Prozesse

Wann darf auf einer Messe demonstriert werden?

Am 21. Juni 2017 kam es zu einer Verhandlung am Landgericht in Stuttgart wegen einer Aktion gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand. In einem sieben Stunden dauernden Prozess konnte nicht abschließend geklärt werden, ob sich der Friedensaktivist des Hausfriedensbruches schuldig gemacht hat. Für die Revision wird es spannend: Wann und wie darf gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand auf einer Messe demonstriert werden?

In Stuttgart, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, habe Thomas H. bei den Protesten gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand auf der Ausbildungsmesse „Nacht der Unternehmen“ in der Liederhalle am 17. November 2015 Unrecht begangen. Sein Protest verstoße gegen das Hausrecht der Firma – die die städtische Messe gemietet und Strafantrag stellte –, urteilte am 26. Juli 2016 das Amtsgericht und legte dem Angeklagten eine Geldstrafe in Höhe von 600 Euro auf. Da im Prozess jedoch gravierende Verfahrensfehlern gemacht worden und das sogenannte „Fraport-Urteil“ keine Würdigung erfuhr, kam es nach einigen juristischen Umwegen über eine abgelehnte Berufung, einer Verfahrensrüge bis hin zur Verfassungsbeschwerde (die aber aufgrund der erfolgreichen Rüge zurückgenommen werden musste) doch noch zum Berufungsprozess vor dem Landgericht.

Landgericht: Fraport ja, aber
Anders als noch das Amtsgericht würdigte das Landgericht auch das Fraport-Urteil: Die Fraport AG erteilte im Jahr 2003 einer Aktivistin ein Hausverbot, weil diese Flyer gegen Abschiebungen im Frankfurter Flughafen verteilt hatte. Das Verbot wurde vom Verfassungsgericht für unzulässig erklärt. Entscheidend war, dass die Fraport AG sich mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand befand. Daraus ergab sich eine unmittelbare Grundrechtsbindung, weil der Staat sich durch eine Privatisierung und damit der „Flucht ins Privatrecht“ nicht dieser Bindung entziehen könne. Weiterhin wurde sogar eine mittelbare Grundrechtsbindung postuliert, wenn eine private Firma im Bereich der öffentlichen „Daseinsvorsorge“ agiert, die hilft, den BürgerInnen als Bildungs- und Kultureinrichtung die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz zu ermöglichen – hierunter sollte auch eine Ausbildungsmesse fallen. Das Fraport-Urteil stärkte zudem die Rechtsfigur des „öffentlichen Forums“ in einer Zeit, in der sich das öffentliche Geschehen immer mehr von der ursprünglich gedachten Straße an „private“ Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe, Shoppingcenter oder Messen verlagert.

In der mündlichen Urteilsbegründung räumte nun im Juni 2017 das Landgericht anders als noch das Amtsgericht ein, dass auch die private Firma, die die städtische Liederhalle gemietet hatte, einer Grundrechtsbindung unterliegt. Dies ist relevant, weil dann das Hausrecht der Firma mit dem Demonstrationsrecht des Angeklagten abgewogen werden muss. Die Abwägung fiel jedoch nicht zu Thomas Gunsten aus:

Die Liederhalle als Messeörtlichkeit erfülle erstens nicht die Rechtsfigur des „öffentlichen Forums“ – sie sei zwar frei zugänglich gewesen, jedoch nicht im engeren Sinne mit einer kleinen Stadt (Einkaufsmöglichkeiten, Verweilen, Essstände, Gebetsplätze, usw.), in der demonstriert werden dürfe wie am Fraport, vergleichbar. Zweites sei auch die Form des Protestes durch den Angeklagten – u.a. wurde, nicht jedoch von Thomas selbst, ein Megaphon benutzt („Tinitusgefahr“) – für den Raum als Kundgebungsform nicht angemessen gewesen. Gerade diese Abwägung der Angemessenheit, und die Frage, ob nicht eine Kundgebung auch in einem „Dorf“ Liederhalle, um im Bild zu bleiben, ein öffentliches Forum darstellt, bedürfen einer Revision am OLG. Es muss die Frage klären, wann und unter welchen Umständen es legal ist, auf einer städtischen Messe, die von Dritten gemietet wurde, gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand zu protestieren.

Der Staatsschutz führt Akten
Ein kleiner Vermerk in den Prozessakten förderte für den Angeklagten Erschreckendes zu Tage: Der Staatsschutz – also die Abteilung für politische Kriminalität des LKA – führt über ihn eine Akte u.a. über seine Parteimitgliedschaft. Die erst nach rechtlichem Druck herausgegebene Datensammlung enthielt allerdings nur eine kleine Aufzählung über vergangene legale Kundgebungsanmeldungen. Der Eintrag etwa zur Parteimitgliedschaft fehlte. Brisant ist die „Gesinnungsschnüffelei“ im Fall Thomas H. auch, weil sie die Antwort auf eine Bundestagsanfrage von 2014 Lügen straft: In der Drucksache 18/2325 fragte die Linke, ob die Proteste gegen die Bundeswehr dokumentiert werden. Die Regierung bejahte, betonte aber an mehreren Stellen (Antwort 3 b und c), dass „grundsätzlich keine personenbezogenen Daten“ erhoben werden.

Solidarität als Gebot der Stunde
Für Thomas H. bedeutet das Verfahren, trotz möglicher Erfolgsaussichten, ein finanzielles Risiko. Hier ist auch materielle Solidarität das Gebot der Stunde. Bisher konnten über 3.500 Euro gesammelt werden – sie decken jedoch nur rund zwei Drittel der bisher zu erwartenden Kosten.

Spenden zur Prozessunterstützung: Stichwort „Prozess Thomas“, Konto der DFG-VK Stuttgart, IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40.

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