FF6/08 Rezension Barrieren durchbrechen!



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 Friedensbewegung International

Buchbesprechung

Barrieren durchbrechen!

Wolfram Beyer

Israel/Palästina: Gewaltfreiheit, Kriegsdienstverweigerung, Anarchismus. Sebastian Kalicha (Hrsg.), Verlag Graswurzelrevolution Nettersheim 2008, 277 Seiten.

Ausgezeichnet: Die "Anarchisten gegen die Mauer" aus Israel (Anarchists Against the Wall) und das Bürgerkomitee des Dorfes Bil`in aus Palästina (Bil`n Popular Committee) wurden Anfang Dezember 2008 von der Internationalen Liga für Menschenrechte wegen ihres mutigen Einsatzes für die Menschenrechte geehrt. Beide Gruppen erhielten die Carl-von-Ossietzky-Medaille für herausragende Verdienste bei der Verwirklichung der Grund- und Menschenrechte.


Diese mit Auszeichnung und Ehrung bedachten Gruppen sind mit Beiträgen in dem Buch "Barrieren durchbrechen!" dargestellt. Das macht neugierig auf das im Oktober 2008 erschienene Buch aus dem Verlag Graswurzelrevolution, ein Sammelband über den Israel/Palästina-Konflikt aus der Perspektive von unten, der Graswurzelbewegung mit ihren unterschiedlichen Aufgaben, Zielsetzungen und ihren gewaltfreien Aktionen.

Beispielhaft sind die Beiträge in dem Buch über die "Anarchists Against the Wall" und das "Bil`n Popular Committee". Beide Gruppen leisten gewaltfreien Widerstand gegen die von Israel errichtete Trennungsmauer auf palästinensischem Land. Sie stehen für Standhaftigkeit in vielfältigen Graswurzelaktionen von Palästinensern, Israelis und internationalen Unterstützerinnen und Unterstützern gegen die israelische Besatzung der Westbank und des Gazastreifens. Sie praktizieren eine Kultur, die eine gemeinsame Zukunft ohne Ausgrenzung und Zerstörung vorwegnimmt und demonstrieren bewusst, dass ein Zusammenleben in Freiheit und Frieden möglich ist. Sie vertreten ihre Sache auch konsequent auf der internationalen Bühne: So hat das palästinensische Dorf Bil`in zwei kanadische Immobilienunternehmen vor dem Obersten Gerichtshof von Quebec wegen Beteiligung an Bauvorhaben in der Siedlung Modi`in Illit verklagt, die zu einem großen Teil auf dem Boden Bil`ins errichtet wurde.

Beide Organisationen verdanken ihre Wirkung in der Öffentlichkeit Israels und Palästinas ihrer parteipolitisch unabhängigen, selbstbestimmten, transparenten und gewaltfreien Praxis. Ihre gemeinsamen, vom Bil`iner Bürgerkomitee seit Februar 2005 ausnahmslos an jedem Freitag organisierten Demonstrationen am Sperrzaun von Bil`in, haben zur Entstehung eines breiten internationalen Solidaritäts- und Schutznetzwerks geführt. Israelische Grenzsoldaten feuern dort regelmäßig aus nächster Nähe Tränengas-, Gummi-ummantelte Stahl- und neuerdings auch Gestankgeschosse ab. Sie schrecken selbst nicht davor zurück, Demonstranten und Demonstrantinnen - zum Teil schwere - Körperverletzungen zuzufügen.

Die Zivilcourage, mit der sie Behinderungen und Gefahren im Interesse des gemeinsamen Engagements für eine lebenswerte Zukunft überwinden, ist für die universelle Verwirklichung der Ideale der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorbildlich und im Zeitalter der Globalisierung über die Grenzen Israels und Palästinas hinaus bedeutsam.

Das Gemeinsame in den Beiträgen im Buch - der rote Faden - ist die Überwindung der vorherrschenden wechselseitigen Feindseligkeiten in der israelischen und palästinensischen Gesellschaft. Das kann als Sinnbild für "Barrieren durchbrechen" verstanden werden. Yossi Bartal formuliert das in seinem Beitrag "Der Kampf gegen Apartheid und Queer-Widerstand" wenn er sagt: "Es gibt kein `hier` und `dort`. Die Besatzung ist Israel inhärent". Es komme vor allem darauf an, dass jüdische Israelis und muslimische Israelis (etc.) und Palästinenser gemeinsam leben ... Die Zwei-Staaten-Lösung (Israel / Palästina) ist "ein trauriger Witz und möglicherweise war sie es immer schon". Sie ist eine Lösung für Apartheid: Palästina ein umschlossenes "Bantustan, umringt von einem riesigen Armeestützpunkt namens Israel".

In diesem Kontext hat die Bewegung der männlichen und weiblichen Kriegsdienstverweigerer in Israel eine besondere politische Bedeutung gegen die Militarisierung der israelischen Gesellschaft. In Israel gibt es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung - Verweigerer/innen werden mit Gefängnisstrafen bedroht. Amnesty International und die War Resisters` International (WRI) fordern die sofortige Freilassung von inhaftierten Kriegsdienstverweigerern in Israel.

Die Kriegsdienstverweigerung in Israel hat eine lange Tradition und ist auch mit der War Resisters`International (WRI) verbunden. Im Buch wird an Toma Schick erinnert, der in den 60er Jahren die israelische Sektion der War Resisters` International (WRI) leitete. Heute ist die antimilitaristische und feministische Gruppe New Profile mit der WRI assoziiert. New Profile ist aktiv gegen die vorherrschende Mentalität "ein Israeli desertiert nicht" und für eine Zivil-Gesellschaft.

Die israelischen Verweigerer/innen sind - ebenso wie viele andere israelische und palästinensische Einzelpersonen und Gruppen, die sich für eine gewaltfreie und an den Menschenrechten orientierte Konfliktlösung einsetzen - in ihren Gesellschaften eine Minderheit. Ihre Botschaft und ihre Aktivitäten, ohne die eine Friedenslösung nicht denkbar ist, verdienen besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung, weil sämtliche staatspolitischen Befriedungs-Konzepte keine wirklichen Friedenskonzepte sind. Dazu geben die Beiträge im Sammelband "Barrieren durchbrechen!" Einblicke und beleuchten den Nahostkonflikt von gewaltfrei-antimilitaristischen, feministischen und libertären Standpunkten aus.

çWolfram Beyer ist Sprecher der Internationale der Kriegsdienstverweigerer Berlin, www.idk-berlin.de.





E-Mail: beyerwolfram (at) t-online (Punkt) de
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