Keine Nötigung

Landgericht Frankfurt am Main:

Im Namen des Volkes
Urteil

In der Strafsache gegen 1. NN. und 2. NN

wegen Nötigung

hat die 5. Kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main auf die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 28.1.2004 in der Hauptverhandlung vom 15.11.2004, an der teilgenommen haben:

Vors. Richter am Landgericht Bach als Vorsitzender,
NN und NN als Schöffen,
Staatsanwalt Hauschke als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Prof. Dr. Köpcke-Duttler als Verteidiger des Angeklagten W.,
Justizangestellte NN als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 28.01.2004 aufgehoben.

Gegen die Angeklagten werden wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Nichtentfernen aus einer aufgelösten Versammlung)

Geldbußen von jeweils 90 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte am 28.01.2004 die Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 15 .

Dagegen haben die Angeklagten form- und fristgerecht Rechtsmittel eingelegt.

Die Berufungen hatten zum überwiegenden Teil Erfolg.

II.

Die Berufungshauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt.

Zur Sache:

Am 20.03.2003 begannen die USA und die von den USA geführten Alliierten mit Luftangriffen auf den Irak. Auch am Samstag, 29.03.2003, dem Tattag, dauerte der Krieg an. Der Krieg war begleitet von Protesten. Allein am 29.03.2003 fanden etwa in Berlin, zwischen Münster und Osnabrück, in Stuttgart und Hamburg Demonstrationen unter Beteiligung von über 100.000 Kriegsgegnern statt.

An diesem 29.03.2003 demonstrierten vom S-Bahnhof Zeppelinheim ausgehend Richtung Rhein-Main-Flughafen ziehend rd. 1.200 (nach anderer Schätzung: rd. 2.000) Personen. Die Kriegsgegner zogen vor das Haupttor der sog. Airbase, d.h. des vom übrigen Flughafengelände für den Flugbetrieb des US-Militärs abgetrennten Areals. Diese Demonstration war versammlungsrechtlich angemeldet.

Der Veranstalter, die Gruppe "resist", ein Zusammenschluss einer Vielzahl von friedenspolitischen Initiativen u.a. mit der Aufgabe sachbezogener juristischer Beratung und Dokumentation, hatte darüber hinaus geplant, zwei weitere zur Airbase führende Tore, darunter das Tor 31, zu besetzen. Diese Torbesetzungen waren nicht angemeldet. Im Aufruf dazu hatte "resist" darauf hingewiesen, dass möglicherweise die Begehung von Ordnungswidrigkeiten mit der Kundgebung verbunden sei, aber jedenfalls keine Straftat der Nötigung. Die Angeklagten waren über die Funktion von "resist" informiert, sie kannten den Aufruf und sie verließen sich auf die rechtliche Beurteilung durch "resist".

Im Zeitraum von 15.05 Uhr bis 15.25 Uhr wurde das Tor 31 am Flughafen von 32 Kriegsgegnern blockiert.

(...) Schilderung Sachverhalt

IV.

1. Die Angeklagten haben einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz nach §§ 29 Abs.1 Nr.2,15 Abs.2, 14, 13 Abs.2 VersammlungsG, 14 Abs.1 OWiG begangen, weil sie sich nach rechtmäßiger Auflösungsverfügung nicht unverzüglich von der Straße entfernt haben.

Die polizeiliche Auflösungsverfügung um 15,27 Uhr war rechtmäßig. Die Polizei durfte die Versammlung, an der die Angeklagten teilgenommen hatten, auflösen, weil diese nicht angemeldet war (§§ 15 Abs.2, 14 VersammlungsG) und die mit der Versammlung verbundene Verkehrsblockade nach einem Zeitraum von rd. 15 Minuten - auch im Hinblick auf den Kundgebungszweck - nicht mehr toleriert werden musste.

a) Die Sitzdemonstration auf dem Airportring war nach § 14 VersammlungsG anzumelden. Diese Kundgebung war keine vom Anmeldeerfordernis befreite Spontandemonstration, die sich aus aktuellem Anlass augenblicklich gebildet hätte. Ihr Gegenstand war der seit über eine Woche andauernde Irak-Krieg.

b) Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art.8 GG) steht der Verfolgung der Ordnungswidrigkeit nicht entgegen. Im Schutzbereich von Art.8 GG - wie hier - ist allerdings durch Interessenabwägung festzustellen, wie weit die Beeinträchtigung des Straßenverkehrs durch Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gehen darf.

Die Polizei hat diese Abwägung zwischen dem Grundrecht der Demonstranten, einschließlich der Angeklagten, auf der einen Seite und der Fortbewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer (Art.2 Abs. 1 GG) auf der anderen Seite zutreffend dahingehend vorgenommen, dass sie eine Verkehrsblockade von ca. 15 Minuten hinnahm und die Versammlung danach auflöste.

Die Verkehrsbehinderung von rd. 15 Minuten ist angesichts des Kundgebungszwecks, öffentliche Aufmerksamkeit für den Protest gegen den Irak-Krieg und die Politik der Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu erreichen, verhältnismäßig.

Dabei ist insbesondere auf folgende Umstände abzustellen:

Der Irak-Krieg erregte, wie allein der Umfang der Demonstrationen am 29.03.2003 zeigte, die deutsche Öffentlichkeit. Die betroffenen Verkehrsteilnehmer und die äußere Gestaltung der Versammlung hatten einen Bezug zum Versammlungsthema. Die Frage von Krieg und Frieden im Irak mit Auswirkungen auf die Stabilität im Nahen Osten und - allgemein - im arabischen Raum betraf schon angesichts der starken weltwirtschaftlichen Verflochtenheit Deutschlands auch die blockierten Verkehrsteilnehmer. Der Versammlungsort am Rhein-Main-Flughafen, einschließlich des Gebietes der Airbase, entsprach dem Protestgegenstand. Diese sachlichen Beziehungen der Kundgebung gelten zumindest im Sinne des Ziels einer Stärkung und Festigung ihrer Position auch im Hinblick darauf, dass die deutsche Regierung sich gegen den Krieg ausgesprochen hatte sowie im Sinne der geforderten Beendigung der Politik der passiven Duldung durch die Bundesregierung.

Die Zahl der nach rd. 15 Minuten im Stau stehenden Verkehrsteilnehmer in 10 Fahrzeugen war gering. Es gab für weitere blockierte Verkehrsteilnehmer Ausweichmöglichkeiten, die jedenfalls so realistisch waren, dass sie auch in einer nennenswerten Anzahl von Fällen gewählt wurden. Persönliche dringliche Angelegenheiten der Verkehrsteilnehmer, die sie zur Forderung nach Unterstützung durch die Polizei veranlasst hätten, waren nicht gefährdet. Da Samstag war, war der Berufsverkehr minimiert.

c) Der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz war nicht durch das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands nach § 16 OWiG gerechtfertigt.

2. Der Vorwurf der gemeinschaftlichen Nötigung gegen die Angeklagten nach § 240, 25 Abs.2 StGB war nicht aufrechtzuerhalten.

a) Die Angeklagten haben keine Gewalt im Sinne von § 240 Abs.1 StGB ausgeübt. Gewalt ist nach neuerer Rechtsprechung eine wenn auch geringe Kraftentfaltung des Täters mit der Folge physischer Zwangswirkung bei dem Opfer (BVerfGE 92,1; Tröndle/Fischer, StGB, 52.Aufl., § 240 Rn.20 ff.).

Selbst wenn den Angeklagten die Entfaltung der Kraft zuzurechnen ist, die hier aufgewendet wurde, um den in erster Reihe im Stau unmittelbar vor der Gruppe der Sitzdemonstranten zum Stehen gekommenen LKW anzuhalten, so kann keine physische Zwangswirkung bei den (weiteren) Opfern, d.h. den Verkehrsteilnehmern ab der zweiten Reihe im Stau, festgestellt werden, die von den Angeklagten zu verantworten wäre. Einer solche Zwangswirkung könnte nur darin bestehen, dass bei diesen Verkehrsteilnehmern im Hinblick auf ein jeweils vor ihnen haltende Fahrzeug ein physisches Hindernis zur Weiterfahrt bestand.

Angesichts der festgestellten Manövrierfähigkeit der im Stau wartenden Fahrzeuge konnte sich die Kammer aber nicht davon überzeugen, dass die im Stau stehenden Fahrzeug-Fahrer nicht durch Überholvorgänge zum einen bis an die Gruppe der Sitzdemonstranten, d.h. an eine Stelle, an der die lediglich psychische Barriere der Rücksicht auf Leib oder Leben der Kundgebungsteilnehmer die Weiterfahrt verhinderte und zum anderen bis zu dem seitlich neben der Fahrbahn stehenden Polizeiwagen fahren konnten, d.h. an eine physische Barriere heran, die allerdings den Sitzdemonstranten nicht zuzurechnen ist.

b) Die Angeklagten haben nicht verwerflich bzw. sozialwidrig i.S.v. § 240 Abs.2 StGB gehandelt.

- Für die Sitzblockade bis zur polizeilichen Auflösung um 15,27 Uhr gilt hier:

Die Kundgebung steht insoweit unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG.

Daher geht die Beurteilung der Zweck-Mittel-Relation wie die o.g. Verhältnismäßigkeitsprüfung zugunsten der Angeklagten aus.

Die Kammer stellt in die Abwägung nur den kommunikativen Zweck der Versammlung ein, Aufmerksamkeit in einer die Öffentlichkeit angehenden und bewegenden Frage zu erzielen. Eine inhaltliche Bewertung des kommunikativen Anliegens, die den Gerichten verwehrt ist (BVerfG NJW 2002, 1031,1034), ist damit nicht verbunden. Allerdings ist der - hier gegebene - Sachbezug zwischen Protestgegenstand auf der einen sowie blockierten Verkehrsteilnehmern und Versammlungsort auf den anderen Seite zu berücksichtigen (BVerfG a.a.O).

Dieser Sachbezug unter Berücksichtigung der von vornherein beabsichtigten Begrenzung auf eine kurze Frist bis zur polizeilichen Räumung lässt die festgestellte Blockade einer geringen Zahl von Verkehrsteilnehmern an einem arbeitsfreien Samstag, in nennenswertem Umfang mit wählbaren Ausweichmöglichkeiten, als hinnehmbar, jedenfalls nicht als verwerflich oder sozialwidrig erscheinen.

Die Blockade stand in Zusammenhang mit einer zu tolerierenden Kundgebung gegen den Irak-Krieg. Sie betraf nur Verkehrsteilnehmer in 10 Fahrzeugen. Es war nicht mit der erforderlichen minutengenauen Sicherheit festzustellen, dass in diesen wenigen Minuten weitere Verkehrsteilnehmer an das Stauende herangefahren (und den Angeklagten zurechenbar physisch zum Anhalten gezwungen worden) sind.

c) Schließlich steht einer Bestrafung der Angeklagten wegen Nötigung entgegen, dass sie hinsichtlich der Verwerflichkeit der Sitzblockade einem unvermeidbarem Verbotsirrtum (§ 17 StGB) unterlagen. Die Angeklagten verließen sich bei der Einordnung von Gewicht und Bedeutung ihres Rechtsverstoßes auf die Beurteilung durch "resist", dass ihr Handeln eine Ordnungswidrigkeit, aber keine Straftat der Nötigung sein könne. Die dreimaligen Auflösungsverfügungen der Polizei von 15.22 bis 15.27 Uhr begründen nicht die Annahme der Vermeidbarkeit des auf das Unwerturteil der Verwerflichkeit bzw. Sozialwidrigkeit bezogenen Verbotsirrtums, sie belegen vielmehr das Vorhandensein von Unsicherheit auf Seiten der Polizei bei der hier anzustellenden Interessenabwägung.

V.

Gegen die Angeklagten waren Geldbußen nach § 29 Abs.2 VersammlungsG. festzusetzen.

Bei der Festsetzung der Geldbußen waren der geringe Umfang der konkreten Verkehrsblockade sowie das uneigennützige Motiv der Angeklagten, Aufmerksamkeit in einer die Öffentlichkeit betreffenden Angelegenheit, nämlich im Hinblick auf den Irak-Krieg mit den nach ihrer Überzeugung damit verbundenen Verletzungen von Völkerrecht und Grundgesetz, zu berücksichtigen. Die Angeklagten befanden sich 7 1/2 Stunden in Polizeihaft.

NN werden seine Deeskalationsbemühungen zugute gehalten.

Die Kammer hat danach gegen die Angeklagten jeweils eine

Geldbuße von 90 Euro festgesetzt.

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