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FF2014-1

 Hintergrund

Afghanistan

Schwere Niederlage für das Völkerrecht

Martin Singe

Das Landgericht Bonn hat am 11. Dezember 2013 die Klage von Opfern des Bombenabwurfes bei Kunduz abgewiesen. Oberst Klein hatte am 04. September 2009 befohlen, zwei auf einer Sandbank festgefahrene Tanklaster und die umstehenden Menschen durch Bombenabwürfe zu vernichten. Etwa 140 Menschen, vorwiegend ZivilistInnen, kamen in den Flammen um.

Das Gericht hatte mit einer konkreten Beweisaufnahme zunächst Hoffnungen geweckt, dass das Völkerrecht zur Geltung kommen könnte (vgl. FriedensForum 6/2013, S. 10). Eine vom Gericht mehrfach vorgeschlagene Einigung zwischen Klägern und der beklagten Bundesregierung hatten die Regierungsvertreter abgelehnt mit dem Ziel, "Rechtsklarheit" herzustellen.

Nun hat die Regierung ihr Recht bekommen nach dem Motto "Recht ist, was den Waffen nützt" (Helmut Kramer / Wolfram Wette). So reihte der Richter sein Urteil auch in die Geschichte der Entscheidungen von Distomo und Varvarin ein.

Deutsche SoldatInnen sollen auch künftig ohne Angst vor Strafe bombardieren dürfen. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass keine schuldhafte Amtspflichtverletzung feststellbar sei, da Oberst Klein davon ausgehen durfte, dass nur Taliban-Kämpfer vor Ort anwesend gewesen seien. Eine Amtspflichtverletzung wäre Voraussetzung für die Geltendmachung einer Schadensersatzforderung, so das Gericht. Die gerichtliche Video-Auswertung der Aufnahmen aus den Kampfflugzeugen hätte keinen Hinweis auf anwesende ZivilistInnen ergeben. Als Prozessbeobachter konnte man allerdings deutlich sehen, dass sich Menschen zu den Tankern aus drei verschiedenen Ortschaften hin- und herbewegten, um Benzin abzuzapfen. Aus den Video-Aufnahmen auf eine Ansammlung von Taliban zu schließen, die mit den festgefahrenen Tanklastern das deutsche Heerlager angreifen wollten, erscheint absurd. Den Antrag der Opferkläger, eine Vernehmung von Oberst Klein zur Lagebeurteilung vor Ort vorzunehmen, hatte das Gericht abgelehnt, da dies "unerheblich" gewesen wäre.

Mit ähnlicher Argumentation war ja schon ein Strafprozess von der Generalbundesanwaltschaft abgelehnt worden. Um einen Prozess einzuleiten, so die (der Regierungsweisung unterstehende Generalbundesanwaltschaft), hätte der Täter "in subjektiver Hinsicht" die "sichere Erwartung" haben müssen, dass Zivilpersonen in einem Ausmaß getötet oder verletzt würden, die insgesamt unverhältnismäßig zum erwarteten militärischen Vorteil stünden. Die Genfer Zusatzabkommen regeln eindeutig, dass vor einem Angriff, bei dem ZivilistInnen betroffen sein könnten, wirksame Warnungen vorausgehen müssen. Diese Vorschrift sowie weitere Einsatzregeln hatte Oberst Klein schwerwiegend verletzt. Klein war auch nicht auf den Vorschlag der US-Piloten, die offensichtlich mit ZivilistInnen vor Ort rechneten, eingegangen, doch vorab eine "Show of Force", also einen Tiefüberflug zur Warnung vorzunehmen. Das Gericht betonte, dass sich Oberst Klein immerhin gegen eine 2.000-Pfund-Bombe zugunsten von zwei 500-Pfund-Bomben entschieden hätte. Wollte er gar, dass Taliban-Kämpfer ungeschoren davonkommen könnten?

Das humanitäre Kriegsvölkerrecht ist selbstverständlich grenzwertig zu betrachten. Denn indem es Zivilistenschutz gewähren will, trägt es natürlich gleichzeitig zur Rechtfertigung von Kriegen bei. Krieg ist immer ein Verbrechen und zu ächten. Auch eine Versammlung von 140 Taliban mit Bomben auszulöschen, wäre ein Verbrechen. Aber unter den heutigen Bedingungen muss wenigstens um die Einhaltung der Minimalia des Völkerrechts auch rechtlich gerungen werden. Das Urteil ist deshalb eine schwere Niederlage für das Völkerrecht und zugleich ein großer Sieg der Bundesregierung, die sich künftig bei weiteren völkerrechtswidrigen Kriegen und Bombardements nicht mehr gerichtlich verantworten will. Es bedeutet einen Freibrief für künftiges mörderisches Verhalten von Soldaten. Einen Tag nach dem Tag der Menschenrechte hat das Völkerrecht vor dem Bonner Landgericht eine schwere Niederlage erlitten.



Martin Singe ist Referent beim Komitee für Grundrechte und Demokratie und Redakteur des FriedensForums.

E-Mail: martin (Punkt) singe (at) t-online (Punkt) de
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