: Je frauer, desto Frieden.

Es liegt auf der Hand, dass die inneren Normen eines Staates sich in seiner Außenpolitik abbilden. Patriarchalische Gewalt gegen Frauen fördert den Militarismus, und militärisch ausgetragene Konflikte fördern wiederum patriarchalische Gewalt. Ein Teufelskreis.

„Die extreme Gewalt, die Frauen in Konflikten erleiden", so die Autorinnen der Unifem-Studie ,,Women War and Peace", ,,resultiert nicht nur aus den Kriegsbedingungen, sie ist direkt mit der häuslichen Gewalt in Friedenszeiten verknüpft. Weltweit erleben Frauen Gewalt, weil sie Frauen sind und weil sie nicht dieselben Rechte oder die Autonomie von Männern haben." Diese Form von Gewalt sei eine „akzeptierte Norm", die durch Militarisierung und die Präsenz von Waffen „neue Ebenen der Brutalität und auch der Straffreiheit" erreicht.

„Ich bin so gestresst durch den Krieg", sagte ein mazedonischer Mann den Autorinnen. ,,Es ist unvermeidbar, dass ich meine Frau schlage." Viele Ex-Soldaten haben größte Probleme, ins zivile Leben zurückzukehren. Innerhalb von sechs Wochen haben vier Kämpfer einer US-Spezialeinheit nach ihrer Rückkehr von Afghanistan in die USA ihre Frauen getötet. Im Nachkriegs-Kambodscha erlebten 75 Prozent aller Frauen häusliche Gewalt, oft durch Männer, die ihre Kriegswaffen behalten hatten. ,,Mein Mann war ein Roter Khmer", berichtete eine Zeugin. ,,Ich denke, das hat ihn. menschlich gebrochen." Auch in Deutschland stiegen nach Ende des zweiten Weltkriegs die innerfamiliäre Gewaltrate und auch die Suizidrate steil an.

Wenn traumatisierte Täter erneut Gewalt anwenden, diesmal innerhalb der eigenen Familie, dann mag das wie ein kurzfristiger Machtgewinn für sie wirken, in Wirklichkeit aber verlieren alle Beteiligten, Männer wie Frauen. Britische Forscher fanden neulich in einem Vergleich zwischen 51 Ländern heraus, dass Sexismus das Leben der Männer verkürzt. In Ländern mit einer hohen Rate von Gewalt gegen Frauen hatten auch die Männer eine kürzere Lebenserwartung. Verehrte Männer, beachten Sie bitte: Das Patriarchat schadet Ihrer Gesundheit!

Dennoch werden Frauen weiterhin aus der Außen- und Sicherheitspolitik, aus Friedensverhandlungen und Friedenstruppen herausgehalten. Bei den Verhandlungen nach den Kriegen in Ex-Jugoslawien waren ebenfalls praktisch keine Frauen anwesend, und das Dayton-Abkommen war ein in Teilen geradezu kontraproduktives Abkommen. ,,Der systematische Ausschluss von Frauen aus offiziellen Friedensprozessen hat schädliche Effekte auf die Nachhaltigkeit von Friedensabkommen", heißt es auch in einem Bericht des „EU-Parlamentsausschusses für die Rechte der Frau" aus dem Jahr 2000. Wenn Frauen jedoch in die Entscheidungen eingebunden waren, so ist in „Women, War and Peace" nachzulesen, wurden die Verhandlungsergebnisse dauerhafter, und die Verhandlungsparteien waren zufriedener. Denn: ,,Wenn Frauen anwesend sind, verändert sich die Natur des Dialogs." Frauen bestehen eher auf zivilen Konfliktlösungen, sie treten in den Verhandlungen vermittelnder und geschickter auf und bringen neue Themen und Blickwinkel in die Verhandlungen ein, zum Beispiel Fragen der Gesundheit, Ernährung oder Bildung.

In 27 Staaten stehen derzeit UN-Friedenstruppen, aber nur in Sierra Leone, Osttimor und Kongo verfügen sie über „Gender-Beraterinnen". Bloß vier Prozent der eingesetzten UN-Polizeikräfte und drei Prozent der UN-Militärs sind weiblich. Die fast durchweg männlichen UN-Peacekeepers „können ein Teil des Problems statt ein Teil der Lösung werden", schreiben die Unifem-Autorinnen. Im Kongo, auf dem Balkan, in Kambodscha und anderswo nahm die Sexindustrie mit der Anwesenheit der Blauhelme einen dramatischen Aufschwung - und mit ihnen die HIV-Infektionsrate. Selbst in UN-Flüchtlingslagern können Frauen sich nicht sicher fühlen, weil es kaum weibliches Personal gibt. In Guinea, Liberia und Sierra Leone sahen sich 13- bis 18- jährige Mädchen gezwungen, ihren Körper zu verkaufen, um an Essen, Medizin oder Trainingskurse zu kommen - Güter, die ihnen eigentlich gratis zustanden.

Mit Resolution 1325 hat der UN-Sicherheitsrat eine klare völkerrechtliche Verpflichtung vorgegeben, Frauen auch in die nationalen Friedens- und Wiederaufbauprozesse nach Beendigung von Konflikten einzubeziehen. Nach wie vor geschieht das nur rudimentär. Nun soll im Zuge der UN-Reformen auf Vorschlag von Kofi Annan innerhalb der UNO eine „Peace Building Commission“ aufgebaut werden, eine Art Koordinationsgruppe für den Wiederaufbau. Die Kommission wäre ein idealer Ort, um Frauen systematisch einzubeziehen und Resolution 1325 umzusetzen. Monatelang hat die WILPF den UN-Verantwortlichen deshalb in den Ohren gelegen - bislang vergeblich. Vierzehn Außenministerinnen, darunter die der Schweiz, Österreichs, Schwedens und Südafrikas, haben in einem Brief im September darum gebeten, die Frauenfrage in dieser Kommission angemessen zu verankern, auch im Sinne der Prävention von Konflikten - bislang vergeblich.

Wir brauchen einen neuen Sicherheitsbegriff, einen, der nicht von den Interessen der Nationen und ihrer Machthaber ausgeht, sondern von jedem einzelnen Menschen. Erst wenn alle Menschen und besonders die Frauen sich außerhalb und innerhalb des eigenen Hauses sicher und frei fühlen können, erst dann gibt es Sicherheit, die ihren Namen auch verdient. Die Autorinnen von „Women, War and Peace" formulieren es so: ,,Wenn Frauen sicher sind, dann auch die Nationen."

Die UN-Entwicklungsorganisation UNDP hat deshalb seit Mitte der 90er Jahre das Konzept der „menschlichen Sicherheit" entwickelt, auf das sich inzwischen mehrere Staaten mit progressiver Außenpolitik berufen, zum Beispiel Kanada und die Schweiz. Allerdings fehlt in diesem Konzept der für Frauen so wichtige Aspekt der innerhäuslichen Sicherheit.

Auch die Schweizer Initiative, der ,,1000 Frauen für den Friedensnobelpreis" geht vom Konzept der „menschlichen Sicherheit" aus, und der deutsche Frauensicherheitsrat ebenso.

Der Frauensicherheitsrat hat sich zu Beginn des Irakkriegs 2003 als Netzwerk von etwa 50 Friedensforscherinnen, Friedensaktivistinnen und Frauen aus politischen Stiftungen gegründet. Er ist in einen politischen Dialog mit Regierungsbehörden eingetreten, damit Resolution  1325 endlich umgesetzt wird, national wie international, innerhalb und außerhalb der UN-Strukturen. Obwohl man in allen Ministerien versicherte, wie dieses Anliegen sei, sind aus den vielfachen Lippenbekenntnissen bislang kaum Taten gefolgt. Politischer Druck ist also nötiger denn je, auf allen parlamentarischen und außenparlamentarischen, nationalen und supranationalen Ebenen. In den nächsten Monaten und Jahren wird der Frauensicherheitsrat versuchen, ein europäisches Netzwerk bzw. einen europäischen. Frauensicherheitsrat aufzubauen.

 

Näheres http://www.un1315.deoder http.j/www.glow-boell.de). Ihr letztes Buch hieß „Friedenstreiberinnen - elf Mutmachgeschichten aus einer weltweiten Bewegung", erschienen 2004 im Psychosozial-Verlag Gießen. Ihr Artikel ist die gekürzte und bearbeitete Fassung eines Vortrags in Osnabrück.

 

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