Buchbesprechung

Theodor Ebert zum Pazifismus

von Christine Schweitzer
Initiativen
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Theodor Ebert, der Altvater des Konzeptes der Sozialen Verteidigung in Deutschland, "Erfinder" des Zivilen Friedensdienstes und Gründungs-Vorsitzender des Bundes für Soziale Verteidigung, hat sich jüngst mit einer zweibändigen Aufsatzsammlung "Pazifismus - Grundsätze und Erfahrungen für das 21. Jahrhundert" zu Worte gemeldet. Es handelt sich dabei um Aufsätze und Vorlesungstexte, die zwischen 1989 und 2001 entstanden sind, wobei die Mehrzahl der zweiten Hälfte der 90er Jahre entstammt. Ein Teil von ihnen ist allerdings schon in diversen Zeitschriften, vor allem der "gewaltfreien aktion", veröffentlicht worden, so dass LeserInnen der Bücher, die auch die "ga" abonniert haben, vielleicht enttäuscht sein mögen, wie viele der Artikel (neun von einundzwanzig) sie schon kennen.

Die wichtigsten Themen der Aufsätze sind die Rezeption von Gandhi in Deutschland, gewaltfreie Optionen in der Extremsituation des Nationalsozialismus, der Kosovokrieg als Zäsur in der deutschen Politik und die Frage von Pazifismus und Regierungshandeln, Ziviler Friedensdienst und Argumente zugunsten gewaltfreier Strategien der politischen Auseinandersetzung. Der Autor will mit eigenen Worten "klären, was unter politisch verantwortlichem und doch radikal gewaltfreiem Pazifismus zu verstehen ist, und wie mit gewaltfreien Mitteln nicht nur opponiert, sondern auch regiert werden kann". Dabei ginge es ihm nicht "um den Pazifismus als Doktrin, sondern um pazifistische Politik in dreifacher Hinsicht: in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft". (Ebert 2001 Bd 1, S. 2 und 3)

An dieser Stelle sollen drei Themen besonders hervorgehoben werden, die der Rezensentin besondere Beachtung zu verdienen scheinen:

Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es eine Alternative zum Zweiten Weltkrieg gegeben hätte. Diese Frage ist eine, die nur sehr wenige deutsche PazifistInnen überhaupt anzusprechen wagen. Ebert beginnt seine Vorlesung "Bonhoeffer und Gandhi oder: Hätte sich der Hitlerismus gewaltfrei überwinden lassen? Eine Rückbesinnung 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges" mit der - rhetorischen - Frage, "Sind deine Überlegungen zu einer gewaltfreien Strategie angesichts der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs nicht absurd, wo doch allem Anschein nach niemand daran zweifelt, dass etwas anderes als eine militärische Überwindung des Nationalsozialismus möglich war?" Er beschäftigt sich dann - wie auch in anderen Aufsätzen des ersten Bandes - mit Gandhi und dokumentiert einen Text von Gandhi von 1940, in dem dieser den angegriffenen Staaten nahelegt, sich nicht kriegerisch gegen die Besatzung zur Wehr zu setzen. Dieser Gandhi`schen Position setzt er Dietrich Bonhoeffer entgegen, der ursprünglich auch Gewaltfreiheit predigend sich der Gruppe um Graf Stauffenberg anschloss, die einen Ausweg durch den Tyrannenmord suchte. Ebert stellt die These auf, dass der Nationalsozialismus mit viel weniger Opfern an Menschenleben hätte überwunden werden können, wenn die angegriffenen Staaten gewaltfreie Mittel des Widerstandes, also Soziale Verteidigung, eingesetzt hätten, und diejenigen, die in Deutschland zu opponieren suchten, sich der Möglichkeiten des gewaltfreien Widerstandes bewusst gewesen wären. Auch die systematische Ermordung der Juden und anderen ethnischen Minderheiten sei in diesem Falle wohl nicht möglich gewesen, da die Vernichtungslager nur unter dem "Schutz" des Weltkrieges eingerichtet und betrieben werden konnten.

Ein zweiter interessanter Aufsatz - auch einer der längsten im ersten Band - trägt den Titel "Mittel und Ziele. Zehn historisch belegte Argumente für die Selbstbindung demokratischer Politik an gewaltfreie Methoden". Auch wenn eigentlich all die von Ebert genannten Argumente in der pazifistischen Diskussion bekannt sind, so stellt der Aufsatz doch einen guten und leicht verständlichen Grundlagentext dar für diejenigen, die sich mit Gewaltfreiheit näher auseinandersetzen wollen. Die zehn Argumente lauten:
 

  •  Das Risiko ist einigermaßen kalkulierbar, und es besteht immer die Möglichkeit, gewaltfreie direkte Aktion zu suspendieren.
     
  •  Gewaltfreies Handeln bewahrt und stärkt die persönliche Identität.
     
  •  Verstärkung der Zugehörigkeit - ohne Trennung von anderen
     
  •  Öffentlichkeit und Einüben demokratischer Willensbildungsprozesse
     
  •  Vielfalt und Inklusivität der gewaltfreien Methoden
     
  •  Selbständigkeit und Kontrolle über die auswärtige Hilfe anstelle einer Abhängigkeit von dieser
     
  •  Dialog mit dem Gegner anstelle von Feindbildpropaganda
     
  •  Partizipation der Basis an der Planung der Strategie und ihrer Korrektur
     
  •  Fehlerfreundlichkeit
     
  •  Erleichterung des Seitenwechsels für den Gegner - Akzeptanz für Wendehälse
     

Der Zivile Friedensdienst (ZFD) ist immer ein besonderes Thema für Theodor Ebert gewesen, ebenso die Kritik, die er an der Entwicklung geübt hat, die der ZFD seit seiner Erstkonzeption durch die Evangelische Kirche in Berlin und Brandenburg genommen hat, sprich die Entwicklung von einer Massen-Grundausbildung in gewaltfreiem Handeln unter Ausnutzung der Wehrpflicht und Inlandseinsätzen nach Vorbild der indischen Shanti Sena zu einem Friedensfachdienst für Auslandseinsätze. Ebert gibt nicht auf, die Rückkehr zur ursprünglichen Vision einzufordern. Bedauerlich ist, dass er scheinbar die Gründe, die zu der Revision des ursprünglichen Ansatzes und der Kritik besonders an der Wehrpflicht-Anbindung eines ZFD geführt haben, wenig zur Kenntnis zu nehmen scheint. Es klingt bei ihm so, als ob allein die Aussichten, einen Auslands-Fachdienst von der Bundesregierung gefördert zu bekommen, zum "Umschwenken" bei BSV und Forum Ziviler Friedensdienst geführt habe, was doch eine arge Verkürzung der Entwicklung des Konzeptes darstellt.

Die beiden Bände enthalten viel Lesenswertes da originell Gedachtes. Ebert eckt an verschiedenen Stellen, nicht nur in der Frage des Zivilen Friedensdienstes, an. Gerade im Bund für Soziale Verteidigung wird man sich sicher über die Dokumentation seiner vier Briefe an den Vorstand kaum freuen, da er die jeweiligen Antworten auf seine Schreiben ausspart - obwohl er an anderer Stelle, z.B. im Falle von Gandhi, nicht zögert, auch längere Passagen anderer Autoren zu zitieren. Und trotzdem ist es stets das Kontroverse, was Denken befördert und voranbringt. Deshalb sei diesen beiden Bände möglichst vielen LeserInnen gewünscht.

Theodor Ebert: Pazifismus - Grundsätze und Erfahrungen für das 21. Jahrhundert, Münster: Lit Verlag, 1991

Band 1: Opponieren und Regieren mit gewaltfreien Mitteln (321 Seiten)

Band 2: Der Kosovo-Krieg aus pazifistischer Sicht (168 Seiten)

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.