Ernüchterndes Fazit nach Demonstrationsbeobachtungen

Polizei.Macht.Eskalation

von Tina Keller
Hintergrund
Hintergrund

Die Versammlungsfreiheit gehört zu den wenigen im Grundgesetz verankerten Möglichkeiten unmittelbarer, gelebter Demokratie. Die Möglichkeit, sich kollektiv öffentlich zu versammeln und dabei die Art der Meinungskundgabe thematisch und formal selbst zu bestimmen ist für unser Demokratieverständnis von zentraler Bedeutung. Dieses Recht gilt es zu schützen und sich aktiv dafür einzusetzen. In diesem Sinne führen wir als Komitee für Grundrechte und Demokratie seit vielen Jahren regelmäßig Demonstrationsbeobachtungen durch.

In diesem Jahr haben wir zwei mehrtägige Beobachtungen durchgeführt. Vom 24. bis 27. Juni waren wir in München und Garmisch-Partenkirchen anlässlich des G7-Gipfels. Vom 01. bis 03. September haben wir die Proteste des Bündnisses „Rheinmetall-Entwaffnen“ in Kassel begleitet. Beide Beobachtungen haben wir in umfangreichen Berichten dokumentiert und ausgewertet. Einige unserer Erkenntnisse wollen wir in dem vorliegenden Artikel nachzeichnen.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen waren bei beiden Beobachtungen unterschiedlich: Während in Hessen das bundesdeutsche Versammlungsgesetz gilt, hat Bayern ein deutlich verschärftes Gesetz für Versammlungen. Auch war der Umfang des Polizeieinsatzes deutlich verschieden.

Anlässlich des G7-Gipfels waren 18.000 Polizist*innen im Einsatz, es gab Grenzkontrollen und Straßensperren. Es wurden Einsatzkräfte aus vielen Bundesländern und Österreich mobilisiert. Zudem wurde im Vorfeld durch Sicherheitsbehörden ein Narrativ aufgebaut, welches suggerierte, dass mit Anreisen von vielen „Gewaltchaoten“ zu rechnen wäre.

Auch bezüglich Auflagen für angemeldete Versammlungen war die Situation rund um den G7 Gipfel weitaus angespannter. Höhepunkt dessen stellte die einzige erlaubte Kundgebung in Sichtweite des Tagungshotels in Elmau da. Alle 50 Teilnehmenden mussten sich im Vorfeld namentlich anmelden, Taschenkontrollen und Leibesvisitationen über sich ergehen lassen. Die An- und Abreise wurde engmaschig durch die Polizei begleitet. Gipfel der Einhegung war, dass sich die Protestierenden auf ein kleines Areal beschränken sollten, um eine etwaige Evakuierung nicht zu behindern – auf einem viele Hektar großen, leeren Gelände. Dass das BverG mit seiner Entscheidung vom 27.06.2022 den zugewiesenen Versammlungsort in 520 Meter Entfernung zum Tagungshotel noch als in „Hör- und Sichtweite“ wertete, sehen wir als versammlungsrechtlich höchst problematisch.

In Kassel hingegen konnten wir keine solche Vorberichterstattung  beobachten. Wie viele Beamt*innen im Einsatz waren, können wir nicht sagen. Jedoch wissen wir, dass es sich um ausschließlich hessische Einsatzkräfte handelte.

Parallelen im Vorgehen
Trotz der verschiedenen Rahmenbedingungen konnten wir auch Parallelen im Einsatz der Polizei erkennen.

Zum einen wurden nahezu alle Demonstrationen durch ein massives und martialisch anmutendes Polizeiaufgebot begleitet. Die Szenarien der Auftaktkundgebungen wirkten durch die starke Polizeipräsenz stark abschreckend. Einzelne Demonstrationsblöcke mussten sowohl in Bayern als auch in Hessen im Spalier von der Polizei gehen. Teilweise war von außen kaum mehr sichtbar, für oder gegen was die Demonstration gerichtet war, weil Transparente nicht mehr zu sehen waren. Wir konnten beobachten, wie permanent und von Beginn an in die Demonstrationen gefilmt wurde.

Zum anderen kam es bei beiden Beobachtungen immer wieder zum rabiaten Eingreifen der Polizei in die Demonstrationen bzw. wurden einzelne Demonstrierende gegen Ende der Protestzüge aus der Menge gezogen. Als Anlass für diese Maßnahmen wurden seitens der Polizei immer wieder Verstöße gegen das sogenannte Vermummungsverbot sowie das Abbrennen von Rauchtöpfen genannt.

Nun ist das Abbrennen von Rauchtöpfen eine Ordnungswidrigkeit und befugt die Polizei zwar rein rechtlich zum Einschreiten. Es muss jedoch die Frage gestellt werden, ob das Verfolgen von Ordnungswidrigkeiten Grund genug und verhältnismäßig ist, eine friedlich laufende Demonstration massiv zu stören, Personen im Nachgang festzuhalten und Verletzungen sowie Traumatisierungen von Demonstrationsteilnehmer*innen in Kauf zu nehmen.

Ähnlich stellt sich diese Frage beim Eingreifen aufgrund des sogenannten Vermummungsverbotes. Es wurde 1985 durch den Bundestag beschlossen und als § 17a ins bundesdeutsche Versammlungsgesetz aufgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war „Vermummung“ auf Demonstrationen unbeschränkt möglich. Vier Jahre später wurde es bzgl. des Strafmaßes noch einmal verschärft.

Das „Vermummungsverbot“ wurde auch bei den von uns beobachteten Protesten von der Polizei herangezogen, um Personen aus friedlichen Demonstrationen heraus festzunehmen und um Videoaufnahmen zu rechtfertigen – eben weil das Verstoßen gegen das „Vermummungsverbot“ eine Straftat darstellt und bei Verdacht auf Straftaten gefilmt werden darf. Das „Vermummungsverbot“ dient der Polizei seit nunmehr fast vier Jahrzehnten als Mittel, um repressiv in friedlich verlaufende Versammlungen einzugreifen. Erwartungsgemäß im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden damit Demonstrationen gewöhnlich gewaltsam eskaliert: Vermummung rechtfertigt das Abfilmen der Versammlung – das Abfilmen provoziert die Vermummung als Schutzmechanismus – Vermummung rechtfertigt gewaltsames Eingreifen in die Versammlung zur Strafverfolgung – und so weiter ...

Tendenzen
Nicht zuletzt durch die beiden Beobachtungen in diesem Jahr sehen wir eine Tendenz, wie sie sich schon länger abzeichnet:
Einschüchterung und Provokation durch unverhältnismäßig massive und martialische Polizeiaufgebote, permanentes Abfilmen und Zwangsmaßnahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer*innen oder größere Gruppen mit der Begründung, Verstöße gegen das Vermummungsverbot zu ahnden, sind nach unserer Einschätzung Teil einer polizeilichen Strategie zur gewaltsamen Eskalation, Kriminalisierung und Delegitimierung bestimmter Formen von politischen Protesten insgesamt. Insofern stellen sie einen nicht zu rechtfertigenden Angriff gegen das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit dar.

Die beiden Berichte gibt es hier:
https://www.grundrechtekomitee.de/fileadmin/user_upload/G7_Elmau-Grundre...
https://www.grundrechtekomitee.de/fileadmin/user_upload/Kassel-10-2022_w...

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Hintergrund
Tina Keller ist Koordinatorin für den Bereich Demonstrationsbeobachtung beim Komitee für Grundrechte und Demokratie. Sie ist 38 Jahre alt und seit vielen Jahren in sozialen Bewegungen aktiv, mit Schwerpunkt auf Klimagerechtigkeit und Antirepression.