Tagung "Professionelle Friedenscorps"

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Mit 'Modellen zur zivilen Krisenintervention' befasste sich ein Kolloquium Ende Mai in Berlin, das von den beiden Evangelischen Akademien Ber­lin-Brandenburg und Mülheim-Ruhr veranstaltet wurde. Der Anstoß für das Treffen ging von dem deutsch-kanadischen Mitgründer von Peace Brigades International, Hans Sinn, aus, der vorgeschlagen hat, ein deutsches Friedenscorps zu gründen. Es nahmen ungefähr vierzig Per­sonen teil, die zum Teil aus der Praxis der internationalen Entwick­lungshilfe und Konfliktbearbeitung kamen, zum Teil als VertreterInnen von Parteien und Friedensgruppen angereist waren.

Verschiedene Konzepte wurden im Verlauf des Kolloquiums vorgestellt und praktische Erfahrungen mit ge­waltlosen Interventionen, z.B. im ehe­maligen Jugoslawien und im Golfkrieg, referiert. Dabei wurde - mehr als bei vorherigen Treffen, die sich allein mit dem Zivilen Friedensdienst befassten - deutlich, daß doch recht unterschiedli­che Vorstellungen im Raum stehen. Ne­ben dem Peace-Corps-Vorschlag von Hans Sinn wurden die Kon­zepte zum Zivilen Friedensdienst von Theo Ebert bzw. der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und des Bundes für So­ziale Verteidigung in die Diskussion einge­bracht.

Hans Sinn's Vorschlag sieht die Ein­richtung eines professionellen Friedens­corps als "zivile Eingreifgruppe" vor, die Deutschland bei Krisen und Kon­flikten entsenden würde. Die Evangeli­sche Kirche Berlin-Brandenburg, die das Konzept des Zivilen Friedens­dienstes vor ca. zwei Jahren in die De­batte geworfen hat, spricht sich für einen einjährigen "Grunddienst" im In­land, gekoppelt mit einer gründlichen Ausbildung in gewaltfreier Kon­fliktaustragung aus. Die so Ausgebilde­ten könnten später dann auch für inter­nationale Einsätze zur Verfügung ste­hen. Der Bund für Soziale Verteidigung hatte diesen Vorschlag aus Berlin-Bran­denburg aufgegriffen und daraus ein Konzept entwickelt, das in einigen Punkten von den Vorstellungen der Kir­che abweicht. (Der wichtigste Unter­schied ist, daß der BSV eine Dienstver­pflichtung für den ZFD ablehnt, wäh­rend die Kirche sich offensichtlich in­zwischen auf die Position geeinigt hat, eine solche Dienstverpflichtung - viel­leicht auch im Rahmen einer Allgemei­nen Dienstpflicht - zu fordern. So wurde es zumindest von Theodor Ebert, der als der Sprecher der Kirche für dieses Kon­zept angesehen wird, auf der Tagung dargestellt. Siehe auch den Beitrag von Helga Tempel in diesem "Friedens­forum".)

Aber längst nicht alle TeilnehmerInnen vollzogen diese drei Konzepte - deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß sie zum Ziel haben, das Militär bzw. militä­risches Eingreifen zumindest mittelfri­stig zu ersetzen, vollständig nach. Viel eher war es so, daß sich zwar fast alle Anwesenden vorstellen konnten, daß ein vermehrter Einsatz von ZivilistInnen in ausländischen Konflikten sinnvoll sei, manche aber eher Bedenken dagegen hatten, dies mit einer Reduzierung des Militärs zu verknüpfen. Auch die Beschaf­fung der Mittel aus dem Vertei­digungshaushalt, wie vor allem vom Bund für Soziale Verteidigung vorge­schlagen, war strittig. Immer wieder wurde davor gewarnt, 'diese gute Idee' nicht durch radikale politi­sche Vorstel­lungen kaputt zu machen. Auf der ande­ren Seite warnten vor allem VertreterIn­nen der Friedensbewegung davor, zu glauben, ein solches Konzept durchset­zen zu können, ohne es mit der politi­schen Forderung nach Reduzierung des Verteidigungshaushaltes zu verbinden. So sagte Andreas Zumach in seinem Vortrag, daß es im bundesdeutschen Haushalt absolut keinen Spielraum für neue Ausgaben gäbe und es daher gar keine Wahl gäbe, als diesen nach dem Geschmack mancher Kolloquiumsteil­nehmerInnen zu kritischen Vorschlag zu machen.

Das Durcheinander wurde durch die Vorstellung des sozialdemokratischen Wallow-Papiers (Vorschlag eines Kata­strophenhilfswerks, das ursprünglich auch mal den Namen "Friedenscorps" trug) und eine Podiumsdiskussion, deren TeilnehmerInnen aus SPD und CDU nicht die Tagung miterlebt hatten und das Konzept des ZFD nicht kannten, eher noch verstärkt. Es kann in Frage gestellt werden, ob diese Tagung die Diskussion um den Zivilen Friedens­dienst viel weitergebracht hat. Aber sie hat dessen VertreterInnen deutlich vor Augen geführt, wie dieses Konzept u.U. in der breiteren Öffentlichkeit aufge­nommen werden wird, und welche poli­tischen Gefahren auch damit verbunden sein könnten (Allgemeine Dienstpflicht, Ergänzung zu militärischen Einsätzen).

Was Vereinbarungen zur Weiterarbeit anging, so stellten VertreterInnen des Bundes für Soziale Verteidigung den Vorschlag vor, im Herbst einen "Initi­ativkreis Ziviler Friedensdienst" zu gründen; ein Vorschlag, der auf recht viel Zustimmung stieß. Außerdem wird es eine informelle Arbeitsgruppe in Berlin geben, die von der Studienleiterin der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg, Ulrike Poppe organisiert wird.

Weitgehender Konsens bestand über die Notwendigkeit von Pilotprojekten. Eine hierzu arbeitende Arbeitsgruppe machte vier dementsprechende Vorschläge:

a) ein Projekt ähnlich dem "Mobilen Dienst" in Brandenburg. (Der Mobile Dienst ist ein Team von vier Sozial­arbeiterInnen, die jeweils für einige Wochen in einen Ort gehen, wo sich Spannungen krisenhaft zuspitzen, etwa weil ein Flüchtlingswohnheim eingerichtet werden soll, und dort versuchen, konfliktmindernd tätig zu werden.

b) das Brandenburger Projekt des Bun­des für Soziale Verteidigung, bei dem beabsichtigt ist, zehn über ABM fi­nanzierte Personen in drei Teams in eine Schule, eine Kindertagesstätte und ein Jugendzentrum zu schicken, die dort gewaltpräventive Arbeit lei­sten sollen.

c) das Balkan-Peace Team, das mit in­ternationalen Freiwilligen in Kroatien und demnächst im Kosovo arbeiten wird

d) ein ggf. neu zu gründendes Projekt zur Konfliktmediation in Mostar.

Eine Dokumentation des Kolloquiums wird von der Heinrich-Böll-Stiftung er­stellt werden.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.