Grundgesetzänderung in unserem Sinne

von Uli Beer-Bercher
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Folgendes Anschreiben an den Bundestag wurde von der DFV-VK Baden-Württemberg aufgesetzt. Wir dokumentieren es als ein Beispiel für eine Initiative, die sich in die Debatte um eine Neufassung des Grundgesetzes einsetzt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie diskutieren Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes. Wir haben uns bereits in der Vergangenheit mehrfach an den Deutschen Bundestag gewandt, um Grundgesetzänderungen vorzuschlagen. Erlauben Sie, daß wir Ihnen unsere Vorschläge vorstellen und sie kurz begründen.

1. Abschaffung der Bundeswehr
Das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung sah keine bewaffneten Streitkräfte vor -- und das aus gutem Grund: Der Zweite Weltkrieg hatte deutlich gemacht, daß Krieg kein rationales Mittel der Politik mehr ist. Die Zerstörungen, die durch moderne Waffen erreicht werden, stehen in keinem rechtfertigbaren Verhältnis zu irgendeinem erreichbaren Kriegsziel. Vor allem aber ist Krieg moralisch in keinem Fall mehr zu rechtfertigen: Seine Opfer sind in einem noch größeren Ausmaß als früher Nichtkombattanten: Kinder, alte Menschen, Männer und Frauen.

Der "Kalte Krieg", die Konfrontation zwischen den beiden antagonistischen Gesellschaftssystemen, führte zur Verdrängung dieser Erkenntnis bei einer Mehrheit unserer Politikerinnen und Politiker. Durch nachträgliche Änderungen im Grundgesetz wurden Bedingungen für die Schaffung der Bundeswehr geschaffen.

Heute ist es möglich, die Frage nach der Notwendigkeit von Streitkräften neu und nüchtern zu diskutieren. Aus unserer Sicht sprechen drei Gründe für ihre Abschaffung:

1.1 Die friedlichen Revolutionen in Osteuropa, die gewaltfreie Überwindung der Spaltung Europas haben deutlich gezeigt, daß nicht Militär, sondern gewaltfreie Volksbewegungen Unfreiheit, Diktatur und Unterdrückung überwinden.

1.2 Der zweite Golfkrieg 1991 hat gezeigt, daß es nicht möglich ist, das Völkerrecht oder Menschenrechte durch militärische Interventionen herzustellen. Das Völkerrecht wird weiterhin weder vom Mitglied des UN-Sicherheitsrates China (Besetzung Tibets) noch von den Alliierten des zweiten Golfkrieges eingehalten: Syrien hält weiter Teile des Libanon besetzt, Marokko die Westsahara. Die Gemeinschaft der Völker sieht weiteren Brüchen des Völkerrechts tatenlos zu: z.B. der Besetzung von Teilen Syriens und Palästinas durch Israel, der Besetzung Ost-Timors durch Indonesien...

Die Situation der Menschenrechte hat sich durch den zweiten Golfkrieg weder in den beiden betroffenen Staaten Kuwait und Irak -- beides sind weiterhin brutale Diktaturen -- noch in der ge-samten Region verbessert.

1.3 Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien belegt, daß reale historische, politische und wirtschaftliche Konflikte eskalieren, sobald Militär zu ihrer "Lösung" eingesetzt wird: Die Feind-schaft zwischen den einzelnen Volksgruppen hat sich durch den Krieg vergrößert, die wirtschaftliche Lage verschlimmert, die Chancen für Verhandlungslösungen sind kleiner geworden.

Diese Beispiele belegen, daß Militär heute keinen Sinn macht: Es kann weder die Sicherheit und den Schutz der eigenen Bevölkerung garantieren, noch kann es sinnvoll zur Durchsetzung funda-mentaler Werte eingesetzt werden.

Die Bundeswehr sollte deshalb abgeschafft werden.
Auf keinen Fall jedoch dürfen ihre Kompetenzen, Aufgabenbereiche oder Einsatzmöglichkeiten erweitert werden.

2. Verbot des Rüstungsexportes
Insbesondere im Zusammenhang mit dem zweiten Golfkrieg wurde bekannt, daß bundesdeutsche Unternehmen mitgeholfen haben, den Irak unter Saddam Hussein ebenso wie eine Reihe anderer blutiger Diktaturen aufzurüsten. Zum Teil geschah dies illegal -- in weiten Bereichen aber vollkommen legal. Angesichts der weitreichenden Folgen der Rüstungsexporte müssen diese rigoros eingeschränkt werden. Wir verlangen deshalb ein grundgesetzliches Verbot des Rüstungsexports. Es soll alle Waren und Dienstleistungen umfassen, deren ausschließliche zivile Verwendung nicht nachgewiesen werden kann.
Die aktuelle Diskussion macht einen weiteren, dritten Punkt dringlich:

3. Vebot von Zwangsdiensten
Unser Grundgesetz verbietet aus guten Gründen Zwangsdienste -- sie dienten im Nationalsozialismus zur Formierung der Gesellschaft, insbesondere der Jugend, zur Gewöhnung an das Gehorsamsprinzip, zur Militarisierung und zur Vorbereitung auf einen Angriffskrieg. Zwangsdienste bedeuten immer die Aufgabe wesentlicher Menschenrechte -- des Rechtes auf freie Wahl des Aufenthaltsortes und des Arbeitsplatzes. Und sie gehen fast immer mit der Ein-schränkung weiterer Grundrechte (des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Koalitionsrechtes) einher.

Leider galt dieses Zwangsdienstverbot seit Einführung der Wehrpflicht in einem wichtigen Bereich nicht: Männliche Jugendliche wurden durch die Wehrpflicht zu einem Zwangs-Wehrdienst bzw. Ersatzdienst gezwungen.

Wir fordern Sie auf, das Zwangsdienstverbot wieder umfassend in Kraft zu setzen. Das bedeutet konkret, die Wehrpflicht abzuschaffen und jeder Überlegung, neue Zwangsdienste zuzulassen, eine Absage zu erteilen.

Die Arbeit Ihrer Kommission findet zu einem bedeutsamen Zeitpunkt statt. Die politischen Rahmenbedingungen haben sich umfassend geändert -- nicht nur in Deutschland. Die neuen Probleme, die sich uns stellen, können nicht mit den alten Pseudo-Lösungen bewältigt werden. Nutzen Sie die Chance zu einem Neuanfang, die sich daraus ergeben. Ein Deutschland ohne Militär, Rüstungsexporte und Zwangsdienste könnte ein hoffnungsvolles Signal sein für eine Welt, die sich im Umbruch befindet.

Mit freundlichen Grüßen
Uli Beer-Bercher für den Landesvorstand der DFG/VK

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